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Ermutigungen zum Handeln: Kompetent und laut

'Technologien treffen bereits Entscheidungen. Wir kriegen das nur noch nicht mit', betonte Referent Welf Schroeter. Foto: GdP/Hagen Immel
'Technologien treffen bereits Entscheidungen. Wir kriegen das nur noch nicht mit', betonte Referent Welf Schroeter. Foto: GdP/Hagen Immel
Potsdam.

"Wer sich mit der sozialen Gestaltung moderner Arbeitswelten befasst, stellt sich wohl ab und zu die Frage, wo denn eigentlich derzeit vorne sei. Bilden die Humanisierung mobiler Arbeit und die Einrichtung eines HomeOffice das unerkannt Neue? Stellen das „Internet der Dinge“ oder „Smart Glasses“ die Überraschung des Morgen dar? Ist die Nutzung eines Smartphones eine Innovation? Seien wir ehrlich: Wir sind zumeist mehrheitlich dabei, unsere unerledigten Hausaufgaben der letzten Jahre aufzuarbeiten", erläuterte der 63-jährige Publizist und Historiker Welf Schröter vom Forum Soziale Technikgestaltung am zweiten Tag der 7. GdP-Bundesfrauenkonferenz in Potsdam.

Unterschätzen wir die digitale Transformation?

Smartphones wurden im Unternehmensalltag 1996/97 eingeführt. Der erste Tarifvertrag für mobiles Arbeiten wurde 1996 unterschrieben. „Kluge Brillen“, das „Internet der Dinge“ und die „Smart Factory“ sind seit eineinhalb Jahrzehnten technische Wirklichkeit. Wir gestalten momentan vor allem eine „nachholende Digitalisierung“ (Schröter). Dies ist absolut notwendig und eine erhebliche soziale Herausforderung. Diese Digitalisierung ist die Basis von „Arbeiten 4.0“, aber es ist nicht „Arbeiten 4.0“.

Die Vier-Null-Welten beginnen mit der „Digitalisierung hinter der Digitalisierung“ (Schröter), wenn die „Handlungsträgerschaft Mensch“ übergeht in eine „Handlungsträgerschaft autonomer Software-Systeme“, die „selbstlernend“ und in gewisser Weise „selbstentscheidend“ sind. Damit sind nicht Roboter oder selbstfahrende Autos gemeint. Es geht um Software, um ein neues gewerkschaftliches Verständnis der Potenziale von Software. Wir müssen lernen, den Menschen ins Zentrum der Arbeits- und Lebenswelt zu setzen und zugleich die Prozesse und Organisationsabläufe durch die Brille der „intelligenten“ Software zu denken.

Dieser Blick öffnet die Tür zum Verständnis der Vier-Null-Welten.

Solange wir aber nur rückwärtig nachholend handeln, gerät uns die Richtung des „Vorne“ aus dem Blick. Das, was technologisch vorne ist, muss dem Humanum unterworfen werden. Unsere Gestaltungskompetenz gilt es zu erneuern.

Daher ist es unabdingbar, dass wir die gleiche Energie und den gleichen Aufwand, den wir im Moment in die „nachholende Digitalisierung“ investieren, ebenfalls in die Gestaltung „autonomer Software-Systeme“ (ASS), in den Erwerb von Kompetenz zur „vorausschauenden Arbeitsgestaltung“, in die Demokratisierung des Prinzips Algorithmus und in die demokratische Formung ambivalenter Blockchain-Anwendungen aufbringen.

Soziale Gestaltung gelingt am besten von vorne. Dort müssen wir hin. Rasch. Kompetent, Sozial. Gerecht. Mitbestimmt.

Der Boléro der Arbeitswelt

Wer kennt es nicht, das beeindruckende Orchesterwerk des französischen Komponisten Maurice Ravel. Er schuf im Jahr 1928 jenen langen „Boléro“ als Ballettstück, der leise und unmerklich beginnt, sich zunehmend ins Wahrnehmbare steigert und in einem unüberhörbaren Finale gipfelt. Ein solcher „Boléro“ bewegt sich gerade auf die Arbeitswelt zu.

