jumpToMain

Bernhard Witthaut

Bundesvorsitzender von 2010–2013

Ein bestens gelaunter Bernhard Witthaut erscheint auf dem Monitor. Kein Wunder, schließlich erwarten den ehemaligen Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) noch mindestens zwei angenehme Termine an diesem Tag – ein Familienausflug ins Hessische und dieses DP-Interview. Auf die Plätze, fertig, los: ein Gespräch über einen Teufelskreis, die nicht zustande gekommene „Superpolizei“ und sein Beamten-Kompetenz-Duo.

© GdP
GdP

Bernhard Witthaut ist bereits 1994 in den Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstand (GBV) gewählt worden. Vier Jahre später übernahm er das Amt des stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Bis zum Chefsessel hat es für den leidenschaftlichen Läufer dann noch zwölf Jahre gedauert. Zeit genug, um sich für den Posten des Vorsitzenden warm zu joggen. Und als Marathonathlet hatte er die Puste für die vor ihm liegende Strecke.

Dennoch macht es einen Unterschied, ob man von gleich auf jetzt Vorsitzender ist. „Natürlich kannte ich in der Bundesgeschäftsstelle jede und jeden. Trotzdem ist es ein anderes Gefühl, wenn du die Tür zu deinem neuen Büro öffnest und weißt, dass du jetzt derjenige bist, dessen Entscheidungen am Ende den Ausschlag geben werden.“ Eine andere Art des persönlichen Zugehens auf ihn hat er jedoch nicht verspürt. „Meine Kolleginnen und Kollegen waren tolle Menschen und ich selbst habe immer Wert darauf gelegt, mit allen zu reden und nicht die Funktion heraushängen zu lassen“, erzählt der 69-Jährige. Eine erste sichtbare Veränderung war dann die Umgestaltung des Vorsitzendenbüros. Das Sofa musste gehen, der runde Tisch kam dafür rein.

Ein thematisch wesentlicher Begleiter in Witthauts Amtszeit waren die teils intensiven Debatten um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). „Neben den immer auf der GdP-Agenda stehenden Tops hat mich der NSU sehr, sehr stark beschäftigt. Im Kontext auch in Diskussionen mit unseren Schwestergewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Denn es standen erhebliche Vorwürfe gegen uns und die Sicherheitsbehörden im Raum. Warum habt ihr nichts bemerkt, warum ist nichts passiert? Diese Fragen wurden sogar den Kolleginnen und Kollegen auf der Straße gestellt. Als Gewerkschaft haben wir uns stark engagiert, um dort Unterstützung zu geben. Ehrlicherweise muss man jedoch feststellen, dass zu diesem Zeitpunkt allerorten enorm viele Fragen kursierten, uns auf der anderen Seite leider Antworten fehlten“, schildert er und fügt hinzu, dass noch Jahre später an die Polizei und die Verfassungsschutzämter Anfragen gestellt worden sind und vermutlich noch werden.

In seiner ersten Chefrede auf dem 24. GdP-Bundeskongress mahnte Witthaut den massiven Personalabbau, soziale Verschlechterungen und eine kaum noch zu bewältigende Aufgabenlast an. Er versprach, den Druck auf die politisch Verantwortlichen und die Dienstherrn zu erhöhen. Das hat er zwar getan. Dennoch haben die Äußerungen der GdP im Jahr 2025 noch immer eine nahezu identische Klangfarbe. Ja, das stimmt, nickt er.  Er wisse noch immer nicht, warum es der Politik offensichtlich nicht möglich ist, den vielfältigen Aufgaben der Polizei Rechnung zu tragen und für mehr Personal und eine bessere, mit der Zeit der Entwicklung gehende Ausstattung zu sorgen. „Wir haben als Personalvertretung und als GdP regelmäßig eine ausführliche Aufgabenkritik durchgeführt. Wir haben dargestellt, das sind unsere vorrangigen Aufgaben, die wir mit soundsoviel Personal leisten können. Dann dreht sich die Welt weiter und es kommen neue Aufgaben hinzu. Und das Problem ist, du fängst mit einer neuen Aufgabe an, investierst dort sehr viel Personal und am Ende des Tages bleiben dann Stellen nicht besetzt. Das führt unweigerlich zu Personalengpässen. Während meiner gesamten Zeit als Personalrat und in der GdP ging es um diesen Teufelskreis, der tatsächlich nicht durchbrochen werden konnte. Wenn du die Opposition gefragt hast, hat sie dir alles Mögliche versprochen. Bei der Regierung hat zwar niemand nein gesagt. Es hieß aber meist, wir müssen mal schauen, oft also ein Nein mit Verspätung.“

