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Zur Sache:

Interview mit Beate Böhlen, der Bürgerbeauftragten des Landes Baden-Württemberg und Gundram Lottmann, dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg

Unabhängige Kontaktstelle für Betroffene von sexueller Gewalt innerhalb der Polizei: GdP und Bürgerbeauftragte schaffen zusätzliche Möglichkeiten

Beate Böhlen, Bürgerbeauftragte Baden-Württemberg, im Gespräch mit Gundram Lottmann, Landesvorsitzender GdP (Quelle: GdP)

In einem Rundschreiben an die Mitarbeitenden der Landespolizei vom 23.11.2021 gab Landespolizeipräsidentin Dr. Stefanie Hinz die Einrichtung einer internen Ansprechstelle beim Landespolizeipräsidium bekannt, an die sich Polizeibeschäftigte wenden können, die von Vorfällen sexualisierter Gewalt innerhalb der Polizei betroffen sind oder Kenntnis erlangen. Reaktionen darauf aus den Reihen der Polizeibeschäftigten lassen jedoch leider darauf schließen, dass das Vertrauen etlicher Mitarbeitenden in die eigene Organisation begrenzt oder bereits ganz verloren ist. Schnell stellte sich so heraus, dass das Angebot des Innenministeriums nicht oder nicht für alle Beschäftigten ausreichend ist.

Um diese Lücke zu schließen und die Polizeibeschäftigten wirkungsvoll zu unterstützten, vereinbarten die Bürgerbeauftragte des Landes Baden-Württemberg und die Gewerkschaft der Polizei Baden-Württemberg im Januar 2022 eine Kooperation, in deren Rahmen eine unabhängige und neutrale Kontaktstelle für alle Polizeibeschäftigten in den Fokus gerückt wird. Diese versteht sich als zusätzliches Angebot zur Ansprechstelle des LPP und operiert auf Vertrauensbasis.

Wir sprachen dazu mit Beate Böhlen, der Bürgerbeauftragten des Landes Baden-Württemberg und Gundram Lottmann, dem Landesvorsitzenden der GdP:

Redaktion:
Frau Böhlen, wie kam es zu der Kooperation zwischen der GdP und dem Team der Bürgerbeauftragten?

Beate Böhlen:
Sowohl bei der GdP als auch bei mir und meinem Team manifestierte sich der Eindruck, dass die Ansprechstelle des Innenministeriums für die Bedürfnisse der Polizeibeschäftigten nicht ausreicht, sondern dass eine unabhängige Kontaktstelle aufgezeigt werden soll, an die sich die Mitarbeitenden vertrauensvoll wenden können. Es lag daher nahe, dass Herr Lottmann mit mir Kontakt aufnahm und wir gemeinsam nach einer Lösung suchten. Wir waren uns dann sehr schnell einig, dass wir für Betroffene und Ratsuchende aus den Reihen der Polizei das Augenmerk auf das kooperierte unabhängige Angebot der GdP und der Bürgerbeauftragten lenken wollen.

Redaktion:
Was genau erhoffen Sie sich von dieser Kooperation?

Gundram Lottmann:
In erster Linie möchten wir mit unserer gemeinsamen Kontaktstelle eine Lücke schließen und ein sehr niederschwellig nutzbares Hilfsangebot für alle Polizeibeschäftigen machen. Dabei ist mir sehr wichtig zu versichern, dass unsere Kontaktstelle selbstverständlich allen Polizeibeschäftigten zur Verfügung steht, nicht etwa nur den Mitgliedern unserer Gewerkschaft. Wir befinden uns mit unserer Kontaktstelle außerhalb des hierarchischen Geflechts der Landespolizei und können weisungsunabhängig eine gesetzlich gewährleistete Vertraulichkeit bieten. Unsere Anwältin unterliegt zudem nicht der Strafverfolgungspflicht.

Beate Böhlen:
Mit unserem gegenseitigen Austausch von Wissen und Erfahrungen möchten wir Betroffenen und Ratsuchenden optimal helfen. Dabei profitieren wir vom Vertrauen der Polizeibeschäftigten in die Gewerkschaft als Vertreterin ihrer Interessen. Die Gewerkschaft genießt bei den Beschäftigten hohes Vertrauen und einen hohen Bekanntheitsgrad, während die Aufgaben des Teams der Bürgerbeauftragten vielen Beschäftigten noch nicht vertraut sind und wir somit als Ansprechpartner gar nicht bekannt sind.
Im Gegenzug dazu ist eine unserer besonderen Stärken, dass wir in den fünf Jahren seit Bestehen der Institution einer oder eines Bürgerbeauftragten sehr umfangreiche und einschlägige Erfahrungen mit vertraulichen Eingaben gesammelt haben. Wir möchten mit unserer Kooperation erreichen, dass das Vertrauen der Polizeibeschäftigten in die Stelle der Bürgerbeauftragten wächst. Leider haben die Führungskräfte der Polizei bislang wenig Initiative gezeigt, uns proaktiv bekannt zu machen. So wurden wir zum Beispiel weder in die Wertekampagne der Polizei einbezogen, noch findet man uns im Intranet der Polizei.

Redaktion:
Wieso ist aus Ihrer Sicht das Angebot der Landespolizei nicht ausreichend?

