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UISP-Fachtagung

Gewalt gegen Polizisten und Polizistinnen: Erste Ergebnisse einer empirischen Studie

Gewalt gegen Polizisten und Polizistinnen:
Erste Ergebnisse einer empirischen Studie


Thomas Ohlemacher und Arne Rüger
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

Vortrag auf der Fachtagung"Gewalt gegen Polizeibeamtinnen/-beamte"

Kontakt:
PD Dr. Thomas Ohlemacher

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN),
Projekt "Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte"
Lützerodestr. 9, 30161 Hannover
Tel. 0511/34836-15, -13 (Durchwahl), -0 (Zentrale), -10 (Fax)Email an Thomas Ohlemacher


Nach den tödlichen Angriffen auf mehrere Polizeibeamtinnen und -beamte im Sommer des Jahres 2000 haben sich die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) sowie die Gewerkschaft der Polizei (GdP) entschlossen, neben einer Fülle von anderen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Beamtinnen und Beamten auch ein wissenschaftliches Projekt finanziell zu unterstützen. Dieses wissenschaftliche Projekt geht auf eine Initiative des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) zurück. Dessen damaliger Leiter, der jetzige niedersächsische Justizminister Prof. Dr. Christian Pfeiffer und Dr. Thomas Ohlemacher (als der designierte Projektleiter) haben in den Mittelpunkt des beantragten Projekts gravierende Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten aus den Jahren 1985 bis zur Mitte des Jahres 2000 gestellt.

Ziel des Projekts ist die Erfassung von Daten und Materialien, die es erlauben die Frage zu beantworten, ob der tragische Tod der Beamtinnen und Beamten Teil einer allgemeinen Entwicklung ist und falls ja, wie deren Charakteristika zu beschreiben sind. Das Projekt versucht zudem, einen Beitrag zur Fortentwicklung des polizeilichen Handelns zu liefern, um auf diese Weise den Schutz der Beamtinnen und Beamten zu verbessern.

Schwerpunkte der Studie sind nicht kriminalistische und kriminaltaktische Inhalte, sondern vielmehr kriminologische Fragestellungen: Nicht die einzelne Tat soll er bzw. geklärt werden, im Mittelpunkt stehen Fragen nach der Verteilung über Zeit (Gibt es einen Anstieg?), den Merkmalen der Situationen (Wann und wie ereigneten sich die Taten?) und der Beteiligten (Wer griff wen unter welchen Kontextbedingungen an?). Absicht dieses Projektes ist es somit nicht, die bisherige Arbeit der Ausbilder oder das Verhalten der Beamtinnen und Beamten zur Eigensicherung im Einzelfall zu kritisieren. Wir werfen letztendlich einen anderen Blick auf die soziale Situation der Angriffe gegen Polizistinnen und Polizisten - eben den Blick der Wissenschaft, enger gefasst: der Kriminologie, im speziellen: der Soziologie. Im Rahmen der Analysen sollen neben den Ergebnissen der Datenanalyse zudem die Empfehlungen der Angegriffenen für das künftige Verhalten und die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten weitergegeben werden. Eine Bewertung dieser Empfehlungen mit Blick auf eine Verwertung in der künftigen Polizeipraxis kann das KFN dabei nicht vornehmen. Dies ist Aufgabe von Expertinnen und Experten innerhalb der Polizei.Der nachfolgende Bericht konzentriert sich (a) auf den Stand der Forschung, (b) auf die von den Polizeibehörden an das KFN gemeldeten Fälle mit Tötungsabsicht/-vorsatz bzw. mit gravierenden Folgen für die Beamtinnen und Beamten aus den letzten fünfzehn bzw. fünf Jahren (insg. ca. 4.000 Fälle) sowie (c) auf die Befragung einer Auswahl von angegriffenen Beamtinnen und Beamten (N=2.293, vorläufig realisiertes n=1064, Stand: Februar 2001). Daneben sind eine Aktenanalyse der Angriffe mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz sowie eine Befragung von Hinterbliebenen getöteter Beamten und Beamtinnen Bestandteile des Projekts.

