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DP im Gespräch - Teil2

Rassismus in der Polizei?

'Die Debatte hat mehr Reibung als Bewegung erzeugt', sagt PHK Fahrbach. GdP-Landesvorsitzender Schilff berichtet, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen verunglimpft und beleidigt fühlten. Foto: PM
'Die Debatte hat mehr Reibung als Bewegung erzeugt', sagt PHK Fahrbach. GdP-Landesvorsitzender Schilff berichtet, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen verunglimpft und beleidigt fühlten. Foto: PM

Wo beginnt Rassismus?

DP: Frau Jacobsen sagte ja, dass es durchaus Probleme in der Polizei gebe. Wo beginnt für Sie Rassismus und was haben Sie in ihrem Alltag erlebt?

Fahrbach: Das ist eine interessante Frage, weil ich eine Definition auf nicht-wissenschaftlicher Basis für schwierig halte. Wenn zum Beispiel Kinder andere Kinder aufgrund von Äußerlichkeiten kränken, wie etwa ein dickes Kind, dann ist das eine Beleidung und ist nicht in Ordnung. Wenn die gleichen Kinder - ohne wirklich von sich aus abwertend zu denken - ein Kind beleidigen, weil es eine andere Hautfarbe hat, ist auch das nicht in Ordnung. Aber ich finde es schwierig, abzugrenzen, wann es als Rassismus zu werten ist und wo es sich ‚nur‘ um eine Beleidigung handelt. ‚Sieht‘ man tatsächlich, von welcher inneren Haltung eine Aussage getragen ist? Ich verbinde mit Rassismus, dass ich einen anderen Menschen zunächst einmal herabwürdige, aber auch in seiner Wertigkeit anders betrachte und aufgrund seiner äußerlichen Erscheinung individuelle Rechte abspreche. Bei einer Beleidigung erfolgt das nicht zwangsläufig. Wenn ich es auf den Dienst übertrage: Ich wurde von Bürgern schon aufgrund meiner Hautfarbe beleidigt, ja. Aber dieser Bürger hätte mich auch beleidigt, wenn ich übergewichtig wäre. Er hatte mich beleidigt, weil er die Polizei beleidigen wollte. Das waren dann Momente, wo es maximal eine Beleidigung gewesen wäre - vorausgesetzt, dass ich mich beleidigt fühle. Wenn ein Beschuldigter im Streifenwagen sitzt und mich beleidigt und ihm fällt irgendwann nichts Besseres mehr ein, als meine Hautfarbe, dann ist die Frage, ob er tatsächlich ein Rassist ist, oder einfach nur ein bedauernswert einfältiger Mensch.

Jacobsen: … oder er einfach beleidigen will.

Fahrbach: Genau! Das ist nicht messbar. Das finde ich, macht es sehr schwer.


DP: Kann man aus wissenschaftlicher Sicht einordnen, wo Rassismus beginnt? Wo und wann entstehen im polizeilichen Alltag herablassende Äußerungen?

Jacobsen: Herr Fahrbach hat das subjektive Element deutlich gemacht. Was Sie beleidigt, lässt mich möglicherweise kalt und umgekehrt. Das spielt immer mit, aber ich finde es ganz wichtig auch eine Perspektive jenseits der subjektiven Bewertung und vor allem des Vorsatzes zu haben. Ich kontere mal mit einem Beispiel: ein Student von mir, der auch einen sichtbaren Migrationshintergrund hat – seine Eltern kommen aus der Türkei – stellt sich bei seiner Praktikumsdienststelle vor. Es ist gerade viel los und ihm wird gesagt: 'Setzen Sie sich mal da hinten hin'. Er setzt sich und wartet eine halbe Stunde. Schließlich kommt ein Beamter und fragt, was er da mache, es gebe jetzt keine Vernehmung. Ich würde demjenigen, der ihn da hingesetzt hat, weil er annahm, dass er vernommen werden soll, überhaupt nicht unterstellen, dass er Türken für minderwertig hält. Ich würde ihm aber unterstellen, dass er unreflektiert gehandelt hat, dass er gedacht hat ‚das ist einer von unseren Patienten, den setzen wir mal vors Vernehmungszimmer‘. Er war hinterher vielleicht sogar total bestürzt über sein eigenes Handeln. Was ich mit dem Beispiel deutlich machen will: es geht nicht immer um Vorsatz. Polizei bewegt sich immer wieder in Situationen, in denen es unübersichtlich ist, wo es hoch hergeht und wo schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen. Natürlich greifen wir da auf unreflektiertes Wissen zurück. Wir alle haben Klischees und Vorurteile, die sich niedersetzen und die in rassistischem Verhalten münden können. Das heißt nicht, dass ich überzeugte Rassistin bin. Sondern, dass ich zum Beispiel unüberlegt Menschen nach ihrer Hautfarbe behandle.

