Konrad Freiberg
Bundesvorsitzender von 2000–2010
Er ist zwar etwas grauer geworden. Doch dass der Zahn der Zeit an ihm nagen würde, wird das DP-Interview im Rahmen des 75-jährigen Jubiläums der GdP hingegen in allen Belangen widerlegen. Konrad „Konny“ Freiberg hat stets, wie zu seiner Zeit als Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Lage im Blick, und dies noch immer ziemlich frühmorgens. Ein Gespräch über das Radieren, Lippenlieder und das Mitwirken an der Hoffnung.
Als einen Neuling konnte man Konny Freiberg nun wirklich nicht bezeichnen. Als er Ende März 2000 die GdP-Spitze übernahm, hatte der damals 49-Jährige schon einiges an Gremienerfahrung auf dem Buckel. Bereits seit 1990 war er Teil des Geschäftsführenden Bundesvorstands der GdP, 1994 avancierte er zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden. Seit 1997 führt der Kripoexperte zudem den GdP-Landesbezirk Hamburg an.
Sein Amtsantritt fiel in ein für die Polizei und die GdP dunkles Jahr. Acht Polizeibeamte fielen brutalen Rechtsbrechern zum Opfer. „Die zunehmende Gewalt gegen Polizisten hat natürlich zu einer Verunsicherung im Kollegenkreis geführt. Ebenso zu Veränderungen, in der Ausbildung, in der Ausrüstung“, sagt der 73-Jährige. „Das sieht man auch daran, was heutzutage Polizistinnen und Polizisten alles dabeihaben. Insbesondere die Angriffe durch Links- und Rechtsextremisten waren ungeheuerlich“, bekräftigt er mit ernster Miene. „Wir waren wirklich froh, wenn am nächsten Morgen alle lebendig aus den Einsätzen zurückgekommen sind“, erzählt Freiberg mit Blick auf die harten Lagen rund um den 1. Mai in Berlin und Hamburg.
Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr der Hamburger durch seine massive Kritik am politischen Rotstift. „Das war eine verrückte Zeit. Viele haben ihr Heil in der Privatisierung gesucht. Nach meinem Gefühl gab es in den staatlichen Institutionen mehr Unternehmensberater als Mitarbeiter.“ Die logische Folge dessen: ein massives Radieren beim Personal. „Innerhalb von zehn Jahren hatten wir rund 10.000 Polizisten weniger. Später hat sich das gerächt. Wir hatten alle Hände voll zu tun, die Innere Sicherheit überhaupt wieder auf die politische Prioritätenliste zu hieven.“

Dennoch ließ sich Kollege Konny die positive Haltung nicht vermiesen. Zumindest nach außen wirkte dies sehr überzeugend. Dienstältere Mitarbeitende der Berliner Bundesgeschäftsstelle erinnern, wie der damalige GdP-Chef regelmäßig mit dem Lied „Sag mir quando, sag mir wann“ auf den Lippen und einem entwaffnenden „Hände hoch“ die Etage betrat. „Das Lied habe ich mal aus dem Italienurlaub mitgebracht. Es ist ein fröhliches, angenehm zu hörendes Lied. Später habe ich mir das angewöhnt, lächelt er und outet sich zudem noch als Fan von Joan Baez, Van Morrison und Udo Lindenberg. „We shall overcome. Ich habe Joan Baez vor einiger Zeit in Hamburg erleben dürfen. Das ist ein ganz zentrales Lied für mich“, betont er. Es hat Hoffnung verbreitet, weltweit, in der Jugend, bei den Menschen. Und das sollte es auch heute noch, fügt er an. Dass sich der Wahlhamburger Lindenberg auf der Liste des echten Hanseaten wiederfindet, überrascht nicht. „Ich mach mein Ding“ heißt der Udo-Song, und Konny findet sich darin wieder. Aus dem Nichts macht sich ein wenig Sentimentalität breit. Vor Corona hätte dies dem wenig anheimelnden Rahmen einer Videokonferenz wohl kaum jemand zugetraut. „Ich sehe ein Manko. Das tut mir auch weh. Wir hatten früher, egal, was war, mehr oder weniger immer Hoffnung. Da ist aus meiner Sicht viel verloren gegangen. Wo wollen die Menschen hin, wo will eine Gesellschaft hin? Die Konturen sind verschwommen. So gesehen bin ich dankbar für die Zeit, die ich erfahren durfte. Er wirkt in sich ruhend, dennoch immer ein wenig wie auf dem Sprung.