Noch sind wir mit den Herausforderungen und Chancen der „nachholenden Digitalisierung“ (Schröter) befasst. Frauen und Männer aus Personal- und Betriebsratsgremien, Vertrauensleute und Beschäftigte betten mit Hilfe kluger Arbeitsorganisationsmodelle vorhandene informationstechnische Werkzeuge in den Arbeitsalltag ein. Mobile Endgeräte, kluge Kleidungsstücke (wearables), kluge Brillen (glasses) und vieles mehr werden über Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen zu Assistenztechniken für den Menschen. Mehr als drei Viertel aller derzeitigen Technikeinführungen nutzen technische Innovationen, die schon zehn oder mehr Jahre auf dem Markt sind. Im Alltag werden sie von vielen als neu empfunden und als neu im Sinne von „4.0-Anwendungen“ dargestellt. Doch unter dem Gesichtspunkt der Technikentwicklung handelt es sich zumeist um IT-Konstrukte, die mit hohem Förderaufwand aus Steuergeldern entwickelt wurden und dann aber in kein Geschäftsmodell einflossen. Ein Beispiel sind die vom Bund einst maßgeblich gesponserten „Softwareagenten“, die vor mehr als zehn Jahren als Assistenz- und Delegationstechniken das Licht der FuE-Welt erblickten. Heute verbergen sie sich hinter den cyber-physischen Systemen als vermeintlich allerneuster Innovationsschritt.

Die „nachholende Digitalisierung“ bringt vor allem jene IT-Technik in die Geschäftsmodelle, die in den zurückliegenden Jahren wegen zu hoher Einführungsaufwände und zu geringen Kostenvorteilen auf die lange Bank geschoben wurden. Ein zugegebenermaßen wirkungsvolles Marketing („Industrie 4.0“) bringt unzureichend genutzte technische Innovationen in das Blickfeld der Entscheidungsträger und in die Shops.

Doch es wäre ein grober Fehler, würde man das mediale Transportgut „Vier-Null“ nur als oberflächliches Marketing abtun. Hinter dem lauten Messe- und Vertriebslärm der Verkäufer von in der Regel tradierter Ware beginnt eine andere Melodie. Es ist die Digitalisierung hinter der Digitalisierung, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. Wir dürfen die notwendige Vorspeise des digitalen Menüs nicht mit seinem Hauptgang verwechseln. Es ist ein „Boléro“ des Wandels, der leise beginnt und noch schwer hörbar ist, sich aber verstärkt und große Chancen hat, die Bühne komplett für sich zu gewinnen.

Zu reden ist von jenen „autonomen Software-Systemen“ (ASS), die in der Sprache der IT-Szene „selbst lernen“, „selbst entscheiden“, „sich selbst verändern“ und selbst rechtsverbindliche Transaktionen in Echtzeit hinter dem Rücken des Menschen veranlassen. Ihre Nutzung befindet sich noch in der Experimentierphase. Sie können noch nicht „besichtigt“ werden. Sie kommen noch nicht in den Schaufenstern der Messen vor. In den Experimenten finden wir erste kurze Anwendungsketten, eher noch Testsimulationen. Diese Sicht gilt, wenn man vom Blickwinkel übergreifender horizontaler Dienstleistungs- und Wertschöpfungsketten ausgeht. Betrachtet man die internen vertikalen Wertschöpfungsketten, so sind da schon größere Fortschritte im Feld der Insellösungen zu erkennen.

Doch der „Boléro“ der „autonomen Software-Systeme“ hat begonnen. Erst wenige hören die noch zurückhaltende Melodie. Wenn der Takt dieser Systeme die kleinen und großen Bühnen ergriffen hat, wird der Zeitdruck für die soziale Gestaltung des Wandels sehr groß. Jene, die den „Boléro“ der sich in diesem Sinne wandelnden Arbeitswelt schön hören können, sollten sich rasch zusammenfinden, um zum frühest möglichen Zeitpunkt gestalterisch im Sinne des arbeitenden Menschen einzugreifen. Wir sollten diese Art von „Boléro“ nicht nur als Ballettangebot betanzen, sondern bei seiner Aufführung sowohl in den Rhythmus wie auch in die Regie eingreifen. Der Takt ist das Geheimnis. Wer gibt ihn vor? Wer ist wessen Assistent?

