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Ausführliches Interview mit GdP-Landesvorsitzenden Norbert Cioma in der Morgenpost

Foto: Morgenpost / David Heerde

Am 1. Mai demonstrierte der neue Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Cioma (50), gemeinsam mit mehreren Senatoren und Gewerkschaftern für "Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit". Auf einem Bild steht Cioma kämpferisch neben Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Im Interview mit der Berliner Morgenpost erklärt der Polizist Cioma, warum er Gewerkschaftsarbeit wichtig findet, was er nun vorhat und was er bei seinem ersten Arbeitstreffen mit der neuen Polizeipräsidentin besprechen wird.

Herr Cioma, Sie kommen aus dem operativen Geschäft. Warum wollen Sie sich die Gewerkschaftsarbeit mit all ihren Konflikten antun?

Norbert Cioma: Vor meiner Zeit als Kriminalpolizist habe ich Betriebsschlosser gelernt. Da war ich schon in der Gewerkschaft. Da habe ich diese Arbeit lieben gelernt. Wenn die Kolleginnen und Kollegen niemanden haben, der für sie spricht, dann haben sie gar keinen. Als Beamter im Dienst darf ich nach außen nicht frei sprechen. Hier darf ich mich frei äußern. Das ist unsere große Kraft. Gewerkschaften sind wichtig, weil sie die Interessen gegenüber der Politik vertreten. Sie sind das Sprachrohr der Kollegen.

Welche Ziele haben Sie?

Ich möchte, dass die Kollegen in der Gesellschaft besser respektiert werden und dass die Gewalttaten gegenüber der Polizei und Rettungskräften sinken. Das ist mir eine Herzensangelegenheit. Ein Anliegen ist mir auch, die Besoldung nahe des Bundesniveaus zu heben und die hohe Arbeitsbelastung zu reduzieren. Wir brauchen nicht nur mehr Personal, sondern auch eine stringente Aufgabenkritik.

Was heißt das?

Dass Aufgaben neu betrachtet werden und zum Beispiel die Ordnungsämter mehr in Verantwortung genommen werden, sie mehr Befugnisse bekommen und vielleicht selbst auch einen Schichtdienst einführen. Da bekommt man schneller Leute, als Polizisten ausgebildet sind. Das Ordnungsamt kann beispielsweise auch abschleppen lassen. Das muss nicht die Polizei tun.

Berlin hat eine neue Polizeipräsidentin. Sie hat erste Punkte, darunter die Digitalisierung der Behörde und die Rückkehr zur Bürgerpolizei im klassischen Sinne, vorgestellt. Was erwarten Sie von Barbara Slowik?

Wir reden hier von einer Polizei für den Bürger, die auch zu mehr Akzeptanz führten. Der Kontaktbereichsbeamte wurden unter dem Sparsenat ja abgeschafft, weil wir kein Personal mehr hatten. Wir haben ihn nur noch, weil die Abschnitte ihn wollen und unter größter Not Personal dafür freischaufelten. Wenn wir ihn wieder fest im Stellenplan hinterlegt haben, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung. Polizisten, die ihren Kiez und die Menschen kennen, haben eine ganz andere Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir treffen uns demnächst mit Frau Slowik, um unsere Positionen vorzutragen.

Was packen Sie auf den Tisch?

Ich werde mit Frau Slowik neben dem Wunsch nach einem effektiven Personalmanagement auch über Terrorismusbekämpfung sprechen. Ein ganz konkreter Punkt ist die Situation beim LKA 54. Uns als Gewerkschaft ist es wichtig, dass das zusätzliche Personal, welches jetzt kommen soll, vor Ort nicht in einer "Käfig-Haltung" arbeitet. Die Bedingungen sind nicht mehr normal. Es muss zeitnah Verbesserungen geben, nicht erst, wenn das neue Anti-Terror-Zentrum an der Ringbahnstraße eröffnet wird. Ob man das mit Containern macht, oder ob man in Tempelhof noch eine Etage freigibt, das ist egal. Aber eine Übergangslösung muss her. Ein weiteres großes Thema ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Das ist auch nicht nur ein LKA-Thema. Es zieht sich durch bis zu den Abschnitten und in den Kiez hinein. Hier brauchen wir eine andere Struktur und auch einen anderen Informationsaustausch zwischen den Abschnitten und dem LKA. Das muss schneller gehen. Informationen zu Personen hat oft nur das Einsatzlagezentrum, aber nicht die Besatzung eines Funkwagens. Das muss reibungsloser funktionieren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, sie gehen aufgrund polizeilicher Ermittlungen in ein Haus. In dem Haus wohnt eventuell ein bekannter Gefährder, um den es bei dem Einsatz aber nicht geht. Der sieht aber die Polizisten und denkt, dass es um ihn geht. Solche Situationen können leicht eskalieren. Die Polizisten vor Ort müssten also wissen, dass in dem Objekt ein Gefährder wohnt, um zumindest vorbereitet zu sein.