Und wie hält er es mit dem neuen Koalitionsvertrag? Es sei gut gewesen, dass die GdP zuvor auf 20.000 fehlende Stellen verwiesen hat. Schließlich müsse die Aufgabenpalette der Polizei nach wie vor abgearbeitet werden. Dennoch seien gute Signale zu erkennen. Skeptisch zeigt sich Witthaut vor dem Hintergrund der angespannten Weltlage. „Ein drohender Handelskrieg zum Beispiel, was bedeutet für die deutsche Gesellschaft, was bedeutet das für die Europäische Gemeinschaft, was bedeutet das für die Welt insgesamt. Es werden unweigerlich wieder andere Baustellen auftreten, die Konsequenzen für die Polizei mit sich bringen.“ Der Vorteil daran sei, lächelt er, dass die GdP mit Sicherheit nicht beschäftigungslos wird und ihre wichtige Funktion behält. „Wir in der Polizei und der GdP sind als Organisationen für die Gesellschaft verlässlich. Wenn wir tätig werden müssen, dann werden wir es. Das ziehen wir durch.“

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist Teil des neuen Regierungsprogramms. Wie seine Vorgänger hatte auch Witthaut in seiner Amtszeit damit zu kämpfen, dieses wichtige Instrument für die Polizei zu bekommen. „Die eine oder andere Partei sah die Freiheitsrechte durch die Vorratsdatenspeicherung gefährdet. Es ging jedoch um etwas vollkommen anderes. Als Polizei bearbeiten wir Delikte, bei denen gänzlich klar ist, dass diese nur wirksam verfolgt werden können, wenn man Zugriff auf gespeicherte Verkehrsdaten hat. Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamtes, hat dies gebetsmühlenartig wiederholt. Als GdP haben wir damals den Praktikern viel Rückenwind gegeben. Die politischen Konstellationen sind jedoch so, wie sie sind. Dies bis in die heutige Zeit, in der sich der Wind jedoch drehen könnte.“

Worauf Bernhard Witthaut in seinen Jahren als GdP-Bundesvorsitzender sicherlich hätte verzichten können, war die Idee des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière, eine Fusion des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei anzustreben. „Wir haben uns die Ausarbeitung der Expertenkommission um Eckart Werthebach wirklich sehr genau angesehen. Es gab nachvollziehbare Ansätze, es sind jedoch die falschen Schlüsse gezogen worden. Aus unserer Sicht war die Idee von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Aufgabenspektren sind zu unterschiedlich. Auch aus historischer Sicht fand ich eine deutsche ‚Superpolizei‘ nicht passend. Wir hatten einen maßgeblichen Anteil daran, dass de Maizières Nachfolger, Hans-Peter Friedrich, kurzerhand das Unterfangen beerdigt hat.“ Als reinen Aktionismus vor dem Hintergrund der NSU-Diskussionen will Witthaut den Fusionsplan zwar nicht bezeichnen. „Auch wir hatten eingefordert, dass die Sicherheitsarchitektur Deutschlands einer Revision unterzogen werden sollte. Nur diese sehr spezielle Herangehensweise erschien wenig Erfolg versprechend.“

