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Bildungsreise 2015

„Zurück mit einem ordentlichen Gepäck an Erinnerungen und einmaligen Geschichten…“ - ein Reisebericht von Jan Brüggemann

Erster Tag, 11. Oktober – Anflug & erste Kontakte mit Israel in Tel Aviv/Jaffa

Der erste Kontakt mit den meisten der Mitreisenden fand auf dem Flughafen Tegel in Berlin statt, da der eigentliche Abreiseflughafen BER aufgrund einiger Kleinigkeiten nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte. Von solchen Kleinigkeiten ließ man sich jedoch nicht aufhalten und absolvierte routiniert, gemeinsam mit dem sich doch ein wenig verspätenden Reiseveranstalter Sven Hüber den Check-in und machte sich auf zum Zwischenziel München. Einmal Deutschland durchquert, war der Katzensprung nach Israel schnell erledigt und jeder dieser Reisegruppe befolgte die Anweisung 15 Minuten vor Landung sitzen zu bleiben. Eine mitfliegende Person tat es nicht und wurde mit der vollen Wucht der israelischen Gastfreundschaft für eine längere Zeit am Flughafen empfangen. Beim

Anflug konnte die dichte Besiedelung des israelischen Kernlandes betrachtet werden und eine der doch zahlreichen Schutzmauern, denen wir im weiteren Verlauf der Reise des öfteren begegneten.
Die Einreise verlief abgesehen von einiger Wartezeit relativ unspektakulär und man konnte am Flughafen noch die ersten Schekel in Empfang nehmen, die nur darauf warteten, ausgegeben zu werden. So wurde man am Flughafen von Yalon Graeber, unserem Reiseleiter und wandelnden Lexikon, und dem stets gut gelaunten Straßenprofi Israels, unserem Busfahrer Deaib Ghadir, in Empfang genommen.
Die in Deutschland zurückgelassenen doch teilweise empfindlichen Temperaturen waren zudem gegen das angenehme mediterrane Klima ausgetauscht worden und fortwährend war meist weniger Bekleidung mehr, natürlich immer konform mit den jeweils zu beachtenden religiösen Vorgaben der Besuchsorte.

Ziel des Abends war das Ruth Daniel Residence Hotel in Jaffa, in dem ein opulentes Abendessen, eines von vielen weiteren, für uns vorbereitet wurde. Nach der alltäglichen Nach- bzw. Vorbesprechung des vergangenen bzw. morgigen Tages ging es dann auf einen Spaziergang durch das nächtliche Jaffa, eine der ältesten Städte des Nahes Ostens. Sehr attraktiv direkt am Meer gelegen – Vorsicht Gischt durch Brandungswellen 🙂 – wurde bei sehr angenehmen Temperaturen die wiederhergestellte Altstadt durchwandert, begleitet von Erklärungen von Sven und Yalon. Abgerundet wurde der Abend zumindest von einer kleinen Gruppe bei einem herrlichen israelischen Bier mit Maracuja-Note in einem der zahlreichen kleinen Straßenlokale in Jaffa.

 

Zweiter Tag, 12. Oktober: Einwanderung, Staatsgründung und ja, auch ein wenig Bauhaus-Stil

Die erste Nacht auf israelischem Boden hinter sich, wurde von den Organisatoren nach einem angenehmen Frühstück gleich aufgezeigt, dass die Reise eine Bildungsreise wird.
Eine der ersten Siedlungen, Kfar Shmarjahu, in der vor der Nazi-Diktatur geflüchtete jüdische Auswanderer aus Deutschland und Österreich auf das Leben in Israel vorbereitet und im Dorf sesshaft wurden, war erster Tagesordnungspunkt am ersten richtigen Programmtag unserer Reise.
Uns wurde durch zwei dort geborene, junggebliebene Einwohner dieser Siedlung fortgeschrittenen Alters, Dr. Gad Vollweiler und Rouven Dariel, das damalige Leben, das unter sehr einfachen Verhältnissen stattfand, anhand eines Vortrags und einer Führung in drei Gebäude, die im Originalzustand der 30er Jahre belassen wurden, aufgezeigt. Dafür, dass sich der Wortführer der beiden maximal 2 mal im Jahr der deutschen Sprache bedient, war das Gespräch mit ihm sehr angenehm und man konnte einen kleinen Teil des großen Rucksacks an Fragen, den man aus Deutschland mitgebracht hat, an den Mann bringen.
Anschließend bestieg man den stets sehr großzügig klimatisierten Bus, was bei teilweise über 35 Grad Außentemperatur und Sonnenschein eine Wohltat war, aber auch zum Ende der Reise hin zu dem einen oder anderen Ausfall aufgrund Triefnase oder ähnlicher Gebrechen führte.

Nächstes Ziel war der Besuch der Unabhängigkeitshalle, in der einige mutige, weitsichtige Staatsmänner am 14. Mai 1948 gegen vielstimmige Bedenken die 2000 jährige Zerstreuung und Staatenlosigkeit des jüdischen Volkes beendeten und zeitgleich einen Krieg auf Leben und Tod begannen.
Das Abspielen der Nationalhymne Israels brachte die Dramatik des Momentes der damaligen Situation anschaulich näher.
Vor dem Besuch war noch das Bedürfnis nach ausreichend Schekeln in den Geldbörsen befriedigt worden, die nach der Unabhängigkeitshalle in der Kantine der Universität von Tel Aviv preisgünstig untergebracht werden konnten.

Der geführte Besuch in Beth Hatefutsoth, dem Nahum Goldmann Diaspora Museum, veranschaulichte deutlich, dass das Gedenken an die Vergangenheit und das Erinnern einen zentralen Bestandteil der jüdischen Kultur ausmachen. Bei dieser Führung konnten auch endlich weitere Gepäckstücke aus dem überladenen Fragen-Rucksack aus Deutschland ausgeschüttet werden, z.B. warum wird ein Jude beschnitten, was soll eigentlich dieser Schabat und was sollen diese „lächerlichen“ Zöpfe bei den schwarztragenden Juden.
Das Problem bei all diesen „geklärten“ Fragen war nur, dass sich aus ihnen gleich mindestens zwei weitere Fragen ergaben, für die der Reiseveranstalter aber schon vorgesorgt hatte: es gab an Tag 1 nach der Ankunft am Flughafen Tel Aviv für jeden Reiseteilnehmen einen von der GdP gesponsorten Rucksack 😉 – auch für weitere Fragen…
Sven sollte mit seiner Ankündigung, wenn alles glatt liefe, würde man mit mehr Fragezeichen in die Heimat zurückkehren, als man vorher mitgebracht hatte, sowas von Recht behalten.
Im Anschluss wurden die Tiefen der „Bunkeranlagen“ der Universität erkundet bis man einen atombombensicheren Unterrichtsraum vorfand, in dem uns Professor Dr. Dani Jacobson, ein politisch eher

links einzuordnender Vertreter der Friedensbewegung in Israel, seine Sichtweise der tagesaktuellen vielfältigen Probleme der Gesellschaft und Politik Israels, Palästinas und weiterer Staaten darlegte.