Die Begriffe „Fridays for Future“ und „Letzte Generation“ fallen. „Am Anfang habe ich das sehr positiv gesehen. Vor allem, dass Menschen gesagt haben, wir müssen uns über die Zukunft Gedanken machen. Das ist jetzt nicht mehr so“, sagt er und deutet unter anderem „Gretas“ Parteinahme für die terroristische Palästinenserorganisation Hamas an. Auch die gesetzwidrigen Aktionen der „Letzten Generation“ möchte er keinesfalls gutheißen. „Wenn Du Menschen überzeugen willst, darfst Du nicht den falschen Weg einschlagen.“
Wie vielen anderen auch ist Konrad Freiberg der 11. September 2001 fest im Gedächtnis verankert. Nicht zuletzt auch aufgrund seines damaligen Amtes. „Das war sicherlich die einschneidendste Erfahrung, die ich im Kontext von Sicherheit hatte. Ich saß im Auto und hörte, dass ein Flugzeug in einen der New Yorker Twin Towers geflogen war. Ein schreckliches Unglück, dachte ich. Dann die Meldung über das zweite Flugzeug. Das musste ein Anschlag sein. Wenig später saß ich beim Bremer Parlamentspräsidenten vor dem Fernseher“, sagt er und hält kurz inne, die Bilder sind wieder da. „Um nicht in den Flammen zu sterben, sprangen Menschen aus den brennenden Hochhäusern in den sicheren Tod. Schrecklich, wirklich schrecklich. Diese furchtbaren Szenen haben sich mir tief eingeprägt. Wir wussten rasch, die Welt ist ab sofort eine andere.“ Freiberg spricht über die gravierenden, einschneidenden Veränderungen im Bereich der Inneren Sicherheit. Er nennt weitere Folgen, wie die Kriege im Irak und in Afghanistan. Stichwort „Otto-Katalog“. „In Sachen Innere Sicherheit war das wirklich eine Kehrtwende. Alles, was man zuvor eigentlich nicht hätte fordern dürfen, lag plötzlich auf dem Tisch: Technik, Befugnisse, Personal. Das alles war in den Schubladen verstaut und plötzlich da.“ Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, betont er, hatte die Gelegenheit ergriffen und Dinge massiv nach vorn getrieben – in einer, so bilanziert Freiberg, aufopferungsvollen Weise. „Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit.“ Punkt, aus.
Apropos Schily: Der sei zwar eine schwierige Persönlichkeit gewesen, dennoch habe er aus voller Überzeugung gehandelt. Dr. Wolfgang Schäuble und Dr. Thomas de Maiziére, die beiden weiteren Innenminister seiner Amtszeit, sind ihm weniger nachhaltig im Gedächtnis geblieben.
Freiberg war immer ein Medienmensch. Und ein Frühaufsteher wie aus dem Buche. Meist vor den Mitarbeitenden hatte er die vierte Etage der Berliner Bundesgeschäftsstelle geentert, wenig später ein durchgearbeiteter Stapel Tageszeitungen auf dem Schreibtisch. Die aktuelle Nachrichtenlage hatte er da längst aufgesogen. „Das ist heute immer noch so“, lächelt er. „Irgendwie muss ich morgens in die Medien schauen. Ich sollte das vielleicht etwas einschränken“, schmunzelt er. Als Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei hielt er dieses Morgenritual jedoch für obligatorisch. „Gerade, wenn unsere Kolleginnen und Kollegen an den Pranger gestellt werden, Vorwürfe laut werden, muss die GdP in die Bresche springen. Wer soll das denn sonst machen?“, sagt er glasklar. Aber es sei auch die GdP gefragt, wenn es um seriöse Aufklärung gehe und etwas eben nicht in Ordnung sei. „Glaubwürdigkeit ist und bleibt für eine Organisation wie unsere entscheidend.“ Over and out.

Gerne denkt Freiberg an das Geschehen rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zurück. „Das war einmalig. Gemeinsam mit den Ländern und den Bezirken haben wir eine großartige Betreuung auf die Beine gestellt. Das Klima unter den Kolleginnen und Kollegen war fantastisch. Die pure Freude am Fußball zu spüren, die weitgehende Gewaltfreiheit. Für die Einsatz- und Betreuungskräfte war das zwar sehr anstrengend, aber eben eine großartige Erfahrung. Der GdP-Chef a. D. verfolgt heute die Debatte, ob Beamte sich eine Deutschlandfahne anheften dürfen sollten. „Man muss aufpassen, dass die Polizei nicht zu bunt wird und jede und jeder sich alles Mögliche anklettet.“ Klar, dass Grenzen eingehalten werden müssen, macht er deutlich. Aber die Deutschlandfahne? „Wir können auf unser demokratisches Land stolz sein, und das sollten wir auch als Polizei zeigen dürfen.“
Jetzt ein Themenwechsel, so überraschend wie ein heftiger Platzregen. „Meine schlimmsten Erinnerungen hängen mit den brutalen Mordanschlägen 2007 in Heilbronn zusammen. Ich kann das nicht vergessen. Michèle Kiesewetter, gerade 22 Jahr alt, wird von der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund mit einem Kopfschuss getötet. Ihr zwei Jahre älterer Kollege wird schwerstens verletzt. Man ist in der Pause und dann…“ Freiberg stockt und erzählt vom Trauermarsch im Beisein der Eltern. Rund 2.000 Kolleginnen und Kollegen hatten dem Opfer die letzte Ehre erwiesen. „Man erkennt keinen Grund, Du siehst nur dunkle Gewalt.“ Pure Fassungslosigkeit, die durch grauenvolle Ereignisse wie in Kusel und Mannheim immer aufs Neue angefacht wird.
