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Schwerin. 24.02.2015

Kriminalitätsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern

"Die Kriminalität wird in Zukunft zahlenmäßig nicht weiter absinken"

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen

Im Jahr 2004 setzte sich eine Arbeitsgruppe des LKA MV unter Leitung von Ingmar Weitemeier mit wissenschaftlichen Experten aus Demografie und Organisationspsychologie zusammen, um die Kriminalitätsentwicklung und die bisherige demografische Entwicklung im Land MV zu analysieren, auf wissenschaftlicher Basis eine Prognose für die nächsten Jahre zu erarbeiten und sich Gedanken darüber zu machen, wie die Polizei auf diese Entwicklungen reagieren sollte. Die Befunde wurden 2008 in dem von M. Bornewasser, I. Weitemeier und R. Dinkel herausgegebenen Buch „Demografie und Kriminalität“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Nun sind fast 10 Jahre seit dieser Publikation ins Land gegangen und die GdP M-V Landesredaktion fragte bei Ingmar Weitemeier nach, ob sich die Prognose bestätigt hat und das Kriminalitätsaufkommen insgesamt und in einzelnen Deliktgruppen wie vorhergesagt deutlich zurückgegangen ist.



GdP M-V: Herr Prof. Weitemeier, das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern, die Universitäten Rostock und Greifswald haben im Jahre 2008 eine Prognose zu der Kriminalitätsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern für die nächsten 10 Jahre abgegeben. Ist das, was Sie prognostiziert haben, eingetreten?
Ingmar Weitemeier: Die Prognose hat sich in weiten Teilen bestätigt. Beachtenswert ist, dass auf der Basis der Zahlen von 2005 sehr starke Trends vorausgesagt worden sind, die seinerzeit zwar in der Richtung vorhersehbar, aber im tatsächlichen Ausmaß kaum vorstellbar waren. Der prognostizierte Rückgang betrug bis zum Jahr 2013 bezogen auf die Gesamtkriminalität 26,9 % und beim Diebstahl sogar 39,7 %. Diese vorhergesagten Trends sind auch in der Dimension tatsächlich eingetreten. (siehe Grafik)


GdP M-V: Sind Sie in allen Straftatenhauptgruppen zu solchen nahezu kongruenten Ergebnissen gekommen?
Weitemeier: Die sehr genauen Ergebnisse sind in den Bereichen zustande gekommen, wo wir auf größere Zahlenverhältnisse zurückgreifen konnten. In den Hauptgruppen, die vergleichsweise nur wenige Straftaten beinhalten, kann eben nicht genau prognostiziert werden. In der Hauptgruppe "Straftaten gegen Leib und Leben" z. B. haben wir erstens nur geringe Zahlen und zweitens handelt es sich hier um ein Delikt, das als Beziehungsdelikt angesehen werden muss. Das bedeutet, Straftaten sind nicht aufgrund sachlicher Bewertungen zu prognostizieren.

GdP M-V: Wie wir wissen wurde die Studie besonders wegen der zu erwartenden intensiven Veränderung der Bevölkerungszahlen in Mecklenburg-Vorpommern erstellt. Haben sich noch weitere Kriterien für die Kriminalitätsentwicklung berücksichtigt?
Weitemeier: Bei der Entwicklung der Diebstahlskriminalität haben wir natürlich auch berücksichtigt, dass Täter heute versuchen, ein gleiches Ergebnis zu erreichen, ohne direkt mit einem Tatort oder Opfer in Berührung zu kommen. Unter dem Aspekt haben wir prognostiziert, dass es auch eine "Täterwanderung in ein anderes Delikt" geben wird, womit aber ein vergleichbares Ergebnis erzielt wird. Ich meine damit den Wechsel zum Betrug im Internet. Hier ist die Täterermittlung aus verschiedensten Gründen schwerer. Auch haben wir z. B. berücksichtigt, dass das Internet für viele Straftäter eine willkommene Plattform ist, darüber Straftaten zu begehen. Wir stellen zum Beispiel eine steigende Zahl von sogenannten "Enkeltrickstraftaten" fest, die nicht mehr über Telefon, sondern über das Internet vollzogen werden. Ähnliches gilt auch für Sexualdelikte. Straftaten der Kinderpornographie werden heute sehr häufig mit dem Internet begangen, indem inkriminierte Fotos in Börsen verkauft oder getauscht werden. Aktuelle Fälle sind ja auch bei prominenten Personen ermittelt worden. So ließen sich Einflüsse auch in anderen Straftatenhauptgruppen darlegen, was allerdings das Interview sprengen würde.