Von den gedanklichen Anstrengungen des Tages stark angegriffen, fanden die Teilnehmer anschließend den Weg zum Bus, um mit einem gedanklichen Knoten im Kopf zum Hotel in Jaffa zurückkehren. Im Hotel traf man, wie an so ziemlich jedem Touristenhotspot oder auch anderen Hotels, auf deutsche Touristen. Für mich war es angenehm zu sehen, dass es sehr viele Landsleute gibt, die sich für das Thema Israel interessieren.

Jene, die den Hals nicht voll genug kriegten, legten nach dem reichhaltigen Abendessen und der Nachbesprechung dieses und Vorbesprechung des nächsten Tages noch einen Halbmarathon an der Strandpromenade hin, um nach Erreichen der versprochenen Lokalität, die NICHT direkt am Strand lag, doch noch 3 Kilometer zurückzulaufen und in einer der diversen, tiefstgemütlichen Strandbars einzuchecken, um das ein oder andere Maccabi-Bier zu verhaften.

 

Dritter Tag, 13. Oktober 2015: Back to the roots & Peeling für Fortgeschrittene

Der neue Tag begann, wie so oft, viel zu früh. Die erste Station des heutigen Tages zeigte den über die Jahrhunderte in allen Facetten zu findenden jüdischen Erfindungsreichtum und Überlebenswillen, die Munitionsfabrik der Palmach (Miliz, die vor der Staatsgründung existierte), heute eine Gedenkstätte der Palmach.
Unterhalb einer Wäscherei in dem Ausbildungs-Kibbuz Rehovot, direkt neben einem Militärcamp der damaligen Besatzungsmacht, den Briten, gelegen, hatten mit Weitsicht Juden eine unterirdische Munitionsfabrik angelegt, ohne die die Existenz des heutigen israelischen Staates überhaupt nicht möglich wäre.
In Akkord-Arbeit stellten die im wahrsten Sinne des Wortes „Untergrundkämpfer“ der Palmach mehrere 100.000 Schuss Munition her, die im Sieg über die arabischen Armeen im Unabhängigkeitskrieg ihre Verwendung fanden.
Die Maschinen wurden an der Nase der Briten vorbei aus Polen nach Israel geschmuggelt. Vorher fanden sie Verwendung in Polen zur Herstellung von Munition, die gegen die Nazis eingesetzt wurde.
Anschließend verließ die Reisegruppe das Strandparadies bzw. die Feiermeile Tel Aviv und wandte sich der Vergangenheit zu.

Die Fahrt führte über Stock und Stein, oder eher Düne und Düne durch die Judäische Wüste vorbei an wilden Dromedaren zur Bergfestung des Herodes, nach Massada. Hier wurde die Römerrampe, einer von jüdischen Sklaven aufgeschütteten Schuttrampe, hinauf zu einem Schauplatz eines Massenselbstmordes erklommen.
Jüdische Fanatiker hatten gegen die Römerherrschaft im Heiligen Land rebelliert und die Römer zunächst aus aus vielen Orten im Land vertrieben. David gegen Goliath funktionierte jedoch nur einmal und als letztes Widerstandsnest wurde Massada nach fast einjähriger Belagerung durch eine ganze römische Legion eingenommen. Von den 2000 belagerten überlebten jedoch nur ca. 4 Personen, die sich vor dem Massenselbstmord versteckten.
Beeindruckend, aber auch schauerlich die Vorstellung, kollektiv in den Selbstmord zu gehen. Die Zeit insgesamt auf der Bergfestung Massada war ein wenig zu kurz bemessen, wurde jedoch umgehend von dem grandiosen Mittagessen im Crown Plaza Hotel mit anschließendem Bad im Toten Meer entschädigt.
Ein Bad, dass jemand, der es nicht erlebt, hat, nicht nachempfinden kann. Nach dem Bad fühlt man sich

runderneuert und die Heilkräfte, die dem Toten Meer zugesprochen werden, haben auf jeden Fall gewirkt.
Der Tag wurde mit der Fahrt ins Kibbuz Almog, in der judäischen Wüste gelegen, abgerundet. In Sichtweite zur ältesten Stadt der Welt, Jericho, wurde der Abend mit Kartenkunde abrundet, bevor für einige Bewohner eine mückengeplagte Nacht begann, da die Biester anscheinend eine Immunität gegen elektrische Insektenfallen entwickelt hatten.

 

Vierter Tag, 14. Oktober: Besuch der palästinensischen Polizei & Qumran mit sehr alten Schriften

An Tag vier wurde dem Verfasser dieses Berichts besonders eines klar. Es bestand keine Hoffnung, dass die allmorgendliche „Klatscheinlage“ zu jüdischer Musik, Hava Nagila, eine Eintagsfliege waren. Voller Enthusiasmus vertrieb die erste Reihe im Reisebus sämtliche Müdigkeit und klatschte sich voller Begeisterung eine gefühlte halbe Stunde die Hände wund. Alle, die die Reise noch machen werden, werden erfahren, was ich hiermit meine. Allein jetzt in dem Moment, wo ich diese Passage des Berichts schreibe, habe ich schon wieder diesen Ohrwurm, der einen, gefühlt, die halbe Bildungsreise über im Ohr hing.

Auf jeden Fall wurde die zentrale Ausbildungsstätte der palästinensischen Polizei besucht und drei Beamer als Gastgeschenke der GdP für die palästinensische Polizeiausbildung übergeben. Voller Stolz wurde uns im Anschluss die nach deutschem Vorbild erbaute Übungs-Polizeiwache vorgestellt, die baugleich in jeder palästinensischen Stadt errichtet werden soll.
Auch wenn aus Polizeisicht ein weiter Unterschied zu deutschem oder auch zu später erfahrenem israelischen Standard der Polizeiarbeit und -ausbildung herrscht, war zu merken, dass die Palästinenser willens und auch fähig sind, ihren Erfahrungsschatz zu erweitern und von uns zu lernen und zu profitieren.

