
01.05.2025
Koalitionsvertrag: GdP-Chef im Gespräch mit der Süddeutschen
GdP-Chef Jochen Kopelke sprach mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) über den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Viele Vereinbarungen seien gut und stärkten die Polizei. Sorge bereitet ihm jedoch die Personallage.
Gegenüber der SZ forderte er daher eine spürbare Stärkung. „Die Polizei in Deutschland müsste mindestens 20 000 Stellen mehr bekommen, damit wir alle unsere Aufgaben zufriedenstellend und ohne Überbeanspruchung unseres Personals erfüllen könnten.“
Vor diesem Hintergrund hält er derzeit flächendeckende Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen für nicht umsetzbar. Effektive Kontrollen an der gesamten Grenze setzten erhebliche personelle Ressourcen voraus.
Aber auch das Bundeskriminalamt benötige mehr Personal, betonte er, „vor allem zum Kampf gegen moderne digitale Gefahren. Ein großes Thema der Zukunft wird auch der Schutz der kritischen Infrastrukturen sein.“
Für eine bessere Nachwuchsgewinnung benötige es eine Polizei, die nicht in Aufgaben erstickt und Berge von Überstunden vor sich herschiebt, verdeutlichte der Gewerkschafter. „Das wird auch mehr Bewerberinnen und Bewerber für den Dienst anziehen. Eine faire Bezahlung gehört auch dazu. Und wir selbst sollten das Recruiting, wie man heute sagt, flexibler machen.“

„Derzeit ist es so, dass immer mehr Kräfte der Bundespolizei eingesetzt werden, um die Grenzen zu kontrollieren. Aber die Beamten müssen ja irgendwo herkommen. Sie werden dann von den Bahnhöfen abgezogen, wo dann die Landespolizei einspringen muss, und so geht das weiter.“Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP)
Das SZ-Interview, geführt von Dr. Joachim Käppner, im Wortlaut:
SZ: Herr Kopelke, im Land wird wieder über die Polizei diskutiert. In diesem Jahr sind bereits elf Menschen durch Schüsse der Polizei umgekommen. In Oldenburg starb der 21-jährige Lorenz A. offenbar durch Schüsse in den Rücken, den Beamten werden schwere Vorwürfe gemacht. Kritiker fordern eigene Polizeibeauftragte, die solche Vorfälle von außerhalb untersuchen.
Jochen Kopelke: Ein schlimmer Fall. Hier müssen wir das Ergebnis der Ermittlungen abwarten, das kann und will ich von außen nicht bewerten. Wie in jedem Fall gilt auch hier bis zum Abschluss der Ermittlungen die Unschuldsvermutung. Der Bund und einige Länder haben übrigens schon Polizeibeauftragte, was den Kritikern offenbar nicht bekannt ist. Interessant ist aber, dass oft dieselben Leute, vor allem auf der politischen Linken, die der Polizei Voreingenommenheit und sogar Rassismus unterstellen, ihr aber die nicht tödlichen Einsatzmittel verweigern wollen …
… wie die sogenannten Taser …
… ja, die haben noch längst nicht alle Bundesländer eingeführt, das zieht sich ewig hin. Es gäbe auch Pfefferwaffen und andere wirksame Mittel, die oft den Griff zur Schusswaffe überflüssig machen und einen Angreifer außer Gefecht setzen könnten. Die Stimmung jedenfalls auf den Straßen wird immer aggressiver, auch gegenüber der Polizei. Dadurch ist tatsächlich öfter der Einsatz der Dienstwaffe erforderlich.
Seit wann ist das so?
Spätestens seit der Pandemie beobachten wir eine beunruhigende Zunahme der Aggressivität, auch gegenüber den Beamten, und ganz besonders aus Gruppen heraus. Corona hat die Menschen verändert.
Von welchen Gruppen sprechen wir?
Verantwortlich für die Verrohung auf den Straßen sind ganz verschiedene Gruppen: Fußball-Hooligans, Extremisten von links wie bei den Maikrawallen und von rechts, auch Gruppen junger migrantischer Männer, die teils politisch motiviert sind wie bei Protesten gegen Israel oder ein aggressives Macho-Verhalten zeigen. Wir warnen aber davor, die Diskussion auf Migranten zu verkürzen. In sozial schwierigen Verhältnissen und bei Menschen mit geringem Bildungsgrad ist Kriminalität von je her mehr verbreitet, und hier ist auch der Migrationsanteil größer. Die AfD nutzt das für ihre Propagandazwecke, aber das Bild von der sogenannten Ausländergewalt, das sie zeichnet, ist sehr einseitig.
Auch wegen der öffentlichen Debatte hat die Union im Bundestagswahlkampf ja lautstark mehr Sicherheit versprochen. Hat sie geliefert? Wie zufrieden sind Sie mit den Koalitions-vereinbarungen von CDU/CSU und SPD?
Die Vereinbarungen sind in vielen Feldern sehr gut, stärken die Polizei und finden daher natürlich unsere Zustimmung. Es wird nun auf die Umsetzung ankommen. Was uns weiterhin Sorge macht, ist die Personallage …
Eine klassische Klage der Gewerkschaft der Polizei.
