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Offener Brief der Ehefrau eines Kollegen an PPr Kandt inklusive Interview beim Berliner Rundfunk

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor ein paar Wochen sorgte ein offener Brief einer unserer Bezirksgruppen für großes Aufsehen. Wenngleich sich über Art und Weise, Formulierungen und Tonlage streiten lässt, waren die Zeilen doch letztlich nichts anderes als ein Stimmungsbild, in dem sich den Reaktionen folgend viele von Euch wiederfinden. Dieser Brief war eine umfassende Darstellung der Umstände, unter denen Berliner Polizistinnen und Polizisten ihren Dienst vollrichten.

Ein Aspekt, der bei Betrachtung mieser Besoldung, Millionen Überstunden und mangelnder Ausrüstung immer wieder vergessen wird, ist, dass Ihr auch Menschen seid, dementsprechend ein Recht auf ein erfülltes Privatleben außerhalb des Dienstes habt. Viele soziale Bindungen, viele Familien zerbrechen an der Belastung, die es mitbringt, wenn man sich für den Dienst bei der Polizei entscheidet. Häufige Dienstverschiebungen, fehlende Planungsmöglichkeiten und die tägliche Angst, dass man selbst Opfer einer der mehr als 7000 jährlichen Übergriffe auf Berliner Beamtinnen und Beamten wird, sind eine schwere Bürde, die sich nur gemeinsam aushalten lässt.

Um das zu verdeutlichen, hat die Frau eines Kollegen in der letzten Woche Polizeipräsident Kandt angeschrieben. Sie wartet noch auf eine Antwort, die sie aus unserer Sicht verdient hat. Ihre Zeilen stehen sinnbildlich für viele Ehefrauen und Ehemänner, Partnerinnen und Partner aber auch alle Kinder, deren Familienleben durch die zunehmenden Belastungen ihrer Mütter und Väter, Frauen und Männer, Freundinnen und Freunden, täglich neu auf eine harte Probe gestellt wird. Lest selbst...

Der folgende Brief stammt von der Ehefrau eines Berliner Beamten. Sie hat sich Anfang Oktober mit diesen Worten an Polizeipräsident Klaus Kandt gewandt, eine Antwort steht noch aus. Wir veröffentlichen ihre Zeilen mit ihrer Zustimmung unverändert, haben zum Schutz ihrer Identität aber den Namen entfernt.

Eure Kerstin Philipp
Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei


Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Kandt,

„Ihre Beschäftigten leisten verdammt gute Arbeit! Und das seit vielen Jahren unter widrigsten Bedingungen in puncto Ausstattung, Ausrüstung, Arbeitsplatz und Arbeitszeit. Und: Mit der deutschlandweit miesesten Bezahlung!“, so öffnet der offene Brief der GdP an Sie (gdp.dir4-offener.brief-kandt.20160926.pdf). Die darin beschriebenen Probleme sind intern schon lange bekannt. Ich möchte mit meinen Worten an diese Schilderungen anknüpfen und eine neue Perspektive einbringen.

Zur Vereidigung meines Mannes sprach Frank Henkel in der Philharmonie, Polizist- und Polizistin-Sein sei viel mehr als nur ein Beruf. Es sei eine Berufung, die mehr von dem Menschen erfordere. An diesem Tag sah ich hunderte Familienangehörige, Freunde und Freundinnen, die sehr stolz wirkten und nicht ahnten, wie sehr diese Aussage überspannt werden würde. Denn, wir Angehörigen tragen all die Widrigkeiten des Berufes mit. Mein Mann arbeitet durch das aktuelle Arbeitszeitenmodell und die Unterbesetzung pausenlos durch. Unser fragwürdiger Rekord liegt bei sieben Wochen am Stück, ohne auch nur einen freien Tag! Zudem sind es durchweg zehn und zwölf Stunden Schichten, Überstunden nicht mitgerechnet. Ist ein freier Tag möglich, passiert es immer häufiger, dass doch ein Dienst übernommen werden muss oder er in die AHu einberufen wird. Arbeitszeiten, Verpflegung, Gefahrenpotential dort oft unbekannt. Wir haben ein kleines Kind und ich bin inzwischen quasi alleinerziehend. Das hat ernstzunehmende Konsequenzen für meine Karriere. Die Zustände haben inzwischen sogar einschneidende Konsequenzen für mein soziales Umfeld. Ich stoße Freunden und Freundinnen zunehmend vor den Kopf, da ich immer häufiger Verabredungen nicht einhalten kann, dann oft sehr kurzfristig absagen muss. Nicht alle bringen dafür auf Dauer Verständnis auf. Nicht zuletzt ziehen wir dadurch auch Konsequenzen für unsere weitere Familienplanung. Einschnitte an allen Fronten.

