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Rainer Maria Kardinal Woelki: „Widerstand gegen die Staatsgewalt ist längst zum Dauerzustand in Deutschland geworden“

Berlin.

Diejenigen, die für Recht und Ordnung sorgen, gerieten selber unter die Räder,“ sagte Kardinal Rainer Maria Woelki beim 26. GdP-Bundeskongress. Er hinterfragte die technischen Mitbringsel der heutigen Zeit - Gewaltverherrlichende Videos, Kinderpornographie, tagtägliche Kriminalität: „Es gibt eine allseits erhöhte Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft - Früher gab es mehr Anstand.“

Kardinal Woelki wehrte sich gegen Pauschalverurteilungen: „Es gibt durchaus ethnische Gruppen, bei denen das Frauenbild falsch ist, aber man kann die Massenvergewaltigungen von Muslima im Bosnienkrieg auch nicht dem Christentum in die Schuhe schieben.“

Woelki betonte: „Wir haben einen langen Weg des Lernens vor uns, den wir gemeinsam gehen wollen,“ Er rief die Gesellschaft auf, den Mut zu haben, gütig, großzügig und tolerant zu sein.

Die Festrede von Rainer Maria Kardinal Woelki im Wortlaut (verfügbar auch im GdP-YouTube-Kanal)

"Sehr verehrter Herr Bundesinnenminister, Herr Malchow, Herr Plickert, Herr Schilff, Herr Hoffmann! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank für diese charmante Begrüßung und diesen herzlichen Willkommensgruß hier in Berlin, das für eine kurze Zeit meine neue Heimat gewesen ist. Vor einigen Jahren durfte ich in dieser Stadt mal Bischof sein, jetzt durfte ich wieder von meiner Heimatstadt hierher zurückkehren. Das ist für mich immer eine große Freude.

Der Bundespräsident hat gegen Ende seiner Rede davon gesprochen, dass er den Begriff, die Gestalt des Schutzmannes, noch einmal in Erinnerung rufen wollte. Er hat gleich in mir Assoziationen hervorgerufen. Ich erinnere mich an meine Kinderzeit. Als wir samstags die Ausgabe der Tageszeitung bekamen, war in der Kölner Zeitung, die da meist gekauft und gelesen wurde – da gibt es ja verschiedene – natürlich eine Kinderseite. Auf dieser Kinderseite gab es Oskar, den Schutzmann mit der grünen Uniform, der Schirmmütze und dem Schnauzer, der uns Kindern dann eine – wie auch immer geartete – Frage der Verkehrssicherheit oder sonstige Dinge vorstellte und nahezubringen versuchte.

So ähnlich wie Oskar dem Schutzmann geht es vielleicht dem einen oder anderen, der – wenn er nicht zu einem solchen Kongress wie diesem kommt oder nicht seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht – dann eben als Privatmann unterwegs ist. Wer das dann ist und vielleicht noch einmal zu einer jungen Familie mit kleinen Kindern eingeladen wird, überlegt sich natürlich: Was machst du? Was bringst du da als Gastgeschenk mit? Ein Buch? Wein? Für die Kinder musst du natürlich auch etwas haben. – Seit undenklichen Zeiten sind ein Pixie-Buch oder ein Puzzle – Pixie-Buch oder Puzzle – Klassiker, das die Polizei als unser aller Freund und Helfer zeigt. Das ist uns allen von Kindheitstagen an vertraut.

Wenige Berufe, meine sehr verehrten Damen und Herren, weisen eine so starke professionelle Identität und Identifikation mit dem Guten auf wie der Polizeidienst. Ich denke, die 83 Prozent Vertrauen, von denen der Bundespräsident eben gesprochen hat, bringen genau das zum Ausdruck.

Das ist mit ein Grund dafür, dass das Klischee des Polizisten langlebiger ist als ein gesellschaftliches Bewusstsein für die aktuelle berufliche Wirklichkeit von Polizistinnen und Polizisten im digitalen und globalisierten 21. Jahrhundert mit seinen großen Herausforderungen.

