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Unfriedliche Demonstrationen

Alles schon mal da gewesen:
Gummigeschosse treffen nicht das Problem

"Zum Thema": GdP-Experte Wolfgang Dicke

Die Bilder gleichen sich auf schlimme Weise: ein Steinhagel geht auf Polizistinnen und Polizisten nieder, die sich kaum vor diesen Pfundschweren Wurfgeschossen wehren können. Es gibt zahlreiche Verletzte – die Wut, die Verbitterung darüber, dass man dem mehr oder minder wehrlos ausgeliefert ist, ist groß. So war es jetzt im Juni beim G8-Gipfel in Rostock, so war es schon vor dreißig Jahren, als der Demonstrationstourismus quer durch die damalige Bundesrepublik zog. Ebenso wie damals hätte man heute gerne ein Einsatzmittel, das einem die Steinewerfer vom Halse hält.

Die Erkenntnis eines damals jahrelangen Erprobungsprozesses ist ernüchternd: Gummigeschosse gleich welcher Art lösen nicht das Problem, schlimmer noch: sie bergen für den Anwender ein unkalkulierbares rechtliches Risiko.

Die älteren unter den Kollegen (Kolleginnen gab es damals bei der Bereitschaftspolizei noch nicht) kennen noch die Namen der Brennpunkte der damaligen Auseinandersetzungen zwischen 1974 und 1986: Whyl, Kalkar, Grohnde, Gorleben, Brokdorf, Startbahn West und schließlich Wackersdorf. Es ging – abgesehen von der Startbahn West in Frankfurt – um den Streit über die friedliche Nutzung der Kernenergie, der dann aber teilweise sehr unfriedlich geführt wurde, mit Steinen und Schleudern als „Argumenten“ – nicht zu vergessen die scharfen Schüsse, denen an der Startbahn West zwei Kollegen zum Opfer fielen.
 
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Diverse Gummigeschosse: - von Gummischrot (links im Vordergrund) über Gummiwuchtgeschoss (rechts Hintergrund) bis zu dem "Propeller", dem Flügelgeschoss.
 
Foto: Wolfgang Dicke
 
Angesichts hunderter von verletzten Kollegen war die Forderung nach einer geeigneten Distanzwaffe mehr als verständlich. Wobei eines heute nicht vergessen werden darf: die Hundertschaften waren damals weit weniger beweglich und eine Schutzausstattung, wenn überhaupt vorhanden, erst in den Anfängen. Und – anders als heute – stand noch die Sichtweise im Vordergrund, Gewalttäter auf Distanz zu halten, und nicht so sehr, diese festzunehmen. Erst im Laufe der Jahre wandelte sich die Einsatzphilosophie: Täter identifizieren und festnehmen, so wie es heute noch gilt. Das Auf-Distanz-Halten ist daher bestenfalls eine momentane taktische Maßnahme, bis der eigentliche polizeiliche Auftrag zur Festnahme wieder durchgeführt werden kann.

Und die GdP? Die war damals an der Spitze der Diskussion: „Der GdP geht es nicht um eine einzige Waffe allein, sondern um ein System, das geeignet ist, einerseits die Kollegen sicher zu schützen, andererseits das Gegenüber möglichst wenig in Anspruch zu nehmen.“ Nicht, dass die GdP sich vom Mitleid mit Gewalttätern hätte leiten lassen. Das Einerseits/Andererseits der Forderung war nichts anderes als der Respekt vor dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Verfassung.

Gefragt: die Technik
Danach war die Technik gefragt. Im Geschäft war somit die damalige Technische Kommission der Innenministerkonferenz und die Forschungsstelle für Polizeitechnik, Vorläufer des heutigen Polizeitechnischen Instituts der Deutschen Hochschule der Polizei (bislang Polizeiführungsakademie).

Worum ging es? Erwünscht war ein Geschoss, das einen Steinewerfer abwehren sollte, ohne ihn schwer zu verletzen oder gar zu töten. Also sollte ein Geschoss auf eine Distanz von ca. 30 bis 35 Metern den Angreifer treffen und von weiteren Steinwürfen abhalten.

Hier kommt die Physik ins Spiel: Für das Erreichen der Angriffsunfähigkeit ist eine ausreichende Energie im Ziel nötig, ohne dass jedoch das Geschoss in den Körper eindringen soll. Also muss die Auftrefffläche groß und das Projektil schwer, jedoch nicht zu schnell sein.

Damit ist das Problem beschrieben, das bis heute gilt:
  • Das Treffen des anvisierten Zieles wird zur Glücksache, wenn sich das Ziel bewegt (und welcher Steinewerfer bleibt schon unbeweglich stehen, um sich treffen zu lassen?)
  • Damit steigt die Gefahr, Unbeteiligte zu treffen

Hinzu kommt, dass Steinewerfer nicht nur quer zur Schussrichtung hin und her laufen, sie rennen auch auf die Polizei zu, um ihrerseits aus kürzerer Distanz besser treffen zu können. Unterhalb von ca. zehn Metern hat ein Gummiwuchtgeschoss wegen der relativ hohen Anfangsgeschwindigkeit unkalkulierbar schwere Verletzungen zur Folge, so dass die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes praktisch unmöglich wird.