Früher habe ich gerne mit stolzgeschwellter Brust vom Job meines Mannes erzählt, heute schweige ich zu diesem Punkt immer häufiger, da ich zunehmend Übergriffe im Privatleben fürchte. Und weil mein Nervenkostüm inzwischen zu dünn ist, bedrohliche Anfeindungen ertragen zu können. So durfte ich mir bei einer Gartenparty anhören, dass alle Cops körperliche Gewalt verdienen (nett formuliert) – zu diesem Zeitpunkt hielt ich unser Baby im Arm. Ich durfte mir erst vor kurzem anhören, dass Steine und Angriffe mit anderen Waffen auf „Bullen“ doch nicht schadeten, denn schließlich hätten sie ja Schutzkleidung. Ich durfte mir schon so einiges anhören zum Beruf meines Mannes und erleben, wie sein menschlicher Wert dadurch in Frage gestellt wurde, diese zwei Aussagen sind die Juwelen. Dass es immer Menschen mit verklärtem und unmenschlichem Blick auf die Dinge gibt, kritisiere ich hier nicht. Aber ich kritisiere, wenn sich die Polizei immer wieder diesen Menschen stellen muss und dann im „eigenen Haus“ keine erhebliche Unterstützung erfährt. Politikerinnen und Politiker sparen nicht mit ihrer (zum Teil verachtenden) Kritik, und nach meinem Gefühl setzen Sie sich nicht merklich für Ihre Kolleginnen und Kollegen ein, Schuld und Fehler werden gerne den Polizeibeamtinnen und -beamten zugeschoben.

Und dennoch steht mein Mann jeden Tag wieder in der Wache, macht jeden Tag einen guten Job, auch wenn oft keine Zeit für Erholungsphasen bleibt. Der Bevölkerung sind die Zustände wenig bewusst, den Medien sind sie kaum einen Bericht wert. Davon profitieren Sie. Noch heute schauen mich Bekannte und Freunde überrascht an, wenn ich von den Umständen berichte. Besonders ungläubig sind die Blicke, wenn ich erzähle, dass mein Mann – hochstudiert wie ich – brutto weniger verdient als ich mit meiner 75-Prozent-Stelle bei einem kleinen, gemeinnützigen Verein. Oft folgt die Aussage, dass man für den Hungerlohn diesen Job nicht machen würde, die enormen Mängel durch das Kaputtsparen bei der Polizei noch nicht einmal mitbedacht. Sie sollten jede Kollegin und jeden Kollegen über die Maßen wertschätzen. Trotz aller Widrigkeiten sieht mein Mann seinen Beruf noch immer als Berufung. Er wählte ihn, nicht weil er einen Staat beschützen will, sondern die Menschen. Er will helfen, beistehen, retten und für Gerechtigkeit sorgen. Noch immer und jetzt erst recht, bin ich jeden Tag stolz auf ihn. Dieser Stolz lässt aber nicht überwinden, was mein Mann tagtäglich nicht nur durch den Berufsalltag, sondern vor allem durch den durch die Politik herbeigeführten Raubbau und die schlechten Schönheitsreperaturen, die vieles oft nur verschlimmbessern, erleben muss. Er tröstet nicht über all die Konsequenzen, die sich für meine Familie ergeben, hinweg. Nicht mehr.

