Zum Inhalt wechseln

Diskussion zur geplanten Reiterstaffel

Die Milchmädchenrechnung des Innenministers

Aus dem dem Landesjournal der Deutsche Polizei

Magdeburg.

Die geplante Reiterstaffel für die Polizei des Landes Sachsen-Anhalt ist angesichts von zahlreichen Haushaltsmängeln ein zu teures Showprojekt!


Eine Polizeireiterstaffel für Sachsen-Anhalt wäre doch was Schönes. Bürgerinnen und Bürger würden uniformierte Polizeireiter und –reiterinnen in Parks und in der grünen Flur antreffen und sich des friedlichen Bildes erfreuen. Man könnte nach dem Weg fragen, vielleicht ein Foto machen, und so manches naturentwöhnte, computeraffine Kind könnte bei Gelegenheit eines solchen Gesprächs auch mal eine warme, weiche Pferdeschnauze streicheln. Ja, Polizeireiter sind was fürs Herz. Allen Laternenumzügen, die von Polizeireitern angeführt werden, wäre die Aufmerksamkeit stets sicher. Die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit würde ähnlich wie vom Landespolizeiorchester immens unterstützt werden. Warum haben wir in Sachsen-Anhalt eigentlich nicht schon längst Polizeireiter im Einsatz?

Warum eigentlich kommt erst diesem Innenminister diese herrliche Idee?

Frühere Innenminister haben sich diesem Gedanken aus Haushaltsgründen versagt und taten recht daran: Andere Bundesländer haben ihre Reiterstaffeln aus eben diesen Gründen abgeschafft (z. B. Berlin) oder verkleinert (z. B. Hessen, NRW, BW). Polizeireiter sind nämlich bei äußerst bescheidener polizeilicher Effektivität und Effizienz immens teuer. So waren im Jahr 2006 im niedersächsischen Landeshaushalt für 50 Pferde und Reiter insgesamt 3,2 Mio. € eingestellt (Quelle Jahresbericht Nds. LRH 2007). Allein die 19 Reiter und Pferde in Braunschweig verschlangen 2006 fast 1,2 Mio. €. Als Hamburgs neuer Senat vor zwei Jahren wieder eine Reiterstaffel mit 15 Pferden gründete, mussten dafür neben 400.000 € Investitionskosten noch 700.000 € für laufende Unterhaltungskosten eingestellt werden. Für Baden-Württembergs Reiterstaffel mit 39 Pferden stehen 3,8 Mio. im Haushaltsplan.

Wenn Herr Innenminister Stahlknecht der Öffentlichkeit ernsthaft weismachen will, dass pro Tag nur Futterkosten in Höhe von 5 € pro Pferd anfallen, unterliegt er wohl dem Fehler einer Milchmädchenrechnung. Er hätte sich besser beraten lassen und in die Haushaltspläne anderer Bundesländer schauen lassen sollen. Ohne jegliche Personalkosten müssen unter günstigen Bedingungen einer Stall- und Reitanlage stattdessen ca. 6.000 bis 7.000 € jährlich pro Pferd berücksichtigt werden (Beispiel Reiterstaffeln in Hannover und Braunschweig). Davon sind einerseits die ständige Fütterung und Versorgung, die Tierarztbetreuung und das Equipment für die Pferde zu bestreiten, andererseits müssen ein spezifischer Fuhrpark beschafft und unterhalten sowie einsatznahe Stallungen, eine Reithalle und ein passendes Trainingsgelände vorgehalten werden. Derartige Gelegenheiten stehen in Magdeburg und Halle nicht zur Verfügung; sie müssten erst teuer gebaut oder angemietet werden. Die vom Landwirtschaftsressort ins Gespräch gebrachte Unterbringung im Landesgestüt Prussendorf kommt wegen der immensen Fahrzeiten zu den Einsatzorten nicht in Frage.

Der Kaufpreis fällt dabei kaum ins Gewicht.

Der Kaufpreis, der pro Vierbeiner zwischen 5.000 und 8.000 € liegt, fällt indes kaum ins Gewicht. Auch dürften sich die Reiter der Pferde in der männlichen und besonders der weiblichen Beamtenschaft schnell finden lassen. Allerdings stehen sie für übliche polizeiliche Pflichtaufgaben nicht mehr zur Verfügung. Bekanntlich fallen die Personalkosten mit durchschnittlich 50.000 € pro Jahr und Reiter am deutlichsten ins Gewicht. Aber damit ist es nicht getan, weil zusätzliches Servicepersonal für Fütterung und Unterhaltung der Stallungen sowie für qualifizierte Ausbildung nötig ist.

