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KN-Interview mit Oliver Malchow

"Der Spuk ist nicht vorbei"

Für Polizei-Gewerkschafter Oliver Malchow ist die Gefährdungslage in Deutschland nicht abstrakt, sondern konkret – und das schon länger

Die Bevölkerung solle angesichts der Terrorgefahr nicht verunsichert werden, stellt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, im Gespräch mit unserer Zeitung fest. Deshalb habe man den Begriff der „abstrakten Gefahr“ gewählt. Doch die Gefährdung sei von Anfang an sehr real gewesen.

48 Stunden nach dem Anschlag in Berlin, wie bewerten Sie die Arbeit der Ermittler?

Zunächst sah alles nach einem raschen Fahndungserfolg aus. Ein Tatverdächtiger war ermittelt. Aber wie es so oft im Polizeialltag ist: Es war eben nur ein Tatverdächtiger, und der Verdacht ließ sich nicht erhärten, also musste er freigelassen werden.


War es ein Fehler, zu früh Name und Herkunft des Beschuldigten öffentlich zu nennen?

Der Druck war und ist für alle Beteiligten ziemlich hoch. Die Öffentlichkeit, die Politik und auch die Medien wollen sehr schnell Informationen. Das widerspricht im Kern der Arbeit der Polizei. Vor allem kann die Polizei dies gar nicht in der Kürze der Zeit leisten. Um einen Tatverdacht zu erhärten, reicht es in einem Rechtsstaat eben nicht aus, einem Beschuldigten einfach ins Gesicht zu schauen. Da müssen Spuren ausgewertet und Beweise gesichert werden. Das dauert.


Am Mittwoch tauchten plötzlich Ausweispapiere des mutmaßlichen Täters unterm Sitz auf. Wie
glaubwürdig ist das?

Die Frage ist ja, wann die Dokumente gefunden worden sind. Fakt ist, dass man es heute bekanntgegeben hat. Vielleicht wollten die Kollegen auch nur einen informellen Vorsprung haben, um in Ruhe und ohne Öffentlichkeit ermitteln zu können. Ansonsten gilt auch hier: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Es wäre fatal, wenn man mögliche Spuren vernichtet, weil man erst einmal alles durchwühlt. Abgesehen davon ist offen, wie offensichtlich die Papiere im Lkw lagen.
Facebook aktivierte nach dem Anschlag seinen Safety Check. Finden Sie sowas gut?


Das ist nicht schlecht, weil es ein Instrument ist, Menschen, die sich um Angehörige sorgen, schnell beruhigen zu können und ihnen mitzuteilen, dass man in Sicherheit ist. Und letztlich entlastet dies Instrument auch die Info-Hotline der Polizei. Die Kollegen haben in solchen Einsätzen sehr viel zu tun.


Der jetzige Verdächtige war als Gefährder bei der Polizei bekannt, sollte ausgewiesen werden,
tauchte aber ab. Wie kann so etwas passieren?

Bundesweit gibt es 600 Personen, die von der Polizei als Gefährder eingestuft werden. Geeignete Maßnahmen kann die Polizei aber nur im Rahmen des Rechts ergreifen, dafür gibt es unterschiedliche Eingriffsbefugnisse. So kann es unter Beachtung des Rechts dazu kommen, dass Gefährder auch unbeobachtet untertauchen können. Wer monatelang nicht auffällt, bei dem stellt man mitunter gar nicht fest, dass er abgetaucht ist. Und wo fangen sie dann an zu suchen beziehungsweise hat die Polizei überhaupt einen Grund zu suchen? Hinzu kommt, dass es keine einheitliche Definition in den Bundesländern gibt, wann jemand ein Gefährder ist.


Fehlen hier bundesweit einheitliche Kriterien?