Beate Böhlen:
Polizeiinterne Ansprechstellen, ebenso wie andere Anlaufstellen der Exekutive, sind immer weisungsgebunden. Polizeibeamtinnen und -beamte müssen grundsätzlich den Dienstweg einhalten, auch wenn beim Innenministerium nun eine Ansprechstelle benannt wurde. Das größte Problem ist dabei das Legalitätsprinzip, also die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörde – Polizei, Staatsanwaltschaft, usw. – ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, sobald eine den Anfangsverdacht rechtfertigende zureichende Kenntnis von einer möglichen Straftat erlangt wird. Betroffene wollen jedoch oftmals zunächst nur Gehör und Beratung finden, ohne, dass unmittelbar und zwangsweise Schritte eingeleitet werden.
Mit unserer kooperierten Kontaktstelle bieten wir allen Polizeibeschäftigten ein niederschwellig erreichbares Hilfsangebot. Wir gewährleisten absolute Vertraulichkeit und die betroffenen Personen können sich beraten lassen und anschließend selbst über das weitere Vorgehen entscheiden. Das Wissen, das die GdP mitbringt, ist dabei von unschätzbarem Wert.

Redaktion:
Wie sehen Ihre Hilfsangebote für die Betroffenen konkret aus?

Beate Böhlen:
Wir hören erst einmal zu und helfen dabei, die Gedanken zu sortieren. Dann beraten wir zum weiteren Vorgehen, recherchieren individuelle Hilfsangebote und stellen auf Wunsch den Kontakt zu anderen Stellen wie zum Beispiel zur Opferberatung oder zu Psychologen her. Nur bei einer ausdrücklichen Einwilligung der einbringenden Person können wir den Sachverhalt und eine Mitteilung der gewonnenen Erkenntnisse dem Landespolizeipräsidium oder der Staatsanwaltschaft zuleiten.
Zudem hat die Stelle der Bürgerbeauftragten die Möglichkeit der Unterrichtung des Parlaments, sie kann den Innenausschuss des Landtags über gravierende Vorgänge informieren. Die Fraktionen könnten dann sogar einen Untersuchungsausschuss einsetzen.

Gundram Lottmann:
Die Rechtsanwältin der Gewerkschaft kann ebenfalls einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie die rechtlichen Aspekte auf Vortrag prüft und einschätzt und die betroffene Person hinsichtlich der weiteren rechtlichen Möglichkeiten berät. Für Mitglieder unserer Gewerkschaft könnte dies zum Beispiel die Inanspruchnahme des GdP-Rechtsschutzes bedeuten. Der Austausch von Wissen und Erfahrung mit dem Team der Bürgerbeauftragten, der natürlich stets unter Beachtung des Datenschutzes stattfindet, ermöglicht es uns, allen betroffenen Polizeibeschäftigten umfassend und optimal zu helfen.

Redaktion:
Bitte erklären Sie noch einmal genau die Unterschiede Ihres Hilfsangebots zu dem des Innenministeriums.

Beate Böhlen:
Die Position der Bürgerbeauftragten ist bei der Legislative verortet und nicht bei der Exekutive. Damit ist sie weisungsfrei und unabhängig, und eine Rechenschaftspflicht besteht nur gegenüber dem Parlament. Das bedeutet, dass jede und jeder Polizeibeschäftigte des Landes Baden-Württemberg sich mit einer Eingabe ohne die Einhaltung des Dienstwegs unmittelbar an die Stelle der Bürgerbeauftragten wenden kann. Wegen der Tatsache der Anrufung der Bürgerbeauftragten darf sie oder er entsprechend Paragraph 18 des Gesetzes über die Bürgerbeauftragte oder den Bürgerbeauftragten des Landes Baden-Württemberg (§ 18 BürgBG BW) weder dienstlich gemaßregelt werden, noch sonst Nachteile erleiden.

Redaktion:
Wie wahren Sie in der Praxis die zugesicherte Vertraulichkeit?

Gundram Lottmann:
Die Anwältin der GdP arbeitet mit absoluter Transparenz für die ratsuchende Person. Es werden keine Schritte unternommen oder womöglich Daten weitergegeben, ohne dass die oder der Betroffene ausdrücklich zustimmt und über die möglichen Folgen informiert wird.

Beate Böhlen:
Vertrauliche Eingaben bei der Stelle der Bürgerbeauftragten sind möglich, wenn die oder der Betroffene ausdrücklich um Geheimhaltung der Personalien ersucht. Solange keine schweren, wie zum Beispiel staatsgefährdenden Straftaten im Raume stehen, besteht auch unsererseits keine rechtliche Verpflichtung, die Strafverfolgungsbehörden zu informieren. Sollten strukturelle Missstände vorliegen, könnten diese anhand von Fallzahlen sichtbar gemacht werden. Anonyme Eingaben dürfen laut dem Gesetz über die Stelle der Bürgerbeauftragten leider nicht bearbeitet werden.

Redaktion:
Wohin konkret kann sich ein betroffener Mensch sonst noch wenden, der Rat sucht?

Beate Böhlen:
Unabhängig von unserem Angebot können sich betroffene Personen an Opferberatungsstellen und psychologische Beratungsstellen wenden, ebenso wie an die Ansprechstelle des Innenministeriums. Unsere Kooperation mit der GdP soll dieses Angebot erweitern.

Redaktion:
Frau Böhlen, Herr Lottmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.


Das Gespräch wurde geführt von Kathrin Schramm.


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