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GdP-Bundesvorsitzender im Interview mit „Handelsblatt online“

Malchow: „Die NSA-Debatte hat uns in die Defensive gebracht“

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, hat „Handelsblatt online“ ein ausführliches Interview zu aktuell politischen Themen gegeben, das am Freitag veröffentlicht wurde. Die GdP dokumentiert mit Einverständnis der Zeitung nachfolgend den Wortlaut des Gesprächs.

Haben Sie Verständnis für die heftige Diskussion, die derzeit über die Ausspähaktionen geführt wird?
Ich kann verstehen, dass man darüber diskutiert, welche Ausmaße das hat. Aber so zu tun, als ob es kein Spähen gebe, ist natürlich abwegig. Es gehört zu Aufgaben von Nachrichtendiensten weltweit Informationen zu besorgen. Aber der Umfang der NSA-Abhöraktionen, wenn er denn so stimmt, wie behauptet wird, ist deutlich überzogen.

In Deutschland steht derzeit das NSA-Spähprogramm XKeyscore im Mittelpunkt des Interesses. Es ermöglicht, viele Millionen Datensätze zu erfassen und auszuwerten. Umstritten ist, ob auch die deutschen Nachrichtendienste das Programm nutzen sollen bzw. dürfen – was meinen Sie?
Die Frage, welche Instrumente deutsche Dienste nutzen, muss sich immer an unserer Rechtslage orientieren. Wenn die Hilfsmittel ausländischer Dienste damit nicht konform gehen, dann dürfen sie in Deutschland von deutschen Behörden auch nicht eingesetzt werden.

Ist es wirklich erforderlich, anlasslos den gesamten Telefon- und Internet-Verkehr auszuspähen?
Hier unterscheiden sich Polizei und Geheimdienste. Dienste haben eine Lage festzustellen und zu beurteilen. Sie müssen, auch anlasslos Informationen gewinnen können. Polizei darf das nicht. Bei uns muss es immer einen Anlass geben, eine Anzeige beispielsweise oder einen konkreten Anfangsverdacht Ob, wann und in welchem Umfang auf sensible Daten zugegriffen wird, entscheiden Richter und Staatsanwälte. Aber auch Geheimdienste müssen sich an deutsches Recht halten, hat die Kanzlerin jüngst gesagt. Das heißt: Anlasslos Daten abzugreifen, geht dann nicht. Die Frage ist, wie man hier anlasslos definiert. Wenn im Rahmen der Terrorbekämpfung anlasslos recherchiert wird, dann ist ja die Zielrichtung oft noch nicht eindeutig. Die kann aber auch noch nicht eindeutig sein, wenn man ein Lagebild über mögliche Bedrohungen bekommen möchte. Ist das also schon ein Anlass? Aus meiner Sicht muss es konkrete Hinweise auf Personen geben, um dann in deren Rechte tiefer einzugreifen. Erst dann ist es rechtlich sauber. Wir dürfen uns auch nur Programme einkaufen, die mit deutschem Recht vereinbar sind.

Wie wichtig ist die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA?
Eine Zusammenarbeit ist sicherlich hilfreich. Vor allem in Extremsituationen sind wird auf die Hilfe ausländischer Dienste angewiesen.

Ist die Zusammenarbeit durch die aktuelle Debatte gefährdet?
Ich glaube nicht, dass die Kooperation mit ausländischen Diensten gefährdet ist. Die Methoden müssen abgeglichen werden. Und es muss klar sein, auf welche Daten wir als Deutsche zurückgreifen dürfen. Unsere Partner müssen dann auch unsere Regeln einhalten.

Angeblich wurden mit NSA-Hilfe sieben Anschläge in Deutschland verhindert. Wie schätzen Sie aktuell die Sicherheitslage ein?
Dass Anschläge verhindert wurden zeigt, dass Deutschland ein attraktives Land für Terroranschläge ist. Großes Infrastrukturnetz, hohe Menschendichte, strake Wirtschaft, weltweit hohes Ansehen. Wenn hier ein Anschlag passiert, dann würde das auch weltweit für Unruhe sorgen. Insofern ist Deutschland weiterhin ein gefährdetes Land.

Nach dem 11. September hat es keine gravierenden Anschläge gegeben. Ist die Bedrohung also geringer geworden?
Es hat gravierende Anschläge gegeben, London, Madrid und zahlreiche Anschläge außerhalb Europas, bei denen auch deutsche Staatsbürger zu Schaden kamen. Auch in Deutschland sind Menschen umgebracht worden. Hunderttausende deutsche Staatsbürger sind weltweit unterwegs, sei es als Urlauber oder beruflich Reisende. Zu ihrem Schutz müssen wir auch ein Interesse daran haben, dass terroristische Anschläge weltweit verhindert werden. Wenn in Deutschland oder auf unsere Bundeswehrangehörigen in Auslandsmissionen Anschläge verhindert werden konnten, dann ist das auch der internationalen Zusammenarbeit zu verdanken. Das sollte nie vergessen werden. Der 11. September ist auf deutschem Boden geplant worden. Wir müssen auch davon ausgehen, dass Islamisten aus Deutschland in Terrorcamps unterwegs sind, um sich ausbilden zu lassen. Wir stellen auch Reisebewegungen in aktuelle Bürgerkriegsgebiete, zum Beispiel nach Syrien, fest. Irgendwann werden die wieder zurückkommen, um möglicherweise auch bei uns Anschläge vorzubereiten und durchzuführen.