Die Zustände machen mich wütend, und sie machen mich traurig. Manchmal wünschte ich, mein Mann hätte diesen Beruf nie gewählt. Manchmal ärgere ich mich dann auch über ihn. Wir haben es im Freundes- und Bekanntenkreis mit einem Polizisten oder einer Polizistin als Partner schon mehrfach erlebt: Familien reiben sich auf, viele halten zusammen, immer wieder führt es auch zur Trennung. Als ich unser kleines Kind befragte, was an Papas Beruf besser sein könnte, kam die Antwort prompt: Nie ist Papa da. Und was mich dann sehr erschrak, weil es vollkommen unerwartet kam: Unser Kind macht sich auch Sorgen, erinnert sich an Papas Verletzungen letztens im Gesicht. Ist Ihnen diese psychische Belastung, die wir als gesamte Familie tragen, eigentlich bewusst?

Von all dem Geld, das wir investieren mussten, um durch Zukäufe oder Ersatz der dienstlich gelieferten Grundausstattung wirkliche Sicherheit zu gewährleisten, fahren andere Familien in den Jahresurlaub. Ich kenne Hämatome an allen Körperstellen in unterschiedlicher Schwere, ich kenne Stauchungen und Quetschungen. Ich kenne die Ungewissheit, wenn nach Anspucken und Beißen auf die Entwarnung des Arztes gewartet wird. Ich kenne die Wut und die Enttäuschung und das teils schwere Wieder-Aufraffen nach Tagen, an denen zum Schutz anderer über zwölf Stunden in Vollmontur bei 30°C Hitze mit 10 kg Ausrüstung pausenlos gestanden wurde und es Beschimpfungen, Beleidigungen und durchaus auch Flaschen und Pyrotechnik hagelte. Ich kenne die Beulen und Dellen im Schutzhelm, deren Ursprung zu meinem Seelenheil nicht näher definiert wurde. Ich habe Reste von Toten aus der Uniform gewaschen, ich habe das Blut meines Mannes aus der Uniform gerieben.

Im offenen Brief heißt es: „Ihre Erwartungen zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes gehen auf Kosten der Gesundheit und des Familienlebens Ihrer Dienstkräfte. Überstunden und Dienstplanänderungen sind keine Ausnahme, Sie sind die Regel. […] Private Schwierigkeiten infolge unklarer Arbeitszeiten sind heute für viele Kolleginnen und Kollegen traurige Realität.“ Alle Angehörigen tragen die vorherrschenden Widrigkeiten mit: Wir sind die Ehefrauen und Ehemänner, Partner und Partnerinnen, wir sind die Töchter und Söhne, Mütter und Väter, Freunde und Freundinnen und wir alle müssen die momentane Situation erdulden. Diese Tragweite sieht kaum jemand. Wir müssen in vielen Lebenslagen verzichten, uns Sorgen machen, mit Anfeindungen leben. Unsere Partnerinnen und Partner sehen die Polizei als Berufung, reiben sich auf und riskieren nicht selten Gesundheit und Familie. Mit Ihrer Politik zermürben Sie nicht nur Polizeibeamte und -beamtinnen, sondern auch die Menschen, die mit ihnen in enger Verbindung stehen.

Sehr geehrter Herr Kandt, und ebenso sehr geehrte Frau oder sehr geehrter Herr (kommende/r) SenatorIN für Inneres und Sport des Landes Berlin: Sie haben eine Fürsorgepflicht und es sollte Ihnen ein zutiefst wichtiges Anliegen sein, für die Menschen einzutreten, für die Sie Dienstherr und politischer Vertreter sind. Polizistinnen und Polizisten und ihre Angehörigen sind Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Wenn Sie keine Politik für uns Menschen machen, wofür machen Sie dann Ihren Job? Die Situation ist eine Zumutung für meine und tausende anderer Familien und ich fordere Sie als Dienstherr, aber auch als Vater und Ehemann auf, jetzt aktiv notwendige Schritte für eine umgehende Verbesserung einzuleiten.

Mit freundlichem Gruß


Interview der Autorin mit Simone Panteleit beim Berliner Rundfunk

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