Vorbereitet war die Polizei hingegen auf den 1. Mai. Noch nie war es so friedlich. Wie bewertet die GdP den Verlauf?

Ja, der 1. Mai verlief friedlicher, aber nicht friedlich. Das professionelle, ausgewogene Einsatzkonzept der ausgestreckten Hand, zwischen Deeskalation und dem, wenn nötig, hartem Durchgreifen, führte von Jahr zu Jahr dazu, dass der 1. Mai immer friedlicher wurde. Wir stellen auch fest, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger friedlich feiern und die Polizei als ihre Polizei sehen. Das begrüße ich. Damit setzt die Gesellschaft Zeichen. Von einem friedlichen 1. Mai rede ich aber erst, wenn kein Polizist verletzt nach Hause geht. Gut zwei Dutzend verletzte Polizisten zeigen, dass es immer noch ein hohes Maß an Gewaltpotenzial gibt – Menschen, die mit Flaschen, Steinen und Böllern auf Menschen in Uniform, schlechthin gegen den Staat Straftaten begehen. Vergessen wir bitte nicht, dass die Straftaten auch etwas mit der Psyche, der Seele der Polizisten und ihrer Familien macht. Meine Kolleginnen und Kollegen nehmen die albtraumhaften Erlebnisse mit. Mit wem können sie darüber reden? Das führt zu Veränderungen, auch in der Familie. Daher müssen die menschenverachtenden Straftäter benannt und wenn nötig mit Strafen belehrt werden.

Hat man den Spaßprotest in Grunewald also unterschätzt?

War das ein Spaßprotest? Ich denke, viele Aufzugsteilnehmer hatten sehr ernst zu nehmende Anliegen. Anliegen, die auch Polizisten im Privaten betreffen, wie steigende Mieten und Lebenshaltungskosten. Es wird gern vergessen, dass wir Polizisten manchmal gleiche oder ähnliche Anliegen wie die Demonstranten haben. Aber unsere Aufgaben zum Zeitpunkt der Demonstrationen sind halt andere. Wir müssen das hohe Gut des Demonstrations- und Versammlungsrechts schützen. Ich denke, neu war die Strecke dieses Marsches, im Grunewald. Der überwiegende Teil der Aufzugsteilnehmer war friedlich. Beim Protest zeigte sich dann, dass sich Täter unter die Demonstrationsteilnehmer schlichen und ihre Straftaten begingen. Viele konnten von der Polizei identifiziert und festgenommen werden. Eine hervorragende Polizeiarbeit.

Wie viel mehr Polizisten braucht Berlin?

3000, stand jetzt. Das Problem ist, dass Berlin eine wachsende Stadt ist. Wenn ich jetzt sage, dass wir 3000 Polizisten brauchen, ist das der Stand heute. Nächstes Jahr sieht die Welt anders aus. Was ist, wenn Berlin mehr als vier Millionen Einwohner hat? Wenn ich weiß, dass in fünf Jahren 4,5 Millionen Menschen hier leben, dann muss ich meine Planungen anpassen und mit 4000 zusätzlichen Polizisten planen. Es geht um nachhaltiges Personalmanagement. Über alles wird sich ein Kopf gemacht. Wie soll die Stadt in zehn Jahren aussehen? Das Thema innere Sicherheit ist das Gerüst, bei dem man genau darüber rechtzeitig sprechen muss.

Was passiert, wenn die Polizei unterbesetzt ist, sieht man an kriminalitätsbelasteten Orten. Tut Berlin da genug? Reichen Mobile Wachen und Kontaktbereichsbeamte?