Die nächste Station führte in Begleitung des Leiters der palästinensischen Ausbildungsstätte mittels „Gondelflug“, den der eine oder andere sich wohl lieber gespart hätte, oder Axel?, zu einem griechisch-orthodoxen Bergkloster auf dem Berg der Versuchung, das kein muslimischer Palästinenser betreten darf. Ja mit der Toleranz haben es die Religiösen in Israel nicht so.
Auf jeden Fall wurde die gesamte Reisegruppe in einem Beispiel von überwältigender Gastfreundschaft vom Leiter der palästinensischen Ausbildungsstätte zum Mittagessen in luftiger Höhe eingeladen. Allgemein muss man festhalten, dass ein kulinarischer Höhepunkt den nächsten jagte und man bis auf wenige Ausnahmen tief zufrieden und pappsatt die meisten Mittag- oder auch Abendessen verließ.
Im Bergkloster konnte man einen Fußabdruck Jesu und den Ort der Versuchung Jesu durch den Teufel besuchen. Allerdings ist es auch als überzeugter Christ schwer vorstellbar, dass Jesus in so einem Loch an die 40 Tage betete und fastete. Ich sage nur Deckenhöhe, wenn überhaupt 1 Meter, eventuell 2 m² Platz und kein Abzug. Aber wie es so oft heißt, man muss glauben und wenn das nicht hilft, dann steht es halt so geschrieben…

Den historischen Höhepunkt des Tages erreichte man in Qumran, dem Ort, an dem ein Hirtenjunge einen der bedeutendsten Funde der Menschheit machte, indem er in einigen Höhlen die ältesten bekannten Thora-Rollen und weitere sehr weit zurückreichende Dokumente fand. Reiseleiter Sven schickte die Gruppe auf weiblichen Wunsch nach Mitbringseln dann noch in einem seiner Höhepunkte der Reise, einen der offiziellen Shops von Ahava-Produkten, Beautyprodukten, die aus dem Toten Meer stammen. Kein Wunder bei seinem jugendlichen Aussehen und Vitalität.
Nachdem einige Souvenirs und viele Schekel den Besitzer wechselten, wurde Israel einmal zur Hälfte durchquert und man erreichte den Höhepunkt in der Kategorie Unterbringung, den Kibbuz Nofey Gonen.
Center Parcs kann im Vergleich auf jeden Fall einpacken, wobei ich hoffe, dass alle Reiseteilnehmer so begeistert wie ich waren. Whirlpool in jedem Haus, 1A Klimatechnik, hochwertige Gesamtausstattung jedes Hauses und mal gar keine Plagegeister, bis auf ein paar Pfauen und die obligatorischen und allgegenwärtigen Katzen. Das Essen war jedoch guter Standard, was allerdings auch dem Eindruck der sonstigen klasse Gerichte geschuldet sein kann.

 

Fünfter Tag, 15. Oktober: Auf Tuchfühlung mit der Hisbollah & Kreuzrittern

Nach kurzer Nacht wie immer ging es zu einem Besuch einer Polizeistation, an der eine Sondereinheit zur Bekämpfung des Drogenschmuggels an der israelisch-libanesischen Grenze stationiert ist. Nach einer kurzen Einweisung ging es samt dem Leiter der Einheit zur Besichtigung der Grenze zum Libanon.
Bei strahlendem Sonnenschein fand sich auch Zeit für ein Gruppenfoto in Delegationskleidung. Fraglich ist, ob es die Kleidung, die Größe der Gruppe oder auch die Humvees der israelischen Armee waren, die uns die breite Aufmerksamkeit auf der libanesischen Seite bescherte. Jedenfalls begann bei der Besichtigung eines Denkmals direkt am Grenzzaun einige Aktivität jenseits der Grenze und es wurden u.a. aus einem Baum fleißig Fotos von uns geschossen. Ein Truppenpanzer der UN zwischen den Hisbollahhelfern wirkte somit auch wie Deko in den Observationsanstrengungen der Libanesen. Wie durch einen Zufall fuhren aber auch zwei mit Maschinengewehren bestückte Militärhumvees der Israelis in der Zeit unseres Besuches an der Grenze Patrouille. Unsere Gastgeber von der israelischen Polizei jedenfalls waren, was unsere Sicherheit und Obhut anbelangt, immer auf der Höhe.
Weiter ging es in einer malerischen Fahrt quer durch den Norden Israels in einem Zeitsprung hinein in die Zeit der Kreuzfahrer und militärischen Anstrengungen und Wirrungen der Christenheit das Heilige Land „zu befreien“.

Akko, die alte Kreuzfahrerstadt, die zu Zeiten Jesu wesentlich mehr Einwohner zählte als zu heutigen Tagen, war das Zwischenziel des Tages. Man kann mit Fug und Recht behaupten, hier den Hauch der Geschichte zu spüren. Die Stadt hat, anders als viele andere Städte, den etwas heruntergekommenen, aber authentischen Charme ihres Alters bewahrt.
Los ging es mit einer ansprechenden lustigen Einführung von animierten Ross und Reiter in einem Videofilm, die die Geschichte der Stadt erklärten. Anschließend wurde fußläufig der Stadtkern durchquert. Eine meiner persönlichen Highlights war die Durchquerung des Templertunnels, der, erst wenige Jahre bekannt, einmal unterhalb der Stadt hin zum ehemaligen Hafen führt. Der in Teilen nur 1 m hohe Fluchttunnel war als geheime Fluchtroute angelegt worden, um einen Rückzug der im Mittelalter stark bedrängten Templer zum Hafen zu sichern.
Vorbei an angelnden arabischen Jugendlichen erlebte man kurz vor Abfahrt einen wunderbaren Sonnenuntergang oberhalb der historischen Stadtmauern Akko’s.
Doch das war nicht das Ende des Tages, der eigentliche Höhepunkt jagte, wie so oft, den vorherigen.

Es ging zu Deiab’s Familie und Heimat, dem Beduinendorf Bir el Maksur beim Stamm der Arab al-Hujerait. Es ist übrigens ein fast 10.000-Seelen-Dorf voller „Müllers“ oder „Fischers“, da sämtliche Bewohner denselben Nachnamen tragen, Hujeirat oder Ghadir. Dieser kleine Beduinenstamm hat sich mit dem israelischen Staat arrangiert und sich aus den Dauerfehden der anderen Araber herausgehalten, was ihnen ein ruhiges Leben innerhalb des israelischen Staates ermöglichte. Die soziale und wirtschaftliche Situation ist trotzdem bescheiden – auf einer Skala 1 – 10 rangiert man bei ca. 3.
Das ansehnlich an einem Berghang gelegene Dorf, eher ist es eine kleine Stadt, wurde in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erreicht und man wurde schon sehnlich erwartet.
Ein gesamter Vorplatz eines Hauses war festlich eingedeckt und Deiab’s Familie bot sämtliche Künste ihrer Küche auf, die definitiv keinen Platz mehr im Hosenbund ließen. Ablehnen war keine Alternative, stattdessen Knopf auf und rein mit der nächsten Portion. Die Kinder wurden derweil mit importierten deutschen Süßigkeiten überhäuft und es so waren überall strahlende Gesichter zu erkennen.
Nach dem fulminanten Mahl bat der Gastgeber in sein Haus und servierte musikalisch mit einer Art Stampfer zubereiteten Mokka und anschließend Kuchen und Beduinentee. Nach einem nächtlichen Besuch der nahegelegenen Moschee ging es mit vollem Kopf und vollem Magen nach diversen Verabschiedungen gen Kibbuz Nofey Gonen, wo der Tag zumindest für meine Wenigkeit mit einem gepflegten Schaumbad im Whirlpool beendet wurde.