So danke ich Ihnen sehr herzlich für Ihre freundliche Einladung, heute als Artfremder, als einer, der in seinem Leben bisher kaum etwas mit der Polizei zu tun hatte – bis auf das eine oder andere Protokoll fürs Falschparken. Es war auch schon einmal die Geschwindigkeitsüberschreitung dabei, ja, die da auch geahndet wurde, aber es hat sich alles immer noch so in Grenzen gehalten. Aber ansonsten hatte ich noch nicht so viel mit Ihrer Berufsgruppe zu tun. Ich danke also von daher, dass Sie so einen Exoten wie mich heute zu Ihrem Bundeskongress eingeladen haben und Sie mir sogar die Möglichkeit geben, das Wort an Sie zu richten.

So unterschiedlich auch unsere Berufe und Berufungen sein mögen, so wurde mir in der Vorbereitung dieses Tages dann doch sehr deutlich, dass die Herausforderungen, vor denen Sie als Polizei stehen, zwar andere Konsequenzen erfordern als es in der Kirche der Fall ist, dass aber die Megatrends, auf die Antworten gefunden werden müssen, sehr ähnlich sind.

Was beispielsweise als Fachkräftemangel bei der Polizei ein Mangel an Einsatzkräften ist, muss man in der Kirche wohl unter dem Stichwort Priestermangel angehen, oder wir müssen jetzt sogar von einem Mangel an pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen; denn es geht nicht mehr nur um Priester, sondern auch um andere Berufe in der Kirche: Pastoral- und Gemeindereferenten und selbst Religionslehrerinnen und Religionslehrer fehlen uns, die wir – ähnlich wie Sie mit Blick auf Ihre Einsatzkräfte – brauchen, um zukunftsfähig zu werden.

Ich bin froh und dankbar, dass es uns immer noch gelingt, Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger, Polizeiseelsorgerinnen und Polizeiseelsorger zu stellen. Das wird auch für uns nicht einfacher, aber ich halte es für sehr wichtig und notwendig.

Der Polizeidienst in all seiner Komplexität – sei es bei Landes- oder Bundespolizei, sei es bei den Kriminalämtern auf Landes- oder Bundesebene oder sei es beim Verfassungsschutz – stellt ein Instrument des Staates dar, um für unser aller Sicherheit zu sorgen. Dafür kann man gar nicht genug Danke sagen. Das tue ich, ähnlich wie der Herr Bundespräsident, auch ausdrücklich an dieser Stelle. Weiß ich, wissen Sie hier im Raum, ob Sie ohne eine funktionierende Polizei heute hier wären, hier sicher angekommen oder überhaupt noch am Leben wären?

Dabei gilt, dass die Erwartungshaltung gegenüber den Sicherheitsorganen trotz der bestehenden Herausforderungen und Probleme enorm hoch ist, vielleicht sogar übermenschlich hoch. Um der Erwartungshaltung gerecht werden zu können, müssen aber genau diese Herausforderungen in den Blick genommen und angegangen werden.
Von diesen Herausforderungen möchte ich jetzt ein wenig sprechen und mit Ihnen darüber nachdenken und in einem ersten Punkt etwas über die Überbelastung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, in einem zweiten kleinen Punkt etwas zur Digitalisierung und Ausstattung und in einem dritten Punkt etwas über eine erhöhte Gewaltbereitschaft, gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen und terroristische Bedrohungslagen sagen.

Die Überschrift „Überlastung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ könnte sicherlich in mehreren Berufsfeldern als Herausforderung stehen. Im Polizeidienst markiert sie aber ein besonders zentrales Problem. Dies mag in den einschlägigen Krimiserien des deutschen Fernsehens noch unterhaltsam daherkommen, wenn al-leinstehende Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte rund um die Uhr erreichbar sind oder sogar aus dem Urlaub zurückgerufen werden können.

