
15.06.2025
Schengen mit 40 – Ein Bekenntnis zu Freiheit, Sicherheit und Zusammenarbeit
Schengen, 16. Juni 2025
Gemeinsame Erklärung zum 40. Jahrestag des Schengener Abkommens
Von der Polizei Deutschlands, Frankreichs und Luxemburgs
Vor vVor vierzig Jahren, am 14. Juni 1985, unterzeichneten fünf europäische Staaten das Schengener Abkommen in dem kleinen Dorf Schengen. Es war ein historischer Akt des Vertrauens und der Einheit – einer, der den weltweit größten Raum des grenzfreien Reisens schuf. Für uns als Polizei markierte er auch den Beginn einer neuen Ära: einer Ära der Verantwortung ohne Grenzen, der Zusammenarbeit über Gerichtsbarkeiten hinweg und eines gemeinsamen Engagements für die Wahrung von Freiheit und Sicherheit.
Seit seiner praktischen Umsetzung durch sieben Mitgliedstaaten im Jahr 1995 und der Integration in das EU-Recht im Jahr 1999 hat sich der Schengen-Raum auf 29 Länder erweitert und vereint EU- und Nicht-EU-Mitglieder in einem einzigartigen rechtlichen und operativen Rahmen. Er hat Grenzen geöffnet, die europäische Wirtschaft gestärkt und die Bürger näher zusammengebracht.
Schengen ist nicht nur eine rechtliche oder operative Errungenschaft – es ist eine tragende Säule der europäischen Identität. Indem es freie und sichere Mobilität ermöglicht, schafft es Vertrauen in das europäische Projekt und bringt die Union den Bürgern in ihrem täglichen Leben näher.
Doch Schengen hat auch enorme Anpassungen von den Strafverfolgungsbehörden gefordert. Mit dem Abbau der Binnengrenzkontrollen kamen mobile Überwachung, internationale Patrouillen, gemeinsame Datensysteme (wie SIS II, SIENA und Eurodac) und grenzüberschreitende Einheiten wie die Deutsch-Französische Einsatzeinheit „Daniel Nivel“(DFEE) auf. Die europäische Polizeiarbeit ist heute vernetzter denn je.
Die reale Umsetzung der Ideale Schengens bleibt jedoch fragil. In den letzten Jahren kam es wiederholt zu Wiedereinführungen von Binnengrenzkontrollen – anfänglich als Reaktion auf Krisen wie Terrorismus, irreguläre Migration oder Pandemien, doch zunehmend normalisiert. Diese Kontrollen sind oft schlecht koordiniert und belasten die operativen Ressourcen, insbesondere an den Binnengrenzen der EU.
In diesem Zusammenhang ist es besonders alarmierend, die jüngste Entwicklung zu beobachten, dass Privatpersonen die Verantwortung übernehmen, unbefugte Grenzkontrollen durchzuführen und Fahrzeuge anzuhalten, um mutmaßliche Asylsuchende zu überprüfen. Solche Aktionen wurden in den letzten Tagen besonders an der deutsch-niederländischen sowie der deutsch-polnischen Grenze festgestellt.
Wir möchten nachdrücklich betonen, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und die Durchführung von Grenzkontrollen die alleinige Verantwortung der zuständigen staatlichen Behörden sind. Unbefugte Kontrollen durch Privatpersonen stellen erhebliche Risiken für die öffentliche Ordnung, die Sicherheit aller Beteiligten und den sozialen Zusammenhalt dar.
Gerade jetzt ist es unerlässlich, die europäische Zusammenarbeit der Polizei- und Zollkräfte zu stärken. Die Herausforderungen, denen wir an unseren Grenzen begegnen, machen nicht an nationalen Grenzen Halt. Nur durch enge, vertrauensvolle und ausreichend ausgestattete Zusammenarbeit können wir ein effektives und rechtmäßiges Grenzmanagement gewährleisten. Wir fordern nachhaltige europäische Lösungen, die die Prinzipien des Schengen-Raums respektieren, die Menschenrechte schützen und die Sicherheit aller Bürger garantieren.