Sind unsere Fahndungsmethoden ausreichend, um mögliche Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen?
Die Fahndungsmethoden sind nicht ausreichend, wenn es beispielsweise um die Möglichkeit geht, rückwirkend auf Telekommunikationsdaten zurückzugreifen, um terroristischen oder hochkriminellen Kontakte nachgehen zu können, mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung. Wenn es konkrete Hinweise auf terroristische Aktivitäten gibt, dann sind Spurensicherung und Beweisführung wichtig. Das geht im Moment leider nicht, weil wir keine Vorratsdatenspeicherung mit einer Mindestspeicherfrist haben.

Die Vorratsdatenspeicherung wird bis zum Ende der Legislaturperiode ungelöst bleiben. Ärgert Sie das?
Mich ärgert, die Aussage, dass der Nutzen von Vorratsdatenspeicherung noch gar nicht bewiesen sei. Widersinnig ist auch der Vorschlag eines kurzfristigen Speicherverfahrens, das „Quick Freeze“. Denn es ist unmöglich, Spuren zu sammeln, wenn erst im Verdachtsfall die dann vorhandenen Daten eingefrort werden dürfen. Ohne Mindestspeicherfrist wird die Aufklärung von Verbrechen erheblich behindert. Wenn wir keine Daten haben, dann können wir auch nicht weiter ermitteln. Viele Bürger werden Opfer von Straftaten, die wir nicht aufklären können. Dabei geht es nicht nur um Terrorismus, sondern auch um Kinderpornographie, sexuellen Missbrauch, Arzneimittelkriminalität oder Organisierte Kriminalität.

Wie ist Ihre Erwartung an die nächste Bundesregierung?
Meine Erwartung ist, dass sich die nächste Bundesregierung darüber aufklärt, dass das flächendeckende Ausspähen von Bürgern, wie das derzeit im Zusammenhang mit den NSA-Aktionen diskutiert wird, in keinem Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung steht. Das sind sehr verschiedene Schuhe. Die NSA-Debatte hat uns leider in die Defensive gebracht, weil alles in einen Topf geschmissen wird. Das ist schädlich für uns. Die Politik sollte sich deshalb mit der Frage befassen, was die Vorratsdatenspeicherung für die tägliche Polizeiarbeit bedeutet. Wir fordern die Vorratsdatenspeicherung ja nicht zum Selbstzweck, um Datenfriedhöfe anzulegen. Wenn es politisch aber nicht gewollt ist, dann hat das zum Ergebnis, dass wir bestimmte Straftaten nicht aufklären können.

Ein Problem, vor allem für die Wirtschaft, ist die Internetkriminalität. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?
Das ist vor allem für kleine und mittelständische Betriebe ein Problem. Die können sich nicht wie große Unternehmen eine eigene Sicherheitsabteilung leisten und sich selber schützen, sondern müssen professionelle Hilfe einkaufen. Diese Firmen sind dann aus dem Netz heraus besonders angreifbar. Das geht von Wirtschaftsspionage bis hin zur Erpressung.

Wo sehen Sie noch Risiken?
Ins Visier von Hacker-Terroristen können auch große technische Infrastrukturen geraten. Dazu zählen sicherlich der öffentliche Nah- und Fernverkehr und die Energieversorgung. Wenn wir wochenlang kein Wasser oder keinen Strom haben, dass ist das ein Anschlag auf unser tägliches Leben. Es wäre auch ein Anschlag auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Denn wir sind ja gerade auch wegen unserer ausgefeilten Infrastruktur ein beliebtes Ziel für Investoren.

Ist die Polizei in der Lage, Cyber-Kriminelle aufzuspüren?
Natürlich müssen wir verstehen können, wie solche Hacker-Angriffe überhaupt möglich sind. Erst dann sind wir in der Lage Ermittlungen durchzuführen. Wir müssen eine Beweislage schaffen, die dann zum Täter oder eine Tätergruppe führt. Dazu müssen wir das Handeln der Täter verstehen. Normale Polizeibeamte können eine solche Aufgabe nicht bewältigen. Dazu sind Spezialisten, sogenannte Cyber-Cops nötig. Da hinken wir deutschlandweit deutlich zurück. Deshalb ist es widersinnig Stellen im Polizeibereich abzubauen. Wir haben bereits jetzt erhebliche Ermittlungsdefizite im Bereich der Internetkriminalität.
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