 

Sechster  Tag, 16. Oktober: Aug in Aug mit Syrien, Weinprobe, Drusen und ein wirklich einmaliges Museum

Und täglich grüßt…? In unserem Fall der Pfau! Jeden Morgen fand sich in wechselnder Besetzung ein morgendliches Federviehkommando vor meinen Haus ein.
Nach dem Frühstück brachen wir auf zu einem sehr abwechslungsreichen Tag entlang der israelischen Grenze zu Syrien und Libanon.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden gegenseitigen Massenmordes in Syrien fuhr man mit einem flauen Gefühl im Magen in Richtung des Berges Ben Tal auf die Golan-Höhen. Dabei wurde man von Yalon über die Geschichte des israelischen Top-Spions Eli Cohen unterhalten, der – angeblich – einen syrischen General überzeugte, aufgrund von Wassermangel auf den Golan-Höhen neben jedem Militärstützpunkt des damals syrisch besetzen und heute international immer noch syrischen Golan Eukalyptusbäume zu pflanzen… Was für eine Erleichterung im 6-Tage-Krieg! Eine weitere, reale Anekdote ist der Hinweis, dass große Teile der Golan-Höhen immer noch vermint sind und deshalb gelegentlich Viehherden als Minensucher über den Golan getrieben werden. Das arme Rindvieh!
Angekommen auf dem Berg Ben Tal eröffnete sich ein weitreichender Blick auf die Ebene, in der Neu- und Alt- (weil zerstört, heute unter Kontrolle syrischer Rebellen) Kuneitra (syr. Al-Qunaiṭira) nah beieinander liegen. Wir stehen an der Waffenstillstnadslinie zwischen Israel und Syrien mit einer entmilitarisierten Pufferzone, die eigentlich von UN-Blauhelmen überwacht wird. Gefechtslärm aus Syrien und vereinzelte Artillerieschüsse sind wegen der Schallverhältnisse auf der Hochebene auch aus sehr weiter Entfernung noch zu hören. Es ist irgendwie unwirklich, als beim Blick in das Tal erklärt wird, dass dies einmal eines der erlesensten Weinanbaugebiete war. Auf dem Berg treffen wir noch auf zwei UN-Blauhelmsoldaten, die beliebtestes Fotomotiv werden und erklären, dass sie beobachten sollen, aber näher als diese 2 km können sie gerade nicht heran an den Kriegsschauplatz. Unterhalb des Berges wird tatsächlich auf israelischer Seite noch Landwirtschaft betrieben, was wieder einmal verdeutlicht, wie klein dieses Land ist, in dem jeder Fleck noch genutzt wird. Manche genießen noch einen Coffee Annan im gleichnamigen Cafe, erkunden den nicht erleuchteten, weitläufigen Bunker oder erfreuen sich an den Kunstskulpturen, die aus Kriegsschrott überall auf dem Berg erstellt und ausgestellt wurden.

Mit einem Sack voll unwiederbringlicher Erfahrungen geht es weiter, immer in der Nähe zur syrischen Grenze, zum Kibbuz El Rom, wo uns die Geschichte des Jom-Kippur-Krieges 1973 in einem anschaulichen Kinofilm in einem urigen Kinosaal näher gebracht wird und es mal wieder Zeit zum Souvenir-Shoppen gibt.
Ein kleiner Zwischenstopp in der Weinkellerei der Familie Alfasi mit dem Probieren mehrerer exzellenter „Odem-Mountain“-Weine vom vulkanischen Boden des Golan zeigt uns, wie alltäglich und friedvoll das Leben auch an diesem Ort sein kann.

Die Golan-Höhen-Expedition führt weiter zum größtenteils Siedlungsgebiet der Drusen und zwar syrischer Drusen, die als syrische Staatsbürger jedoch auf israelisch annektiertem Gebiet leben und sich damit in einem Dilemma befinden, da sie sich als Syrer betrachten, jedoch in Israel leben müssen. Vielleicht deshalb haben sie sich einen Vulkankrater voll schweflischer Ausdünstungen am nördlichen Zipfel Israels als Siedlungsgebiet ausgesucht. Es gab mit Blick auf den Kratersee drusische Spezialitäten und die Möglichkeit, drusische Erzeugnisse von den Bauern zu erwerben. Ich bin immer noch der Meinung, dass mich die Verkäuferin übers Ohr gehauen hat, aber schmecken tut sie jedenfalls, die drusische Spezialkräutermischung.

Anschließend geht es nun zum wirklich nördlichsten Ort Israels, dem Kibbuz Misgav Am, nahe Metula. Hier gibt es mehrere Dinge, die nachhaltig beeindruckend wirkten. Einmal angekommen, hat man einen wunderbaren Weitblick über das Grenztal, das jedoch von dem allgegenwärtigen und notwendigen Grenzzaun durchzogen ist. Auf der anderen Seite sieht man nicht nur die libanesischen Nachbarn, sondern auch die Stellungen der Hisbollah, der libanesischen Armee und der UN-Blauhelme. Weiterhin befinden sich auf dem Berg riesige Radioanlagen, denen man glaubt, dass sie bis in Bashar al Assad’s Schlafzimmer hören können. In einem nahezu nur aus Fenstern bestehenden Raum mit Blick auf den Libanon und den Berg Hermon bekommen wir von Josef Abbas die Geschichte und Gegenwart des Kibbuz, aber auch die Tragödie des Attentats der PLO auf das Kinder- und Säuglingshaus des Kibbuz wenige Jahre zuvor nahegebracht und lernen gleichzeitig, dass es trotz allem so etwas wie eine Nachbarschaft der Bewohner der beiden Länder gab und hoffentlich wieder geben wird.
Nach einem Fototermin mit auf dem Kibbuz stationierter Soldaten durchqueren wir den Kibbuz und finden uns am Ende an einem ganz besonderen Ort wieder, dem wohl größten Flaschenöffnermuseum der Welt. Da wir nicht unvorbereitet erschienen sind, fallen (gefühlt) Weihnachten und Ostern sowie alle jüdischen, christlichen und vielleicht auch muslimischen Feiertage für den Inhaber des Museums auf einen Tag, als wir ihm unsere mitgebrachten Flaschenöffner schenken. Sowohl seine Reaktion, als auch die Vielfalt des Museums waren pure Freude.

