Zum Inhalt wechseln

Sexuelle Gewalt gegen Kinder

Diese Checkliste kann beim Helfen helfen

Josefine Barbaric „Nein, lass das!“ e. V und Rainer Becker, Deutsche Kinderhilfe e. V. unter Mitwirkung von Dr. Verena Kolbe, Institut für Rechtsmedizin der Universität Rostock

Foto: Phimnachok - stock.adobe.com
Foto: Phimnachok - stock.adobe.com
Berlin.

„Zu vermuten ist zudem, dass Straftaten wie Gewalt im häuslichen Umfeld zunehmen werden, womöglich auch Gewaltvorfälle gegenüber Kindern“, erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Jörg Radek kürzlich der Tageszeitung „Die Welt“. Die Redaktion hatte unter anderem nach seiner Prognose der Straftatenentwicklung 2020 vor dem Hintergrund der Corona-Lage gefragt. Das DP-Autorentrio gibt den Kolleginnen und Kollegen im Einsatz eine ausführliche Checkliste zum Thema Sexuelle Gewalt gegen Kinder an die Hand. Die Druckfassung des Artikels ist für die Mai-Ausgabe der DP geplant.

Eigene Arbeit verbessern

Sexuelle Gewalt an Kindern stellt mittlerweile ein zunehmendes Grundrisiko für Kinder in Deutschland dar. Es ist eine „stille“ Gewaltform. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, die betroffenen Kinder, samt derer, die sich entschlossen haben, diese Gewalttat zu beenden oder zu unterbinden, mit größtmöglichem Einsatz zu unterstützen.

Fakt ist: Checklisten sind kein Allheilmittel. Sie können und sollen ein an die jeweilige Situation angepasstes eigenes Denken und Handeln nicht ersetzen. Einen Fall einfach nur abzuarbeiten, wäre jedoch nicht richtig.

Das Nutzen durchdachter Listen kann gemachte Erfahrungen und erkannte Fehler mit in die eigene Arbeit – und für den jeweiligen Fall – einfließen lassen. Das Berücksichtigen einer solchen Checkliste wird die Qualität der eigenen Arbeit bei Gefahrenabwehr und Strafverfolgung verbessern. Nicht zuletzt können sie eine Diskussionsgrundlage für ein konstruktives Hinterfragen der bisherigen eigenen Verfahrensweisen bei der Arbeit vor Ort sein.

Eine polizeiliche Checkliste bei sexueller Gewalt oder sexuellem Missbrauch von Kindern bis zu 14 Jahren

Strafgesetzbuch (StGB): Paragrafen 174 StGB, 174 a StGB, 174 b StGB, 174 c StGB; 176 StGB, 176 a StGB, 176 b StGB; 177 StGB; 184 b und184 c StGB

Kinder erleben sexuelle Gewalt häufig im engsten familiären oder sozialen Umfeld. So bleiben von Eltern, einem Elternteil oder Geschwistern verübte Taten häufig länger unentdeckt. Für betroffene Kinder ist es sehr schwer, über den erlebten Missbrauch mit Dritten zu sprechen. Sie ängstigen sich davor, die Täterin oder den Täter zu verraten. Zudem fürchten sie sich, unter Umständen ihre Familie und damit ihr Zuhause zu verlieren.
Betroffene Kinder sind oft von Tätern oder dem nicht missbrauchenden Elternteil abhängig. Verstanden werden muss, dass sie seelisch extrem hin- und hergerissen sind. Klar ist: Ein Kind löst den sexuellen Missbrauch niemals selbst auf. Darum sind eine nachhaltige Beweisaufnahme und eine sensible Befragung durch die Polizei umso wichtiger.
Übrigens: Bei Ermittlungen in Zusammenhang mit kinderpornografischen Taten (Bild- und Tonträger) sollte insbesondere bei Durchsuchungen und Befragungen in Betracht gezogen werden, dass Tatverdächtige aktiv sexuellen Missbrauch an eigenen oder fremden Kindern begangen haben könnten. Erfahrungsgemäß geschieht dies in 20 bis 30 Prozent aller Fälle. Angeraten sind daher entsprechende Ermittlungen und tiefer gehendes Hinterfragen.