1. Zum Stand der bisherigen Forschung:
Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte

Die bisherige Forschung hat sich des Themenkomplexes ‚Gewalt und Polizei' unter verschiedenen Perspektiven angenommen. Mehrheitlich wurde dabei die Gewaltanwendung durch die Polizei ins Blickfeld gerückt (vgl. dazu etwa Phillips und Smith 2000, Vrij et al. 1994, Falk 1986, Kania und Mackey 1977, Milton et al. 1977 sowie Hudson 1970). Dem gegenüber befassen sich - sowohl international als auch auf Deutschland bezogen - nur relativ wenige Untersuchungen mit der Gewalt gegen die Polizei.

Für die Bundesrepublik Deutschland stellen die von 1977 bis 1994 von der Polizei-Führungsakademie (PFA) unter Leitung von Joachim Jäger unternommenen Untersuchungen das umfangreichste Forschungsunternehmen dieser Art dar. Im Rahmen dieser Studien wurden jeweils ca. 500-800 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte schriftlich befragt, die infolge eines Angriffs für mehr als sieben Tage dienstunfähig waren. Die jüngste in diesen Bereich fallende Untersuchung - im Jahr 2000 herausgegeben von der Fachhochschule Villingen-Schwenningen - befasst sich mit Widerstand gegen Polizeibeamtinnen und -beamte in Baden-Württemberg im Jahr 1997 (vgl. hierzu auch Falk 2000). Bei dieser Analyse wurden 1514 Ermittlungsakten ausgewertet sowie 1318 Polizisten schriftlich befragt, die in diesen Akten als Betroffene aufgeführt sind. Zwar geht Widerstand gegen die Polizei nicht zwangsläufig mit Angriffen einher, dennoch gibt diese Untersuchung einen Einblick in konflikthafte Polizei-Bürger-Begegnungen und ist aus diesem Grund für den Themenkomplex Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten von Interesse. Darüber hinaus liegt eine Aktenanalyse von Sessar et al. (1980) zu 232 Fällen versuchter und vollendeter Tötung zum Nachteil von Polizeibeamten vor. In diese Untersuchung wurden Fälle vollendeter Tötungen aus dem Zeitraum 1950-1977 und Fälle versuchter Tötung aus den Jahren 1970-1977 einbezogen. Eine zeitlich weiter zurückliegende Aktenanalyse von Stührman (1965) beschäftigt sich mit Widerstand gegen Polizeibeamte im Amtsgerichtsbezirk Kiel mit einer untersuchten Zahl von 123 entsprechender Vorfälle aus den Jahren 1958-1962.

Im Folgenden wird der Stand der Forschung zu relevanten Aspekten dieses Komplexes zusammenfassend dargestellt. Ergänzend zu den deutschen Studien werden Ergebnisse aus den USA, Kanada, Schweden und Neuseeland herangezogen. Die Befunde dieser Forschungen werden nach drei Gesichtspunkten unterteilt wiedergegeben. Zunächst werden die täterbezogenen Merkmale behandelt, danach wendet sich die Darstellung den Umständen der Situation zu, in der es zu einem Angriff kam, und endet mit den Merkmalen der betroffenen Beamtinnen und Beamten.
Zuvor ist allerdings noch folgender Hinweis zu beachten: Eine allgemeine Beschränkung der bislang vorliegenden Forschung liegt darin, dass in der Regel lediglich eine Analyse von denjenigen Fällen vorgenommen wurde, in denen Widerstands- oder Angriffshandlungen mit teilweise gravierenden Folgen vorlagen. Nicht analysiert werden hingegen Situationen, in denen ein Angriff bzw. gravierende Folgen durch das Verhalten der Polizisten verhindert wurden. Auch ist es den meisten Studien nicht möglich, eine absolute Risikoabschätzung für ausgewählte Situationen polizeilichen Handelns (z.B. Einschreiten bei Familienstreitigkeiten mit alkoholisierten Beteiligten) abzugeben, da in diesen Untersuchungen die Häufigkeit solcher Situationen im polizeilichen Alltag nicht quantifiziert werden kann. Das bedeutet: Vielfach können nur Aussagen darüber gemacht werden, wie häufig Polizistinnen und Polizisten unter welchen Umständen und in welchen Situationen angegriffen wurden. Eine Bewertung der Gefährlichkeit einer bestimmten Situation ist jedoch erst umfassend möglich, wenn die Häufigkeit, mit der diese Situation im polizeilichen Alltag vorkommt, zu der Häufigkeit in Beziehung gesetzt wird, mit der es aus ihr heraus zu einem Angriff kommt. Eben dies leistet jedoch kaum eine der vorliegenden Untersuchungen.