Im Vergleich mit einem Sachbearbeiter oder Streifenbeamten ist bei einem Polizeireiter aufgrund der spezifischen Bedingungen die Einsatzeffizienz deutlich reduziert. Allein der Pflege- und Ausbildungsaufwand für die Pferde ist immens.

Polizeipferde kann man auf dem Markt nicht einfach kaufen.

Sie durchlaufen bis zu ihrem Einsatz ein intensives zweijähriges Programm der Gewöhnung an die spezifischen polizeilichen Einsatzbedingungen und müssen fortlaufend trainiert werden. Das kostet sehr viel Zeit, die dem gezielten Außeneinsatz regelmäßig verloren geht.

In Niedersachsen kamen die Polizeireiter im Jahr 2005 trotz Berücksichtigung der einsatzintensiven Castortransporte ohne Rüst- und Transportzeiten auf eine maximale Außendienstquote von deutlich unter 50 % (Quelle Bericht LRH 2007). Lediglich 22 % am Standort Hannover und 36 % am Standort Braunschweig machten sog. Reitstreifen im öffentlichen Raum aus. In Hamburg musste der Innensenator 2011 einräumen, dass der Außendienstanteil der Polizeireiter lediglich 20 % der Pflichtarbeitszeit ausmachte. Auch im Flächenland Sachsen-Anhalt dürfte angesichts der Bedingungen ein höherer tatsächlicher Außendienstanteil als 30 % keinesfalls zu erzielen sein.

Wer meint, mit einer Reiterstaffel ein geeignetes Instrument gefunden zu haben, drängende aktuelle Probleme der Inneren Sicherheit bewältigen zu können, ist im Irrtum. Weder die Gewaltexzesse in Stadien noch Kriminalitätsphänomene im öffentlichen Raum lassen sich von Polizeireitern tatsächlich wirksam beherrschen. Die bessere Wahrnehmung von Polizeireitern kommt allenfalls der subjektiven Sicherheit zu Gute. Damit würde sich eine Reiterstaffel für unser Land auf eine „Sympathietruppe“ reduzieren, die – zugegebenermaßen - in großen Teilen der Bevölkerung gern gesehen wird, aber bei der Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis stehen, das Sachsen-Anhalt sich leisten kann und sollte.

Oder ist in unserer Polizei der Überfluss ausgebrochen? Ich sehe an vielen Stellen großen Mangel. Bevor der Herr Innenminister an solche Showprojekte denkt, sollte er sich doch mal vom Zustand der polizeilichen IT im Land berichten lassen, wo seit Jahren aus Geldmangel wichtige Entwicklungen und Investitionen unterbleiben müssen. Wer im Jahr 2012 als Bürger auf einer Revierstation oder bei etlichen Revierkommissariaten im Land eine Anzeige aufgeben will, muss immer noch damit rechnen, dass allein das Starten des Polizeicomputers nicht selten bis zu 15 Minuten dauert. Es gäbe zahlreiche andere Felder aufzuzählen, auf denen die Polizei des Landes Sachsen-Anhalt im bundesweiten Ranking hintere und letzte Plätze einnimmt.

Herr Innenminister, wenn Ihnen die Innere Sicherheit am Herzen liegt, dann sorgen Sie zuerst für hinreichend gut ausgebildete und optimal motivierte Beamtinnen und Beamten sowie eine leistungsfähige Ausstattung und Organisation. Ob dann am Ende noch Personal und Geld für zusätzliche Repräsentation in Form einer Reiterstaffel übrig ist, wage ich zu bezweifeln.

Johann Lottmann,
Polizeipräsident a.D.

Anmerkung

Der Verfasser ist selbst seit vielen Jahren aktiver Reiter und verfügt über eine positive Grundeinstellung zum Reiterwesen. Als Sachgebietsleiter Einsatz in Hannover war er dienstlich in den Jahren 1983 bis 1987 mit den Problemen der Reiterstaffeln Hannover und Braunschweig und den zahlreichen kritischen Landtagsanfragen befasst. Als Landespolizeidirektor hat er die bis 2009 amtierenden Innenminister von der Einführung einer Reiterstaffel in Sachsen-Anhalt aus Haushalts- und Effizienzmangelgründen abgeraten.


Der Beitrag stammt aus der August-Ausgabe 2012 der Deutschen Polizei

This link is for the Robots and should not be seen.