Das Konzept der mobilen Wache ist natürlich wichtig. Vor über zehn Jahren hatte man angefangen, Wachen zu schließen. Man hat Abschnittsgebiete vergrößert. Aus heutiger Sicht ist das Konzept richtig, weil wir vermutlich die geschlossenen Abschnitte nicht wieder zurückbekommen. Entscheidend wird aber sein, wie die mobilen Wachen aussehen, nur ein Infomobil wird kaum etwas bringen.

Sind Sie für mehr Videoüberwachung?

Ich bin für Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten, ja. Was mir allerdings fehlt, ist eine Aussage, was mit den Kameras passiert, wenn es kein kriminalitätsbelasteter Ort mehr ist. Und dann muss die Frage geklärt werden, wer die Kameras betreut und die Bilder auswertet. Mir persönlich sind mehr Polizisten auf der Straße wichtiger.

Mehr Polizisten führen zu einem höheren Verfolgungsdruck und mehr Ermittlungsverfahren. Berlin braucht also auch eine besser ausgestattete Justiz.

Wir brauchen nicht nur mehr Amts- und Staatsanwälte. Man könnte auch überlegen, ob es sinnvoll ist, einen Schichtdienst einzuführen. Das würde helfen, wenn auch nachts Richter und Staatsanwälte am Amtsgericht sitzen und schwere Fälle zeitnah verhandeln können. Schlussendlich müssen wir aber auch darüber reden, ob wir nicht mit mehr Spezialisierung auf bestimmte Bereiche und Deliktsfelder effektiver zusammenarbeiten können.

Es gibt ja aber durchaus Bereiche, in denen man auf mehr Effizienz setzt. Zum Beispiel beim Thema Taschendiebstahl. Dort hat die Polizei Amtsrichter eingeladen und ihre Arbeit erklärt. Die Verurteilungsquoten sind seitdem gestiegen.

Mir geht es bei der Debatte um noch etwas anderes: Wenn ich als Polizist auf der Straße ein Problem habe, rufe ich im Einsatzleitzentrum an. Manchmal wäre es aber besser, wenn ich direkt mit dem Staatsanwalt sprechen könnte. Es gibt ja auch verschiedene Rechtsansichten. Ich kann ihnen ein Beispiel aus meiner Sicht als ehemaliger Personenfahnder nennen. Der Justiziar sagte, wenn ihr einen Haftbefehl gegen einen Gesuchten habt, dann gilt die Durchsuchung nur für die Meldeanschrift. Sehe ich den Gesuchten aber im Nachbarhaus, dann ist das eine fremde Anschrift. Ich müsste also erst mal den Staatsanwalt kontaktieren und fragen, ob ich jetzt in die Nachbarwohnung darf. Ein leitender Staatsanwalt hat mir aber gesagt, dass ihm völlig egal ist, wo die Anschrift ist, weil der Haftbefehl für die Person gilt. Wenn Sie den beim Nachbarn herausgucken sehen, gehen Sie bitte in die Wohnung und nehmen den dort fest. Wir haben also zwei unterschiedliche Rechtsansichten. Da werden Polizisten leider oft alleingelassen. Da muss der Staat seiner Fürsorgepflicht nachkommen.

Auch die Tarifbeschäftigten der Polizei werden in der öffentlichen Debatte gern vergessen. Sie treten für eine Herabsetzung des Rentenalters ein.

Offiziell liegt das Renteneintrittsalter bei 67. Ich stelle mir vor, dass Tarifbeschäftigte spätestens mit 63 in Rente gehen können. Wenn ich Jahrzehnte im Objektschutz oder in einem Gewahrsam gearbeitet habe, bin ich durch und mürbe.

Zur Person:

Norbert Cioma Der Kriminalhauptkommissar ist 50 Jahre alt und kommt aus Berlin. Als gelernter Betriebsschlosser ist er seit dem Jahr 1993 bei der Berliner Polizei und seit Ende der 90er-Jahre beim Landeskriminalamt. Dort ist er seit 2004 im Personalrat und seit 1998 Mitglied in der Gewerkschaft der Polizei. Zu seinen Hobbys zählt Cioma Schwimmen, Radfahren, Campen und Meditieren. Der 50-Jährige ist außerdem ausgebildeter Fitness- und Gesundheitssporttrainer.
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