Bei der Zusammenfassung der bisherigen nationalen Forschung zu Angriffen gegen Polizistinnen und Polizisten kristallisieren sich bezüglich der Merkmale der Täter, der Situation und der Opfer folgende Befunde heraus. Diese werden zum Teil durch internationale Befunde unterstützt, in Teilen jedoch deutlich differenziert.

Täterbezogene Merkmale
  • Die absolute Mehrheit der Täter war unter 30 Jahre alt.
  • Es traten ganz überwiegend Männer als Angreifer in Erscheinung. Frauen machten in den bisherigen Untersuchungen maximal 16 % (häufig unter 10 %) der entsprechenden Täter aus.
  • Die bisherigen Studien zur Bundesrepublik zeigen: Deutsche Staatsangehörige dominierten, dies obwohl der Anteil ausländischer Angreifer in Deutschland im Jahr 1992 gegenüber den achtziger und dem Ende der siebziger Jahre einen deutlichen Anstieg verzeichnete.
  • Über die Hälfte der Täter waren bereits vor dem Angriff vorbestraft oder zumindest polizeilich bekannt.
  • Angriffe geschahen zu großen Teilen unter Alkoholeinfluss. In ca. einem Viertel der Fälle wurden sogar erhebliche Blutalkoholkonzentrationen von mind. 1‰ festgestellt.
  • Nur bei wenigen Tätern wurde nachgewiesen, dass sie zum Zeitpunkt der Tat unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln standen. Der tatsächliche Anteil liegt jedoch möglicherweise höher, da in ca. jedem zweiten Fall nicht festgestellt werden konnte, ob Betäubungsmittelkonsum vorlag.
Situationsmerkmale
  • In Großstädten kam es in Relation zum Bevölkerungsanteil überproportional oft zu Angriffen gegen Polizistinnen und Polizisten.
  • Die überwiegende Mehrheit der Angriffe erfolgte an öffentlichen Orten (vor allem auf Straßen, Wegen usw., aber auch in Bars und Lokalen). Polizeidiensträume und -fahrzeuge sowie nichtöffentliche Orte (Privatwohnungen usw.) besaßen in dieser Hinsicht weniger Relevanz.
  • Der Großteil der Angriffe ereignete sich in den Abend- und Nachtstunden, während der Morgen und der Vormittag geringer belastet waren. Der Nachmittag war durch einen Anstieg der Häufigkeit zum Abend hin gekennzeichnet.
  • Tödliche Angriffe waren etwa gleichmäßig über die verschiedenen Wochentage verteilt, wobei lediglich sonntags eine leicht verminderte Häufigkeit solcher Vorfälle zu verzeichnen war. Bei sonstigen Angriffen hingegen zeigte sich eine Konzentration am Wochenende.
  • In den bislang vorliegenden Untersuchungen konnten weder eine eindeutige monatliche noch jahreszeitliche Schwerpunktbildung nachgewiesen werden.
  • In der deutlich überwiegenden Mehrzahl der Fälle handelten die Täter bei Angriffen gegen die Polizei alleine (je nach Untersuchung zwischen 73,8 % und 96,6 %). Allerdings geschahen zumindest in Deutschland bis Anfang der neunziger Jahre ca. 9 % dieser Taten aus einer Menschenmenge heraus.
  • Insgesamt befanden sich bei über der Hälfte der Angriffe mindestens zwei Polizisten vor Ort. Allerdings konnte eine US-amerikanische Untersuchung zeigen, dass 51 % der tödlichen Angriffe gegen einen alleine im Einsatz befindlichen Polizisten gerichtet waren.
  • Oftmals schritten die Beamtinnen und Beamten in Deutschland ohne (ausführliche) vorherige Absprache ein. Dennoch geschahen Angriffe häufig, trotzdem eine solche erfolgt ist. Das könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass Absprachen nicht zwangsläufig das Risiko eines Angriffs vermindern.
  • Laut der Mehrheit der vorliegenden Studien kam es vor allem in Situationen zu Angriffen, in denen die Polizei aktiv-regulierend in das Verhalten der Bürger eingriff (wie bei Streitigkeiten und Ruhestörungen) und/oder die mit Straftaten oder dem Umgang mit Festgenommenen bzw. Gefangenen in Zusammenhang standen.
Merkmale der Opfer
  • Der überwiegende Anteil der Angriffe richtete sich gegen Polizisten im Funkstreifendienst. Andere polizeiliche Aufgabenbereiche, wie z.B. Fußstreifendienst oder geschlossene Einsätze, wiesen wesentlich geringere Häufigkeiten auf.
  • In der Bundesrepublik handelte sich bei den Opfern eines Angriffs hauptsächlich um mit sieben oder mehr Dienstjahren als erfahren einzuschätzende Beamtinnen und Beamten. Allerdings verfügten Beamte mit mehr als zehnjähriger Berufserfahrung über ein - im Vergleich zu weniger diensterfahrenen Kollegen - erhöhtes Risiko, bei Angriffen mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz getötet zu werden, anstatt verletzt zu überleben. Im Unterschied zu Deutschland machten in den USA die wenig diensterfahrenen Polizisten wesentlich höhere Anteile an den Opfern und den durch Angriffe Getöteten aus.
2. Die von Bund und Ländern gemeldeten Fälle 1985-2000
Die Zahl der getöteten Polizistinnen und Polizisten im Jahr 2000 ist für die Bundesrepublik mit acht Beamtinnen und Beamten bezogen auf die letzten fünf Jahre in der Tat außergewöhnlich hoch. Ähnlich hohe Zahlen gab es jedoch bereits in der ersten Hälfte der neunziger Jahre (1993 und 1995: jeweils sieben getötete Beamtinnen und Beamten). Die Höchstwerte der ersten Hälfte der siebziger Jahre (1972: 15, 1975: 9) wurden nicht erreicht. Über einen längeren Zeitraum betrachtet handelt es sich bei der Tötung von Beamtinnen und Beamten infolge von Angriffen um ein äußerst seltenes Ereignis, das statistisch gesehen beinahe zufälligen Schwankungen zu unterliegen scheint.

