Zum Inhalt wechseln

GdP-Bundesvorsitzender Konrad Freiberg Hauptredner beim Neujahrsempfang der DGB Region Frankfurt-Rhein-Main

Es mangelt an sozialer Gerechtigkeit

Frankfurt.

"Wir haben viel erreicht. Doch noch immer mangelt es in unserer sozialstaatlich verfassten Demokratie an sozialer Gerechtigkeit. Sie ist Grundvoraussetzung für ein Leben in Würde. Und ohne die Würde des einzelnen Menschen gibt es keine freie Gesellschaft". Mit diesen Worten umriss Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und Hauptredner beim Neujahrsempfang 2007 der DGB Region Frankfurt-Rhein-Main die Wichtigkeit von Gewerkschaften in heutiger Zeit als Garanten sozialer Gerechtigkeit.


"Ein Staat, der sich nicht durch Gerechtigkeit definiert, ist nichts anderes als eine Räuberbande", zitierte er Papst Benedikt XII. Hier habe er die Gewerkschaften auf seiner Seite. Sie stünden mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit nicht alleine auf weiter Flur, wie eine Studie der Uni Frankfurt ergeben habe. Achtzig Prozent der Bevölkerung teilten die Wahrnehmung, dass die soziale Gerechtigkeit in jüngster Zeit abgenommen habe. Sie seien der Ansicht, dass die Einkommensunterschiede in Deutschland zu groß seien. Menschen müssten bekommen, was sie zum Leben brauchen – "auch wenn es Umverteilung bedeutet".

Konrad Freiberg rechnete in seiner Rede mit der verfehlten Politik der vergangenen Jahre ab. Die Menschen hätten kein Vertrauen mehr in die Politik, weil sie zu viele Probleme zu lange ausgesessen habe. Er machte zwar deutlich, dass die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren in einer Krise gesteckt habe, etwa durch wirtschaftliche Stagnation, Arbeitslosigkeit, Probleme bei der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, verhehlte aber auch nicht die verschlechterte Situation der Beschäftigten. Insbesondere bei den Arbeitsbedingungen seien eine zunehmende Leistungsverdichtung, ein erhöhter Wettbewerbsdruck, längere Arbeitszeiten und die Zunahme von Mehrarbeit feststellbar. Mit 2448 Euro im Monat verdiene ein durchschnittlicher Vollzeit-Beschäftigter heute, inflationsbereinigt, weniger als im Jahr 1998.
Unter den Gästen beim Neujahrsempfang waren nicht nur zahlreiche Frankfurter GdP-Vertreter/innen, sondern auch Landesvorsitzender Jörg Bruchmüller. NW

Mehr als voll besetzt war das DGB-Haus beim Neujahrsempfang, am linken Tisch vorne Sibylle Perrot, PR-Vorsitzende beim PP Frankfurt, und Jörg Bruchmüller, GdP-Landesvorsitzender. NW

Seit der Wiedervereinigung sei das Realeinkommen um mehr als fünf Prozent gesunken. Weitere Abstriche bei Renten und Pensionen, höhere Kosten für die Gesundheitsvorsorge, die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder die Streichung traditionell arbeitnehmerfreundlicher Regelungen wie etwa die Entfernungspauschale kämen hinzu. Benzin, Energie und Essen werde teurer. Mittlerweile könnten manche Menschen mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen.
Im Gegensatz dazu, so prangerte Freiberg an, hätten sich in den vergangenen acht Jahren die Einkommen der Vorstände in den 30 größten deutschen Unternehmen verdoppelt. Sie lägen im Schnitt bei 200.000 Euro pro Monat. Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, verdiene nach eigenen Angaben 1,5 Millionen Euro im Monat. "Damit kann man 600 Polizist/innen bezahlen. Soviel Leistung kann der gar nicht bringen", stellte Konrad Freiberg unter dem Beifall der Anwesenden fest. Die Konzerngewinne stiegen, die Reichen würden immer reicher. "Auf die vermögendsten zehn Prozent aller Haushalte entfallen rund 47 Prozent des gesamten privaten Nettovermögens in der BRD", so der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Das US-Magazin Forbes spreche von 55 Milliardären in Deutschland. Alleine die zehn Reichsten verfügten über 100 Milliarden US-Dollar.



