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30.09.2025

Vom Wert des Leistungsprinzips im öffentlichen Dienst oder:
Wider die Ämterpatronage

Beamtenpolitik Beamtenrecht DP - DEUTSCHE POLIZEI

Art. 33 Abs. 2 GG garantiert den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“. Das in diesen Kriterien zum Ausdruck kommende Leistungsprinzip stellt eine bewusste Abkehr zu Konzepten sog. Ämterpatronage dar. Im Interesse eines dem Gemeinwohl verpflichteten und leistungsfähigen öffentlichen Dienstes wird die Bestenauslese als Personalrekrutierungsmechanismus vorgeschrieben. Ob dieses abstrakte Bekenntnis zur Privilegienfeindlichkeit des Staatsdienstes (I) auch die Wirklichkeit am Arbeitsplatz prägt, hängt allerdings von den tatsächlichen Strukturgegebenheiten und deren Funktionsweise ab.

Prof. Dr. jur. habil. Antje Schumann
ist außerplanmäßige Professorin an der Universität Leipzig und hauptamtlich Lehrende am Fachbereich Bundespolizei der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung.

Der Text erschien in der Oktoberausgabe der DEUTSCHEN POLIZEI in einer gekürzten Version und ohne Quellenangaben.

Eine wichtige Bedeutung hat dabei die Qualität des Beurteilungswesens. Art. 33 Abs. 2 GG verlangt die leistungsgerechte und chancengleiche Bewertung nach amtsbezogenen Kriterien. Wo dagegen Sonderinteressen einflussreicher Personen („Patron“) oder Gruppen („Familie“) den Maßstab bilden, besteht die Gefahr der Ämterpatronage. Sie ist in solchen Hierarchieräumen besonders groß, wo Politik, Macht und öffentliches Amt zu verschmelzen drohen. Umso wichtiger sind klare, transparente Aufsichtsstrukturen. Das gilt für die Ministerialbürokratie ebenso wie für die Polizei und selbstverständlich auch für Hochschulen.

Der Beitrag wirft, nach einem kurzen historischen Streifzug (1.) und einem Überblick zur Funktion des öffentlichen Dienstes, insbesondere des Berufsbeamtentums im Rechtsstaat (2.), ein Schlaglicht auf heutige diskrete Erscheinungsformen von Ämterpatronage und ihre Gefahren für die Integrität und Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen und Behörden (3.).

 

1. Historisches: „Fürstendiener“
a) Stände- und Feudalgesellschaft
Recht und Rechtswirklichkeit sind immer ein Spiegel sozialer Herrschaftsverhältnisse. Wem welches Recht zusteht und wer welchen Zugang zum Recht hat, ist in der Ständegesellschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vom sozialen Status einer Person abhängig. Zugang zu „Amt und Würden“ hat nur, wer dem Klerus (Erster Stand) oder Adel (Zweiter Stand) angehört. Ausgeschlossen sind Personen des Dritten Standes (Städte: wohlhabende Bürger, Land: freie Bauern und Handwerker). Die Zugehörigkeit zu einem sozialen Stand entscheidet in der Feudalgesellschaft über die Rechtsstellung und damit auch über die Teilhabe an Privilegien zur Herrschafts- und Machtausübung.

Die mit Privilegien ausgestatteten Amtsträger sind zu unbedingter Loyalität und absolutem Gehorsam gegenüber dem „Souverän“ verpflichtet. Souverän ist damals nicht das Volk, sondern der Fürst als weltliche Obrigkeit. Seine Herrschaft zu sichern und die Macht der Fürstengewalt zu erhalten, ist die vornehmste Aufgabe der Amtsträger. Sie sind „Fürstendiener“.

b) Bürger- und Klassengesellschaft
Das ändert sich im 19. Jahrhundert. Wegen der umfassenden Transformationen in Gesellschaft und Staat wird es in der Geschichtswissenschaft auch das „lange“ 19. Jahrhundert genannt. Es ist die Zeit des Übergangs von der alten Ständeordnung in eine Bürger- und Klassengesellschaft. Verbunden ist damit ein anderes Verständnis von Staat, staatlicher Ausübung von Macht und Recht. Dies hat Auswirkungen auf die Rolle und Funktion des Amtsträgers im Staat.

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts lodert der Kampf um die Geltung der damals revolutionären Ideen zu „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (Deutscher Vormärz). Sie fließen partiell in die Verfassung des Deutschen Reiches („Frankfurter Reichsverfassung“ bzw. „Paulskirchen-Verfassung“) vom 28. März 1849 ein. In einem eigenen Abschnitt (VI.) sind in ihr erstmals Freiheits- und Gleichheitsrechte als „Die Grundrechte des deutschen Volkes“ festgeschrieben. 

