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Landesjournal Niedersachsen Dezember 2004 - INTERESSENVERTRETUNG: Gewerkschaften - nein danke?

Ein uns, der GdP, eigentlich bisher sehr gewogener Journalist sagte mir vor kurzem auf meine Frage, warum wir in seiner Zeitung so wenig Resonanz finden, „ihr passt nicht mehr in die Landschaft“. Dies hat mich nicht nur sehr erschreckt, sondern auch zu einigen Überlegungen angeregt.

Warum passen wir nicht mehr in die Landschaft? Warum attackieren Politiker, übrigens aller Couleur, die Gewerkschaften und gerade uns, die wir Beschäftigte im öffentlichen Dienst vertreten? Und natürlich, warum treten in der letzten Zeit mehr Kolleginnen und Kollegen aus den Gewerkschaften aus als früher?
...Um es vorweg zu nehmen: Einfache Antworten sind mir schwer gefallen. Aber wieso dies so ist, ist jetzt klarer.

      10 Millionen € jährlich beeinflussen die Meinung
Von der FDP haben die Gewerkschaften noch nie etwas zu erwarten gehabt. Aber niemand in dieser Partei ist so weit gegangen wie ihr Parteivorsitzender Westerwelle, der die Abschaffung der Gewerkschaften, hilfsweise die Abschaffung des 1. Mai, fordert. Dass diese Gewerkschaften schon für einen demokratischen Staat kämpften, als es seine Partei überhaupt noch nicht gab, scheint diesem Herrn entgangen zu sein. Aber warum hat er es überhaupt so formuliert? Weil es modern und gerade angesagt ist, auf die Gewerkschaften einzuprügeln. Weil gegen uns eine Stimmungskampagne hinter den Kulissen läuft, die es in dieser Form seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hat.
Auf Initiative einiger Arbeitgeberverbände wurde im Jahre 2000 die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ (INSM) gegründet. Nach Feststellung des Politwissenschaftlers und Publizisten Dr. Rudolf Seth hat die Initiative den Auftrag, die öffentliche Meinung im Sinne der Wirtschaft und der Arbeitgeberverbände zu beeinflussen. Dafür stellen die Arbeitgeberverbände jährlich ca. 10 Mio. € zur Verfügung! Die Finanzierung ist bis zum Jahre 2010 gesichert.
Wohlgemerkt, die Arbeitgeberverbände leben, ebenso wie die Gewerkschaften, von Mitgliedsbeiträgen. Mit diesen Summen lassen sich leicht tiefenwirksame Pressekampagnen entwickeln und bezahlte Gutachten in Auftrag geben. In den vergangenen vier Jahren sind viele Veröffentlichungen dieser Initiative von den Medien übernommen worden. Mit jährlichen mindestens 10 Mill. € betreiben die Arbeitgeber Meinungsmache. Deswegen also passen wir nicht mehr in die Landschaft.
      Politik und Wirtschaft - vereint gegen den öffentlichen Dienst

Aber warum sind wir Beschäftigten und ihre Gewerkschaften im öffentlichen Dienst in den letzten Jahren diesen Anfeindung ausgesetzt?
Zum einen greift natürlich die Kampagne der Arbeitgeberverbände alle Gewerkschaften und alle Institutionen an, die der reinen Marktwirtschaft, dem Neoliberalismus und der Globalisierung misstrauisch bis distanziert gegenüber stehen. Zum anderen haben die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und insbesondere wir als Beamte nicht die Gefahr der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz durch Entlassung aus dem Dienst vor Augen. Bei 4,5 Mio. arbeitslosen Menschen und wahrscheinlich noch einmal 2 Mio., die von keiner Statistik mehr erfasst werden, lässt sich leicht Neid erzeugen. Dieses führt wiederum dazu, dass populistische Politiker mit dem Finger auf den öffentlichen Dienst zeigen und erklären, wie gut es uns gehe und dass deswegen auch bei uns besonders gespart werden müsste. Herr Wulff und Herr Möllring sind dafür nur zwei von vielen Beispielen. In der ersten Novemberwoche hat sich ein weiterer Populist in diese Diskussion eingeschaltet. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Niedersächsischen Landtag, Sigmar Gabriel, will nach eigenen Angaben 800 - 1000 Freistellungen von Personalräten kassieren (ob es überhaupt so viele Freistellungen gibt, darf mit Recht bezweifelt werden. In der Polizei des Landes Niedersachsen gibt es ca. 60 Freistellungen für Personalratsmitglieder bei über 22 000 Beschäftigten) und einen Teil der Mitbestimmungsrechte der Personalräte einschränken. Denn wo es weniger mitzubestimmen gibt, müssen die Personalräte auch nicht mehr so oft tagen. Selbst beim ihm, der über die von den Gewerkschaften erreichte Erwachsenenbildung erst das werden konnte, was er heute ist, scheint die Kampagne gegen Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.
      Wer braucht denn überhaupt noch Gewerkschaften?