Zunehmend finden sich aber auch zur besten Sendezeit Beamtinnen und Beamte, deren Ehe bzw. deren Partnerschaft daran zerbricht, dass der Beruf immer an erster und Frau oder Mann oder Kind immer erst an der zweiten Stelle steht. Nur ist das leider alles andere als unterhaltsam; es ist traurige Realität vieler, die im Polizei-dienst tätig sind und permanent vor der Herausforderung stehen, einerseits für unser aller Sicherheit da zu sein und gleichzeitig der Familie und der Partnerschaft den Raum zu geben, den sie braucht.
Verschärft wird diese Vereinbarkeitsproblematik seit Jahren durch einen erheblichen Mangel an Einsatzkräften, gegen den auch die jüngste Einstellungsoffensive noch nicht die Trendwende gebracht hat. Die aus dem Mangel an Einsatzkräften resultierende Überlastung führt zu Burn-out in bedenklich hohem Ausmaß.

Bereits im Jahr 2013 wurde festgestellt, dass es einen klaren Trend zu einem Anstieg der Burn-out-Zusatzdiagnose gibt. Als Ursachen für diese beunruhigende Entwicklung wurden ebenfalls bereits damals benannt: häufig erlebte Aggressivität, persönliche Verletzungen und Beschimpfungen bei der Arbeit, Zeitdruck, Arbeitsdichte, sinnlose Tätigkeiten sowie mangelnde Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf Arbeitsausführung und -ergebnis. All das sei, so die Diagnose von Frau Prof. Dr. Fischbach von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, Spreng-stoff für die Entwicklung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, was sich zu Angststörungen, Depressionen oder eben auch Burn-out entwickeln kann.

Vergessen wir in der Auseinandersetzung nicht die andere Seite: die Sorge der Familienmitglieder um diejenige oder denjenigen, der im Einsatz ist und durchgehend einen weit gefährlicheren Beruf hat als andere. Der Stein, der einem vom Herzen fällt, wenn der Ehemann oder die Ehefrau vom Dienst oder von einem Einsatz wohl-behalten zurückkehrt, und der am nächsten Tag und in der Woche darauf und über Jahre immer wieder auf dem Herzen liegt – dieser Stein, er wiegt schwer. Nur vermeintlich sind neue Handlungsfelder von Kriminellen sicherer als herkömmliche Straftaten.

Damit komme ich zu einem zweiten Punkt, nämlich zu dem, was alles mit Digitalisierung und Ausstattung verbunden ist. Es gehört sicher zu den meistgebrauchten Worten der Gegenwart, das Wort „Digitalisierung“. Dabei ist es mir wichtig, festzuhalten, dass die Kulturrevolution, die mit der Digitalisierung einhergeht – anders als beispielsweise die in China –, sowohl Licht wie Schattenseiten birgt. Wir erfahren mithilfe des technischen Fortschritts Entlastung in nie gekanntem Ausmaß und gleichzeitig Beschleunigung, Verdichtung und – so leider die Prognose – den Verlust von Arbeitsplätzen überall dort, wo Automatisierung und Digitalisierung zum Zuge kommen können.

Auch die Kirche muss ihre Lektion in dieser Frage lernen. Zum einen werden wir, wie bereits im ausgehenden 20. Jahrhundert, als die industrielle Revolution das Zusammenleben, das Leben und Überleben der Menschen drastisch veränderte, auch bei dieser digitalen Revolution versuchen, sozialethische Bewertungen mit zu durchdenken und Optionen vorzustellen, wie mit den Veränderungen zum Wohle der Menschen umzugehen ist und wie unser Sozialstaat dann mit den damit verbundenen Herausforderungen umzugehen hat und darauf reagieren muss.

Die Gefahr, die droht, wenn wir nicht entsprechend der Arbeitswelt 4.0 einen Sozialstaat 4.0 entwickeln, ist die, dass noch mehr Menschen abgehängt werden, mit all den Folgeproblemen, die Abgehängtsein für jeden Einzelnen und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit sich bringt.