Von besonderem Interesse ist die Vorschrift des § 137. Mit ihm beginnt der zweite Artikel im Abschnitt über „Die Grundrechte des deutschen Volkes“. Die Bestimmung zeigt den Bruch mit der jahrhundertealten Tradition auf: Abschaffung der Standesvorrechte (Absatz 2), Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz (Absatz 3) und in Absatz 6 ist schließlich formuliert: „Die öffentlichen Ämter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.“

Die durch die Verfassung für öffentliche Ämter vorgegebene Zugangsgleichheit nach der Befähigung bedeutet jedoch nicht das Ende vormoderner Patronage- und Loyalitätskonzepte. Sie wirken – in anderer Art und Weise – bis heute fort. Um ihren Einfluss auf das öffentliche Amt zu begrenzen, braucht es das Recht und die Durchsetzung des für alle gleichermaßen geltenden Rechts, d. h. den „Rechtsstaat“. Im 19. Jahrhundert wächst die Erkenntnis, dass staatliche Herrschaft zur Verhinderung von Machtmissbrauch und Willkür an gesetzliche Regeln zu binden und ihre Einhaltung durch unabhängige Instanzen zu kontrollieren ist.

Dazu schreibt der Erfinder des Verwaltungsakts, der bis heute bekannte Verwaltungsrechtler Otto Mayer, in seinem Werk aus dem Jahr 1895: Die „Verwaltung des Rechtsstaates, um in der Weise des Rechts bestimmt zu sein, muss möglichst durch Rechtssätze gebunden werden. Dazu liefert das Verfassungsrecht seine Gesetzgebungsmaschine; sie soll möglichst viele Rechtssätze für die Verwaltung erzeugen lassen; das ist zweifellos das erste Gebot des Rechtsstaates.“ (II) 

2. Bedingung des Rechtsstaats: „Staatsdiener“
Die Bindung aller staatlichen Gewalt an die verfassungsmäßige Ordnung, an Gesetz und Recht bedeutet „Rechtsstaat“ (Art. 20 Abs. 3 GG). Dies erscheint uns heute selbstverständlich. Der im 19. Jahrhundert geführte „Kampf um's Recht“ (Jhering) führte noch deutlicher vor Augen, worum es im Kern geht: Formung, d. h. die Begrenzung staatlicher Ausübung von Macht durch das Recht; Rechtsschutz als Kontrolle der Einhaltung bestimmter Formen der Rechtsfindung und -anwendung.

Eine tatsächlich gelebte gesetzes- und rechtsförmige Tätigkeit in den „Amtsstuben“ kann der Rechtsstaat allerdings selbst nicht garantieren. Seine Verwirklichung ist auf die Integrität eines mit Sachverstand und Rechtskunde ausgestatteten öffentlichen Dienstes angewiesen. Das Berufsbeamtentum trägt dabei eine besondere Verantwortung für die faktische Geltung, d. h. die reale Existenz des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats.

In einer Entscheidung zum politischen Beamten hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die historisch enge Verknüpfung der Entwicklung des Berufsbeamtentums mit derjenigen des Rechtsstaats unlängst ausgeführt:

„War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse des Bürgers auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Das Berufsbeamtentum als Institution gründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung. Es soll eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden...“  (III)

Die Hauptfunktion des Berufsbeamtentums im Rechtsstaat ist es demnach, sich für den Bürger schützend vor das geltende Recht zu stellen und politischer Willkür Widerstand zu leisten. Hierauf gründet seine verfassungsrechtlich besonders gesicherte Rechtsstellung (Funktionsvorbehalt, Lebenszeitprinzip etc.). (IV) „Staatsdiener“ im Rechtsstaat zu sein, verpflichtet zum Dienst nach den Regeln des Verfassungs- und Gesetzesrechts. Dazu gehört es insbesondere, die Inanspruchnahme von Rechtsschutz und gerichtliche Entscheidungen auch dann zu respektieren, wenn sie den eigenen Interessen widersprechen.

3. Erscheinungsformen von Ämterpatronage
Die Integrität des öffentlichen Dienstes im Geiste des Rechtsstaats ist abhängig vom Personalmanagement. Wo Personalfragen nicht ernsthaft nach den für das öffentliche Amt vorgegebenen Kriterien der „Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung“ entschieden werden, sondern „amtsfremde“ Motive die wahren Gründe sind, zeigt sich die Ämterpatronage. Sie hat viele Gesichter, und es ist nicht immer leicht, sie als solche zu erkennen.

Das Charakteristikum der Ämterpatronage ist das Einwirken gesellschaftlicher Sonderinteressen auf das öffentliche Amt. Theodor Eschenburg – einst als „Lehrer der Demokratie“ vielfach gewürdigt, heute allerdings nicht mehr unumstritten (V)  – widmete ihr im Jahr 1961 ein ganzes Buch. (IV) Es enthält die scharfsinnigen Beobachtungen einer Person, die aus der lebensweltlichen Innenansicht zweier Staats- und Verwaltungssysteme (NS-Diktatur, „Bonner Republik“) das Wesen und die Gefahren der Ämterpatronage seziert. Ungeachtet der dem Zeitgeist entsprechenden Sprache erscheinen sie hochaktuell.

