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4. Verkehrspolitisches Forum der Gewerkschaft der Polizei (GdP):

Wenn der Chip einen Unfall baut …

Autonomes Fahren im Fokus der Expertendebatte

Potsdam/Berlin.

Die Polizei ist nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf die sich rasant entwickelnden Technologien rund um das Auto nicht ausreichend vorbereitet. Insbesondere das sogenannte autonome Fahren lasse noch viele Fragen offen. Entsprechende Lösungen erörtern rund 100 Experten aus der Polizei, Justiz und von der Verkehrsunfallprävention sowie von Versicherern und der Automobilindustrie seit Dienstag auf dem 4. GdP-Verkehrsforum in Potsdam. „Die Straßenverkehrsordnung verlangt von Verkehrsteilnehmern ständige Vorsicht, gegenseitige Rücksicht und ein Verhalten, dass ‚kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird‘. Was aber ist, wenn es zu einem Unfall kommt, bei dem ein Fahrer seine Mails bearbeitete und das Lenken einem Chip überlassen hatte?“, sagte Arnold Plickert, für Verkehrspolitik zuständiges Mitglied des Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstandes, zu Beginn zu den bundesweit angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

"Der deutsche Autofahrer ist kein Revolutionär"


Rund 100 Verkehrsexperten erörtern auf dem zweitägigen GdP-Verkehrsforum in Potsdam Fragen um das autonome Fahren. Foto: Holecek

Fahrassistenzsysteme, die beispielsweise autonom die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs in Abhängigkeit des vorausfahrenden Verkehrs regeln oder selbstständig einparken, gehörten längst nicht mehr nur zur luxuriösen Ausstattung von Nobelkarossen. „Der Fahrer folgt doch lediglich den Anweisungen des Systems zum Betätigen von Bremse und Gaspedal. Und noch nicht mal das ist aus technischer Sicht notwendig“, führte Plickert fort. Müssten denn, so der GdP-Verkehrsexperte, das richtige Einparken oder die Berechnung des Bremsweges überhaupt noch Teil der Führerscheinausbildung sein?

Müsste die Polizei nicht heute schon – zumindest bei jedem schweren Unfall – den Bordrechner des Fahrzeugs sicherstellen? Schon die Fragen, wer die Blackbox ausliest, und wann das genau zulässig ist, sei ungeklärt. Plickert betonte: „Wir können analoge Spuren sichern und zumindest einschätzen. Mit digitalen Spuren tun wir uns schwer.“ Bei einem autonom fahrenden Fahrzeug verschärfe sich diese Fragestellung, da die Polizei dann noch nicht mal mehr einen Fahrer befragen könne. Der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende forderte eine einheitliche Datenschnittstelle in Fahrzeugen, die für die Polizei zugänglich und auslesbar ist.


Arne Bartels von der Volkswagen AG und Leiter des Arbeitskreises "Automatisiertes Fahren" des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) stellte klar, bis das Auto ohne Lenkrad komme, dauere es noch einige Zeit. Ohne Fahrer gehe es nicht. Als Ziele des automatisierten Fahrens nannte er beispielsweise die Optimierung des Verkehrsmanagements, die Reduzierung von Verbrauch und Emissionen, die Mobilität im Alter sowie die Minimierung von Unfällen durch die Vermeidung von menschlichen Fahrfehlern. (Vortrag als pdf-Download) Foto: Holecek


Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof (BGH): "Der deutsche Autofahrer ist kein Revolutionär." Im Zusammenhang mit autonom fahrenden Fahrzeugen gebe es den Ruf nach dem Gesetzgeber, der für ein verlässliches Fahren sorgen müsse. Dabei gehe es unter anderem um die Bewertung des Restrisikos. Es stelle sich die Frage, wer fahre, der Mensch oder das System? Franke erläuterte zudem Konsequenzen für die Halter- und Herstellerhaftung. (Vortrag als pdf-Download) Foto: Holecek

Das GdP-Verkehrsforum endet am Mittwoch um 10.30 mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion unter dem Titel „Die Zukunft des automatisierten Fahrens“ Teilnehmen werden die Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e.V. (DVR), Ute Hammer, Dr. Wolfgang Schultze, Vizepräsident der Deutschen Verkehrswacht e.V. (DVW), Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm, Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof (BGH), Dr.-Ing Arne Bartels von der Volkswagen AG und der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Arnold Plickert.

Die Rede des im Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstand für Verkehrspolitik stellvertretenden Bundesvorsitzenden Arnold Plickert hier im Wortlaut:

Wir stehen vor einer Entwicklung, die das Zeug dazu hat, den Straßenverkehr und damit ein zentrales Arbeitsfeld der Polizei in den kommenden Jahren grundlegend zu verändern. Es geht um das autonome Fahren. Es soll nicht mehr heißen, „ICH fahre jederzeit dahin, wo ich hin will“, sondern „ES fährt mich jederzeit genau dahin, wo ich hin will“.


