Outdoorreise 2013
Der Aufstieg ist geschafft – unsere Gruppe im Sperrgebiet auf dem Mt. Hermon mit Blick nach Syrien
Ein Reisebericht von Marcus Bindermann
Vor dieser Reise war ich schon zwei mal in Israel: erstmals 2007 noch völlig unerfahren bei der GdP-Bildungsreise, 2010 schon als kleiner „Kenner“ auf Abenteuersuche und Outdoor-Tour.
Das Land mit seinen vielen Facetten hat mich seitdem nicht mehr los gelassen. Deshalb entschloss ich mich, 2013 wieder nach Israel zu reisen. Und da man das Land nicht besser erkunden kann, als zu Fuß und mit Zelt und Schlafsack, war die Outdoor-Tour mein Favorit.
Vieles hatte mich in den Wochen vor dem Trip nach Israel beschäftigt. Neben der Frage, welche Ausrüstung ich noch benötige und welches Buch ich zur Vorbereitung noch lesen wollte, auch die schon wieder (oder immer noch) angespannte Sicherheitslage im Nahen Osten. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern – schon beinahe ein Dauerthema in den Nachrichten. Dazu immer wieder neue Drohgebärden des Regimes in Iran, welches das Existenzrecht Israels anzweifelt und im Verdacht steht, Atomraketen zu entwickeln. Ich war bemüht, allen in meiner Umgebung, denen ich von meiner bevorstehenden Reise erzählte, die Sorgen um mich zu nehmen. Und so versicherte ich mit stoischer Ruhe: Israel ist nicht gefährlicher als andere Länder – und der Straßenverkehr in Deutschland sei schließlich auch gefährlich! Die Reise konnte also beginnen …
An einem Samstagabend im Mai treffen wir uns mit Sven Hüber, der die Reise wieder leitet, am Flughafen Berlin-Tegel. Alle sind gespannt auf die bevorstehenden Tage. Einige aus der Gruppe waren schon in Israel. Noch am Check-In machen die ersten Geschichten und Erlebnisse aus vergangenen Reisen die Runde. Nach einem Flug, bei dem so mancher vor Aufregung kaum in den Schlaf fand, landen wir um kurz nach 3 Uhr morgens in Tel Aviv. Die Stadt empfängt uns noch schlafend, es ist stockduster, doch die angenehmen Temperaturen geben einen ersten Vorgeschmack auf das Klima, was uns in Israel begleiten wird.
In Tel Aviv begrüßt uns unser Guide Yalon Graeber freudig. Er ist gebürtiger Niedersachse, der als Bundesgrenzschutzbeamter nach Israel kam und mittlerweile fast 30 Jahre im Land lebt. Er wird uns in den kommenden Tagen das Land, sein Land, mit vielen kleinen Alltagsepisoden und historischen Erklärungen näher bringen.
Die erste Reise an diesem Morgen führt uns in den hohen Norden des Landes, der von Gebirgen und satter Vegetation geprägt ist. Am Steuer unseres Reisebusses ist Deaib Ghadir, ein Beduine vom Stamm der Arab al Hujeirat und arabischer Israeli, der uns mit der gewohnten Ruhe eines Beduinen sicher durch den israelischen Straßenverkehr transportieren wird. Denn eines haben wir schnell festgestellt: mag Israel auch in weiten Teilen ein westlich geprägtes Land sein, am Straßenverkehr merkt man sofort, dass man sich im Orient befindet. Vorfahrt hat scheinbar oft der schnellere, und die Hupe wird dauerhaft beansprucht.
Kurz nach Sonnenaufgang, den nun aber die meisten im Bus verschlafen haben, machen wir in einem Reservat am Wegrand Rast. Hannah, eine Israelin die scheinbar überall im Land – ob in der Wüste oder am Ufer des Toten Meers – eine 30-köpfige Reisegruppe mit einheimischen Speisen verwöhnen kann, erwartet uns schon mit dem Frühstück. Auch sie, unsere „gute Seele“, wird uns in gewohnter Weise in den kommenden Tagen begleiten und für so manche kulinarische Überraschung sorgen.
