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Welche Schlüsse zieht ein Polizist aus den Erfahrungen des 9. November 1938 für die gegenwärtige gesellschaftliche Situation und seine Aufgaben?

Am 9. November 1938 haben seit Jahrhunderten gesteigerte und organisierte Vorurteile zu Verbrechen geführt, die allein schon den Ruf des deutschen Volkes schwer belasten. Die bis Kriegsende politisch organisierten über 6 Millionen Morde von Juden und Andersdenkenden in den Konzentrationslagern bleiben schwerwiegende Verbrechen an der Menschheit.

Weil gegenüber Juden bestehende Vorurteile nicht durch eigene Erfahrungen entstanden, sondern durch unbelegte Glaubensvorstellungen, ist es dringend geboten, das Volk, besonders jedoch Lehr- und Sicherheitskräfte über Ursachen und Folgen der Wissenslücken, Einstellungen und Taten nachhaltig zu informieren. Gefestigte Tatsachenkenntnisse sind eine sichere Grundlage, verführerisch-schädigenden Einflüssen zu widerstehen. Der 9. November ist für Deutsche der geschichtsträchtigste Tag des 20. Jahrhunderts. Mit dem 9. November sind verhängnisvolle aber auch glückliche Ereignisse und Erinnerungen verbunden. 1918 wurde die erste deutsche Demokratie ausgerufen, die 1933 ein unrühmliches Ende fand. 1923 hätte der „Hitler-Ludendorff-Putsch“ eine wirksame Warnung vor den ab 1933 folgenden nationalistischen Egoismen sein können.
Die Reichspogromnacht 1938, in der jüdische Geschäfte und Synagogen brannten, gehört zu den beschämenden aber auch ständig in Erinnerung gerufenen Kapiteln dunkelster deutscher Geschichte.
Die danach folgende Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden in den Konzentrationslagern wird Deutschland noch lange als geschichtliche Hypothek belasten.
Dagegen wird der 9. November 1989 als Freudentag unsere Geschichte prägen. Die friedliche Revolution in der DDR führte zum Ende der kommunistischen Diktatur und zum Fall der Berliner Mauer mit der Wiedervereinigung am 3.10.1990. „Geschichte ist die Lehrerin des Lebens.“
Diese wertvolle Erkenntnis stammt vom römischen Schriftsteller und Philosoph Marcus Tullius Cicero, der 106 bis 43 v.Chr. lebte. Sie war wohl auch die Motivation für unsere Kultusministerkonferenz zu beschließen, in jedem Jahr am 9. November einen Projekttag in den Schulen durchzuführen. Ziel des Projekttages ist es, eine vertiefte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert anzuregen.