Als Interessenvertreter der Region Frankfurt-Rhein-Main zeigten sich, v.l., Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth und Harald Fiedler, DGB-Vorsitzender der heimlichen Hauptstadt Hessens. NW
Während dem reichsten Zehntel der Bevölkerung fast die Hälfte des Vermögens gehöre, entfielen auf die unteren 50 Prozent der Haushalte gerade noch rund vier Prozent. Dazu der Armutsbericht der Bundesregierung: "Festzustellen ist ein Trend zunehmender (…) Ungleichheit, die vor allem auf die Zunahme der Teilzeitbeschäftigung geringen Umfangs zurückgeführt werden kann. Dieser Trend bleibt in abgeschwächter Form allerdings auch bestehen, wenn nur Vollzeitentgelte betrachtet werden".
Das Armutsrisiko werde immer größer, immer mehr Menschen müssten von weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens pro Monat leben, also von weniger als 938 Euro. Das größte Armutsrisiko trügen Kinder und junge Menschen unter 18 Jahren. Sie stellten mit über einer Million die größte Gruppe von Sozialhilfebeziehern.

Die Gewerkschaft der Polizei ist nach Freibergs Ansicht eine Art Seismograph, der schon länger das Auseinanderdriften der Gesellschaft bemerkt habe. "Hoffnungslosigkeit und soziale Verwahrlosung sind immer häufiger anzutreffen. Gewalt und Alkoholismus prägen vor allem in Großstädten ganze Stadtteile". Das Problem der Integration ausländischer Mitbürger dürfe nicht außer Acht gelassen werden. Der Deliktsbereich gefährliche und schwere Körperverletzung habe in den vergangenen zehn Jahren um 45 Prozent zugenommen. Besonders alarmierend sei, dass die Hälfte dieser Gewalttäter und auch der Opfer junge Menschen seien. Die Auflösung sozialer Strukturen sei ein deutliches Signal für eine gesellschaftliche Fehlentwicklung.
Konrad Freiberg ging auf den zunehmenden Rechtsextremismus und rechtsradikale Gewalt ein, auf die Perspektivlosigkeit von Menschen, vor allem in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands. Dort habe die Rechte mittlerweile auch wieder eine parlamentarische Stimme. Parteien wie SPD und CDU seien dort in weiten Bereichen nicht existent. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei ein Problem aller Menschen. Das gehe nicht nur mit Parteitagsbeschlüssen.
Den islamistischen Terrorismus, auch in Deutschland, bezeichnete er als die größte sicherheitspolitische Herausforderung. Mit polizeilichen und militärischen Mitteln könne der nicht besiegt werden. Das gehe nur mit einer geistig-politischen Auseinandersetzung mit seinen Ursachen.
Um Anschläge zu verhindern, würden Augen und Ohren auf den Straßen und in den Hinterhöfen benötigt. Die Polizeipräsenz müsse erhöht und der Personalabbau gestoppt werden. Die Polizei habe gute Arbeit geleistet. Man solle sie arbeiten lassen und nicht weiter Personal abbauen – und schon gar nicht ersetzen durch freiwillige Polizeihelfer wie in Hessen, forderte er unter dem Beifall der Versammelten. Das Kostenargument könne nicht gelten. Nicht alle staatlichen Leistungen ließen sich an Effizienzkriterien messen, wisse die Polizei. Prävention entziehe sich einer klassischen Kosten-Nutzen-Rechnung. Polizeiliche Dienstleistung dürfe man nicht als reine Kostengröße sehen. "Ist die Politik in ihren Abläufen effizient", fragte er? Die Haushaltsmisere sei keine Frage der Personalkosten. Seit 1990 seien im öffentlichen Dienst 1,4 Millionen Arbeitsplätze abgebaut, die Arbeitszeit erhöht und die Einkommen gekürzt worden.
Den Gewerkschaften riet er, einem Ratschlag des Soziologen Prof. Oskar Negt zu folgen: "Da die neoliberale betriebswirtschaftlich orientierte Effizienz-Argumentation alle Bereiche der Gesellschaft erfasst, müssen die Gewerkschaften ihre Handlungsfelder ausdehnen und ihr Mandat über die Verteidigung reiner Arbeitsplatzinteressen hinaus erweitern". Damit schlug Freiberg den Bogen zum Anfang seiner Rede. "Die Bestimmung einer sozialstaatlich verfassten Demokratie ist es, ein soziales Netz für alle Mitglieder der Gesellschaft zu garantieren, einen gerechten sozialen Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Gruppen herzustellen, für gleiche Chancen zur Teilnahme und Teilhabe am ökonomischen und gesellschaftlichen Leben zu sorgen. Diesen Prozess des Ausgleichs von Interessen im Sinne der Arbeitnehmer/innen und aller, die Arbeit suchen, mitzugestalten ist Aufgabe der Gewerkschaften. Und dafür werden wir dringend gebraucht"!
Seinen Vortrag schloss er mit einem Mut machenden Zitat von Mahatma Gandhi: "Erst ignorieren sie dich, dann machen sie sich über dich lustig, dann kämpfen sie gegen dich und dann siegst du". Norbert Weinbach
This link is for the Robots and should not be seen.