Üppig gestärkt treffen wir nach kurzer Fahrt schließlich im Golan ein, wo die Wanderstiefel auf dem Weg zur Spitze des Mount Hermon zu ihrem ersten Einsatz kommen. Etwa zweieinhalb Stunden steigen wir über grüne Wiesen und Kuhweiden, Geröllflächen und Schneefelder in Richtung Gipfel. Höhenmeter um Höhenmeter wird die Vegetation spärlicher. Nicht alle in der Gruppe sind mit Berg- und Talbein geboren, und so sind kurze Wartepausen im Schatten eine willkommene Abwechslung. In etwa 2.700 Metern Höhe erwartet uns rauer Bergwind, aber auch ein überwältigender Blick auf Syrien und den Libanon. Nach der körperlichen Erfahrung kommt viel Wissenswertes über die wechselvolle Geschichte des (vor allem im Sechs-Tage-Krieg und dem Yom-Kippur-Krieg) heftig umkämpften Berges, über die Waffenstillstandssituation zum Libanon und Syrien und die fragile Sicherheitssituation seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges.
Impressionen
Am Abend schlagen wir unser erstes Lager am See Genezareth auf. Schlafsäcke, Matratzen und Zelte transportiert Hannah in ihrem Kleinbus für uns. Mit dabei ist auch ein großer Teppich, der unter einem riesigen Tarp zum Verweilen einlädt. Nach dem Abendessen klingt der erste Tag in Israel mit einem imposanten Sonnenuntergang über dem See aus.
Der nächste Morgen endet für alle mit einem sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser. Aber der Reihe nach … 5:30 Uhr Wecken – an diese Zeit muss man sich erstmal gewöhnen. Aber was tut man nicht alles für einen erlebnisreichen Tag. Dieser bescherte uns auf der einen Seite weitere Informationen und immer neuen Bildungsstoff von Yalon und Sven zur Geschichte des Golan, zum Kampf um die Golan-Höhen und deren strategische Sicherheitsbedeutung für Israel. Zum eigenen Nacherleben dieses einzigartigen Höhenzuges aber sollte er uns in ein Naturreservat im Golan führen. Die wichtigste Vorbereitung war, die Ausrüstung für den Tag wasserfest zu verstauen. Oder nur Ausrüstung mitzunehmen, die nass werden kann. Nach Fahrt und einem kleinen Morgenmarsch gelangen wir an ein Flussbett, das über und über mit Pflanzen zugewachsen war. Ein paar Schritte und das Abenteuer Canyoning konnte beginnen. Durch eine Schlucht folgen wir dem Lauf eines Wasserfalls. Vorsorglich hatten wir Klettergurte angelegt, die wir aber für das erste Teilstück nicht brauchen. An dessen Ende wartet ein Felsvorsprung, unter dem ein kleiner See im Gestein zum Reinspringen einlud; es gab auch keinen anderen Weg. Und so durfte einer nach dem anderen, mit mehr oder weniger viel Anlauf in das Wasser springen, das zu unserer Überraschung doch noch recht frisch war. Wieder festen Boden unter den Füßen, wanden wir weiter die Schlucht entlang. Die zwei folgenden Wasserfälle sind für einen Sprung zu hoch, und so seilen wir uns unter fachkundiger Anleitung und mit viel Freude im Wasserfall ab…
Am kommenden Tag, es ist Dienstag, führt uns unser Weg nach Tel Aviv, in die pulsierende Metropole am Mittelmeer. Auf dem dortigen Universitätscampus liegt das Museum zur Geschichte des jüdischen Volkes, Beth Hatefutsoth. In einer Ausstellung entdecken wir die Ursprünge jüdischen Glaubens, die Diaspora (Zerstreuung des jüdischen Volkes) und den Weg zum eigenen Staat Israel.
Anschließend bleiben zwei Stunden Zeit, die Stadt selbst zu entdecken. In einer kleinen Gruppe entschließen wir uns, am Strand entlang in die Altstadt von Jaffa, aus dem das heutige Tel Aviv hervor ging, zu laufen. Von Jaffa aus genießen wir einen herrlichen Blick über die Skyline von Tel Aviv und den Mittelmeerstrand. In den kleinen Gassen der Altstadt können wir schließlich arabisches Leben hautnah erleben und uns für die bevorstehende Fahrt in die Wüste stärken.
Nach etwa drei Stunden erreichen wir in der Abenddämmerung unser Camp nahe Nizzana inmitten der Negev-Wüste. Die Nacht wird etwas besonderes werden: nicht nur dass wir in der Wüste übernachten, alle schlafen auch gemeinsam in einem großen Beduinen-Zelt. Mancher hatte vorsorglich schon Ohropax im Gepäck … Dass die Wüste aber auch ihre Eigenheiten hat, wird uns am abendlichen Lagerfeuer schnell klar. Plötzlich springen alle auf, kurz entsteht Hektik. Im Schutze der Dunkelheit hatte sich eine Spinne genähert, was einige zu spontaner Panik veranlasste. Da viele Kriech- und Krabbeltiere in der Region giftig sind, ist auch Vorsicht geboten. Die Spinne wird zur Erleichterung aller vertrieben und in den kommenden Stunden auch nicht mehr gesehen.