Die bundesdeutsche Polizei hat im Rahmen dieses Forschungsprojekts unter teilweise erheblichen organisatorischen Anstrengungen Fälle gravierender Gewalt für den Zeitraum Januar 1985 bis Juli 2000 an das KFN gemeldet. Die Daten sind retrospektiv erhoben (und damit notwendigerweise mit dem Problem behaftet: je weiter zurück, umso schwieriger zu recherchieren) und weisen auch aufgrund der föderal bedingten Unterschiede in der Datenerfassung unvermeidlicherweise einige Lücken auf.
Auf Basis der gemeldeten Fälle lässt sich ein Anstieg von Angriffen mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz (1985-2000, n=747) von 1985 bis 1994 feststellen, danach sinken die Zahlen. Das Jahr 2000 hat trotz eines erneuten Anstiegs den Höchststand des Jahres 1994 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht (dem KFN liegen Zahlen bis zum 15.7.2000 vor). Diese Entwicklung (Anstieg bis Mitte der neunziger Jahre, dann Absinken) deckt sich mit der allgemeinen Entwicklung von Tötungsdelikten bezogen auf die Normalbevölkerung.
Allerdings gilt: Das Risiko eines Polizisten, mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz angegriffen zu werden, ist um ein Vielfaches höher als das eines Normalbürgers. Die Ausbildung, die Ausrüstung und das professionelle Handeln der Polizisten verringert jedoch offenbar das Risiko, tatsächlich im Polizeiberuf durch einen Angriff zu Tode zu kommen, auf ein Niveau, das (in Jahren mit nicht außergewöhnlich hohen Zahlen wie z.B. 1996-1999) unter dem statistischen Risiko der Normalbevölkerung liegt, Opfer einer vollendeten Tötung zu werden.
Auch bei Angriffen mit einer Folge von mehr als sieben Tagen Dienstunfähigkeit (1995-2000, n=2.969) werden die Höchstwerte der frühen achtziger Jahre, wie sie in früheren Untersuchungen der Polizei-Führungsakademie dokumentiert wurden, nicht erreicht. Zwar findet sich ein kontinuierlicher Anstieg von 1995 bis 2000, dieser kann jedoch möglicherweise auf die angesprochenen Erfassungsprobleme zurückgeführt werden.