Eschenburg unterscheidet die zwei Grundtypen der Herrschafts- und Versorgungspatronage; hier soll nur erstere näher betrachtet werden. (VII) Bei der Herrschaftspatronage geht es um die Einflussnahme auf die staatliche Tätigkeit durch die Besetzung von Ämtern mit eigenen Vertrauens- bzw. Gefolgsleuten, „damit das Genehme getan, das Unerwünschte unterlassen werde.“ Nach Eschenburg kann ihre Wirkung so weit gehen, „daß das Amt, das im Dienst der Allgemeinheit stehen sollte, zu einer Gruppenvertretung denaturiert wird.“ Ihr letztes Ziel sei, „daß im Sinne des Patrons regiert und verwaltet wird.“ (VIII)

Im Nepotismus (Vetternwirtschaft) erkennt Eschenburg eine besondere Form der Herrschaftspatronage durch „die Auslesebevorzugung von Kreisen, in denen durch die Intimität oder Dichtigkeit mehr oder minder institutionalisierter Beziehungen ausgeprägte Solidaritätsvorstellungen entstehen und gepflegt werden, und zwar durch Personen, die einerseits über Ämter verfügen, andererseits derartigen Kreisen angehören.“ Nepotismus könne auch „aus dem Motiv des Auslesenden entstehen, daß die Angehörigen seiner Gruppe Qualitätsmerkmale aufweisen, die gerade sie als besonders geeignet erscheinen lassen.“ (IX)

Das Büchlein von Eschenburg informiert auch über die negativen Formen von Ämterpatronage, die bis zur „Vertreibungspatronage“ durch Beförderungssperre oder „Verbannungspatronage“ durch Entfernung unbequemer Personen reiche. Ihre Kennzeichen sind interne Intrigen und im Grenzfall die Diffamierung von Personen, die es wagen, sich dem „Schweigen im Blätterwalde“ oder der „conspiration du silence“ nicht anzuschließen oder sogar dagegen vorzugehen. – „Man tut das nicht, wenn man ‚dazugehören‘ will.“ (X)

 

Wo liegen die Gefahren der „Ämterpatronage“ für die Funktionstüchtigkeit des öffentlichen Dienstes?

Die Auswahl nach „amtsfremden“ Motiven birgt zunächst die Gefahr, dass das öffentliche Amt durch weniger geeignete Personen ausgeübt wird. In extremer Form führt die Ämterpatronage zur Korrumpierung des öffentlichen Dienstes. Für Eschenburg handelt es sich dabei um Gefährdungen der demokratischen Ordnung: Bereits unter dem „Verdacht der Denaturierung der Amtsfunktionen“, der durch die Ämterpatronage leicht hervorgerufen werde, leide die Amtsautorität, „so daß dementsprechend in der Bevölkerung das Vertrauen zu öffentlichen Einrichtungen und die Gehorsamsbereitschaft sich zu zersetzen drohen.“ (XI)

Mit Blick auf die Organisationskultur oder das „Betriebsklima“ erwähnenswert sind schließlich seine Ausführungen zur demoralisierenden Wirkung der Ämterpatronage. Denn sie treibe dazu an, das eigene Verhalten an amtsfremden Maßstäben zu orientieren: „Hat erst einmal die Patronage eingesetzt, so hat sie die Tendenz, sich auszudehnen, weil das Begehren nach aktiver oder passiver Teilhabe wächst.“ (XII)

 

4. Fazit
Die durch Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen Werte der „Leistungsgerechtigkeit“ und „Chancengleichheit“ am Arbeitsplatz mit Leben zu (er-)füllen und dadurch Realität werden zu lassen, ist eine ebenso große wie verantwortungsvolle Führungsaufgabe. Die größte Herausforderung dürfte wohl sein – das lehrt die Geschichte – nicht dem Sog der Macht und gepflegten Beziehungen zu erliegen. Das gilt für die Ministerialbürokratie ebenso wie für die Polizei und selbstverständlich auch für Hochschulen. Schon deshalb bedarf es effektiver Aufsichts- und Kontrollmechanismen. Zu ihnen gehören die Mitbestimmungsrechte des Personalrats und nicht zuletzt sein „Wächteramt“ über die faktische Geltung von Gesetz und Recht bei jeglicher staatlichen Tätigkeit.

Quellen:

I Stern/Becker/Grigoleit, Grundrechte-Kommentar, 4. Aufl., Art. 33 GG, Rn. 22 f.
II Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, 1895, S. 62 f.
III BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 - 2 BvR 2055/16, Rn. 30.
IV BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 - 2 BvR 2055/16, Rn. 37.
V Jesse, Zeitschrift für Politik, 2015, S. 457, 458 ff.; s. auch https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2592 (04.07.2025).
VI Eschenburg, Ämterpatronage, 1961.
VII Bei der Versorgungspatronage, drastisch: Pfründenpatronage, sei das wesentliche Anliegen die „Versorgung, das heißt den Anhängern von Amts wegen den Amtsnutzen, die Revenuen und Pensionen in erster Linie zugute kommen zu lassen.“ Es komme „weniger darauf an, was der Schützling für das Amt leistet, als was ihm das Amt einbringt.“; s.
VIII Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 15.
VIII Alle Zitate: Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 12.
IX Alle Zitate: Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 19.
X Lenz, Zeitschrift für Politik, 1962, S. 369, 374 f.
XI Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 23.
XII Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 23 f.