Schilff: Aber warum sagt man dann immer gleich, dass jede Äußerung rassistisch ist? Vorurteilsbelastet ist jeder von uns! Der Vorwurf des Rassismus erregt die Gemüter, auch bei uns in der Polizei. Wenn man dann in der Hektik und Dramatik mal eine falsche Aussage tätigt, ist das nicht rassistisch. Die Frage ist doch: wie definiert man das?

Jacobsen: Ich würde ganz stark dafür argumentieren, weg von der subjektiven Bewertung und weg von den Vorsätzen zu gehen. Wir wissen nicht, ob es in der Polizei Menschen gibt, die zutiefst rassistische Einstellungen haben. Auch darüber müssen wir uns Gedanken machen. Ich denke aber, das Hauptproblem sind Klischees, die entstehen ohne zu reflektieren. Ein Masterstudent hat mal gesagt ‚Ach das mit den Nafris, das war doch nicht böse gemeint‘ – bezogen auf die Abkürzung für Nordafrikaner im Kontext der Kölner Silvesternacht. Es mag sein, dass das nicht böse gemeint war, aber es geht nicht, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Kriminalitätsverdacht fällt. Da sind wir bei einer These aus meinen Forschungsarbeiten: In der Polizei gibt es rassistische Diskurse und das würde ich sehr ernst nehmen. Damit muss sich eine demokratische Polizei auch beschäftigen. Wenn man sagt, es gibt eine Einstellungsebene, es gibt eine Verhaltensebene und es gibt eine strukturelle Ebene, in der man Rassismus angucken kann, dann ist der Vorsatz nur in der Einstellungsebene vertreten. Übrigens wird der Begriff des Rassismus und auch des Antirassismus wissenschaftlich kontrovers diskutiert und ich persönlich bin mit den Begriffen nicht froh. Schon der Begriff der Rasse funktioniert nicht! Nicht nur, dass er natürlich behaftet ist von der Zeit des Nationalsozialismus. Schon in den 1950er Jahren gab es eine Initiative der UN, den Begriff der Rasse aus Grundgesetzen und Verfassungen zu streichen. Inzwischen weiß man, dass der Begriff der Rasse nicht mal bei Tieren funktioniert. Es geht nicht um Rassismus, es geht um Diskriminierung – ob jetzt mit oder ohne Vorsatz – um Diskriminierung aufgrund des Aussehens, aufgrund der Sprache oder aufgrund des Namens.

Fahrbach: Richtig, es gibt auch stigmatisierte Namen. Gerade bei Menschen mit arabischer Migrationsgeschichte gibt es immer wieder Fälle von Namensdopplungen. Da werden dann Namen der Clankriminalität zugeordnet und Menschen, die damit gar nichts zu tun haben, über den Namen stigmatisiert.