Der vierte Tag unserer Reise steht unter dem Motto: „Die Wüste lebt!“, was wir am Vorabend mit unserem achtbeinigen Besuch ja schon eindrucksvoll erkannt haben. Bei wolkenlosem Himmel und sehr warmen Temperaturen begeben wir uns auf zwei Rädern in Wüste. Auf Mountainbikes fahren wir über Sand und Geröll entlang von Überresten früherer Siedlungen an die ägyptische Grenze. Eine Grenze die so gar nicht an Staatsgrenzen erinnert, eher an Gefängnisumzäunungen. Kilometerlang und schnurgeradeaus ein hoher Metallzaun, auf dem Stacheldraht thront, vollgestopft mit Überwachungstechnik und beidseitig von Fahrstreifen begleitet. Dass der Dienst an dieser Grenze nicht ungefährlich ist, lässt sich erahnen. Ein junger, aus Köln stammender Soldat einer Fallschirmjägereinheit, der freiwilligen Wehrdienst in Israel leistet, berichtet uns in vertraut klingendem rheinländischem Dialekt von nahezu alltäglichen Zwischenfällen, wie Drogenschmuggel und Schusswechseln mit militanten Islamisten auf dem Sinai. Für viele ist es neu, dass auch Israel – sozusagen als nächstgelegenes westliches Land – Ziel einer stetig wachsenden zahl illegaler Einwanderer aus Afrika, vor allem aus dem Sudan ist. In Israel gibt es keine Rückführung oder Zurückweisung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Und die Soldaten berichten von vielen Flüchtlingen, die auf der ägyptischen Seite Opfer von Entführungen und Erpressung ihrer Familien durch Beduinenbanden und islamistische Gruppen werden – oder schlichtweg umgebracht und in der Wüste des Sinai verscharrt. Für Flüchtlinge aus Afrika wird Israel so zu einem ganz anders verheißenen Land, nämlich zur lebensrettenden Insel.
Am Nachmittag, unserer Mountainbikes haben wir zwischenzeitlich gegen den Reisebus getauscht, lernen wir eine ganz andere Seite der scheinbar unbewohnten und lebensfeindlichen Wüste kennen: auf der Shirat Hamidbar-Farm wird inmitten der trockenen Umgebung mit viel Pioniergeist und einigem Improvisationstalent Landwirtschaft betrieben. Viele Kräuter und Heilpflanzen werden dort kultiviert und zu Tee und Naturkosmetik weiterverarbeitet. Auf Orlias Farm lernen wir zudem eine Familie kennen, die sich bewusst für ein Leben in der Wüste entschieden hat und mit drei Kindern den Alltag meistert. Doch die klimatisch herausfordernde und menschenarme Umgebung hat auch ihre Schattenseiten: häufig verirren sich Menschen in der Wüste, Kinder werden von ihren Eltern vermisst. Auf deren Suche hat sich der Wüstenrettungsdienst spezialisiert, dessen Team wir am Wadi Havarim treffen. Und um ihre Arbeitsweise hautnah zu erleben, nehmen wir gleich an einer Vermisstensuchübung teil. In dem unwegsamen Wüstental begeben wir uns in kleinen Gruppen auf die Suche nach den Vermissten, um sie anschließend, so das Übungsszenario, nur leicht verletzt, aber gehunfähig aus dem Wadi zu retten. Im unwegsamen Gelände eine „verunfallte“ Person auf einer Trage zu bergen, ist eine ganz neue Erfahrung für viele, die ein gutes Zusammenwirken aller Teammitglieder erforderte und die Gruppe näher zusammenrücken ließ. Mit vielen Eindrücken erreichen wir schließlich bei Dunkelheit unser neues, mittlerweile zweites Wüstencamp Zin Valley im ausgetrocknenten Flussbett des Zin.