Als Polizei stehen wir für einen starken Rechtsstaat, der allen Menschen – unabhängig von Herkunft oder Status – Sicherheit und Schutz bietet. Wir fordern alle Bürger auf, Vertrauen in die rechtmäßigen Institutionen zu bewahren und Grenzkontrollen ausschließlich den zuständigen Behörden zu überlassen.
Wir appellieren daher an die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, die gemeinsamen Anstrengungen zu intensivieren, robuste grenzüberschreitende Strategien zu entwickeln, in die Zukunft eines sicheren und vereinten Europas zu investieren und die großen Hindernisse für eine erfolgreiche grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit anzugehen:
- Divergierende rechtliche Rahmenbedingungen und operative Mandate behindern gemeinsame Aktionen.
- Mangelnde digitale Interoperabilität und standardisierte Systeme machen die Koordination langsam und ineffizient.
- Unzureichende Personalausstattung und Ausrüstung, insbesondere in grenznahen Regionen, beeinträchtigen die Effektivität.
- Sprachliche, kulturelle und technische Barrieren erschweren weiterhin gemeinsame Einsätze.
- Unzureichende politische Unterstützung setzt Beamte öffentlichem und operativem Druck aus, ohne angemessene institutionelle Rückendeckung.
Schengen hängt von der Polizei ab – und die Polizei braucht Unterstützung
Der Schengen-Raum trägt sich nicht von selbst. Er stützt sich auf die tägliche Arbeit Tausender Polizeibeamter, die mobile Einheiten patrouillieren, gemeinsame Datenbanken betreiben, gemeinsame Zentren besetzen und die öffentliche Sicherheit ohne den Puffer fester Grenzen aufrechterhalten.
Diese Arbeit ist anspruchsvoll. Sie erfordert interkulturelle Fähigkeiten, rechtliches Verständnis über mehrere Gerichtsbarkeiten hinweg und ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Beamte brauchen Vertrauen – von ihren Institutionen, von den Bürgern und von der politischen Führung. Schengen ist nicht nur eine Rechtszone. Es ist eine Zone des Vertrauens, getragen von denen, die sie durchsetzen.
Um das Schengen-Modell zu erhalten und zu stärken, fordern wir die europäischen Institutionen und nationalen Regierungen auf:
- Nachhaltige politische Unterstützung und öffentliche Anerkennung für grenzüberschreitende Polizei- und Zollarbeit zu gewährleisten.
- Ausreichende Ressourcen, Personal und moderne Ausrüstung für Grenz- und mobile Einheiten bereitzustellen.
- Ausbildung und operative Mandate zu standardisieren, um rechtliche und taktische Abstimmungen in grenzüberschreitenden Kontexten zu ermöglichen.
- In digitale Infrastruktur zu investieren und die Interoperabilität aller Informationssysteme und Kommunikationsplattformen sicherzustellen.
- Die operative Zusammenarbeit, einschließlich gemeinsamer Zentren und bi-/multinationaler Patrouilleneinheiten, auszubauen und zu unterstützen.
- Die Bildung weiterer binationaler Einsatzeinheiten analog der DFEE, damit eine internationale operative Zusammenarbeit auch außerhalb des Grenzraums möglich wird.
- Temporäre Grenzkontrollen als Ausnahmemaßnahmen zu behandeln, nicht als Ersatz für eine langfristige Sicherheitspolitik.
- Den Schengen-Evaluierungsmechanismus zu stärken und eine faire Aufsicht und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten.
Wir warnen vor einer schleichenden Normalisierung der Binnengrenzkontrollen. Diese Maßnahmen müssen rechtlich Ausnahmen bleiben, verhältnismäßig und datengestützt – nicht politisch.
Ein Aufruf zur tieferen institutionellen Integration der Polizeiarbeit
Schengen hat dazu beigetragen, Grenzen für Bürger zu beseitigen – aber nicht für die Polizei. Während Kriminelle sich frei bewegen können, sind Polizeibeamte immer noch zu oft durch fragmentierte rechtliche, institutionelle und operative Rahmenbedingungen eingeschränkt. Der nächste Schritt für Schengen muss eine tiefere institutionelle Integration der europäischen Polizeiarbeit sein.
Wir schlagen daher vor:
- Die Förderung einer Gemeinsamen Europäischen Polizeikultur, die auf Vertrauen, gemeinsamen Werten und demokratischer Rechenschaftspflicht basiert.
