Zum Inhalt wechseln

Wenn Jugendliche grenzenlos werden

Ein Beitrag von Bernd Wübbeke.Er ist Priester und arbeitet als Landesdekan für Polizei-, Zoll- und Feuerwehrseelsorge in Niedersachsen. Vor einem Jahr erschießt ein 17jähriger ehemaliger Schüler an der Allbertville-Realschule in Winnenden acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Drei Polizisten verhindern noch mehr Opfer. Bereits 6 Minuten nach den ersten Schüssen stürmen sie die Schule. Der Täter schießt auf sie, aber sie treiben ihn in die Flucht, auf der er drei weitere Menschen tötet und sich dann selbst erschießt. Winnenden, Emsdetten, Erfurt – in diesen Städten kannten die Schüler, die Amok liefen, keine Grenzen mehr. Die grenzenlose Gewaltbereitschaft lässt viele ratlos zurück. In der Bibel heißt es: „Arglistig ohnegleichen ist das Herz und unverbesserlich. Wer kann es ergründen? Ich, der Herr erforsche das Herz … um jedem zu vergelten, wie es sein Verhalten verdient …“ Der Prophet Jeremia spricht eine deutliche Sprache. Es kommt also darauf an, alle Anstrengungen zu unternehmen, um ausufernde Gewaltbereitschaft zu verhindern. Wenn es aber zu einem Amoklauf kommt, wenn jemand rücksichtslos Gewalt ausübt, dann fällt es den Polizistinnen und Polizisten zu, schnell dem Täter Grenzen zu setzen um das Leben gefährdeter Menschen zu schützen. Das trainieren seit 2004 die Polizeibeamten in Niedersachsen immer wieder; zum ersten Mal in diesem Jahr auch die Polizeikommissar-anwärterinnen und –anwärter der Polizeiakademie. Jeder von ihnen weiß: „Kein anderer kann das im Moment, der Geisel oder den Geiseln das Leben retten.“ Es bleibt keine Zeit zu fragen: warum? Keine Zeit, ‚das Herz zu erforschen’. Du musst jetzt etwas tun! Als Polizeiseelsorger bin ich froh, dass in der Aus- und Fortbildung über Einsatztaktik und Training hinaus auch Zeit bleibt, die ethischen Fragen auszuloten: Wie kann ich an einer Schule den meist jungen Täter schnell genug von den unbeteiligten Schülern unterscheiden? Wie reagiere ich, wenn ich Verletzten gar nicht direkt helfen kann, weil ich zunächst den Täter in seinem aggressiven Bewegungsdrang stoppen muss? Welches Mittel ist angemessen, um das Leben der Geisel zu retten? Am Jahrestag von Winnenden bin ich den drei Polizisten dankbar für ihren entschlossenen und mutigen Einsatz. Sie haben Grenzen gesetzt. Im normalen Alltag sind Grenzen auch Chancen. Gerade die Erfahrung von Grenzen lässt mich spüren: es gibt mehr als mein Ich, meine Gruppe, mein Land, meine Kultur, meine Welt. Diese Erfahrung des „Mehrwertes“ jenseits meiner begrenzten Horizonte ist eine Chance und eine Herausforderung, der ich ohne Gewalt begegnen kann.
This link is for the Robots and should not be seen.