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Offener Brief eines Kollegen zur Neustrukturierung der Polizeiakademie

Unsere Polizeiakademie steht seit Monaten im Fokus öffentlicher und politischer Debatten. Nach dem Diskurs in mehreren Sitzungen des Innenausschuss entschied man sich zur Einsetzung eines externen Sonderermittlers, der sich vor Ort ein unvoreingenommes Bild von den Problemen und Strukturen machen soll. Wir haben den verantwortlichen Politikern unsere Sichtweise, die auf Basis eigener Erfahrungen und Schilderungen von Ausbildern und auch Auszubildenden basiert, bereits mehrfach dargestellt und werden auch weiterhin den Finger in die Wunde struktureller Unzulänglichkeiten legen. Heute aber möchten wir einem das Wort überlassen, der in Ruhleben direkt betroffen ist. Dieser offene Brief stammt von einem Kollegen, den wir zu seinem Schutz anonymisieren.

Die Ausführungen eines mir nicht bekannten Ausbilders über den Strukturverlust an der Polizeiakademie haben mich dazu veranlasst, meine Gedanken zu diesem Thema aus ganz persönlicher Perspektive niederzuschreiben. Als ich vor knapp zehn Jahren meine Tätigkeit an der LPS aufnahm, war die Ausbildung gerade wieder angelaufen. Im AB-Bereich gab es nicht mehr als fünf Lehrkräfte, die den gewachsenen Bedarf an Unterricht nicht abdecken konnten. So kam ich ins Spiel, denn ich befand mich zu dieser Zeit schon seit einigen Wochen im Stellenpool (ZeP) in einem äußerst angenehmen Übergangseinsatz, als ich gefragt wurde, ob ich als Lehrer an die LPS kommen wolle. Nach einer mehrwöchigen Einarbeitungsphase erhielt ich dann im Herbst 2008 eigenverantwortlichen Unterricht, der alle neueingestellten Auszubildenden umfasste, insgesamt vier reguläre und zwei LDA-Klassen, in den Fächern Deutsch und Geschichte. Für mich war die Polizeibehörde bis dato ein unbeschriebenes Blatt, von ihrem Innenleben hatte ich nicht die geringste Ahnung, war schnell angetan von einem hochmotivierten, engagierten Lehrpersonal und habe mich mit meiner Aufgabe schnell identifiziert. Bereits nach zwei Jahren konnte ich mit Staunen und Anerkennung feststellen, wie Fachausbilder aus jungen Menschen, die anfangs nicht recht in die Spur kommen wollten, mürrisch und wenig leistungsbereit auftraten, innerhalb dieses kurzen Zeitraums freundliche und kompetente Wesen zu formen vermochten. Mit der Zeit habe ich jedoch bemerkt, dass es auch Probleme gab, wurde zum ersten Mal stutzig, als ein LDA mir als Wiedereinsteiger in den Lehrberuf schon nach ein paar Monaten im Unterricht sagte: „Bei Ihnen merkt man ja, dass Sie eine Ausbildung haben.“ Und bereits nach ein, zwei Jahren registrierte ich, dass es schon recht häufige Wechsel im Lehrpersonal gegeben hatte und dies in der Folgezeit auch so blieb. Dies verhinderte die Ansammlung von Erfahrungen, was der Entwicklung einer Schule nicht förderlich sein kann.

Vor einigen Jahren wurde die Neustrukturierung der Landespolizeischule in Angriff genommen, die nach außen hin vor allem in der Änderung des Namens in Polizeiakademie und der direkten Unterstellung der Einrichtung unter den Polizeipräsidenten manifest wurde. Zumindest Teile des Lehrkörpers standen dem Reformprozess anfangs positiv gegenüber, doch hat sich in der Folgezeit immer stärker herauskristallisiert, dass die Belegschaft nicht mit auf den Weg genommen wurde und Änderungen, die in der Regel auf die Reduzierung des Personals hinausliefen, einfach auf dem Weg der Anordnung durchgesetzt wurden. Die Folgen für die gesamte Einrichtung sind bekannt. Die Stimmung unter den Lehrkräften befindet sich auf dem Tiefpunkt.