Um gleich Missverständnissen vorzubeugen: Der Weg dahin hat längst begonnen. Wir dürfen zwar - meistens - noch nicht die Hände vom Steuer nehmen, geschweige denn, den Fahrersitz verlassen. Aber viele von uns machen sich keine Gedanken mehr darüber, wie konkret wir von A nach B kommen. Das erledigt in den meisten Fällen Kollege Computer, der als Navi bereits in fast jedem Fahrzeug heute dabei ist.

Ich erinnere mich noch an Urlaubsfahrten, die damit begannen, dass man Tagelang vorher Landkarten studierte und die sich dann damit fortsetzten, dass der Beifahrer oder die Beifahrerin die Karte lesen musste. Unsere Kinder können sich daran meistens noch erinnern. Unseren Enkeln wird das eher vorkommen, wie der Versuch, anhand des Moosbewuchses an einem Baum die Nordrichtung zu erkennen. Wer es kann, erntet bestenfalls Bewunderung dafür, dass er etwas kann, was kein zivilisierter Mensch wirklich braucht.


Engagierte Debatte schon vor Beginn des Expertenforums: Foto: Holecek

Warum ist mir das so wichtig? Weil es die Grundlage für die Entwicklungen ist, über die wir uns auf dieser Veranstaltung unterhalten werden: Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste: Die Zuständigkeit für die Frage, auf welchem Weg komme ich von A nach B haben wir längst abgegeben. Auf uns selbst verlassen wir uns in den meisten Fällen nur noch da, wo wir uns selber gut auskennen - oder das zumindest glauben. Und selbst dann entsteht die tatsächliche Route aus einem Mensch-Maschine-Dialog: Mal ehrlich - wer von uns redet nicht mit dem Navi?

Die Frage, vor der wir stehen ist, ob und wann wir auch noch die Umsetzung der Entscheidung über die Route abgeben.


Nachfragen aus dem Forum. Foto Zielasko

Die Durchsetzung von Navigationssystemen hat rund 26 Jahre benötigt - gerechnet vom ersten serienmäßigen Einbau eines solchen Gerätes in ein Auto an. Überträgt man diese Zeitleiste auf die Entwicklung vollautonom fahrender Autos, dann sind wir noch ein ganzes Stück weit davon weg. Noch ist es nicht so weit, dass der Erwerb des Führerscheins im Leben der meisten Menschen in etwa genau den gleichen Stellenwert hat, wie der Erwerb eines Segelscheins. Auch wenn der Erwerb des Führerscheins mit 18 oder 19 längst nicht mehr die Regel ist und der ein oder andere Großstadtbewohner ihn vielleicht gar nicht mehr macht, hat das seinen Grund jedenfalls aktuell nicht darin, dass er oder sie sich in ein autonom fahrendes Auto setzen würde.

Und dennoch ist da viel in Bewegung: Sogenannte Geschwindigkeitsregel- und Abstandsassistenten, die autonom die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs in Abhängigkeit des vorausfahrenden Verkehrs regeln, sind längst kein Privileg von Fahrzeugen der Oberklasse mehr. Die zunehmend beliebten Einparkassistenten sind eigentlich schon gar keine Assistenten mehr: Der Fahrer ist der Assistent: Er befolgt doch lediglich die Anweisungen des Systems zum Betätigen von Bremse und Gaspedal. Und noch nicht mal das ist aus technischer Sicht notwendig.


"Live-Berichterstattung" aus dem Hintergrund. Foto: Zielasko

Nach der Fähigkeit, ein Auto parken zu können, kommt die Fähigkeit, im Notfall rechtzeitig und richtig zu bremsen. Auch das übernimmt der Notbremsassistent. Und das ist oft auch gut so. Er kann es nämlich in der Regel besser. Vom lediglich Hinweise gebenden Spurhalteassistenten bis zum selbst lenkenden Fahrzeug ist es zumindest technisch kein weiter Schritt mehr. Und nicht ohne Grund sprechen sich Unfallforscher und mit ihnen auch die GdP in ihrem Verkehrspolitischen Programm dafür aus, dass derartige Systeme öfter und serienmäßig verbaut werden müssen.

Vor diesem Hintergrund muss man sich aber auch die Frage stellen, wie lange das richtige Einparken oder die Berechnung des Bremsweges noch als prominente Bestandteile der Führerscheinausbildung benötigt werden. Ein Szenario, in dem dieses Wissen jedenfalls nicht mehr wichtiger ist als etwa die Fähigkeit, einen Reifen oder die Batterie zu wechseln, scheint nicht mehr weit weg.