Auch bei den Beschäftigten selbst und unseren eigenen Mitgliedern scheinen die langfristig angelegten Kampagnen Wirkung zu zeigen. Wir Gewerkschaften sind für viele Medien der Feind Nr. 1, der den Wirtschaftsaufschwung und die Konsolidierung der Staatshaushalte verhindert. Auch deswegen also treten heute mehr Kolleginnen und Kollegen aus der GdP aus als früher? Vielleicht. Vielleicht aber auch nur zu einem Teil. Ein sehr geringer Teil, besonders aus den niedrigen Lohn- und Vergütungsgruppen tritt aus, weil sie mit jedem Cent und jedem Euro rechnen müssen. Aber wir stellen fest, diese Kolleginnen und Kollegen bleiben in der überwiegenden Zahl bei uns, auch wenn es ihnen wirklich schwer fällt, ihren monatlichen Beitrag zu zahlen. Die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen, die austreten, ist zwischen 35 und 45 Jahre alt und gehört überwiegend der Besoldungsgruppe A 10 und A 11 an.
Es stimmt, wir haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Belastungen ertragen müssen. Es muss und darf an dieser Stelle auch erlaubt sein, auf die besonderen Erfolge der GdP, besonders im Beamtenbereich in den Jahren von 1970-1995 die zum Teil auch heute noch greifen (zweigeteilte Laufbahn) hingewiesen werden. Fakt ist, dass ohne die gewerkschaftlichen Erfolge der GdP das Besoldungsniveau, von dem aus gekürzt wird, sehr viel niedriger wäre. Unstreitig ist, dass es ohne uns als Gewerkschaft und ohne uns als soziales Regulativ noch weitaus schlimmer als bisher gekommen wäre. Zurzeit sind wir die einzige gesellschaftlich relevante Institution in Politik und Wirtschaft , die noch sozial denkt und handelt. Sowohl Erfolge als auch erfolgreiche Abwehrkämpfe lassen sich nur erreichen bzw. bestehen, wenn auch wir als Gewerkschaften stark und überzeugend auftreten können.
Stärke beziehen wir nicht aus so gut sprudelnden finanziellen Quellen wie die Arbeitgeberverbände oder die Parteien, die sich zu einem großen Teil auch aus Steuermitteln finanzieren, sondern allein aus den Beiträgen unserer Mitglieder. Daraus beziehen wir finanzielle Stärke und Unabhängigkeit. Die wahre Stärke der Gewerkschaften ist aber die Zahl ihrer Mitglieder.
      Arbeitgeber mit weit über 90 % organisiert

Warum sind eigentlich die Arbeitgeber zu weit über 90 % in den Arbeitgeberverbänden organisiert? Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sogar zu über 99%? Haben sie nur zuviel Geld, oder verstehen sie mehr von der Stärke der Solidarität als wir Arbeitnehmer?
Nur 20 % aller Arbeitnehmer in Deutschland dagegen sind gewerkschaftlich organisiert, in der GdP Niedersachsen noch etwas mehr als 50 % der Polizeibeschäftigten. Braucht der Rest keine Solidarität?
Wir werden feststellen, Gewerkschaften werden gerade in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Probleme noch mehr gebraucht als in Zeiten wirtschaftlichen Wohlergehens. Deswegen kann es nur heißen:
Gewerkschaften - ja bitte!
Bernhard Witthaut

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