An diesem Tag hatten wir nach der Rückkehr nach Nofey Gonen tatsächlich ein wenig Freizeit.
Es war Freitag – der Shabbat beginnt. In vielen Gemeinden beginnt er am Freitag 18 Minuten vor dem astronomischen Zeitpunkt des Sonnenuntergangs und endet etwa 45 Minuten nach dem nächsten Sonnenuntergang am Samstagabend. Besonders gutes Essen wird serviert, traditionell kommt die Familie zusammen. Dieser Abend wurde von den Organisatoren auch dazu genutzt, unsere beiden Geburtstagskinder mit einer total koscheren Torte am Shabbat-Abend zu überraschen. Die Aufregung einiger anderer jüdischen Gäste, ob die Torte denn nun wirklich und definitiv koscher sei, kann ich immer noch nicht ganz nachvollziehen. Es ging wohl darum, dass nach dem Kashrut, den jüdischen religiösen Speisevorschriften, Milchiges und Fleischiges nicht zusammen verspeist und deshalb auch nicht zusammen offeriert werden darf. Hatten die Torten nun etwa milchhaltige Creme oder hoffentlich doch nur die erlaubte Ersatzcreme drin? Eine für einige wichtige Frage, denn das Abendessen war köstlich fleischig…
Dies war einer der wenigen Tage, an denen man sich – zumindest theoretisch – eine gehörige Portion Augenpflege, wie Sven es immer so schön nannte, genehmigen könnte, wenn man sich nicht doch noch bis in die Nacht zum Gespräch bei Bier oder Wein versammelt hätte. Shabbat Shalom!

 

Siebenter Tag , 17. Oktober: Jesus und seinen Jüngern auf der Spur und Einzug in die heilige Stadt

An diesem Tag heißt es Abschied nehmen vom wahrlich Toplevel-Kibbuz, schön wars. Es war Shabat geworden, der Tag des Ruhens und an dem unter Anderem kein Funken Feuer erzeugt werden darf, ein Gedanke, der mich immer noch schmunzeln lässt.
Eine längere Busfahrt gen Süden hinab an den imposanten See Genezareth, an dem sich eine biblische Geschichte an die nächste reiht. Biblisch war auch das Tagesprogramm, doch dazu komme ich jetzt. Das Wetter meinte es wie eigentlich die gesamte Reise über sehr gut mit uns, was den Vormittag zu einer angenehmen und auch nachdenklichen Angelegenheit machte, da auf dem Berg der Seligpreisung mit einer Lesung der Bergpredigt und der Teilnahme an einem Abendmahl (am Morgen 🙂 ) doch ein tiefes religiöses Empfinden möglich machte.

Die Sonne schien und schien und es ging daran, auch die Leiden Jesu nachzuempfinden. Bei knallendem Sonnenschein ging es bergab, nun wirklich auf den Spuren Jesu hinab nach Tabgha zur Brotvermehrungskirche. Diese war trotz eines relativ kurz zurückliegenden Brandanschlags zum Großteil geöffnet und nur der Auftakt eines von der Religion geprägten Tages. Besonders schmackhaft und jedem zu empfehlen sind die Granatapfelstände, an denen frisch gepresster Saft angeboten wird, gesund und sehr schmackhaft, am besten mit einem Schuss Orangensaft, wie Sven fachkundig beisteuerte.

Fußläufig ging es weiter zur benachbarten Primatskirche, der wichtigsten Kirche des katholischen Glaubens. Wenn man die Kirche sieht, denkt man eher an eine Kapelle, jedoch wird an dieser Stelle symbolisch an den Auftrag Jesu an Petrus gedacht, den christlichen Glauben zu verbreiten, indem Jesus ihm einen Schlüssel übergab. Wie oft diese Kapelle wohl in den Petersdom passt, hat sich vielleicht neben mir der eine oder andere gedacht:) Ein schönes Erlebnis war zudem noch ein Chorgesang, der just bei unserem Besuch einsetzte. Landschaftlich schön direkt am Ufer des See Genezareth gelegen, kamen jedoch auch die weniger religiös Interessierten ihre Kosten. Anschließend konnten nach einigen Stunden Sonne wenige Minuten in unserem klimatisierten Bus verbracht werden, denn es ging ins nahegelegene Kapernaum, der Stadt, in der Jesus die meiste Zeit seines Lebens verbrachte und in der Simon Petrus gewohnt hat. Den Bus musste man aber auch erst einmal finden, denn im Laufe des Tages trudelten immer mehr Busladungen an motivierter Touristen ein und der ein oder andere Bus sah unserem zum Verwechseln ähnlich, sodass man bei den begrenzten Parkmöglichkeiten erst einmal Deaib und sein Arbeitsgerät suchen musste.

Von einem „Haufen toter Steine“ bis zu einer der bedeutendsten historischen Ausgrabungsstätten – so waren wohl die unterschiedlichsten Empfindungen aller Teilnehmer beim Anblick der sehr gut erhaltenen und großflächig zugänglich gemachten historischen Stadt. So ist das Haus von Simon Petrus, der in Lebensgröße auch in einer Bronzestatue dargestellt wird, und eine Synagoge, ähnlich der, in der Jesus als Rabbi die Lehren des Judentums predigte, zu sehen. Bei den mittlerweile doch eher tropischen Temperaturen, dem Dauerfeuer an Eindrücken und dem knalligen Sonnenschein war aber auch bald alles gesehen in Kapernaum und über ein erfrischendes Eis für den ein oder anderen ging es zurück in den Bus und gen Jerusalem.

Mit knurrendem Magen sollte dies jedoch nicht angetreten werden. Es wurde, da am Shabbat kein jüdisches Restaurant geöffnet hatte und nicht viel Auswahl bestand, ein arabisches Großraumrestaurant, aufgesucht. Der Plastikstuhlcharme wurde aber schon bald durch die Qualität des Essens wettgemacht und auch der Weitblick auf den See Genezareth und den großen Strand boten ein angenehmes Flair.

Was wäre eine Bildungsreise ohne ausreichende Tagesordnungspunkte? Langweilig, kann ja jeder 🙂 Es war noch genügend Raum für einen Stopp an der Taufstelle Jesu in Jardenit im ältesten Kibbuz Israels, Degania, wo der Jordan den See Genezareth verlässt. Zwar von eher touristischem Charakter, hatten die Massentaufen und das Beobachten so einiger tiefstreligiöser Empfindungen nach der Taufe auch etwas für sich. Besonders schön war auch die kostenlose Hornhautbehandlung in der Flachwasserzone der Taufstelle, da dort Batallione an Putzerfischen jeden neuen Besucher zu beglücken versuchten. Selbst abgefüllt, mit oder ohne Putzerfisch, oder gefiltert im unausweichlichen Souveniershop gekauft, wurde dann mit Wasser aus dem Jordan der Bus bestiegen und endgültig die Eroberung der heiligen Stadt angestrebt.