Wir wechseln den Schauplatz. Als Niedersachse und Polizist ist Witthaut mit der Lokalität Gorleben bestens vertraut. „Der Begriff AKW war mir natürlich schon während meiner Ausbildung präsent. Einer meiner ersten Einsätze als Neueingestellter war Mitte der 1970er-Jahre, als das Baugelände des Reaktors in Grohnde gestürmt wurde. Wir Polizeischüler wurden plötzlich, ohne entsprechende Ausstattung, einfach nur in Uniform, dorthin geschickt.“ Weitere Einsätze sollten folgen. Nun, da Gorleben kein Endlager werde, sei es ruhiger geworden. Und die damals allgegenwärtigen gelben Kreuze fielen heute mangels Masse weniger auf. „Im Wendland war das ein Markenzeichen“, weiß Witthaut und weist darauf hin, dass noch heute die Kreuze Verwendung finden – wenn etwa gegen den Bau von Stromtrassen protestiert wird. Er sei mit Hermann Lutz und Konrad Freiberg bei Einsätzen öfter im Bereich rund um das Brennelemente-Zwischenlager unterwegs gewesen. Auch um zu verdeutlichen, dass die GdP vor Ort ist, für die Personalvertretung gesorgt ist und als Ansprechpartner für die Presse bereitzustehen. „Nach den ersten größeren Auseinandersetzungen im Kontext der Castoren-Transporte aus Sellafield und La Hague nach Gorleben waren bei einem Einsatz einmal rund 30.000 Kräfte dabei. Logistisch zuständig waren die Bezirksregierung Lüneburg und nach der Umorganisation die dortige Polizeidirektion. Eine unserer vordringlichsten Aufgaben war es, die immer wieder aufkommenden Wogen zu glätten. Es war enorm wichtig, als Gewerkschaft nicht nur sichtbar zu sein, sondern auch etwas zu tun. Vor allem, weil den Einsatzkräften eine teils massive Gewalt entgegenschlug. Speziell eingeprägt haben sich mir die Bilder aus Brokdorf, als ein gestürzter Kollege von Aktivisten heftig zusammengeschlagen wurde.“ Dennoch habe es auch schöne Momente gegeben, wenn Bevölkerung und Polizei sich ausgetauscht und verständigt haben. Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen waren angesichts der Kernkraft ebenso skeptisch wie manche Demonstranten. Für einige sicherlich ein mentaler Spagat.  „Klar war für uns, dass die Aufgabe erfüllt werden muss.“ Unter dem Strich eine richtig schwierige, gleichwohl spannende Phase für die Entwicklung der Polizei in Niedersachsen, aber auch für die Bundesrepublik, bilanziert er.

Als erster GdP-Bundesvorsitzender kam Kollege Witthaut mit den sozialen Medien in Berührung. Zwar nicht bei eigenen GdP-Accounts, jedoch in der Pressearbeit. Damals wurde auf Facebook zu privaten Partys eingeladen und plötzlich standen 100 Menschen vor der Tür, was meist zu einem Polizeieinsatz führte. „Ob mich das geprägt, kann ich nicht sagen“, schmunzelt er. Er hat jedenfalls keine negative Beziehung zu Social Media. Die lasse sich doch aus der Gesellschaft, insbesondere auch aus der Polizei, nicht mehr wegdenken. „Das galt übrigens auch für die Polizeidirektion Osnabrück. So wollte ich auch dort in der PD mit Instagram und Facebook eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Kolleginnen und Kollegen waren jedoch zunächst skeptisch und zurückhaltend. Selbst bin ich bei Instagram, pflege es aber nicht.“ Auf dem X-Account hielt er sich dienstlich auf dem Laufenden und war, wie er sagt, wild entschlossen, für die Polizei noch TikTok zu ergänzen: „Wir wollten die junge Generation entsprechend begleiten, ja, auch beeinflussen, und sie nicht der AfD überlassen. Dazu musst du jedoch Kolleginnen und Kollegen finden, die bereit sind, quasi rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Denn, wenn du nicht reagierst, hast du verloren“, unterstreicht er. Im niedersächsischen Verfassungsschutz, den er zuletzt leitete, hatte Witthaut dann den Gebrauch der sozialen Medien durchgesetzt. „Es läuft mittlerweile sehr, sehr gut. Und die anderen Länder haben ja alle irgendwie nachgezogen.“

In den eigenen GdP-Reihen bekannt war Witthaut vornehmlich als Beamtenexperte. Im Team mit dem damaligen Beamtensekretär der Bundesgeschäftsstelle, Hans Adams, kam angesichts dieser gehäuften Kompetenz kaum jemand an dem Duo vorbei. „Die Kritik an den Beamtenpensionen kommt regelmäßig in Mode. Und mit Hans hatte ich einen großartigen Lehrmeister. Ich war also bestens gewappnet, um die oft von Unkenntnis geprägten Angriffe, gern über deftige Schlagzeilen, souverän abzuwehren. Man glaubt nicht, wie viele politisch Verantwortliche gar nicht wissen, wie sich Beamtenpensionen zusammensetzen. Die entscheidende Frage ist doch, welche Funktionen Beamtinnen und Beamte wahrnehmen sollen und welche eben nicht. Es kann aber nicht darum gehen, warum Beamtinnen und Beamten am Ende des Tages besser gestellt sind. Sie haben in ihren Laufbahnen bereits entsprechende Reduzierungen ihrer Besoldungen hinnehmen müssen. Für uns war nie verhandelbar, dass Polizeiverzugsbeamtinnen und Polizeiverzugsbeamte auch eine vernünftige Absicherung haben müssen. Sie sind es, die ihren Kopf für diese innere Sicherheit hinhalten.“