Erster Angriff: Erkennungsmerkmale und mögliche Symptome beim betroffenen Kind

Vollständige und umrissene Symptomlisten, die sexuelle Gewalt an Kinder klar aufzeigen können, liegen derzeit nicht vor. Konkrete Hinweise sind derzeit Geschlechtserkrankungen wie Genitalherpes, der nahezu nur über sexuelle Handlungen an einem oder mit einem Kind übertragbar ist. Oder auch Spermanachweise am oder im Körper des Kindes sowie eine Schwangerschaft. Doch nicht jedes Opfer weist entsprechende Befunde auf. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, dass jedes betroffene Kind sich unterschiedlich bemerkbar macht. Diese Hinweise können sowohl sehr auffälliger als auch subtiler Natur sein. Die Zeichen richtig zu deuten, ist nicht immer einfach. Und doch gibt es Symptome, bei denen man genauer hinschauen sollte.


Die Kinder …
… klammern sich stark an eine Bezugsperson.
… wollen nicht mehr allein zu Hause bleiben, wenn der Täter beispielsweise aus dem familiären Umfeld kommt.
… wollen nicht mehr zum Sport gehen, wenn der Täter aus dem sportlichen oder dem Vereinsumfeld kommt.
… wollen das häusliche Umfeld nicht mehr allein verlassen, wenn der Täter aus dem sozialen Umfeld kommt.
… wollen nicht mehr mit bestimmten Angehörigen konfrontiert werden.
… wollen nicht mehr allein schlafen.
… haben Schlafstörungen und Albträume.
… zeigen plötzliche Verhaltensänderungen.
… sprechen in Fäkalsprache.
… benutzen unter Umständen obszöne Begrifflichkeiten für Genitalien.
… werden selbst sexuell übergriffig.
… haben Konzentrationsstörungen und einen Schulleistungsabfall.
… nehmen an Gewicht ab oder zu und entwickeln womöglich Essstörungen.
… waschen sich unangemessen oft oder gar nicht mehr.
… tragen an bestimmten Tagen nicht nachvollziehbar mehrere Kleidungsstücke übereinander
… nässen oder koten wieder ein.
… lehnen Zärtlichkeiten ab.
… sprechen häufig vom Tod.
… laufen von zu Hause weg.

Worauf zu achten ist:
Bei einem begründeten Verdacht auf einen akuten sexuellen Missbrauch eines Kindes sollte in den ersten 24 Stunden nach der möglichen Tat unbedingt eine Beweissicherung in einer entsprechenden Opferambulanz oder vergleichbaren rechtsmedizinischen Einrichtung erfolgen. Die Ärzte dort sind auf solche Fälle geschult und können das Verletzungsbild genau zuordnen. Bei akuten behandlungsbedürftigen Verletzungen sollte abhängig vom Alter des Kindes eine Vorstellung in einer Kinderklinik beziehungsweise Gynäkologie unter Hinzuziehung der Rechtsmedizin erfolgen.

Das Kind sollte nach der Tat bis zum Abschluss der rechtsmedizinischen Untersuchung und Sicherung eventueller Spuren am Körper nicht gereinigt werden.
Zur Untersuchung erscheint das Kind im besten Fall in der Kleidung, die es zum Tatzeitpunkt getragen hat. Wechselkleidung ist hilfreich, falls Kleidungsstücke sichergestellt werden. Begleitende oder anzeigende Elternteile sowie andere Erwachsene benötigen dringend diesen Hinweis. Denn: Überdurchschnittlich viele Strafverfahren von sexuellem Missbrauch an Kindern werden aus Mangel an Beweis- oder Spurensicherung eingestellt.
Zudem braucht es eine vertraute und warme Gesprächsatmosphäre für die Befragung des betroffenen Kindes und des anzeigenden Erwachsenen. Natürlich können auch anzeigende Erwachsene selbst verunsichert oder vielleicht traumatisiert sein. Also: sensibel und ruhig vorgehen. Signale, dass man den Aussagen des Kindes sowie der Begleitperson Glauben schenkt, sollten zu jeder Zeit gesendet werden.