3. Ergebnisse der standardisierten Befragung von rd.1.000 angegriffenen Beamtinnen und Beamten

Von 2.194 versandten Fragebögen (Grundlage war eine Mischung aus Totalerhebung und Zufallsstichproben) waren bis zum 6.2.2001 1.064 ausgefüllte Bögen anonym an das KFN zurückgeschickt worden. Die vorläufige Rücklaufquote beträgt von daher 48,5 %. Dies ist für eine postalische Befragung zu einem sensiblen Thema unter den gegebenen Umständen als gut zu bezeichnen. Die realisierten Stichproben sind - dies zeigen unsere vergleichenden Analysen - als repräsentativ für die Grundgesamtheiten anzusehen.
Im Folgenden soll versucht werden, die Ergebnisse der Befragung zusammenzufassen. Dabei sollen Charakteristika präsentiert werden, die (a) für alle Angriffe oder aber (b) für spezielle Untergruppen zutreffen. Dabei soll besonderer Wert darauf gelegt werden, die Differenzen zwischen Angriffen mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz ohne Folgen einerseits und solchen mit Folgen andererseits herauszustellen. Zugunsten der besseren Lesbarkeit der Zusammenfassung werden nur an einigen Stellen explizit Prozentzahlen genannt (genauere Angaben u.a. zu den Signifikanztests können auf Anfrage mitgeteilt werden).
Auf Basis der Angaben der angegriffenen Beamten und Beamtinnen gilt für alle Angriffe bzw. Angegriffenen:
  • Angriffe finden in der Mehrheit in der Dunkelheit statt. Die Hälfte aller Angriffe ereignet sich in sogenannten bürgerlichen Wohngebieten, die Mehrheit findet auf Straßen, Wegen oder (Park-)Plätzen statt. Am Wochenende ereignen sich überproportional viele Angriffe. Die Mehrheit der angegriffenen Polizistinnen und Polizisten befindet sich auf Funkstreife, sie werden in der überwiegenden Zahl der Fälle aufgrund einer versuchten oder vollendeten Straftat tätig.
  • Informationen liegen den Beamten und Beamtinnen zum Zeitpunkt des Einschreitens - so ihre Wahrnehmung - im ausreichenden Maße lediglich zur Zahl der Beteiligten, zur Art des Vorfalls, zu den erforderlichen polizeilichen Maßnahmen und zu den örtlichen Gegebenheiten vor. Es fehlen Informationen beispielsweise zum Gewaltpotential, zu den zu erwartenden Konflikten, zur Art der Bewaffnung und zum Alkohol- bzw. Btm-Einfluss. In der Mehrzahl der Fälle (60 %) gilt der Ort des Einschreitens zuvor als ungefährlich.
  • Die Beamtinnen und Beamten sind in der überwiegenden Zahl der Fälle beim Einschreiten zumindest zu zweit. Der Anteil von angegriffenen Beamtinnen beträgt unter 6 %. Die Mehrheit der Beamtinnen und Beamten hat im Verlauf des Einsatzes keine ständige Verbindung zur Einsatzzentrale.
  • Die Angreifer sind in der überwiegenden Mehrheit allein (80 %) und männlich (rd. 94 %). Viele der Täter waren - wie sich später herausstellt - schon zuvor polizeibekannt, persönlich hatten die Beamtinnen und Beamten aber nur in einer geringen Zahl der Fälle mit ihnen zuvor dienstlich zu tun. Die Täter sind zu über zwei Drittel deutscher Staatsangehörigkeit, in über der Hälfte der Fälle sind die Angreifer alkoholisiert. Jede/r elfte Angegriffene berichtet von eingenommenen Betäubungsmitteln auf Seiten der Angreifer, jede/r achte von offensichtlichen psychischen Problemen der Angreifer.
  • In über 80 % der berichteten Fälle kommt der Angriff völlig überraschend. Er ereignet sich besonders oft beim Zugriff, beim Verhindern einer Flucht und bei Festnahmen. Die Beamtinnen und Beamten erleiden mehrheitlich Schläge mit der Hand oder Faust.
