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Verhandeln über Leben oder Tod

Eine Spezialeinheit der saarländischen Polizei verhindert mit Worten Schlimmstes

Geiselnahme oder Selbstmord: Wenn die Situation am Tatort eskaliert, wird die Verhandlungsgruppe der Polizei gerufen. Ihr Job ist ein Spagat zwischen Einfühlungsvermögen für die Täter und emotionaler Distanz fürs eigene Seelenheil.

Saarbrücken.

Ein bewegender Bericht der Saarbrücker Zeitung vom 21. Juni 2008 im Regionalteil "Saarland" (S. B1) von Merkur-Mitarbeiter Johannes Schleuning.


Kann der Mann eigentlich noch gut schlafen? Herbert Steffensky blickt angestrengt, als müsse er die Antwort erst abwägen. Dann wiederholtes Nicken. „Ja, doch, eigentlich sehr gut.“ Etwa 30 Mal im Jahr wird der Leiter der Verhandlungsgruppe der saarländischen Polizei zu einem Einsatz gerufen – und 30 Mal im Jahr hätte der 49-Jährige Grund, nicht gut zu schlafen. „Wenn die Verhandlungsgruppe hinzugezogen wird, ist die Situation am Tatort eskaliert“, sagt Steffensky.

Beispiel Wasserbillig, 31. Mai 2000: Ein 39-Jähriger – bewaffnet mit Handgranaten, Pistole und Messer – nimmt in einer luxemburgischen Vorschule drei Betreuerinnen und 45 Kinder als Geisel. Steffensky und fünf seiner Kollegen sind vor Ort, um bei den Verhandlungen zu helfen. Der Geiselnehmer, dem kurz zuvor das Sorgerecht für seine beiden Kinder entzogen wurde, fordert Fluchtfahrzeug und Flugzeug. „Um zu zeigen, dass er's ernst meint, hält er ein Kind aus dem Fenster im zweiten Stock“, erinnert sich Steffensky. Das Kind schreit – laut, wie am Spieß. Steffensky sagt: „Bei einem Einsatz ist man voll konzentriert, man funktioniert nur noch, aber das schreiende Kind – da habe ich Gänsehaut gekriegt und mich ohnmächtig gefühlt.“

Am Ende fällt ein Schuss: Der „finale Rettungsschuss“ trifft den Geiselnehmer in den Kopf und verletzt ihn schwer. Kinder und Betreuerinnen kommen frei.

Beispiel Perl, Dezember 2001: Auf einem schmalen Waldweg parkt ein Wagen. Der Fahrer hat in einem Abschiedsbrief seinen Freitod angekündigt. Direkt hinter dem Wagen parkt das Auto der Verhandlungsgruppe. Das Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei hat dem Mann ein Handy in den Wagen geworfen. Aber auf Anrufe der Verhandlungsgruppe reagiert er nicht. Elf Stunden versuchen Steffensky und seine Kollegen, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen. Sie lassen Angehörige auf ihn einreden, versuchen ihm Trost zu spenden, ihm Hoffnung zu machen. Elf Stunden lang. Dann hebt der Mann plötzlich den Arm, hält sich eine Pistole an die Schläfe und drückt ab. „Mein Kollege hat das nicht verkraftet“, sagt Steffensky. „Unterschwellig hat man schon das Gefühl, mitverantwortlich für den Tod zu sein, obwohl man doch alles, wirklich alles probiert hat.“

Der Tod ist bei den Einsätzen der Verhandlungsgruppe oft zum Greifen nah, aber die Ausnahme. Einen Selbstmord etwa könne man in 99 Prozent der Fälle verhindern, sagt Steffensky.

Fechinger Talbrücke, 25. Februar 2007: Ein 26-Jähriger hat soeben in Homburg den Bruder seiner Ex-Freundin erstochen und deren Eltern schwer verletzt. Jetzt steht er außen am Geländer der Fechinger Talbrücke und will springen.

Die Polizei hat die Autobahn in beiden Richtungen gesperrt. Es regnet. Und auf der Brücke stehen drei Menschen und verhandeln über Leben oder Tod. Nach zwei Stunden klettert der 26-Jährige zurück übers Geländer, zurück ins Leben. Was sagt man in so einer Situation, um den Mann zurückzuholen? Dienstgeheimnis.

Nur so viel: „Man muss eine persönliche Beziehung zu dem Betroffenen aufbauen und ihm eine Zukunftsperspektive eröffnen.“ Der Schlüssel sei Empathie, sprich: Einfühlungsvermögen. Oberstes Gebot: Zuhören. Die psychologische Schulung nimmt einen Großteil der Ausbildung für die Verhandlungsgruppe ein. Aber auch die stößt bisweilen an Grenzen.

Neunkirchen, September 2001: Die Tochter einer Saarländerin ist in der Türkei ermordet worden. Steffensky und ein Kollegen müssen der Mutter die Todesnachricht überbringen. Sie läuten. Um die Ecke parkt der Notarzt („falls die Frau ohnmächtig wird oder einen Herzinfarkt erleidet“). In der Tür erscheint die Mutter. Ein misstrauischer, ein flehender Blick. „Dürfen wir reinkommen?“ Sie sitzen im Wohnzimmer. Steffensky hebt an: „Unsere Befürchtungen haben sich bewahrheitet...“ Die Frau bricht in Tränen aus, zittert am ganzen Körper – Steffensky macht in seiner Erzählung eine Pause, blickt angestrengt vor sich. „Routine kriegt man bei sowas nicht, das rührt immer an.“ Manchmal, sagt Steffensky, manchmal wird er nachts doch schon mal wach. „Das schreiende Kind – da habe ich Gänsehaut gekriegt und mich ohnmächtig gefühlt.“

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