Dort angekommen wartete erst einmal eine knifflige Aufgabe für Deaib, den Bus durch die doch sparsam geplanten Gassen der Jerusalemer Innenstadt zu steuern. Dies meisterte er wie immer routiniert. Im Jerusalem Tower Hotel, dass sich durch eine ausgezeichnet zentrale Lage auszeichnet, wurde Quartier bezogen und nach einem schnellen Abendessen schnell weitergezogen, da der letzte offizielle Termin anstand. Die Night Spectacular Show in der Davids Burg, die Teil der historischen Stadtmauer Jerusalems ist.
Der Weg dorthin führte durch eine sehr chic gestaltete Einkaufspassage, in der von Sven vor seinem persönlichen Mekka, dem Ahava-Beaty-Shop, Fotomodell gestanden wurde. Hier konnte die traditionelle Kleidung eines orthodoxen Juden mit Wurzeln aus Osteuropa live und in Farbe betrachtet werden, bei der einem beim Ansehen schon der Schweiß ausbricht.
Die Lasershow beeindruckte wirklich nachhaltig in der sehr weitläufigen Davidsburg mit der bildgewaltig erzählten Geschichte Jerusalems, dass bis in die heutige Zeit Zankapfel verschiedenster Religionen und Völker geblieben ist. Auch die unrechtmäßig angefertigten Bilder waren es definitiv wert.

Auf dem Rückweg wurde dann auch nochmal einiges geboten, als man unverhofft kurz vor unserem Hotel in eine Demonstration für die israelisch-palästinensische Freundschaft mit benachbarter Gegendemonstration der orthodoxen Juden und der Siedlerbewegung geriet. Trotz aufgeheizter Stimmung blieb alles ruhig und von einigen Unbeugsamen unserer Gruppe wurde der Jerusalemer Kiez eine Straßenecke weiter unsicher gemacht. Bei einem gepflegten Bier/Wein und am Ende aufgrund eines Kommunikationsproblems ganzen Flasche Tequila wurde noch Yalons Geburtstag gefeiert, wobei sich die Feier bis ins Hotelzimmer zog und dort ihren angemessenen Ausklang fand.

 

Achter Tag, 18 Oktober: Die hohe Kunst der israelischen Polizeischule & die Tiefen der Jerusalemer Geschichte

Die Rumtreiber ein wenig verkatert, insgesamt aber so hochmotiviert wie alle „Ausgeschlafenen“, ging es am nächsten Morgen mit dem Bus auf eine Fahrt zum polizeilichen Höhepunkt der Reise. In der erst Anfang 2015 fertiggestellten und eröffneten israelischen Polizeiakademie in Beth Shemesh wurde ein eigens für unsere Reisegruppe maßgeschneidertes und umfangreicher als „normale“ Besichtigungstouren umfassendes Programm geboten, das so ziemlich jedem Polizeibeamten die Augen leuchten ließ.

Die Einleitung geschah tagesaktuell mit einer Erläuterung des Präsidenten der Polizeiakademie zu einer Messerattacke, die so sinnbildlich sind für das derzeit als gescheitert zu betrachtende Verhältnis von Israelis und Palästinensern. Um derartige Attacken und die tragischen Folgen zu vermeiden, wurde anschließend in praktischen Vorführungen an den einzelnen Ausbildungsstätten eindrucksvoll dargestellt, wie die neue Generation an Polizeibeamten für ihre schwierige und lebensbedrohliche Aufgabe geschult wird.
Angefangen wurde mit einer Selbstverteidigungsausbildung, was vom Ausbildungsgrad her noch am ehesten deutschen Maßstäben entsprach.
Es folgte ein lasergestütztes Schießkino, in dem das reine Schießtraining mit lasergeführten Waffen, aber auch Videosequenzen des täglichen Dienstes trainiert werden kann. Dabei reagieren die Personen in dem „Film“ auf die jeweiligen Anweisungen des Polizisten vor der Leinwand. Derart realistisch üben zu können, würde ich jedem Polizisten wünschen.

Die Geräuschkulisse vor dem Schießkino gleich neben einem unglaublich weitläufigen Trainingsareal entsprach gefühlt einem Kriegsschauplatz, da sich ständig Detonationen mit Gewehrsalven abwechselten. Mit „Mickymäusen“ (Gehörschutz) auf dem Kopf auf einer von mehreren ca. 1000 Meter langen Schießanlage, auf der unter anderem mit Dienstwagen trainiert werden kann, durfte dann auch jeder(!) aus der Gruppe ran und seine Magazine beim Schießen mit der israelischen Polizeipistole „Jericho“ leeren. Für einige das erste Mal, eine solche Waffe zu bedienen, und bestimmt ein einmaliges Erlebnis.
Nicht genug der Sonderbehandlung wurden anschließend im akademieeigenen „Übungsdorf“ (Einkaufszentrum, Gerichtsgebäude, etc. alles vorhanden) zwei eigens für uns erstellte Übungsszenarien vorgeführt. Applaus nochmal für den Opa mit dem Krückstock, schauspielerisch ‚ne glatte Eins.
Die Polizeiakademie umfasst neben den obligatorischen Verwaltungs- und Ausbildungsgebäuden noch ein eigenes Schwimmbad, ein eigenes Sportstadion, Tennisplätze und die Unterkünfte sämtlicher Auszubildenden.
Nach einem wirklich eindrucksvollen Programm wurden wir vom Leiter der Polizeiakademie verabschiedet und ein letztes Mal fleißig Polizeiabzeichen ausgetauscht.
Ein intensiver Austausch der deutschen mit der israelischen Polizei ist nicht nur wegen der Qualität der Ausbildung in Israel wünschenswert, sondern auch wegen der Möglichkeiten, die sich deutschen Polizisten, ob nun Sondereinheiten oder anderen Kollegen, dort geboten werden könnte. Angebote zum Austausch und gegenseitigen Kooperationen wurden ausreichend angesprochen und in Aussicht gestellt.