Die Strukturreform sollte den Wandel zu einer (nahezu) normalen Berufsschule einleiten. In diesem Zusammenhang wurde immer auf das morgendliche Antreten, die BU-Stunde sowie das Abtreten am Nachmittag verwiesen. Dies wurde als Beweis für den Reformbedarf und die angeblich militärische Prägung der Schule angeführt. Es ist richtig, dass Polizisten im Verband agieren müssen wie das Militär, und das muss vorher geübt werden. Aber das beherrscht nicht die Struktur der Schule. Der Wegfall des An- und Abtretens sowie der BU-Stunde ist eine reine Sparmaßnahme und hat mit Abschaffung des Militärischen überhaupt nichts zu tun. Tatsächlich ist das Militärische nämlich an der PA viel stärker geworden, als es zuvor an der LPS war, denn es manifestiert sich in der Hierarchie. Das Hierarchiedenken ist im Personal umso stärker verinnerlicht, je höher der Betreffende im Rang steht. Der im Zug der Neustrukturierung aufgebaute Stab ist der beste Beweis für die Dominanz des Militärischen an der PA.
Wenn die Organisation der PA als reine Rechenaufgabe begriffen wird, die es unter möglichst geringem Aufwand an Ressourcen zu lösen gilt, bleiben die pädagogischen Anforderungen und Notwendigkeiten auf der Strecke. Das beste Beispiel hierfür ist der AB-Bereich, der durch verspätete und mangelhafte Stellenbesetzung gnadenlos an die Wand gefahren wurde. AB-Lehrkräften wurden häufig an einzelnen Tagen 4 Blöcke Unterricht plus Förderunterricht aufgedrückt, mit der Vertröstung, dass dies eine vorübergehende Ausnahme sei, was übrigens auch nicht stimmte. Aber solche Belastungen sind nicht einmal übergangsweise hinzunehmen, sondern dies ist grundsätzlich unzumutbar, inakzeptabel und indiskutabel! Eine verantwortungsvolle Leitung einer Bildungseinrichtung, die ihre Aufgabe ernst nimmt, weiß aus eigener Erfahrung um die Belastung, der eine Lehrkraft unterliegt, und trifft solche Maßnahmen nicht. Daran muss sich auch die PA messen lassen. Die körperliche und geistige Beanspruchung eines Menschen, der vor einer Klasse steht, ist eine vollkommen andere als die eines Mitarbeiters, der eine acht- oder zehnstündige sitzende Bürotätigkeit ausübt oder sich in einem Polizeieinsatz auf der Straße befindet. Hinzu kommt die Umgestaltung des Faches Politische Bildung, das künftig durch AB-Lehrer unterrichtet werden soll, wogegen in der Sache nichts einzuwenden ist. Aber der Verzicht auf die bisher mit dieser Aufgabe befassten Polizeibeamten, die nur noch die Klassen im auslaufenden „alten System“ unterrichten und sich dann eine andere Aufgabe suchen sollen, ist eine krasse Fehlentscheidung, die es zu revidieren gilt. Diese Lehrkräfte haben sich über Jahre auf ihrem Fachgebiet fortgebildet – ob auf eigene oder öffentliche Kosten, ist mir unbekannt – und verfügen über einen riesigen Schatz an Erfahrung und Wissen, sie können außerdem als Polizisten ihren Klassen den Bezug zum polizeilichen Alltag verdeutlichen. Statt sie die neuen Lehrkräfte an ihre Aufgaben heranführen zu lassen, werden sie abgewickelt, eine ungeheuerliche Verschwendung polizeilicher Ressourcen. Ferner ist die kürzlich bekannt gegebene Wiederherstellung eines eigenen Fachbereichs Politische Bildung zu nennen, die die Frage aufwirft, wohin denn nun AB-Lehrer, die ja immer zwei Fächer haben, gehören, zum FB Allgemeinbildung oder zum FB Politische Bildung?

Das Grundproblem bei der PA ist der Spagat zwischen Pädagogik und Hierarchie, der nicht gelingt. Mit dem bekannten Gutachten einer Beratergemeinschaft wurde eine Wendung zur Pädagogik suggeriert. Auf der anderen Seite steht die Hierarchie, die für die Behörde unverzichtbar ist und deren Funktionieren den Auszubildenden vermittelt werden muss. Darin erschöpft sich meiner Ansicht nach aber nicht die Leitung einer Schule, zumindest nicht die einer „normalen“ Berufsschule, die ein vielgestaltiger „Organismus“ ist, der ein ganzheitliches Denken und Leiten erfordert. Das bedeutet, dass die Leitung nicht nur die Hierarchie verinnerlicht haben muss, woran kein Zweifel bestehen kann, sondern zugleich davon abstrahieren können muss. Dies ist meiner Ansicht nach nicht gegeben, was zu dem Eindruck führt, dass die PA nichts Halbes und nichts Ganzes ist, gewollt, aber nicht gekonnt. Zu diesem Ergebnis wird auch die Schulinspektion in ihrer anstehenden Untersuchung kommen müssen, wenn sie die Organisation des Stabes mit kritischen Augen betrachtet.