Jacobsen: Das ist ein gutes Beispiel und ich würde mir wünschen, dass der Begriff der Rasse endlich verschwinden würde. Wir müssen benennen, worum es tatsächlich geht. Oft ist die Herkunft nur unterstellt. Ich hatte zum Beispiel einen Studenten, der türkischstämmig aussah, es aber nicht war. Er hatte größte Mühe in der Polizei. Kollegen haben ihm zum Übersetzen angefordert. Als er dann sagte, dass er die Sprache nicht spräche, wurde ihm vorgeworfen, er sei nur faul. Er hat es zwar mit Humor genommen, aber ihm wurde unterstellt, er sei nicht hilfsbereit, er wolle nicht helfen, er verleugne seine Herkunft.

Stereotypte im Polizeialltag

In übersichtlichen Situationen kann es vorkommen, dass auf unreflektiertes Wissen zurückgegriffen wird und dann Klischees und Vorurteile greifen, so die Erfahrung der Polizeiforscherin Astrid Jacobsen. Foto: PM
In übersichtlichen Situationen kann es vorkommen, dass auf unreflektiertes Wissen zurückgegriffen wird und dann Klischees und Vorurteile greifen, so die Erfahrung der Polizeiforscherin Astrid Jacobsen. Foto: PM
DP: Frau Jacobsen, welche Rolle spielt denn die kulturelle Herkunft laut Ihrer Studie in der Polizeiarbeit? Kann sie hilfreich sein?


Jacobsen: In den meisten Fällen führt es zu Klischees. Ich habe schon erlebt, dass ein Beamter jemanden mit den Worten ‚Aha, du bist Russin’ kontrolliert hat. Er hat dann einen Alkoholtest durchgeführt, ‚denn Russen trinken‘. Das ist ein plattes Beispiel, eine solche Aktion habe ich auch nur einmal erlebt. Das Wissen über die Herkunft des anderen hilft in den meisten Fällen nicht weiter. Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel in Lagen, die sich immer wieder wiederholen. Wenn es Beispielsweise eine Gruppe junger Russlanddeutscher gibt, die längerfristig mit Alkohol und Drogen auffallen, dann finde ich es klug, sich deren Migrationsgeschichte anzugucken, zu schauen, in welche sozialen Milieus sie eingebunden sind, um einen Zugang zu erhalten. Es bringt jedoch nichts, sich den ‚Knigge für den typischen Russen‘ anzugucken.


DP: Herr Fahrbach, welche Rolle spielen Vorurteile und Stereotype in Ihrem Alltag? Ist man davor gefeit?

Fahrbach: Nein, gefeit ist man definitiv nicht. Aber das ist wiederum kein polizeispezifisches, sondern ein generelles Problem. Meines Erachtens wird das in ein paar Jahren komplett anders sein, da es immer mehr Menschen gibt, die mit Menschen anderer Herkunft aufgewachsen sind. Dadurch entsteht auch eine andere Gewohnheit. Wenn ich es normal finde, dass mein Nachbar, der türkisch aussieht, fließend deutsch spricht, weil er hier geboren ist, dann wird es mir wahrscheinlich nicht passieren, dass ich einen anderen Türkischstämmigen treffe und ihn zunächst auf Englisch anspreche. Es bedarf dieser wichtigen Entwicklung. Es gab auch bei mir immer wieder Momente, wo ich erlebt habe, dass mir etwas zugeschrieben wurde, was nicht vorliegt. Sei es Sprache, sei es, dass ich bestimmt aus einem anderen Land käme. Aber auch negative Eigenschaften, wobei das insgesamt glücklicherweise die Ausnahme war.

Jacobsen: Ich diskutiere mit meinen Studierenden, wenn sie aus dem Praktikum kommen, ihre Kontrollpraxis: Wonach gucken wir? Könnte es denn sein, dass da auch tatsächlich Diskriminierung aufgrund des Aussehens stattfindet? Hier wird durchaus kontrovers diskutiert. Das ist es, was wir erreichen müssen: Dass reflektiert wird: können wir polizeilich begründen, dass wir X oder Y anhalten, oder können wir das eigentlich nicht? Meine These ist, dass immer da, wo Polizei ohne konkreten Anlass agiert, Klischees und Vorurteile zuschlagen.