Personal- und Betriebsräte üben sich nun vermehrt in „vorausschauendem Gestalten“

Seit mehr als dreißig Jahren rollt eine Digitalisierungswelle nach der anderen durch die Arbeitswelten. In den 80iger Jahren sprach man von der „Informatisierung der Arbeit“. In den 90igern kamen die Begriffe „Multimedia“, „Electronic Business“, „Telearbeit“ und „E-Working“ auf. Nun was ist wirklich neu?
Tatsächlich technisch innovativ sind allerdings Software-Technologien, die der früheren Technik in einem Kernpunkt voraus sind: Diese neue Software steuert Prozesse nicht nur bedarfsgerecht reaktiv, sie kann vor allem Arbeitsschritte vorausdenken und vorausstrukturieren. Diese sogenannten „autonomen Software-Systeme“ (ASS) fordern von Personal- und Betriebsräten neue Kompetenzen. Kolleginnen und Kollegen sind gedrängt, ein vorausschauendes Denken und Handeln zu entwickeln, um mit der Software auf gleicher Augenhöhe zu bleiben.

Wenn „autonome Software-Systeme“ die Arbeitsschritte und Arbeitstakte in Echtzeit mehrere Schritte voraus vorgeben, dann ist eine Arbeitsgestaltung, die nur reagiert, grundsätzlich immer zu spät. Wenn ein ASS in Fertigung und Dienstleistung beim arbeitenden Menschen Betroffenheit auslöst, ist zumeist die Möglichkeit der traditionellen Arbeitsgestaltung bereits erschöpft.

Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz, Geschlechtergerechtigkeit und Humanisierung der Arbeitswelten gelingen zukünftig am ehesten dann, wenn die Anforderungen der Personal- und Betriebsräte schon beim Start „autonomer Software-Systeme“ in diese aktiv integriert sind. Dazu müssen wir lernen, in den Kategorien des vorausschauenden Schützens und des vorausschauenden Gestaltens zu denken. Dies gehört zu dem wirklich Neuen der „digitalen Transformation“.


„Frauen in der Cloud – Kompetent und laut“

Technik ist nie neutral. In die Konzeption und Entwicklung von Software und digitalen Werkzeugen fließen bewusst und unbewusst Wertungen und ethische Orientierungen, Erfahrungen, Geschlechterrollen und Geschlechterverständnisse, Interessenlagen, soziale Gesichtspunkte und vieles andere ein.

Wenn Frauen den Männern die Entwicklung von Software überlassen, können sie im Anschluss kaum mehr als die Folgen sozial abmildern. Erforderlich ist die stärkere Einmischung von Frauen schon in die Konzeption und Entwicklung neuer technischer Infrastrukturen und Lösungen. Dazu muss niemand zur IT-Expertin werden. Es geht um die ergebnisorientierte Formulierung von konkreten Anforderungen an die Prozesse der Technikspezifikation. Es geht um die Demokratisierung des Prinzips Algorithmus. Es geht um die Gestaltung der IT-Infrastrukturen wie der Cloud-Technologie.

Gewerkschaftliches Handeln sollte die Cloud nicht nur als Objekt der Gestaltung verstehen sondern sie als Instrument der Mitbestimmung nutzen. Deshalb ist es richtig und unaufschiebbar: Gestaltung der Cloud in der Cloud – Kompetent und laut. Wenn Frauen Frauen zu solchem Handeln ermutigen, dann hilft dies nicht nur den Frauen sondern auch den Männern.

Mehr zum Thema unter:
www.blog-zukunft-der-arbeit.de
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