  • Die Nachbereitung und Verarbeitung des Geschehens durch die Beamtinnen und Beamten findet (bislang) eher informell als formell statt - dies gilt aus Sicht der Beamtinnen und Beamten sowohl was die Häufigkeit als auch die Ergiebigkeit angeht. Die Angegriffenen berichten in einem hohen Maß von theoretischer und praktischer Vorbereitung auf solche Angriffe. Sie haben auch eine überwiegend positive Einschätzung der eigenen Handlungssicherheit in der konkreten Situation des Angriffs (insbesondere was die rechtliche Beurteilung, die Fähigkeit zur körperlichen Abwehr und den Umgang mit der Dienstwaffe betrifft). Wahrgenommene Defizite gibt es jedoch bei der psychologischen Beurteilung der Situation und bei der Fähigkeit zur Konflikthandhabung.
  • Etwa die Hälfte der Befragten nimmt eine zu stark eingeschränkte rechtliche Regulierung des Schusswaffengebrauchs mit Blick auf die Eigensicherung wahr, die andere Hälfte hält die bisherigen Regelung jedoch für angemessen (im Rahmen unserer Studie ist jedoch nicht gefragt bzw. geklärt worden, ob diese Einschätzung der tatsächlichen Rechtslage entspricht, ob also eine Veränderung wirklich notwendig wäre). Die Hälfte der Beamtinnen und Beamten sieht Unvereinbarkeiten der geltenden Richtlinien zur Eigensicherung mit den Notwendigkeiten des polizeilichen Alltags. In der konkreten Situation des Angriffs konnte sich jedoch mehr als die Hälfte tendenziell an die Richtlinien halten, 8 % konnten dies beim Angriff allerdings überhaupt nicht tun.
  • Verbesserungsvorschläge finden sich am zahlreichsten zum Bereich der körperlichen Abwehr und beim Umgang mit der Dienstwaffe (Forderungen sind vor allem ein häufigeres und realistischeres Schießtraining), sodann die Ausstattung betreffend (u.a. mehr Schutzwesten, zeitgemäßere Munition, bessere Handfunkgeräte), bei der Rechts- und psychologischen Beurteilung (z.B. mehr Lehrgänge, mehr Praxisbezug, stetige Auffrischung), der Konflikthandhabung (u.a. mehr und konkreteres Training, Stressbewältigungsseminare) sowie im Bereich der sonstigen Forderungen (z.B. nach mehr psychologischtherapeutischer Betreuung, einer Schulung in kleineren Einheiten, nach mehr Spezialisten statt Generalisten sowie generell nach mehr Personal).
Für Tötungsversuche (im Vergleich zu Angriffen ohne Tötungsabsicht/-vorsatz) lassen sich folgende Aspekte festhalten:
  • Im Vergleich zu Angriffen ohne Tötungsabsicht/-vorsatz finden sich erhöhte Werte bei Fahrzeugkontrollen (5 bis 8 %). Das Kfz als Tatmittel ist bei Tötungsversuchen im Vergleich zu anderen Angriffen überrepräsentiert.
  • Betrachtet über Fünfjahresperioden seit 1985 nimmt der Anteil von Straftaten als Anlass des Einschreitens mit nachfolgenden Angriffen mit Tötungsabsicht zu, dies gilt auch für Verkehrsdelikte und -kontrollen.
  • Erhöhte Risiken sind bei Situationen ohne Körperkontakt zu finden. Bei Situationen, die zu Tötungsversuchen führen, besteht auch weniger Gelegenheit zum Androhen von Zwangsmitteln. Bei den Tötungsversuchen finden sich besonders wenig Angriffe aus Menschenmengen heraus.
  • Bei den Tötungsversuchen sind die Angreifer zu 99 % männlichen Geschlechts, ältere Täter sind überproportional oft vertreten (> 40 Jahre: mehr als 25 %). Bei Angriffen ohne Tötungsabsicht/-vorsatz sind hingegen jüngere Täter (< 20 Jahre) im Vergleich zu den Tötungsversuchen deutlich überrepräsentiert. Die Angreifer bei Tötungsversuchen sind im Vergleich zu Angriffen ohne Tötungsabsicht/-vorsatz weniger oft alkoholisiert.
  • Bei Tötungsversuchen findet sich ein erhöhter Anteil der Konfrontation mit Schusswaffen (ca. 45 %), dieser Anteil nimmt jedoch über die letzten Fünfjahresperioden hin betrachtet ab. Es kommt in 80 % dieser Fälle zum Einsatz der Schusswaffen von Seiten des Angreifers. Illegaler Waffenbesitz kann in mind. 60 %, max. 75 % der Fälle belegt bzw. vermutet werden (dieser Anteil nimmt jedoch über die Zeit betrachtet ab). Im Vergleich zu anderen Angriffen findet sich ein erhöhter Anteil von Messern (20 %). Spektakuläre Waffen (Spritzen, Molotow-Cocktails etc.) sind die Ausnahme.