Nein, wir haben ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum, von daher findet ein intensiver Austausch statt. Richtig ist aber, dass jemand, der in Schleswig-Holstein als Gefährder geführt wird, nicht zwangsläufig auch in Berlin so eingestuft werden würde. Ich glaube aber, dass die Polizei hier ein niedriges Niveau ansetzt, um jemanden zum Gefährder zu erklären. Ganz klar ist aber: Wer Kampferfahrung hat, wird intensiver beobachtet als einer, der einmal auf einer kritischen Internetseite war.

Seit Monaten wird von einer abstrakten Gefahr gesprochen. Trotzdem gab es keine Hinweise auf einen Anschlag in Berlin. Wie kann das sein?

Langsam, es wird behauptet, es habe Hinweise gegeben. Ich habe davon im Vorfeld allerdings nichts gehört. Und wenn es klare Hinweise gegeben hätte, hätte man mehr machen müssen.


Verstehen Sie, dass das Vertrauen der Bürger erschüttert ist, wenn ständig von abstrakter Gefahr
gesprochen wird?

Ich sage seit dem ersten Terroranschlag von Paris, dass es keine abstrakte, sondern eine ganz konkrete Gefahr gibt: Wir wissen nur nicht, an welcher Stelle, mit welchen Mitteln und durch wen. Die Taten in Paris oder Brüssel hätten genauso gut in Aachen, Hannover oder Kiel stattfinden können. Seien wir ehrlich: Worin liegen die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland im internationalen Kampf gegen den Islamismus? Es gibt keinen. Also war und ist es von Anfang an eine konkrete Gefährdung. Die Anschläge in Würzburg und Ansbach waren nicht abstrakt, das war sehr real.


Fehlt es an politischer Ehrlichkeit, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen?

Man hat den Begriff der abstrakten Gefahr bewusst gewählt, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern. Als Polizist kenne ich nur den Unterschied zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahrenlage, und deswegen stört mich diese Formulierung auch so. Fakt ist: Die Polizei tut ihr Bestes, aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit.


Ist die Polizei überhaupt in der Lage, die Islamistenszene im erforderlichen Maße zu überwachen?

Grundsätzlich würde ich auch sagen, dass wir eine gute Polizei mit guten Kontakten haben. Bis Montagabend hätte auch niemand widersprochen. Aber grundsätzlich kann nicht jeder, der negative Absichten hat, im Vorfeld aus dem Verkehr gezogen werden, bevor er zuschlägt. Fakt ist, dass der Staatsschutz stark personell aufgerüstet worden ist. Gesetze wurden verschärft und Gesetzeslücken geschlossen. Es mangelt allerdings an Experten im Bereich Cyberkriminalität und auch an Personal, das über das notwendige sprachliche und kulturelle Knowhow verfügt. Hier muss etwas passieren, denn machen wir uns nichts vor: Der Spuk ist mit dem schrecklichen Ereignis in Berlin nicht vorbei. Es wird weitergehen.


Welche Konsequenzen wird der Berliner Anschlag haben?

Wenn wir hören, dass die CSU bereits ihre Obergrenze für Flüchtlinge einfordern will, bevor überhaupt ein Tatverdächtiger und seine Herkunft zweifelsfrei ermittelt ist, dann ist das für mich ein Missbrauch der Ereignisse und zeigt, wohin die Diskussionen führen werden – spätestens wenn sich herausstellt, dass der verdächtige Tunesier auch der Täter ist. Und es wird heißen, dass Frau Merkel die Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gelassen hat.


War das denn ein Fehler?

Eine unkontrollierte Einreise verstößt gegen das Recht. Nur wer das so vehement kritisiert, der möge beantworten, welche Alternative es gegeben hätte, den Strom aufzuhalten. Zäune ganz
sicher nicht. Kontraproduktiv in der Situation waren allerdings Aussagen wie „Wir schaffen das, herzlich willkommen“ und Begrüßungsselfies.


Interview: Bastian Modrow
und Florian Hanauer

Fotos: Uwe Paesler, Kieler Nachrichten
Mit freundlicher Genehmigung von kn-online.de
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