Klassisch, weil berechtigt, immer noch. Wo zum Beispiel sind die 10 000 zusätzlichen Stellen für die Bundespolizei geblieben, welche die CSU im Wahlkampf versprochen hat? Im Koalitionsvertrag jedenfalls nicht.
Die könnten Sie wahrscheinlich gut gebrauchen, wenn der künftige Bundeskanzler Friedrich Merz die Grenzen besser vor irregulärer Migration sichern und dort unmittelbar Zurückweisungen durchsetzen will.
Derzeit ist es so, dass immer mehr Kräfte der Bundespolizei eingesetzt werden, um die Grenzen zu kontrollieren. Aber die Beamten müssen ja irgendwo herkommen. Sie werden dann von den Bahnhöfen abgezogen, wo dann die Landespolizei einspringen muss, und so geht das weiter. Oft ist es so, dass die Polizei unter der Woche noch nicht weiß, wie sie am Wochenende welche Kräfte aufbringen kann, wenn es Reiseverkehr, Demos oder Fußballspiele gibt.
Wie viele Polizistinnen und Polizisten fehlen in Bund und Ländern nach Auffassung der GdP?
Die Polizei in Deutschland müsste mindestens 20 000 Stellen mehr bekommen, damit wir alle unsere Aufgaben zufriedenstellend und ohne Überbeanspruchung unseres Personals erfüllen könnten. Der Großteil davon wäre auch wegen der Grenzsicherung bei der Bundespolizei nötig. Aber auch das Bundeskriminalamt benötigt mehr Personal, vor allem zum Kampf gegen moderne digitale Gefahren. Ein großes Thema der Zukunft wird auch der Schutz der kritischen Infrastruktur sein.
Wird es wirklich möglich sein, Schutzsuchende an den Grenzen abzuweisen? Und was würde diese Aufgabe für die Polizei bedeuten? Lässt sich die lange Grenze effektiv kontrollieren?
Flächendeckende Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen halten wir derzeit für nicht realistisch umsetzbar. Eine effektive Kontrolle an der gesamten Grenze setzt erhebliche personelle Ressourcen voraus. Aus unserer Sicht ist die unbefristete Fortsetzung der Grenzkontrollen nur dann verantwortungsvoll durchführbar, wenn der Bundespolizei die dafür erforderlichen zusätzlichen personellen und finanziellen Mittel dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus ist fraglich, wie Zurückweisungen in der Praxis rechtssicher und im Einklang mit nationalem sowie europäischem Recht umgesetzt werden können.
Noch einmal zur Koalitionsvereinbarung: Mit welchen Punkten sind Sie zufrieden?
Wir finden einiges sehr gut aus polizeilicher Sicht. Da ist besonders die Möglichkeit, die Speicherung von IP-Adressen wieder durchzusetzen…
… die Vorratsdatenspeicherung.
Ja, das ist ein Kampfbegriff, den die Gegner der Maßnahme erfolgreich etabliert haben. Manche Leute glauben deshalb, die Polizei sammle selbst alle telefonischen Verbindungsdaten oder zeichne gar die Gespräche auf. Dabei geht es nur darum, die Provider zu verpflichten, die IP-Adressen zu speichern, damit die Fahnder, notfalls darauf zugreifen können. Das ist extrem wichtig bei der Abwehr von Terror, schwerer Kriminalität oder Kinderpornografie, um Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Verdächtigen zu erkennen. Gerade bei Kindesmissbrauch im Netz ist das Internet ja praktisch selbst die Tatwaffe, über die Speicherung der IP-Adressen kann man die Täter viel besser aufspüren.
Die Daten sollen drei Monate gespeichert werden, sofern die Regelung gerichtlichen Überprüfungen überhaupt standhalten wird. Sind Sie damit zufrieden?
Gut, wir hätten uns sechs Monate gewünscht, aber das macht nicht den entscheidenden Unterschied aus. Wichtig ist, dass wir dieses Mittel zur Verbrechensbekämpfung endlich wieder nutzen dürfen. Die Erfolge werden sich bald zeigen, da bin ich sicher. Wir sind auch recht glücklich damit, dass die Polizei die KI, die künstliche Intelligenz, besser einsetzen darf und dass die Rechte und Mittel bei der Abwehr von Drohnen verbessert werden sollen, um etwa mutmaßliche Spionage wie zuletzt über Bundeswehr-Standorten zu unterbinden. Auch der Digitalfunk soll endlich modernisiert werden.
Wie sieht es mit der Nachwuchsgewinnung aus?
Eine Polizei, die nicht in Aufgaben erstickt und Berge von Überstunden vor sich herschiebt, wird auch mehr Bewerberinnen und Bewerber für ihren Dienst anziehen. Eine faire Bezahlung gehört auch dazu. Und wir selbst sollten das Recruiting, wie man heute sagt, flexibel machen.
Was meinen Sie damit?
Na ja, ein ausgewiesener IT-Fachmann braucht ja nicht zwingend als Schutzpolizist anzufangen.Da müssen uns neue Wege einfallen, wirklich gute Spezialisten zu fi nden. Sonst kommen dienicht. Ich sage es mal so: Wer am Rechner Cyber-Kriminelle aufspürt, muss nicht mit der Pistoleam Gürtel auf der Straße eingesetzt sein.
Bestens