  • Bei Tötungsversuchen besteht auf Seiten der angegriffenen Beamten eine geringere Befürchtung (im Vergleich zu Angriffen ohne Tötungsabsicht bzw. -vorsatz), in den nächsten zwölf Monaten Opfer eines ähnlichen Angriffes zu werden.
  • Die mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz Angegriffenen üben weniger Kritik an den Richtlinien zur Eigensicherung mit Blick auf die Praxistauglichkeit und an der rechtlichen Absicherung des Schusswaffengebrauchs.
Bei Angriffen mit Tötungsabsicht/-vorsatz und gravierenden Folgen im Vergleich zu allen anderen Angriffen ...
  • ... sind die Monate Februar und Mai überrepräsentiert. Es findet sich eine besonders deutliche Dominanz von bürgerlichen Wohngebieten als Tatort.
  • Die Angriffe ereignen sich in einem überproportional hohen Anteil bei Überprüfungen von verdächtigen Personen, beim Verhindern einer Flucht, beim Ansprechen bzw. bei der Kontaktaufnahme sowie bei der Verfolgung.
  • Ein besonders hoher Anteil der Angriffe (> 90 %) kam völlig überraschend.
  • Bei Angriffen mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz und gravierenden Folgen treten am häufigsten (bei ca. 30 %) Verletzungen an Beinen oder Füßen auf (bei Angriffen ohne Tötungsabsicht/vorsatz sind in annähernd 50 % der Fälle die Hände betroffen).
  • Es finden sich hohe Werte für allgemeine Angst, Niedergeschlagenheit und Gereiztheit nach einem solchen Angriff, auch überraschend hohe Werte für Probleme in verschiedenen anderen Lebensbereichen.
Für den Vergleich von Angriffen mit Tötungsabsicht/-vorsatz mit gravierenden Folgen und ohne gravierende Folgen lassen sich folgende Befunde mitteilen:
  • Bei Tötungsversuchen mit gravierenden Folgen finden sich eher jüngere Täter (21-30 Jahre: 40 %). Die Täter sind noch weniger alkoholisiert (nur zu ca. einem Drittel). Der Anteil von psychischen Krankheiten ist jedoch erhöht (16 %).
  • Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen führen - wenn in ihrem Rahmen ein Angriff mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz erfolgt - häufiger zu gravierenden Folgen.
  • Im Vergleich zu den Angriffen ohne Folgen wurden die späteren Angreifer zuvor als "nicht aggressiv" wahrgenommen. Die Angriffe gelten von daher auch - im Nachhinein betrachtet - als kalkulierter.
  • Schutzwesten helfen Schaden zu verhüten: Bei Tötungsversuchen mit gravierenden Folgen wurden signifikant weniger oft Schutzwesten getragen. Die prozentualen Anteile der Androhung eines Schusswaffeneinsatzes und des Gebrauchs der Schusswaffe (insbesondere der Warn- und der gezielte Schuss) sind bei Angriffen mit Tötungsabsicht/-vorsatz ohne gravierende Folgen höher. Dies führt jedoch aufgrund des offenbar kontrollierten Einsatzes zu einer (relativ betrachtet) geringeren Zahl von getöteten Angreifern.
  • Bei Tötungsversuchen mit gravierenden Folgen waren Beamte beim Einschreiten häufiger alleine (12 %). Nicht die Suche/Verfolgung selbst, aber die Vereinzelung während der Verfolgung/Suche im weiteren Verlauf des polizeilichen Handelns erhöht das Risiko einer gravierenden Verletzung.
  • Nicht die explizite Absprache, sondern die langjährige Zusammenarbeit von gemeinsam eingesetzten Kolleginnen und Kollegen hilft, Verletzungsrisiken zu vermeiden und gravierende Folgen zu vermindern.
  • Nach Auskunft der Beamten, die mit Tötungsabsicht bzw. -vorsatz und gravierenden Folgen angegriffen wurden, wurde in ihren Dienststellen weniger Wert auf die Eigensicherung gelegt.
  • Tendenziell gaben mehr Beamte mit gravierenden Folgen zudem an, in der konkreten Situation wenig Gelegenheit gehabt zu haben, sich an die geltenden Richtlinien zur Eigensicherung halten zu können.