Die Kirchen werden aber auch in anderer Hinsicht lernen müssen, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Sagen wir es einmal so: Nachfolge ist out, aber Follower sind in. Was an Wertevermittlung, an Idolbildung und ebenso an Fake-News heutzutage online vonstattengeht, hat ein Ausmaß erreicht, bei dem die kritische Instanz verloren gegangen zu sein scheint.

Eigentlich ist diese kritische Instanz ja der eigene Verstand. Denn wie wir seit Immanuel Kant wissen:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung ei-nes anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ‚Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Wenn Immanuel Kant die Stimmungsmache in den sozialen Medien und den Kampf um Vormacht an Wahrheit bei Nachrichten gekannt hätte, hätte er wahrscheinlich gesagt: Habe Mut! Habe den Mut, deinen Facebook-Freunden zu widersprechen und News als Fakes zu entlarven, wenn sie nur dazu geeignet sind, Menschen gegeneinander aufzuhetzen oder sie ihrer Würde zu berauben.

Um ihrer Würde beraubt werden weltweit Frauen und Kinder, deren Körper im Darknet angeboten werden. Um ihrer Einkünfte beraubt werden Menschen, wenn ihre Passwörter geknackt und ihr Erspartes geraubt wird. Um Milliarden werden unser Staat und damit jeder und jede von uns betrogen, wo Menschen Steuern hinterziehen, die bei der Ausstattung von Schulen, der Bezahlung von Pflegekräften oder im Polizeidienst fehlen.

Die Möglichkeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren, kriminell zu werden, haben sich schneller digitalisiert, als es der Kriminalitätsbekämpfung möglich ist, diese Taten einzudämmen. Umso wichtiger wird es sein, die Ausstattung der Polizeien auf allen Ebenen permanent auf dem neuesten Stand zu halten und so der Kriminalitätsbekämpfung ebenso wie der Sicherheit von Beamtinnen und Beamten den Vorrang vor allen anderen Interessen zu geben.

Äußerst interessengeleitet ist die Diskussion, die sich dann am nächsten Punkt in jüngster Zeit verschärft entfacht. Es klingt leider so, als würde ich sagen: Früher war alles besser, und die Menschen hatten mehr Anstand. – Wer sich auskennt, weiß, dass dem nicht so ist. Vieles war früher sublimierter, anerzogener und fand im Verborgenen statt. Und um es in aller Offenheit zu sagen: Missbrauch gab es früher heimlich, für Opfer war nichts besser in vergangenen Zeiten.

Daher meine ich es nicht als Lob auf die gute alte Zeit, wenn ich feststelle, dass es eine allseits erhöhte Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft gibt. Fahren Sie einmal vier bis fünf Stunden auf einer Autobahn. Sehen Sie die Fahrerinnen und Fahrer in den anderen Autos dann auch noch als Menschen an, oder ist Ihr Level an Anstrengung und Gereiztheit bereits so hoch, dass Ihnen nur noch Schimpfwörter einfallen?

Gab es früher noch einen Sendeschluss, so können Menschen heute rund um die Uhr online sein oder mit Konsolen spielen, auf denen Spiele auf Leben und Tod normaler sind als ein gesundes Frühstück zum Start in einen geordneten Tag. Die Selbstverständlichkeit, mit der Gewaltvideos in unser Bewusstsein und vor allem in das von jungen Menschen sickern, ist besorgniserregend. Und für Polizeistreifen ist es fast schon Alltag: Kleinste Einsätze wie Ladendiebstähle oder Ruhestörungen können heutzutage jederzeit in Gewalt ausarten. Widerstand gegen die Staatsgewalt ist längst zum Dauerzustand in Deutschland geworden. Moderne Polizeiarbeit verlangt eine Menge an Toleranz, und zwar eher von Polizisten als von Bürgern.