Der Durch-und-durch-Gewerkschafter muss sich heute bisweilen auf die Zunge beißen. „Als Bundesvorsitzender kannst Du Dich in Ruhe darauf vorbereiten, dass es am Tag nach der Wahl deines Nachfolgers plötzlich still um dich wird“, erklärt er, eine gewaltige Veränderung ginge trotzdem damit einher. „Es reizt mich noch heute“, gibt er unumwunden zu, „meine Meinung zu sagen. Vor allem, wenn es eine andere ist.“ Das komme heutzutage nicht selten vor, sagt er und verweist auf die beunruhigende Situation weltweit. „Die Zeit der Ampelkoalition, also, da konnte man doch wirklich wütend werden. Das reizt schon.“ Er hatte dann ernsthaft überlegt, die sozialen Medien zu nutzen. Doch davon ist er wieder abgekommen. „Ich habe mir das nicht leicht gemacht. Klar, wir lehnen den vielen Müll auf den Plattformen ab, auch das, was hinter den Besitzern steckt. Dennoch benötigt man ein Medium, um sich artikulieren zu können.“ Tja, bis zu einer anderen Entscheidung teilt er seine Haltungen weiterhin mit seiner Frau, den Nachbarn und alten Freunden.
So ganz ohne politische Bühne ging es dann aber doch nicht. Auch, wenn die neue deutlich weniger gut ausgeleuchtet war als die in der deutschen Hauptstadt zuvor, und eher an die – bitte nicht böse sein, liebe Schwarzenbekerinnen und -beker – Provinz erinnert. 2013 war Freiberg nämlich zum Bürgervorsteher der beschaulichen, im schleswig-holsteinischen Kreis Herzogtum Lauenburg gelegenen Kleinstadt gewählt worden. Okay, Kommunalpolitik.
Es klingt ein wenig verräterisch, als er sagt: „Also, ich bin dankbar für die Erfahrung…“, denn das unweigerlich drohende „aber“ wird den Weg zu einer von eher durchschnittlicher Begeisterung durchdrungenen Äußerung weisen. Richtig! „…aber, ich muss sagen, dass Kommunalpolitik zu aufwendig, zu langwierig, zu verwaltungstechnisch ist. Es dauert und dauert, bis man Erfolge sieht. Muss man alles immer und immer wieder diskutieren? Geht das nicht schneller, eine Parkbank aufzustellen? So redet ein Pragmatiker. Konny ist kein Bürokrat.
„Es muss wirklich viel an Verwaltungskram abgespeckt werden. Wir wollen doch schneller vorankommen. Die Menschen werden ungeduldig. Wenn das schon im Kleinen so ist?“, redet er sich warm. „Für Leute, die etwas vorantreiben wollen, ist das eine“, er denkt kurz nach, „ich sage es diplomatisch, schwierige Aufgabe. Da zucken viele dann zurück.“
Die Gesprächszeit neigt sich dem Ende. Ob er denn noch etwas loswerden möchte, lautet das Angebot. „Ja, die Welt benötigt ein bisschen Zuversicht. Das hat unser ehemaliger Vizekanzler Habeck öfter betont. Wenn man täglich fernsieht, und ich gestehe, dass ich leider viele Talkshows und viele politische Sendungen schaue, kann man nur deprimiert werden. Wir müssen da wirklich herauskommen, wirklich ein bisschen Hoffnung bekommen. Jede und jeder sollte sich selbst angeregt fühlen, daran mitzuwirken. Schon im Kleinen, am Arbeitsplatz, in der Umgebung, mit den Nachbarn, im Miteinander, in der kommunalen bis zur großen Politik.“ Hören wir doch einfach auf ihn und singen dazu leise ein Lied. Warum nicht: „Sag mir quando, sag mir wann“.