Anschließend ging es an die Rückreise zum Hotel nach Jerusalem mit einem kleinen Abstecher an Yad Vashem, einem morgigen Tagesziel, vorbei zu einem der schönsten Aussichtspunkte von Jerusalem. Mit einem Blick waren sämtliche wichtigen Kirchen und die Altstadt von Jerusalem zu erfassen und zudem noch weite Teile des sonstigen Jerusalem. Leider auch weite Teile grauer Mauern, mit denen die Palästinensergebiete aufgrund anhaltender Terrorattacken abgegrenzt werden. Yalon verdeutlichte die verschiedenen Bauabschnitte des Tempelberges, der aus der Ferne relativ klein aussieht und doch so weitreichende Wirkungen ausübt. Wie der Zufall es so wollte, ich glaube immer noch nicht wirklich an einen Zufall :), befand sich die GSG9 der Bundespolizei und die Bundespolizei-Fliegergruppe zu einer gemeinsamen Übung mit der israelischen Polizei ebenfalls in Jerusalem und das nicht einfach so, sondern in luftiger Höhe. Zwei Bundespolizei-Helikopter kreisten über unserem fantastischen Weitblick über der heiligen Stadt und absolvierten laut dem jederzeit bestinformierten Sven Übungen mit israelischen Spezialkräften.

Ein weiterer Abstecher führte zur Knesset, dem israelischen Parlament, dass jedoch nur von außen besichtigt wurde. Irgendwelche wichtigen Personen mit ihren „Man in Black“-Bodyguards durften natürlich auch nicht fehlen. Während der Abstecher bekam man auch die Gelegenheit, völkerrechtlich illegale Siedlungen der Israelis bei Jerusalem zu sehen. Diese sind nicht nur moderne Bausünden und so gar nicht Bauhausstil, nein, sie umschließen den arabischen Teil, Ost-Jerusalem, wie in einem Würgegriff. Reinster politischer Sprengstoff…

Im Hotel angekommen, wurde leider ein Besuch arabischer Christen in Beith Jala aufgrund der kritischen Sicherheitslage abgesagt, von einem Besuch des arabischen Teils der Altstadt mit der ganzen Gruppe wurde dringend abgeraten. Somit ging es an dem Abend nicht nach Beith Jala, sondern direkt zur Klagemauer. Wobei direkt auch relativ ist, denn in den verwinkelten Gassen des jahrhundertealten Jerusalems muss man sich erstens auskennen und zweitens zurechtfinden. Die Klagemauer im Blick ging es jedoch erst einmal unter die Erde, mit Kippa-Pflicht, da wir uns in die Nähe des Heiligsten aller Heiligen näherten, dem Ort des Tempels der Juden. Ausgrabungen führten entlang der verschiedenen, über die Jahrhunderte entstandenen Bauabschnitte der Mauer des Tempelberges (an dem so ziemlich jeder, der in Jerusalem herrschte seinen Anteil haben wollte), bis man sich diverse Meter unter der normalen Höhe auf einer Ebene mit den Pfeilern, Straßenpflaster und Steinen zu Zeiten Jesu befand. Die doch eher beklemmenden Zustände in den engen Gängen hinderten trotzdem nicht das Gefühl, sich an einem Ort weitreichender historischer Begebenheiten zu befinden. Die tiefe Religiösität wurde auch nicht erst an der Klagemauer direkt gezeigt, unter Erde gibt es den Ort, der dem Heiligsten allen Heiligen am nächsten sein soll, an dem bei unserem Besuch eine Frau mehrere Tage am Stück betete.

Wieder auf Normalniveau war es dann daran, seinen Zettel selbst in die Klagemauer zu stecken und zwischen Rabbis und anderen rezitierenden gläubigen und die Klagemauer küssenden Juden ein Gefühl für gelebten Glauben zu bekommen. Ein Wunder, dass die Steine bei so viel Hingabe in den Jahrhunderten nicht noch viel abgenutzter erscheinen.
Den Abend ließen einige Unverdrossene bei einem kühlen Blonden ausklingen, um so wohl gestärkt die Augenpflege für den letzten Programmtag anzutreten.

 

Neunter Tag, 19. Oktober:  Yad Vashem und ein unbekanntes Gefühl: freie Gestaltung eine halben Tages

Am letzten Tag unserer Reise kam es dann noch zu einer Premiere. Es wurde die Hälfte des Tages zur freien Verfügung angedroht. Nach dem durchgeplanten Programm, bei dem es Schlag auf Schlag ging, ein ganz neues Gefühl. Um es nicht falsch zu verstehen, die Planung der Reise war eine Meisterleistung. Zum einen, weil man niemals in der Zeit der Reise derart viele spannende und einmalige Ausflugsziele selbst organisieren könnte und zu anderen, da man sich umsorgt fühlte, alle Sicherheitsbedenken wurden erörtert und bedacht und da bei Ausfall eines Tagesziels mindestens zwei Ersatzziele schon zur Verfügung standen.
So auch am 19. Oktober, als es die Sicherheitslage nicht zuließ, nach Bethlehem zu reisen und man stattdessen die Reise nach Yad Vashem, zum zentralen Gedenkort der Shoah (hebräisch für Holocaust) zeitlich vorzog. Auf dem Weg nach Yad Vashem wurde eine der vielen Mauern zu den palästinensischen Gebieten besichtigt und auf einem Hügel im heutigen Jerusalemer Stadtteil Gilo, der weil erst nach 1967 errichtet, trotzdem als „Siedlung“ zählt, ein Blick auf die dahinterliegenden arabischen Wohngebiete geworfen. Auf die hinter unserem Ausblicksort gelegenen (illegalen) Siedlungshäuser wurden in der Vergangenheit zahlreiche Angriffe unternommen worden. Vor dem Bau der Schutzmauer waren zudem Angreifer und Attentäter ungehindert in die jüdischen Siedlungen und Gewerbegebiete eingedrungen. Ein beklemmendes Gefühl, an diesem Ort zu stehen.

