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GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg kommentiert die Unruhen in Frankreich

Aus den Fehlern des Nachbarn lernen

erschienen in der "Saarbrücker Zeitung", 9.11.2005

Auch in Deutschland, so der GdP-Vorsitzende, gebe es Stadtbezirke, die sich nicht unbedingt für jeden für nächtlichen Kneipenbummel eigneten. "Aber Gegenden, in die sich die deutsche Polizei nicht hineintraut, oder wenn, dann nur in Mannschaftsstärke, gibt es nicht. Noch nicht." Freiberg: "Die Polizei kann aber auch eine verfehlte Migrationspolitik nicht korrigieren. Wir brauchen: verläßliche Schulen und Schulbehörden, die die Einhaltung der Pflicht zum Schulbesuch und zur Teilnahme am Unterricht von Schülern und Eltern massiver einfordern."

Hier der der Kommentar des GdP-Vorsitzenden im Wortlaut::

"Es ist alles richtig, was auch vor den ersten Brandanschlägen in den Pariser Vororten zutraf: Seit Jahren beobachten wir eine Zunahme der Jugendgewalt, die Bildung von Jugendbanden und die Ausweitung des Drogenhandels. Seit Jahren beklagen Sozialarbeiter die zunehmende Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen und seit Jahren klagen Lehrer an den Schulen, dass die Schulpflicht nicht ernst genommen wird und sie im Umgang mit problematischen Jugendlichen allein gelassen werden. Seit Jahren sehen wir der Bildung von Paralellgesellschaften tatenlos zu, von der hohen Jugendarbeitslosigkeit ganz zu schweigen.

Was aber nicht stimmt, ist, dass es irgendeine Vergleichbarkeit mit den französischen Verhältnissen gibt. Die Struktur der Zuwanderer in Frankreich, ihr Migrationshintergrund, ihre wirtschaftliche und soziale Situation ist eine andere. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ungleich höher, die Trabantenstädte sind größer und trostloser.

Ich glaube auch nicht, dass ein deutscher Innenminister Teile der Bevölkerung als „Gesindel“ bezeichnen würde und schon gar nicht glaube ich daran, dass er dann noch die Gelegenheit zu einer zweiten Pressekonferenz bekäme.
 
 Es ist auch nicht so, dass sich die französische Innenpolitik von dem Ausbruch der Gewalt überrascht zeigen könnte. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Frankreich zählen seit dem 1. Januar insgesamt über 70.000 Fälle von Vandalismus, 28.000 Pkw-Brände, 2.900 Brandanschläge auf Geschäfte und Läden, 17.000 kleinere Brände und 6000 Wurfgeschosse auf Ordnungskräfte.

Die französische Innenpolitik hat die Problemviertel seit langem sich selbst überlassen, die Nachbarschaftspolizei, also Beamte mit Kompetenz, Gespür, Kontakten zu den Bewohnern und Verständnis für deren Mentalität, wurde abgezogen. Die Kriminalität dort konnte sich ungehindert aufbauen.
 
Leidtragende dieser Entwicklung waren und sind – wie immer in solchen Fällen – die überwiegende Mehrzahl friedlicher und rechtstreuer Bewohner solcher Viertel, die lediglich ihren Familien und sich eine Existenz aufbauen wollen. Ihr Pech ist nur, dass sie keine Lobby haben.

Der Teufelskreis in diesen Ghettos ist kaum zu durchbrechen. Im Kampf ums wirtschaftliche Überleben bleibt wenig Zeit für die Erziehungsarbeit mit den Kindern. Sind Drogenbanden in den Jugendmilieus erst einmal etabliert, fragt sich manch einer der Heranwachsenden, warum er eine mühevolle Schulkarriere mit der Aussicht antreten soll, später doch keinen Arbeitsplatz zu finden, während sein gleichaltriger Kumpel im Drogengeschäft gut verdient. Und selbst wenn sie es wollten: Freunde außerhalb dieses Ghettos mit seinen eigenen Gesetzen und Gruppenzwängen finden sie nicht.

Auch in Deutschland gibt es Stadtbezirke, die sich nicht unbedingt für jeden für nächtlichen Kneipenbummel eignen. Aber Gegenden, in die sich die deutsche Polizei nicht hineintraut, oder wenn, dann nur in Mannschaftsstärke, gibt es nicht. Noch nicht. Oft ist es die Polizei selbst, die runde Tische, Netzwerke und Projekte anstößt, wenn sie vor Ort Tendenzen zur Verselbstständigung solcher Viertel bemerkt. Jugendkommissariate suchen und praktizieren die enge Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Institutionen. Wenn man sie nur läßt.

Seit 1998 wurden bundesweit über 7000 Polizistinnen und Polizisten eingespartl, in den nächsten Jahren sollen in den Ländern noch einmal die gleiche Zahl an Stellen gestrichen werden. Neue Kriminalitätsformen, der Kampf gegen den internationlen Terrorismus und Großeinsätze wie die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr bringen die Polizei personell an ihre Belastungsgrenze. Die notwendige Arbeit vor Ort leidet darunter und muß ganz liegenbleiben.

Polizisten müssen aber mit und unter den Menschen leben. Der klassische Fehler des französischen Innenministers war es, die Polizeistellen vor Ort abzubauen und zu glauben, man brauche nur Einheiten dort hinzuschicken, wenn es irgendwo knallt. Deutsche Innenminister sollten daraus lernen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, als „Polizeireform“ getarnt, Wachen zu schließen und Personal zu reduzieren. Die innere Sicherheit verträgt so etwas nicht.

Die Polizei kann aber auch eine verfehlte Migrationspolitik nicht korrigieren. Wir brauchen: verläßliche Schulen und Schulbehörden, die die Einhaltung der Pflicht zum Schulbesuch und zur Teilnahme am Unterricht von Schülern und Eltern massiver einfordern. Lehrer an Schulen in belasteten Stadtgebieten benötigen mehr Unterstützung.

Es handelt sich auch nicht allein um ein Problem von Migrantenfamilien und ihren Kindern. Jugendarbeitslosigkeit ist kein jugendspezifisches Problem, sondern die bedrückendste Variante der Arbeitslosigkeit selbst. „Ohne Arbeitsplätze nutzt auch Bildung nichts“, schrieb ein Kommentator. Auch nach einer erfolgreichen Wertediskussion gibt es die Brötchen schließlich nicht umsonst.

Nicht nur die deutschen Innnenpolitiker können aus den Fehlern der französischen Innenpolitik lernen."


(erschienen in der Saarbrücker Zeitung, 09.11.2005)
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