Mit Spannung starten wir in den nächsten Tag. Auf dem Programm steht ein Streifen Land, der jedem doch ein wenig Respekt einflößt: Gaza. Da der Besuch des Gaza-Streifens selbst aus vielen Gründen nicht möglich ist, machen wir uns entlang der Grenze ein Bild von der Region. In Sderot, einer Kleinstadt nur wenige Kilometer von Gaza entfernt, wird der anhaltende Konflikt allgegenwärtig. In jedem Straßenzug, manchmal vor jedem Haus, stehen Betonklötze, Bunker die im Falle von Angriffen mit selbstgebauten Raketen aus dem Gaza-Streifen der Bevölkerung Schutz bieten sollen. Risse an Hausfassaden und Löcher von Granatsplittern zeugen an einigen Häusern von der zerstörerischen Kraft zurückliegender Raketeneinschläge. In der Polizeistation der Stadt erfahren wir von den Kollegen des Entschärferkommandos der Israelischen Polizei vom Ausmaß der Angriffe: seit Beginn des Konflikts wurden aus dem Gaza-Streifen tausende Raketen auf die Stadt abgefeuert. Die Polizeistation bliebt dabei wie durch ein Wunder immer verschont. Denn gegen Luftangriffe scheint der Leichtbau wahrlich nicht geschützt zu sein.
Am Abend schlagen wir unser Camp in einem Wald in den Bergen bei Latrun auf, nur wenige Kilometer vom Westjordanland entfernt. Hannah überrascht uns mit köstlicher Pizza, selbstgemacht versteht sich. Bei der Zubereitung gibt sie Rezepttipps und geduldig Anleitung, wie die landestypischen Speisen auch „draußen“ ganz einfach zubereitet werden können.
Der nächste Tag steht unter dem Motto der Besinnung; Besinnung auf die Geschichte und auf die Gegenwart jüdischen Lebens und Israels. Am Vormittag besuchen wir Yad Vashem. In den Bergen Jerusalems gelegen, erinnert und mahnt die Gedenkstätte zugleich, wie der Antisemitismus im Völkermord an den europäischen Juden endete. Die Ausstellung, die mit der „Hall of Names“ endet, stimmt nachdenklich und traurig, und doch schafft sie das Bewusstsein, dass die Geschichte des jüdischen Volkes und die Gründung ihres Staates Israel untrennbar mit der Katastrophe des Holocaust verbunden ist.
Nach dem bewegenden Vormittag begeben wir uns am Nachmittag in die Altstadt Jerusalems. Der Blick auf den Felsendom und die Klagemauer ist für viele ein wichtiger Moment, ist die Klagemauer doch das Symbol für Israel und jüdisches Leben. Streng getrennt nach Geschlechtern und umringt von vielen Touristen beten die Juden hier. In der Grabeskirche, deren Mauern gleich sieben (!) christliche Religionsgemeinschaften für sich beanspruchen, wird schließlich auch bewusst, warum die Stadt „Schmelztiegel“ der Religionen wie auch „Pulverfass“ für die Sicherheitslage im Nahen Osten ist: historischen Stätten dreier Weltreligionen liegen hier sprichwörtlich Tür an Tür, jede der Religionen beansprucht nicht nur die Deutungshoheit über geschichtliche und religiöse Ereignisse für sich, sie erhebt auch Anspruch auf den jeweiligen Ort als ihr angestammtes, heiliges Land. Damit religiöse Gefühle nicht in Gewalt umschlagen, steht an jeder Ecke Polizei und Militär.
Am Abend fahren wir zurück in die Wüste. Am Ufer des Toten Meeres, dem tiefsten Landpunkt der Erde, schlagen wir unser letztes Camp auf, das zwischenzeitlich schon liebevoll „Tausend Sterne Hotel“ genannt wird.
Von hier aus ist es am nächsten Morgen nicht weit nach Masada. Zu Fuß steigen wir unter sengender Sonne auf die alte Felsenfestung auf, in der jüdische Siedler nach langer Belagerung durch die Römer in den Freitod gingen. Die Festung hoch über dem Toten Meer bietet einen herrlichen Blick über den See und bis zu den Bergen Jordaniens. Ein Bad im Toten Meer krönt schließlich den Tag, die Woche in Israel geht ihrem Ende entgegen. Doch vor der Abreise können sich alle noch einmal davon überzeugen, dass die Gesetze der Physik im Toten Meer scheinbar nicht gelten und man sprichwörtlich schwebt.
Und so endet nach einer ereignisreichen Woche voller neuer Erfahrungen und Eindrücke die Reise für viele mit dem Wunsch, wiederzukommen, in ein so facettenreiches wie sehenswertes Land. Beim jüdischen Pessachfest wünscht man sich, angelehnt an die jahrtausende alte Sehnsucht nach dem Heiligen Land, traditionell bei der Verabschiedung ein Wiedersehen: „Im nächsten Jahr in Jerusalem!“ Ich denke, dass es auch für mich ein Wiedersehen in Israel geben wird.