Natürlich ist das auch eine angenehme Entwicklung. Heutzutage muss niemandem mehr der Schweiß ausbrechen, wenn er oder sie nach seinem bzw. ihrem Personalausweis gefragt wird. Und dass es einmal eine Zeit gab, in der die Polizisten hierzulande autoritär und herrisch aufgetreten sind, wissen bloß noch ältere Leute. Und so könnte alles gut sein, wenn sich auch alle an Regeln und Umgangsformen hielten.

Der Gewerkschaft der Polizei zufolge erleben aber im Durchschnitt 133 Beamtinnen und Beamte täglich Widerstand. Ich darf einen weiteren Bericht des SWR allein im Blick auf das Land Baden-Württemberg zitieren: Im Jahr 2016 wurden in 8.900 Fällen Polizeibeamte Opfer einer Straftat, darunter in 5.075 Fällen von Körperverletzung, versuchte und vollendete. 2.030 Polizisten wurden verletzt, 20 davon schwer. Vor allem operative Einheiten wie Streifendienstbeamte und Bereitschaftspolizisten sind davon betroffen.

Das sind – so empfinde ich es – für jemanden, der von draußen darauf schaut, erschütternde Zahlen und erschütternde Vorgänge. Diejenigen, die für Recht und Ordnung sorgen, kommen selbst unter die Räder. Das Fatale an der Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten und ebenso gegen Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter liegt über den einzelnen Angriff hinaus in der zerstörerischen Wirkung auf Gesellschaft. Es liegt in der Behauptung des „Ich mache, was ich will, und alle anderen interessieren mich nicht“. Diese Überzeugung hat sich ohnehin mehr als breitgemacht. Hier muss unser Gemeinwesen konsequent entgegentreten und die jeweiligen Einsatzkräfte auch so ausstatten, dass sie für Ordnung in einem umfassenden Sinne Sorge tragen können.

Nicht für Ordnung sorgen konnte die Polizei am Silvesterabend 2015 auf dem Bahnhofsvorplatz mitten in Köln. Ich hatte zum selben Zeitpunkt im Dom den Jahresabschlussgottesdienst zu feiern. Ich muss ehrlich sagen, wir haben innerhalb der Kathedrale von dem, was draußen passierte, gar nichts mitbekommen, außer dass ich mich geärgert hatte über den Lärm und die Böller. Ich dachte, die fangen immer früher an, jetzt schon um halb sieben. Das muss doch wirklich nicht sein. Schließlich geht es doch eigentlich erst um Mitternacht richtig los. – Erst am anderen Tag haben wir dann erfahren, was sich vor der Haustür unseres Domes ereignete.

Als sogenannte Silvesterübergriffe markiert dieser Abend sicherlich – Herr Bundespräsident Steinmeier hat es eben auch schon angedeutet – eine Zäsur im Sicherheitsgefühl unseres Landes und in der Wahrnehmung von jungen Männern mit Migrationshintergrund.

Im unmittelbaren Nachgang der Ereignisse habe ich mit anderen bekannten und bekennenden Kölnerinnen und Kölnern gemeinsam die sogenannte Kölner Botschaft unterzeichnet. Aus dieser entstammt auch der Titel meines heutigen Beitrags: Sicher, frei und offenen Blicks. – So sollen sich Menschen in unserem Land begegnen können – Frauen und Männer und Kinder, gleich welchen Alters, gleich welcher Religion, gleich welcher ethnischen Herkunft.

Heute, gut zweieinhalb Jahre später, ist es kein Tabu mehr, zu sagen, dass es leider unter einem Teil junger Migranten vor allem nordafrikanischer und arabischer Herkunft ein bedrückendes Frauenbild gibt. Wir schrieben damals – Zitat –: „Das dürfen, ja müssen wir benennen, wenn wir durchsetzen wollen, dass die Würde der Frau jederzeit und an jedem Ort unantastbar ist. Denn erst wenn wir die emotionalen, sozialen und kulturellen Ursachen der Gewalt kennen, werden wir sie auch überwinden können.“

Gleichzeitig war es uns bereits damals ein Anliegen, die Ereignisse der Silvesternacht und auch aller sich noch anschließenden Gewalttaten gegenüber Frauen, wie sie beispielsweise in Freiburg im Oktober 2016 und im Oktober 2018 geschehen sind, nicht zur Pauschalverurteilung gegenüber Menschen ausländischer Herkunft werden zu lassen.