Im Auswahlverfahren für den Polizeidienst werden Geschichtskenntnisse und demokratische Grundhaltung der Bewerber eingehend überprüft.
Während des dreijährigen Studiums an der Hochschule für Polizei und Verwaltung werden Kenntnisse zur Polizeigeschichte, zu Staat, Verfassung und Grundrechten vertieft,
sodass die künftigen Ordnungshüter den Diensteid als überzeugte Demokraten ohne Bedenken oder gar Hintergedanken ablegen können.
Wegen der seit Jahren zunehmenden stressigen Anforderungen im Dienst, werden die Beamten intensiv darauf vorbereitet, sich insbesondere in Konfliktsituationen nicht provozieren zu lassen.
Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Einzelne später zu Dienstpflichtverletzungen verleitet werden.
Seit der Jahrtausendwende, insbesondere nach der "Zäsur" des NSU- Skandals, ist aber "das Problembewusstsein gestiegen".
Angesichts verschiedener polizeiinterner Bildungsmaßnahmen mit dem Ziel, das Wissen um Rechtsextremismus zu verbessern, die Toleranz sowie die soziale respektive interkulturelle Kompetenz der Polizistinnen und Polizisten zu stärken, ist das "Bemühen unverkennbar, Fremdenfeindlichkeit bei der Polizei zunehmend offensiver anzugehen."
Allheilmittel, geschweige denn Selbstläufer sind diese Maßnahmen jedoch nicht. Unverzichtbar bleiben die wissenschaftliche Begleitung und die regelmäßige Supervision.
Wir üben das Gewaltmonopol aus und müssen jederzeit vorbehaltlos für die freiheitlich demokratische Grundordnung einstehen.
Gerade deshalb haben wir im internationalen Vergleich sehr hohe Anforderungen an die Voraussetzungen und die charakterliche Eignung von Bewerbern. Ständig weiterentwickelte Standards bei Aus- und Fortbildung lassen beispielsweise einen Vergleich der deutschen mit der Polizei der USA nicht zu, um auf die Vorwurfslagen im Zusammenhang mit der Ermordung von George Floyd zu reflektieren.
Rechte Chatgruppen von Polizeibeschäftigten (in mehreren Bundesländern) sorgen nicht nur für Betroffenheit der deutlichen Mehrheit rechtschaffenen Polizeibediensteten, auch die Bevölkerung und die Medienlandschaft ziehen daraus Schlüsse.
Von Intoleranz und Hass darf sich ein Polizist niemals hinreißen lassen.
Dies führt zu einem hohen Maß an Vertrauensverlust in der Bevölkerung, der nur langsam wiederaufgebaut werden kann.
Vertrauen entsteht durch Professionalität der Polizei. Dabei muss die Polizei das Gewaltmonopol mit der notwendigen Integrität ausüben – ohne Rücksicht darauf, wer Beschuldigter oder Opfer ist.
Fremdenfeindlichkeit, Judenhass und Rassismus bleibt für Polizisten tabu.
Wer als Polizist Nazi-Devotionalien sammelt, und / oder Verbindungen zu Fremdenhass neigenden Gruppen pflegt, kann kein überzeugter Demokrat sein. Er verdient es nicht „geschont“ zu werden, weil er dem Berufsbild schadet.
Polizisten wissen, dass derart erhebliche Dienstpflichtverletzungen mit Entfernung aus dem Dienst geahndet werden. Bei etwa 325.000 Polizisten in Deutschland (mit BKA und Bundespolizei) ist es jedoch maßlos übertrieben, aus den Einzelfällen auf rechtsradikale Tendenzen in der Polizei zu schließen. Ganz klar: wir schützen als Polizei keine politische Haltung - weder rechts noch links!
Der seit 19. Juli 1950 bestehende Zentralrat der Juden warnt seit Jahren vorzunehmendem Antisemitismus. Laut BKA Präsident Münch gehen schon seit Jahren mehr als die Hälfte der politisch motovierten Straftaten von der rechten Szene aus. Mehr noch: nach den Anschlägen von Halle und Hanau und dem Mord an Dr. Lübcke erfahren wir eine neue Qualität der Gewalt.
Wenn Hass, Hetze und Bedrohungen dazu führen, dass sich Menschen aus Engagement, Ehrenamt und Mandat zurückziehen – oder gar vor Angst ihre Religion nicht mehr offen ausleben wollen, erreichen antisemitische Straftaten ein demokratiegefährdendes Ausmaß.
Auch über institutionellen Rassismus oder den Vorwurf rassistischer Polizeipraxis wird weiter gestritten werden. Entsprechende Vorwürfe sollten die Behörden ernsthaft prüfen und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar aufklären, nicht zuletzt, um einem schwindenden Vertrauen gegenüber Polizeibehörden entgegenzuarbeiten. Gerade der Fall NSU hat gezeigt, dass die Polizei durch Fehler und Fehleinschätzungen in Teilen der Gesellschaft in tiefgreifende Legitimationskrisen geraten kann. Die konsequente Umsetzung der seit 2013 formulierten umfassenden Reformmaßnahmen für die Polizei bleibt eine Daueraufgabe. Ebenso werden die Abwehr und Aufklärung rechtsmotivierter Straf- und Gewalttaten sowie das Vorgehen gegen organisierten Rechtsextremismus ein zentrales Feld polizeilicher Arbeit bleiben. Wie gut die Polizeibehörden zur Bewältigung dieser und kommender Herausforderungen gerüstet sein werden, bleibt abzuwarten.
Ich jedenfalls habe vor über 33 Jahren den Polizeiberuf aus Überzeugung ergriffen.
Dies würde ich auch heute jederzeit wieder tun!

Jens Mohrherr
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