Das rechtliche Risiko
Genau da wird es für den Anwender kritisch: trifft er den Falschen, also einen Unbeteiligten, macht er sich der Körperverletzung im Amt schuldig, ebenso dann, wenn der Einsatz unverhältnismäßig war. Und er landet vor Gericht – und nicht der Innenminister, der das Einsatzmittel genehmigt hat.

Dieses Risiko ist wahrlich nicht theoretischer Art: in den seltensten Fällen stand der Polizei zur damaligen Zeit eine homogene Menge von Straftätern gegenüber, gegen die allesamt der Einsatz von Gummigeschossen rechtlich zulässig gewesen wäre. In den allermeisten Fällen suchten die Steinewerfer die Nähe von mehr oder minder unbeteiligten Demonstranten, um in deren – ungewollten - Schutz zu agieren, weil sie genau um das Dilemma der Polizei wussten.

Die beschriebene Diskrepanz zwischen Wünschenswertem und Ungewolltem ließ weder die dienstliche Seite noch die Industrie ruhen, zumal die GdP immer wieder auf weitere Erprobungen drängte. Zum Mond konnte man fliegen, und dann sollte es für das polizeiliche Problem keine Lösung geben?

Alles Mögliche versucht
Die Firma Heckler&Koch baute ihre für militärische Zwecke konzipierte Granatwerferpistole zur „Mehrzweckpistole“ (MZP 1) um, damit auf der Basis von 40 mm Hülsen verschiedene Geschossarten erprobt werden konnten. Das Spektrum reichte von Gummiwuchtgechossen über Gummischrot (16 je 12 g schwere viertelkreisförmige Hartgummistücke) bis hin zu einem 180 g schweren „Flügelgeschoss“, das sich bei Verlassen des Rohres zu einem vierflügligen Propeller von 24 cm Durchmesser aufstellte. Zugleich wurden für dieselbe Hülse Reizstoffgeschosse (CN oder CS) entwickelt.

Die Zwischenberichte der Technischen Kommission waren nicht ermutigend. So hieß es 1981: „Gummischrotkörper, die ihre kinetische Energie an den Körper abgeben, sind in ihrer Wirkung unkalkulierbar. Diese hängt sehr stark von der getroffenen Körperpartie ab…Der Auftreffort von Gummischrotkörpern kann durch die Waffenstreuung (Streukreisdurchmesser der Schrote auf 25 m ca. 3 m) und durch die Bewegung der Störer nicht vorher bestimmt werden…“ Und auch zur praktischen Seite der Anwendung nahm die Technische Kommission im Herbst 1981 Stellung: „…ergibt sich, dass die mit den entsprechenden Waffen ausgerüsteten Beamten kein Schutzschild mit sich führen können. Der mit der Waffe ausgerüstete Beamte muss also in der vorderen Linie durch andere Beamte mit Schilden gegen Steinwürfe geschützt stehen und zwischen den Schilden hindurch die Waffe abfeuern. Beim Einsatz in der Bewegung ist der Beamte schwierig zu schützen. Ein Überschießen der Beamten verbietet sich aufgrund der Streuung der Waffe.“

Was der GdP-Bundeskongress 1982 dazu zu sagen hatte, klang daher ernüchternd: „Die Ausrüstung der Polizei mit Gummigeschossen und die Anwendung dieser Geschosse werden nach dem gegenwärtigen Stand der Technik abgelehnt.“

GdP dringt auf Grundlagenforschung
Die GdP blieb aber hartnäckig: weil sie sich mit den Ergebnissen nicht zufrieden geben wollte, forderte sie von der Innenministerkonferenz ein regelrechtes Forschungsprogramm „zur Entwicklung einer polizeitypischen Waffe“. Das hatte schließlich Erfolg: Im Juni 1984 beschloss die Innenministerkonferenz einen Forschungsauftrag zur „Entwicklung eines Wirkkörperwerfers“ einschließlich Munition. Der mit 2,3 Millionen DM dotierte Auftrag ging an die den Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm“ (MBB).

Was man dort entwickelte, wurde dann mit leichtem Spott als die „Cruise Missile der Polizei“ bezeichnet: Ein Abschussgerät für einen Wirkkörper, der über einen Eigenantrieb verfügt. Die Idee: ein solcher Eigenantrieb hält den Wirkkörper über die definierte Distanz auf praktisch gleicher Geschwindigkeit, also werden Über- bzw. Unterwirkung je nach Distanz vermieden. Die Sache hatte nur einen Haken: wenn jemand auf kurze Distanz getroffen wurde, brannte der Treibsatz des Wirkkörpers weiter…

Das Thema wurde schließlich 1991 zu den Akten gelegt. Die Innenministerkonferenz beschrieb in einem Beschluss noch einmal das technisch Unmögliche: „Polizeitypische Waffen…müssen in Deutschland – auch über größere Entfernungen – kalkulierbar sein und dürfen Unbeteiligte nicht gefährden; außerdem müssen sie sicher und leicht zu handhaben sein und eine Eskalation der Gewalt vermeiden.“

Die GdP schloss sich damals dieser Einsicht an: „Die Gesetze der Physik lassen sich weder durch Beschlüsse der Innenministerkonferenz noch solche eines Bundeskongresses verändern.“ Letzteres gilt übrigens unabhängig von der Berufsorganisation.

Wolfgang Dicke
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