Dass eine Schule wie die PA niemals mit einer normalen Berufsschule gleichgesetzt werden kann und dass die Leitung einer Bildungseinrichtung nicht wie die Leitung eines Stabes, einer Mordkommission oder eines Polizeieinsatzes funktionieren kann, hat in der gesamten Polizeibehörde bisher niemand erkennen wollen. Kein Angehöriger des HD hat sich je die Frage gestellt, warum ein AB-Lehrer eine wissenschaftliche Ausbildung von ca. 5 Jahren und ein anschließendes Referendariat von knapp zwei Jahren absolviert haben muss, um diesen Beruf überhaupt ausüben zu können. (Aktuelle Ausnahmeregelungen aufgrund des Lehrermangels gehören hier ausgeklammert.) Dann benötigt der fertige AB-Lehrer noch mehrere Jahre Praxis, damit er für eine Funktionsstelle in Frage kommen kann. Die Verantwortlichen haben sich anscheinend nie gefragt, in welchem Verhältnis ihre eigenen Qualifikationen dazu stehen. Studium an der Fachhochschule für den gehobenen Dienst, Ratsanwärterlehrgang und ein Jahr Studium an der Hochschule der Polizei in Münster – das soll einen Angehörigen des HD, der pädagogische Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in einem ordentlichen Studium und Referendariat erworben hat, dazu befähigen, eine Schule zu leiten? Diese Geringschätzung der AB-Lehrer mit ihren Qualifikationen, über die kein Polizeirat verfügt, drückt nichts besser aus als die mittlerweile schon oft zitierte Betitelung der AB-Lehrer als „Goldstaub“ der PA. Mit Staub verbindet man gewöhnlich Schmutz, der unangenehm ist und den es wegzuwischen gilt. Man könnte ihn auch als Sinnbild für Überkommenes, Abzuschaffendes ansehen. „Gold“ suggeriert zwar einen hohen Wert, nur in Verbindung mit Staub ist dieser so gering, dass er kaum ins Gewicht fällt, denn man kann ihn mühelos wegpusten. Vor dem Hintergrund der Kürzung des Faches Deutsch, das bisher ohnehin lediglich die Hälfte der Unterrichtsstunden hatte, über die die Polizeirechtsfächer verfügen, auf künftig zwei Semester, klingt dies im Nachhinein wie eine mit entwaffnender Offenheit vorgetragene programmatische Absage an das Fach Deutsch, dessen Bedeutung von anderen in der Polizei zuvor immer deutlich hervorgehoben wurde: „Die Beherrschung der deutschen Sprache ist eine Schlüsselqualifikation für den Polizeiberuf. Denn für die mündliche wie schriftliche Kommunikation ist die Sprache das wichtigste Instrument. Das Nichtbeherrschen der deutschen Sprache ist deshalb nach wie vor ein K.O.-Kriterium.“ Dies hat die Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers in einem Rundbrief zur Berichterstattung der BZ vom 15. Dezember 2014 – es ging bereits damals um die Einstellung von Migranten und Migrantinnen – unmissverständlich klargestellt. Von den im Rahmen der „neuen Struktur“ erfolgten Änderungen im Fach Deutsch ist nicht zu erwarten, dass dies gewährleistet bleibt.
Ich für meinen Teil sah in den Reformvorstellungen anfangs ebenfalls positive Ansätze, wie zum Beispiel den erhöhten Praxisanteil, habe die Entwicklung dann aber immer mehr aus der Distanz verfolgt, weil ich aufgrund meines Alters für das „neue System“ erst gar nicht in Erwägung gezogen wurde. Meine Identifikation mit der Polizeibehörde ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Sie rührt daher, dass ich an der Ausbildung junger Menschen, die überwiegend mit großer Motivation und Leitungsbereitschaft in ihren künftigen Beruf einstiegen, mitwirken und ihre Entwicklung bis zur Prüfungszulassung mitgestalten durfte. Als Deutschlehrer rangiert man, wenn man seine Aufgabe ernst nimmt und Leistung einfordert, in der Beliebtheitsskala einer Klasse nicht gerade an der Spitze. Dass die meisten Auszubildenden nach zwei Jahren froh sind, der Mühle Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik entronnen zu sein, kann ich ihnen nicht übelnehmen. Über die Jahre habe ich es immer wieder erlebt, dass mir ein gestandener Polizist in der Kantine begegnete oder in mein Dienstzimmer kam und sagte: „Kennen Sie mich noch? Ich hatte früher bei Ihnen Deutsch.“ Mittlerweile fallen mir die Namen nicht oder erst später ein, meist weiß ich die Klasse noch zu sagen, aber bisher habe ich jeden meiner ehemaligen Auszubildenden wiedererkannt. Es bereitet mir eine Riesenfreude, denn sie kommen freiwillig, berichten mir, dass sie in ihrem Beruf Fuß gefasst haben und weitergekommen sind. Es sind diese Erfahrungen mit „meinen“ Polizisten, die ich auch häufig bei Großveranstaltungen im Einsatz sehe, manchmal kurz sprechen oder ihnen kurz zuwinken kann, die meine Motivation aufrechterhalten. Ich weiß, dass sie sich täglich draußen auf der Straße auch für mich einsetzen („Da für Dich“), ich habe Hochachtung vor ihrer Bereitschaft, sich in schwierige Situationen zu begeben und sie zu meistern, und ich bewundere sie dafür. Und heimlich bin ich auch ein bisschen stolz darauf, dass ich sie in Zusammenarbeit mit vielen anderen, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, mitformen durfte. Diese Erfahrungen richten mich immer wieder auf, ich sage mir stets, deshalb lohnt es sich, dabeizubleiben, wenn es darum geht, jeden Tag auf’s Neue den Weg nach Ruhleben anzutreten, mit wie viel Frust und Enttäuschung dies gerade in der aktuellen Situation auch verbunden sein mag.

Einer, der ständig und gern in Ruhleben ist

Der offene Brief als PDF
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