GdP M-V: Wozu können die erarbeiteten Prognoseerkenntnisse im alltäglichen Dienst dienen?
Weitemeier: Die Kriminalitätsstatistik ist retrograd ausgerichtet, betrachtet alles das, was gewesen ist. Das reicht aber nicht aus, um sich für die Zukunft strategisch richtig auszurichten. Hierzu bedarf es den Blick nach vorn zu richten. Das geht eben nur durch Prognosen, wobei es hilfreich ist, auch die Erkenntnisse aus dem Dunkelfeld mit zu berücksichtigen. Deshalb kann man nur begrüßen, dass in Mecklenburg-Vorpommern derzeit auch eine Dunkelfeldforschung durchgeführt wird. Die in unserer Prognose veröffentlichten Erkenntnisse haben auch in Mecklenburg-Vorpommern strategische Auswirkungen gehabt. Ich erinnere nur daran, dass im Landeskriminalamt Spezialermittler zur Bekämpfung der Internetkriminalität personell verstärkt worden sind. Das Personalentwicklungskonzept der Landespolizei und die Organisation können und sollten sich an derartigen Prognosen orientieren. In Mecklenburg-Vorpommern leben immer mehr ältere Menschen. Die Prävention muss entsprechend angepasst werden. Einer solchen Anpassung dient das im Landeskriminalamt entwickelte Projekt "Seniorensicherheitsberater". Ein weiteres Schwerpunktthema wird auch die Prävention in Sachen "Cybercrime" sein, um nur einige Beispiele zu nennen.

GdP M-V: Sie haben die Prognose zwar nicht wissenschaftlich fortgesetzt, aber was prognostizieren Sie für die nächsten Jahre in der Kriminalitätsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern?
Weitemeier: Herr Prof. Dr. Bornewasser von der Universität Greifswald und ich kommen nach unseren heutigen Erkenntnissen zu folgenden groben Feststellungen:

  • Die Kriminalität wird in Zukunft zahlenmäßig nicht weiter absinken. Die Cyberkriminalität ist in ihren exponentiellen Dimensionen noch nicht umfassend in die Polizeiliche Kriminalstatistik eingeflossen. Delikte, bei denen der Täter im Ausland seinen Aufenthalt hat und Bürger aus Mecklenburg-Vorpommern schädigt, werden bisher gar nicht gezählt und gehen von daher auch nicht in die PKS ein. Diese Zahl wächst. Ab dem Jahre 2015 werden die Taten in einem Sondermeldedienst aufgenommen und ausgewertet.
  • Steigende Cyberkriminalität und Technisierung von Tätergruppen sowie internationales, grenzüberschreitendes Handeln der Täter führt zu einem deutlich höheren Mehraufwand an Ermittlungstätigkeit. Eine verstärkt internationale Arbeit der Ermittlungsbehörden der Bundesländer wird unvermeidlich sein, um den Organisationsvorteil von kriminellen Banden auszugleichen. In diesem Sinne müssen auch die Bekämpfungsstrategien von regionalen Bekämpfungsmaßnahmen gegen regional aktive Täter auf internationales Täterhandeln ausgeweitet werden.
  • Die Ermittlungsbehörden, insbesondere die Polizei, werden zukünftig noch mehr Wert auf die Spezialisierung ihrer Beamten gerade im Bereich der Kommunikations- und Informationstechnologien legen müssen. Wenn immer mehr Eigentumsdelikte mittels digitaler und vernetzter Technologien begangen werden, bedarf es auch in den Flächendienststellen vermehrt der Mitarbeiter mit besonderem technischen Verständnis. In den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt sind die in dem Zusammenhang bereits bestehenden Organisationseinheiten weiter spezialisiert auszubauen, um besonders schwere IT-Delikte zu bekämpfen. Hier sind auch Dienststellen zu schaffen, die die komplexeren Auswertungen von vorliegenden großen Datensätzen vorantreiben.
  • Die Präventionsmaßnahmen sind den o. g. Entwicklungstendenzen anzupassen und entsprechend zu verstärken. Bezogen auf die Viktimisierung von alten Menschen, besonders auch in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, sind geeignete Konzepte zu entwickeln.

Insgesamt kann also festgestellt werden, dass es zukünftig nicht darauf ankommen darf, die Polizei personell zu reduzieren. Vielmehr ist auch im Zusammenhang mit den notwendigen intensiven Aufklärungsermittlungen im Terrorismus zur Verhinderung von Anschlägen davon auszugehen, dass wieder erhebliches Personal, z.B. bei Observationen, notwendig wird. Es gilt, die Polizei weiter zu spezialisieren und die bewährten Aufbau- und Ablaufstrukturen so zu umzubauen, dass die Polizei den modernen Entwicklungen der Kriminalität begegnen kann.


Vielen Dank Herr Prof. Weitemeier für dieses Interview.


Zur Person:
Prof. Ingmar Weitemeier, 62 Jahre alt; seit 1971 Kriminalbeamter in Niedersachsen mit unterschiedlichen Verwendungen im mittleren und gehobenen Dienst, insbesondere im Ermittlungsbereich, schwerpunktmäßig in Mord und Brandkommissionen, als Fachlehrer für Recht, Kriminalistik und Kriminologie an der Niedersächsischen Landespolizeischule.
  • In der Zeit von 1980 bis 1982 Ausbildung für den höheren Polizeivollzugsdienst an der Polizeiführungsakademie in Münster, danach 3 1 /2 Jahre Dozent für Recht, Kriminalistik und Kriminologie in der Fachgruppe Recht an der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege.
  • 1985 bis 1991 Leiter des Landesfahndungskommandos Niedersachsen und des MEK im Landeskriminalamt Niedersachsen.
  • Ab November 1991 beauftragt mit dem Aufbau des Fachbereiches Polizei in der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege im Land Sachsen-Anhalt;
  • von September 1995 bis Ende 2009 Direktor des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern - wechselte anschließend als Berater in die Wirtschaft


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