Das Laufen liegt Witthaut im Blut. „Wenn du dich auf einen Marathon vorbereitest, dann denkst du natürlich über das nach, was dir am Tag so widerfahren ist. Nicht unbedingt, wo es gerade zwickt. Schritt für Schritt arbeitest du dich frei und hast dann auch Zeit für andere Dinge, die dir plötzlich in den Kopf kommen.“ Er ist auch während der Zeit als Polizeipräsident gelaufen. In Osnabrück habe erstens alles vor der Tür gelegen und zweitens verfügte er über einen gewissen Freiraum, da viele Reisezeiten wegfielen. Vor allem auch wegen der „tollen PI-Leiter“, die das Alltagsgeschäft übernahmen, wenn der PP nicht zwingend gefordert war. Für ein Interview hatte die „Neue Presse“, eine Hannoveraner Tageszeitung, einmal einen sportlichen Redakteur vorbeigeschickt, erinnert er sich. Für Witthaut eine Win-Win-Situation. Zweimal hat der Ex-GdP-Chef auf Mallorca die längste olympische Laufstrecke absolviert. Seit seinem ersten Marathon in Hannover weiß er auch, dass man nicht zu schnell angehen sollte. „Bei Kilometer 35 bin ich eingebrochen. Es wäre eine 3-Stunden-Zeit geworden, tja, den Rest musste ich gehen.“ Faszinierend sei der Berlin-Marathon, schwärmt er. „Die vielen Zuschauer feuern dich an. Die machen Lärm und Musik. Das ist einfach ein tolles Gefühl.“

Zum Schluss des Gesprächs noch ein kurzer Schwenk auf seine Zeit nach dem GdP-Vorsitz. „Als neuer PP der PD Osnabrück war es sicherlich ein Vorteil, dass ich die Hälfte der rund 3.000 Kolleginnen und Kollegen persönlich kannte. Die langjährige Tätigkeit in der GdP und in der Personalvertretung bescherte mir diesen Bonus. Die Kolleginnen und Kollegen sollen Vertrauen in ihre Vorgesetzten haben. Ich denke, dass ich das ganz gut hinbekommen habe.“

Beim Verfassungsschutz traf Witthaut auf einen Personalrat mit DPolG-Mehrheit. Das sollte nicht allzu lange so bleiben. Bei den nächsten Wahlen drehte sich das Blatt und Kollege Dragan Maric, heute auch Vorsitzender des GdP-Bundesfachausschusses Verfassungsschutz, übernahm das Ruder.

Nach seinen Erfahrungen im Amt weiß er, dass das stellenweise zum Vorschein kommende Misstrauen gegenüber dem Verfassungsschutz zumeist an den Haaren herbeigezogen ist. Außerdem unterliegt die Behörde einer parlamentarischen Kontrolle. „Kein Demokrat wünscht sich doch eine Geheime Staatspolizei zurück.“ Er sei sich auch völlig im Klaren, dass es sich beim Präsidentenamt des Verfassungsschutzes um eine hochpolitische Funktion handelt. „Du wirst von der Opposition oder der Regierung angerufen, weil jemand aus einem gewissen Umfeld vermeintlich eine rechtsradikale Äußerung von sich gegeben hat. Und da hilft es sehr, direkt abzukühlen und zu sagen, Moment mal, wir schauen uns das an und prüfen, was da ist. Ich will es hier noch einmal klar sagen: Es ist weder die Aufgabe der Polizei noch des Verfassungsschutzes, die Menschen auszuspionieren.“ Genauso eindeutig ist es für ihn, dass beide Behörden in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsrahmen noch besser und intensiver zusammenarbeiten können.

Die berühmte Träne im Knopfloch spürt Witthaut schon noch das eine oder andere Mal. Dann, wenn er an seine aktive Zeit zurückdenkt. Und die liegt ja nicht so lange zurück. „Manchmal bin ich etwas wehmütig, dass ich nicht mehr in Funktion bin, andererseits aber froh, jetzt meine Freiheit genießen zu dürfen.“