Fragen: Wo befand sich der Tatort oder die Tatorte?

Machen: eine sofortige „Sicherstellung“ des Tatortes sowie eine kriminaltechnische Untersuchung auf eventuelle Spuren.
Auf Suggestivfragen verzichten. Die Gefahr der Manipulation sollte sowohl beim Kind als auch dem anzeigenden Erwachsenen ausgeschlossen sein.
Der „Vorgang“ sollte stets ernst genommen werden. Unter Umständen ist der ermittelnde Beamte die einzige Instanz, die helfen kann. Kinder können den sexuellen Missbrauch nicht alleine beenden. Sie sind auf die Hilfe von begleitenden erwachsenen Menschen und der Polizei angewiesen. Auch dem anzeigenden Erwachsenen fällt es häufig enorm schwer, sich zu entscheiden, die Polizei einzuschalten.
Im Gespräch sollte keinesfalls ein Generalverdacht gegen den begleitenden Erwachsenen erhoben werden. Zum Beispiel wegen des Verdachts auf eine sogenannte Bindungsintoleranz. Das verunsichert nur unnötig.
Bei dem Gefühl eigener Unsicherheit sollte eine Kollegin oder ein Kollege hinzugezogen werden. Auch eine Anfrage bei einer spezialisierten Beratungsstelle für Betroffene von sexueller Gewalt ist hilfreich.

Zum Täter …
… häufig aus dem engsten oder engerem sozialen und familiären Umfeld: Vater, Stiefvater, Großvater, Freunde der Familie, Onkel, Tante, Mutter, Großmutter, Bruder, Schwester, Trainer/Übungsleiter, Schwimmlehrer, Musiklehrer, Lehrer oder Erzieher.

Zustand …
… Alkoholisiert? Blutprobe.
… Drogeneinfluss? Urin-, Blut-, oder Haarprobe.
… DNA –Test: Speichelprobe.

Machen:
- Feststellen der Identität, gegebenenfalls erkennungsdienstliche Behandlung.
- Zeugen ermitteln – Mit- und Hausbewohner, Auskunftspersonen Mitschüler, beste Freundin oder bester Freund); Feststellen der Personalien bei Zeugen.
- Fragen, zum Beispiel nach der Häufigkeit und Art wahrgenommener Übergriffe sowie der An- oder Abwesenheit personensorgeberechtigter Personen.
- Täterverhalten wahrnehmen.
- Sofortige Übergabe des Vorganges an ein Kriminalkommissariat, eine Kriminalpolizeiinspektion oder Fachkommissariat.

Und:
Gibt es keinen längeren zeitlichen Abstand zwischen der vorgeworfenen Tat und den Antreffen des Täters? Dann die komplette Kleidung sicherstellen.

(Sexuelle) Gewalt gegen Kinder sollte immer als Sofortsache bearbeitet werden. Dies gilt auch für die Abgabe des (vorläufigen) Ermittlungsergebnisses an die Staatsanwaltschaft (StA).
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Frage lohnt, ob der Vorgang bei der StA eingegangen ist. Die Bitte nach einer Eingangsbestätigung ist empfehlenswert. Auch der persönliche Kontakt zur ermittelnden StA ist ratsam. Mehr als zurückgewiesen zu werden, kann einem nicht passieren. Zudem hilft es, Aktenvermerke anzulegen und zu bewahren.

This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen. This link is for the Robots and should not be seen.