- Die Ausweitung von Erasmus+- und bilateralen Austauschprogrammen für alle Polizeifunktionen, einschließlich lokaler und urbaner Kräfte.
- Die Einführung gemeinsamer Ausbildungen und integrierter EU-weiter Lehrpläne, beispielsweise durch gemeinsame Module an Polizeiakademien.
- Die Ermöglichung transnationaler Karrieremobilität und harmonisierter Arbeitsbedingungen für Polizeibeamte in ganz Europa.
- Die Finanzierung mehrsprachiger und interkultureller Schulungen als Teil der beruflichen Weiterentwicklung.
Einbeziehung aller Ebenen der Polizeiarbeit: Von der Grenze zur Gemeinschaft
Ein sicherer Schengen-Raum erfordert mehr als nur gut ausgestattete Grenzen und föderale Einheiten. Die alltägliche Sicherheit in einem grenzfreien Europa hängt gleichermaßen von den kommunalen und regionalen Polizeikräften ab – jenen, die in Gemeinden, Städten und Gemeinden als Ersthelfer fungieren.
Daher betonen wir:
- Die Integration von staatlichen und lokalen Polizeidiensten in EU-weite Kooperationsstrukturen.
- Voller Zugang für alle Polizeiebenen zu Instrumenten wie SIS II, Prüm und gemeinsamen Lageerfassungsplattformen.
- Stärkung der Rolle der bürgernahen Polizeiarbeit bei der Erkennung und Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalitätsmuster.
- Förderung gemeinsamer Operationen und Co-Trainingsübungen zwischen städtischen und grenzüberschreitenden Polizeieinheiten.
EU-Agenturen als Säulen eines resilienten Schengens
Ebenso spielen EU-Institutionen eine Schlüsselrolle bei der Ermöglichung eines sicheren Schengen-Raums. Frontex, Europol und Eurojust müssen sich von unterstützenden Diensten zu strategischen Institutionen im Herzen eines widerstandsfähigen internen Sicherheitsrahmens entwickeln:
- Frontex muss ausreichend mit Ressourcen ausgestattet und zu einer zentralen Säule für die Sicherung der EU-Außengrenzen gemacht werden. Ein starkes Frontex kann die Belastung der internen Grenzpolizei reduzieren und den freien Personenverkehr erhalten.
- Europol sollte gemeinsame Bedrohungsanalysen und die Zusammenführung von Informationen mit Echtzeit-Zugang leiten.
- Eurojust muss seine Kapazitäten zur Unterstützung grenzüberschreitender Ermittlungen und zur Gewährleistung einer effizienten justiziellen Zusammenarbeit erweitern.
Zusätzlich:
- Einrichtung eines europäischen Technologie- und Ausrüstungspools für den schnellen Einsatz in Krisenzeiten.
- Förderung standardisierter Verfahren und gemeinsamer Einsatzmodelle.
- Erstellung einer Europäischen Polizei-Charta, die Grundrechte, Verantwortlichkeiten und Arbeitsstandards für Beamte festlegt.
Ein sicheres Schengen hängt nicht nur von der operativen Bereitschaft ab, sondern auch von der rechtlichen Zuverlässigkeit. Wir fordern alle Mitgliedstaaten auf, das Schengener Recht gewissenhaft anzuwenden und nationalen Maßnahmen zu widerstehen, die unseren gemeinsamen Rechtsraum zu fragmentieren drohen.
Schengen bleibt eine der größten Errungenschaften der EU. Doch es muss kontinuierlich erneuert werden – durch Taten, nicht durch Worte.
Die Polizeigewerkschaften Deutschlands, Frankreichs und Luxemburgs bekräftigen ihr Engagement für ein Schengen, das offen, aber nicht ungeschützt, frei, aber nicht fragil ist.
Wir fordern alle Akteure auf, den Polizeikräften Europas die Werkzeuge, das Vertrauen und den Respekt zu geben, die sie benötigen, um das zu schützen, wofür Schengen steht.
Denn Schengen funktioniert nicht von selbst. Es funktioniert, weil wir es tun.
Unterzeichnet in Schengen,
Luxemburg, 16. Juni 2025