Dazu schrieben wir damals: „Weil in der Silvesternacht zahlreiche junge Araber gegen Frauen brutal übergriffig geworden sind, wird öffentlich behauptet, der arabische oder muslimische Mann neige grundsätzlich zu sexueller Gewalt. Das ist nicht nur verkürzt, es ist falsch. Müssen wir darauf hinweisen, dass auch die Massenvergewaltigungen von Musliminnen im Bosnienkrieg nicht dem Christentum oder einer christlich geprägten Kultur angelastet werden dürfen? Es sollte genügen, an den langen, schmerzhaften Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und körperliche Unversehrtheit auch in Deutschland zu erinnern.“

Das für viele Menschen zur lebenswertesten Stadt Deutschlands zählende Freiburg war in den vergangenen zwei Jahren bereits zweimal Stätte von furchtbaren Verbrechen, bei denen einmal der Täter und ein weiteres Mal die Tatverdächtigen Migrationshintergrund haben. Darüber hinaus gibt es weitere Sexualstraftaten, bei denen ausländische Täter überrepräsentiert sind, verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Angaben aus der Polizeikriminalstatistik über die Nationalitäten der ausländischen Verdächtigen zeigen, dass der Anteil von Syrern, Afghanen und Irakern deutlich gestiegen ist. Das heißt: Die wachsende Zahl der ausländischen Tatverdächtigen hängt offenkundig mit der Zuwanderung seit 2015 zusammen.

Aber – und das ist ebenfalls wichtig festzuhalten – das BKA und alle Experten weisen darauf hin, dass ein Vergleich zwischen der Gruppe der Deutschen und der Gruppe der Nichtdeutschen generell nur bedingt möglich sei. Der Grund liegt in der unterschiedlichen Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur. So zählen zu der ausländischen Bevölkerung mehr junge Männer aus sozial schwachen Schichten; das ist eine Gruppe, die auch bei Bundesbürgern öfter kriminell wird als der Rest der Bevölkerung.

Zudem ist die Zahl der Ausländer insgesamt gewachsen: von 5,6 Millionen im Jahr 1990 auf 9,2 Millionen im Jahr 2016. Weiterhin werden in der entsprechenden Kriminalitätsstatistik auch Verdächtige erfasst, die nicht dauerhaft in Deutschland leben, wie beispielsweise Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, Touristen, Durchreisende, Besucher, Grenzpendler und Stationierungsstreitkräfte.

Die Organisation Terre des Femmes weist in diesem Kontext ausdrücklich darauf hin, dass es bereits vor 2015 solche Delikte gegeben habe. Häusliche und sexualisierte Gewalt sei ein Problem, welchem wir hier in Deutschland in allen gesellschaftlichen Gruppen begegnen, sagte Maja Wegener von Terre des Femmes. Es ist also kein importiertes Problem. „Pauschale Verurteilungen von sozialen Gruppen lehnen wir ab“, so Wegener weiter. Gleichzeitig entspreche es einer statistischen Tatsache, dass mehr junge geflüchtete Männer als Frauen bei uns Schutz suchen und dass diese aus sehr konservativ geprägten Ländern zu uns kommen.

Als Konsequenz aus der jüngsten Gruppenvergewaltigung in Freiburg Mitte Oktober forderte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, eine umfassende Sexualaufklärung von Flüchtlingen. Sie müssten noch in der Erstaufnahmeeinrichtung Wegweiserkurse über das Zusammenleben erhalten. Dazu gehöre auch, dass es für sexuellen Missbrauch und andere Gewalttaten null Toleranz gebe. Dass Für und Wider eines solchen Vorschlags müssen wir sicherlich breit gesellschaftlich diskutieren und dabei darauf setzen, dass eine solche Diskussion den Machismo auch einheimischer Provenienz verändern kann und soll.