Einchecken vor dem Verkehrsforum: Andrea Twachtmann (hinten links), Referentin für Verkehrspolizeiliche Grundsatz-, Einsatz- und EU-Angelegenheiten beim Bremer Senator für Inneres und Sport, legte mit Hand an. Foto: Holecek

Vom ersten marktreifen Navigationsgerät für Kraftfahrzeuge bis zum ersten Seriengerät im Jahr 1990 hat es laut Wikipedia 9 Jahre gedauert. Ein marktreifes selbstfahrendes Auto gibt es zwar noch nicht. Seit mittlerweile sechs Jahren sind aber immerhin vollautonom fahrende Fahrzeuge eines größeren Internetkonzerns im Testbetrieb unterwegs.

Aus polizeilicher Sicht recht erfolgreich: Nach zwei Millionen Fahrzeugkilometern schlagen lediglich 12 kleinere Unfälle mit Sachschaden zu Buche. Und als Polizist würde ich mir wünschen, dass wenigstens jeder Unfall mit Schwerverletzten oder Toten ein ähnliches Medienecho auslösen würde, wie der erste durch ein autonom fahrendes Fahrzeug verursachte Blechschaden vom 14. Februar diesen Jahres. Bei uns wäre das immerhin ein Kategorie 5 Unfall in der Verkehrsunfallstatistik. Entsprechend hatten die Pressemeldungen eher den Charakter einer Meldung nach dem Schema „Polizist beißt Hund“.

Trotzdem wirft der Einsatz von aktiver Technik im Fahrzeug einige schwierige rechtliche Fragen auf. Was aber passiert, wenn diese Software demnächst auch noch fährt? Kann man noch von Schuld im strafrechtlichen Sinn sprechen, wenn die eingesetzte Technik versagt hat?


Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer erörterten ein spannendes Thema ... Foto: Zielasko

Auch die zivilrechtliche Haftungsfrage ist nicht einfach: Wann wird die Kontrolle des Fahrzeugs durch den Fahrer durch die Kontrolle der Software und der technischen Komponenten durch den Hersteller überholt? Ich will es mal einfach formulieren: Ob mein Fahrlicht ordnungsgemäß funktioniert, davon kann ich mich persönlich ohne weiteres überzeugen. Beim Abstandsregelassistent muss ich das schon glauben. Das Problem ist nur: Heute darf ich es nicht glauben. Oder? Oder demnächst vielleicht doch? Der Verkehrsgerichtstag 2015 hat sich zwar mit dieser Frage auseinander gesetzt, aber ich kann mich des Eindrucks nicht so ganz erwehren, dass auch dort der Stein der Weisen noch nicht gefunden wurde. Ich bin also gespannt, was ein Bundesrichter dazu sagt.


.. wobei auch Skepsis an der Zukunfts(?)technik zu Tage trat. Foto: Zielasko

Abschließend: Für die Polizei haben die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen unmittelbare praktische Bedeutung:

Müssen wir nicht eigentlich heute schon zumindest bei jedem schweren Unfall den Bordrechner des Fahrzeugs sicherstellen? Wenn wir ihn haben, wer liest ihn aus? Bereits die Frage, ob und wann das genau zulässig ist, ist nicht so ganz klar zu beantworten. Bei der nachfolgenden Frage, wer das dann macht, muss die Polizei in der Regel passen: Wir können das in der Regel nicht, weil uns die technische Expertise fehlt: Wir können analoge Spuren sichern und zumindest einschätzen. Mit digitalen Spuren tun wir uns schwer.

Damit aber nicht genug: Was bedeutet es für das staatliche Interesse an der Aufklärung eines Verkehrsunfalls, wenn technisch bedingt immer weniger analoge Spuren zur Verfügung stehen, die die Polizei auswerten kann, dafür aber umso mehr digitale Spuren, an die wir nur sehr bedingt herankommen? Ich möchte mal provokant fragen: Wenn Bremsspuren keine höchstpersönlichen Daten sind deren Herausgabe aufgrund eines Zeugnisverweigerungsrechts verweigert werden kann - zumindest darüber scheint mir sogar unter Datenschützern Einigkeit zu bestehen -, muss das nicht auch für die im Fahrzeugrechner hinterlegten technischen Daten über den Betriebszustand zum Unfallzeitpunkt gelten? Bei einem autonom Fahrenden Fahrzeug verschärft sich diese Fragestellung, da wir dann noch nicht mal mehr einen Fahrer befragen können.

Hier haben wir uns als GdP im Verkehrspolitischen Programm klar positioniert: Es wird endlich Zeit für eine einheitliche Datenschnittstelle in Fahrzeugen, die für die Polizei zugänglich und auslesbar ist.

Aber die hier aufgeworfenen Fragen gehen weit über eine Datenschnittstelle hinaus. Für die Gewerkschaft der Polizei hat es Tradition, sich derartigen Fragen frühzeitig zu stellen.

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