Nach Ankunft in Yad Vashem, was sehr schön gelegen auf dem Herzl-Berg im Außenbereich Jerusalems ist, wurden wir mit Audioguides bewaffnet in das Ausstellungsgebäude entlassen, um eigenständig die Teile des schwärzesten Puzzles deutscher Geschichte zu ergänzen, die eventuell noch nicht vorhanden waren. Die Ausstellung ist sehr umfangreich und beinhaltet sehr viele Informationen, die man als mündiger deutscher Bürger bereits weiß, ist jedoch gespickt mit Einzelschicksalen und Detailinformationen, mit denen man sich stundenlang beschäftigen könnte. Ungehindert die Ausstellung genießen ist jedoch auch eher die Ausnahme, wenn man in fünf Minuten erst von der litauischen Präsidentin bzw. ihren Beschützern in Anzügen unsanft beiseite gedrängt wird und anschließend vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier dem gleichen Prozedere unterzogen wird. Yad Vashem ist halt Bestandteil einer jeden Israelreise, die etwas auf sich hält, und das sicher auch zurecht, denn es ist unverzichtbar auch die jüdische Art des Gedenkens verinnerlicht zu haben.
Neben der sehr umfangreichen Ausstellung gibt es auf dem Gelände genügend Gedenk- und Informationsmöglichkeiten für mindestens zwei volle Tage. Da wir nur den Vormittag geplant hatten, wurde von uns anschließend eine Gedenk- und Schweigehalle (Kippapflicht) betreten, in der die Namen aller Konzentrationslager in deutsch und hebräisch aufgeführt waren. Unter den jeweiligen Steinen wurde die Asche von den Ermordeten beerdigt.
Weiter ging es über einen kleinen Spaziergang über das weitläufige Gelände zu dem Gedenkhaus für die 1,5 Millionen ermordeten Kinder in der Zeit der Herrschaft der Nazis. Im Inneren reflektieren unzählige Spiegel Darstellungen von Kerzenflämmchen, die eine Art Sternenhimmel erzeugen und es läuft einem nicht nur eine Gänsehaut den Rücken herunter, wenn nacheinander die bekanntgewordenen Namen und das Alter der ermordeten Kinder erklingt.
Die Allee der Gerechten unter den Völkern, in der für alle Personen, die verfolgten jüdischen Personen auf alle erdenkliche Weise selbstlios Unterstützung zukamen lassen, ein Baum gepflanzt wurde, bildete den Abschluss des leider viel zu kurzen Besuchs der Gedenkstätte. Auf eine gewisse Art erfreulich waren auch die zahlreichen deutschen Namen an den Bäumen für deutsche Personen, die jüdische Personen retteten, allen voran der wohl bekannteste, Oskar Schindler.

Zurück ging es zum Hotel, wo von nun an der Freizeitteil des Tages anstand, den die meisten für einen ausgedehnten Besuch der Altstadt nutzten, um ein letztes Mal den Hauch der Geschichte in sich aufzunehmen. Ich hatte das große Glück, mit Sven einen guten Freund von ihm, den 89-jährigen Bernhard Hornung, zu treffen, der die Shoah (Holocaust) als einziger seiner Familie überlebte. Er ist in der Stadt Ausschwitz geboren, dem Ort, der sinnbildlich für die Vernichtung der europäischen Juden steht, und überlebte zahlreiche KZ`s bis zu seiner Befreiung in Bergen-Belsen. Er kam anschließend als „Displaced Person“ nach München, von wo er im Zuge des Unabhängigkeitskrieges nach Israel auswanderte und den Staat Israel mit der Waffe in der Hand mitgründete. Zwecks eines Studiums als Entschädigung für die Leiden der Konzentrationslager erreichte der mittlerweile 32-jährige Hornung bei den deutschen Behörden, dass ihm diese ein nachgeholtes Abitur ermöglichten, an das er ein Medizinstudium und einen Doktortitel anschloss. Seinen Lebensabend verbringt er in Jerusalem gemeinsam mit seiner Frau und pflegt seine besondere Beziehung zu Sven, der es ermöglichte, die sterblichen Überreste des Vaters von Bernhard Hornung gemeinsam mit den Überresten von 322 weiteren in einem KZ in Görlitz ermordeten Personen einer dem jüdischen Glauben angemessenen Gedenk- und Grabstätte zuzuführen. Die geistige Frische und Weltgewandheit von Bernhard wurde deutlich, als er bei Verlassen meine Bitte für ein gemeinsames Foto mit der Forderung nach einem Selfie beantwortet. Ein wirklich sehr prägender Besuch, für den ich dir sehr dankbar bin, Sven.

Für den Abschluss des Tages boten unsere Organisatoren dann wieder einen besonderen Gast auf und zwar den in Göttingen geborenen und in Berlin aufgewachsenen Arye Sharuz Shalicar, Sohn iranischer Juden, seines Zeichens heute Presseoffizier der israelischen Armee. Sein bewegtes Leben umfasst neben allgegenwärtigem Hass, den er in seiner Jugendzeit in Berlin-Wedding, einem stark muslimisch geprägtem Stadtteil, erlebte, das Abdriften in die Kriminalität unter dem Schutz einer kurdisch-libanesischen Großfamilie und eine angehende Karriere als Hip-Hop-Rapper. Eindrucksvoll und so intensiv, dass das als Abschluss gedachte Gespräch mit anschließenden Fragen die Einhaltung unseres Abendessens stark gefährdete, schilderte er seinen Weg heraus aus der Kriminalität und hin zur Emigration nach Israel bis zu seinem jetzigen Posten bei der Armee. Über zahlreiche Fragen zu dem aktuellen Konflikt auf dem Weg zu einer neuen Intifada, den Fragen zur Zusammenarbeit der Geheimdienste der Nahost-Staaten (O-Ton: „Natürlich gibt es Kontakt zu denen, auch wenn wir Krieg gegeneinander führen“) und diversen weiteren Punkten, die Arye in seiner sehr erfrischenden Art beantwortete, war auch dieses Treffen viel zu schnell vorbei und es gab ein letztes gemeinsames Abendessen, nachdem Arye sein Buch mit dem einprägsamen Titel „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ ganz uneigennützig vorgestellt hatte. Vor dem Abendessen fand noch das Abschlussgespräch der Reisegruppe statt, in dem Lob und Kritik für das einmalige, jedoch sehr anstrengende Programm gedankt wurde. Als Erinnerung an diese Reise wurde jeder Teilnehmer mit einer GdP-Kippa ausgestattet.

Nach dem nun letzten Gesprächen im Essenssaal verabschiedeten sich nach und nach alle Teilnehmer für wenige Stunden für zum letzten Mal Augenpflege auf heiligem Boden.

Zehnter Tag, 20. Oktober: Mit großem Erinnerungsgepäck nach Hause

Zu wahrlich unchristlicher Zeit wurden dann ein letztes Mal mit Deaib die Pferde gesattelt und der Bus gen Flughafen Tel Aviv bestiegen, von wo aus es in das heimatliche Deutschland ging. Nach der Verabschiedung von Yalon und Deaib wurde der Flieger Richtung München gechartert, wo man sich von den Reisenden mit Wohnsitz südlichstes Deutschland verabschiedete. Einige wenige hatten in Frankfurt/Main dann ein wenig Probleme beim Einführen von Beauty-Produkten (oder Sven? 🙂 ) andere (meine Person) weniger, doch durch die allgegenwärtigen Kontakte des Sven Hüber war auch das kein Problem von Dauer. Angekommen in regnerischen Berlin zerstreute sich die Reisegruppe ziemlich bald in alle Himmelsrichtungen mit einem ordentlichen Gepäck an Erinnerungen und einmaligen Geschichten, die hoffentlich weitergetragen wurden und viele weitere Personen zu einer Reise, am besten über die GdP, nach Israel animieren.

Impressionen zu diesem Bericht

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