4. Literaturliste

Fachhochschule Villingen-Schwenningen (Hrsg.) (2000), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Villingen-Schwenningen: Fachhochschule Villingen-Schwenningen.

Falk, Gerhard (1986), Violence and the American Police - A Brief Analysis. International Review of History and Political Science 23: 23-34.

Falk, Ekkehard (2000), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ein praxisbezogenes Forschungsprojekt (Texte der Fachhochschule Villingen-Schwenningen, Hochschule für Polizei, Bd. 25). Villingen-Schwenningen: Fachhochschule Villingen-Schwennningen, Hochschule für Polizei.Hudson, James R. (1970), Police-Citizen Encounters That Lead to Citizen Complaints. Social Problems 18: 179-193.

Jäger, Joachim (1983), Angriffe auf Polizeibeamte. Zusammengefasste Ergebnisse einer Befragung von betroffenen Polizeivollzugsbeamten in den Jahren 1977-1982. Münster: Polizei-Führungsakademie.

Jäger, Joachim (1985), Angriffe auf Polizeibeamte 1983. Münster: Polizei-Führungsakademie.

Jäger, Joachim (1988), Gewalt und Polizei: Theoretisch-empirische Beiträge zur Kriminologie des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und zur Konfliktforschung (Beiträge zur gesellschaftswissenschaftlichen Forschung, Band 6). Pfaffenweiler: Centaurus-Verlagsgesellschaft.

Jäger, Joachim (1989), Angriffe auf Polizeibeamte 1987. Münster: Polizei-Führungsakademie.

Jäger, Joachim (1994), Angriffe auf Polizeibeamte 1992. Münster: Polizei-Führungsakademie.

Jesse, Eckhard und Uwe Backes (1985), Totalitarismus - Extremismus - Terrorismus. Opladen: Leske und Budrich.

Kania, Richard R. E. und Wade C. Mackey (1977), Police Violence as a Function of Community Characteristics. Criminology 15: 27-48.

Milton, Caherine H., Jeanne Wahl Hallebeck, James Lardner und Gary L. Albrecht (1977), Police Use of Deadly Force. Ohne Ortsangabe: Police Foundation.

Phillips, Tim und Philip Smith (2000), Police Violence Occasioning Citizen Complaint - An Empirical Analysis of Time-Space Dynamics. British Journal of Criminology 40: 480-496.

Sessar, Klaus, Ulrich Baumann und Josef Müller (1980), Polizeibeamte als Opfer vorsätzlicher Tötung (BKA-Forschungsreihe, Band 12). Wiesbaden: Bundeskriminalamt.

Stührmann, Ralf (1965), Widerstand gegen die Staatsgewalt 113 - Eine kriminologische und dogmatische Untersuchung. München: Dissertations-Druckerei Charlotte Schön.

Vrij, Albert, Jaap Van der Steen und Leendert Koppelaar (1994), Aggression of Police Officers as a Function of Temperature: An Experiment with the Fire Arms Training System. Journal of Community and Applied Social Psychology 4: 365-370.
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