Wir sehen: Verkürzungen und Pauschalverurteilungen werden der aktuellen Herausforderung ebenso wenig gerecht wie naives Gutmenschentun. Wir haben einen langen Weg des Lernens vor uns, wie wir miteinander leben wollen. Dabei möchte ich aber – fast zum Schluss – doch noch ein Plädoyer für die Gutmenschen halten. Damit meine ich nicht ein naives Gutmenschentun, sondern ein ehrliches, also eines, bei dem klar ist, dass es für alle besser ist, wenn wir den Mut haben, gut zu sein, gütig zu uns und zu anderen, großzügig und nicht berechnend, solidarisch und tolerant und da, wo es sein muss, konsequent, und zwar vor allem in der Durchsetzung des Rechtsstaats.

Aus Gewaltexzessen wie in der Silvesternacht in Köln oder bei der jüngsten mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung in Freiburg dürfen wir keine generellen ausländerfeindlichen Positionen ableiten. Ausländerfeindliche Einstellungen sind in Deutschland leider immer stärker verbreitet. Mittlerweile vertritt, wie eine Langzeitstudie der Universität Leipzig festgestellt hat, etwa jede dritte Deutsche entsprechende Positionen, was durchaus zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen führt. Bei solchen Einstellungen handelt es sich, so die Aussage der Forscher, um eine „Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus“. Dass dieser nie eine Lösung für Probleme sein kann, ist eine Lektion, die wir hier in Deutschland nur zu hart haben lernen müssen. Im Gegenteil: Extremismus verschärft gesellschaftliche Probleme, für uns alle und weltweit.

Auch Terrorismus ist eine Form von Extremismus. Terrorismus stellt unser Verständnis von Krieg und Frieden grundsätzlich auf den Kopf. Terror geschieht ohne ausdrückliche Kriegserklärung. Und ein Schutz vor ihm ist in einer offenen Gesellschaft nicht durchgehend möglich. Die Arbeit der Polizeien auf allen Ebenen hat sich durch die erhöhte Terrorgefahr weiter verdichtet.

Wenn in diesen Tagen die Weihnachtsmärkte eröffnet werden, dann ist die Erinnerung an das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz vom Dezember 2016 lebendig und die Angst vieler vor einer Wiederholung an anderer Stelle präsent. Die Polizei steht für die vielen Herausforderungen – und mit ihr wir als gesamte Gesellschaft.
Im Blick auf den Terror stehen wir vor der paradoxen Situation, dass für Terroristen überhaupt keine Regeln zu gelten scheinen, während Polizistinnen und Polizisten an Gesetze gebunden sind.

Diese Bindung an Gesetze, meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade auch in Bedrohungslagen durchzuhalten und an ihnen festzuhalten, ist der Gewinn unserer Gesellschaften und unseres Rechtsstaates und der Verlust des Terrorismus.
„Die Polizei, dein Freund und Helfer“ – ja, das ist sie. Aber um es zu bleiben, braucht auch sie Freunde und Helfer auf allen Ebenen.

Sie braucht es, um personell stark zu bleiben. Sie braucht es, um eine adäquate Ausstattung zu erhalten und zu behalten. Sie braucht es, um die permanente Auseinandersetzung um ethische und moralische Handlungsmaximen zu führen. Und sie braucht es, damit die Beamtinnen und Beamten heil aus ihren Einsätzen nach Hause kommen – heute, morgen und in Zukunft. Daran, meine Damen und Herren, hängt nämlich nicht nur deren Sicherheit, sondern die von uns allen. Es ist nämlich nie einfach nur die Polizei, sondern es ist unsere Polizei.

Unserer Polizei deshalb Danke für ihren Einsatz und für ihren Dienst und Ihnen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, für Ihre Aufmerksamkeit.
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