DP: Das heißt, es gibt Handlungsbedarf bei der interkulturellen Kompetenz?

Jacobsen: Interkulturelle Kompetenz ist ein großer Begriff. Gemeint ist eine soziale Kontaktkompetenz auch gegenüber Menschen, die vermeintlich aus einer anderen Kultur kommen. Polizeibeamtinnen und -beamte müssen diese Kompetenz ohnehin haben. Es gibt keine speziellen Kompetenzen im Umgang mit Menschen, die anders aussehen. Wir sprechen von Kontaktkompetenz. Was heißt also ‚mehr?‘ Man sollte nicht aufhören, denn man kann nicht genug machen. Insbesondere die eigene Reflektion ist eine riesige Herausforderung, also immer wieder die eigenen Entscheidungskriterien auf den Prüfstand zu stellen. Wir verlangen viel von Polizeibeamtinnen und -beamten. Aber das müssen wir auch, denn sie haben schließlich das staatliche Gewaltmonopol. Wir machen das in der Ausbildung, aber es muss auf unterschiedlichen Ebenen auch weitergeführt werden: In der Fortbildung, aber auch auf der Ebene der Führungskräfte. Es ist wichtig, dass diese Reflektionen immer wieder eingezogen werden. Das ist anstrengend!


DP: Wie ist das in Ihrem Polizeialltag, Herr Fahrbach?

Fahrbach: In einem Revier gibt es bestimmte Lagebilder. Ich weiß, wie diese sich entwickeln, und ich habe bestimmte Kriminalitätsphänomene. In Braunschweig-Mitte gibt es beispielsweise Bereiche, in denen regelmäßig Drogen verkauft werden, es gibt Prostitution. Wenn ein Lagebild auch wiederkehrende Akteure hervorbringt, dann kann es sein, dass ich auf Äußerlichkeiten achte. Es ist aber wichtig, dass mein Handeln stets vom Lagebild getragen ist! Willkürliche Kontrolle nur aufgrund von Äußerlichkeiten ist rechtlich nicht zulässig. Ein polizeilich taktisches Einschreiten ist an ein Lagebild geknüpft. Es wird mit Sicherheit Fälle geben und gegeben haben, wo es nicht optimal gelaufen ist. Persönlich kann ich für die Zeit, in der ich im Streifendienst gearbeitet habe, sagen, dass wir aufgrund vorliegender Kriminalitätsphänomene eingeschritten sind. Wenn man das System richtig anwendet, ist es objektiv. Leider ist es aber dafür anfällig, dass es nicht objektiv angewendet wird.

Jacobsen: Ich glaube, das passiert immer da, wo es keinen konkreten Anlass gibt. Das ist auch ein Ergebnis meiner Studie. Wenn es im Einsatz- und Streifendienst konkrete Anlässe gibt, kann es kriminalistisch begründet werden. Was in solchen Fällen Polizeibeamtinnen und -beamte nutzen, um zu entscheiden, ist der Anlass selbst, die Personalstärke, die Uhrzeit und der Ort. Nicht, wie die Leute aussehen.
Aber immer da, wo Polizei unter Unsicherheit agiert, also wo nicht klar ist, worum es geht, wer gesucht wird, wo man ermitteln soll, wohin zuerst geschaut wird, wenn ‚in alle Richtungen‘ ermittelt werden soll, dann - und das ist meine These - schlagen Klischees und Vorurteile zu. Deswegen sind anlasslose Kontrollen wirklich ein Problem, denn es ist schwierig, sich von Klischees und Vorurteilen zu lösen.

Die Frage nach den Konsequenzen

Eine Untersuchung über Rassismus oder Diskriminierung in der Polizei hält der GdP-Landesvorsitzende für unnötig. Im Alltag bleibe aber viel zu wenig Zeit für die Vor- und Nachbereitung der Einsätze, beklagt Dietmar Schilff. Foto: PM
Eine Untersuchung über Rassismus oder Diskriminierung in der Polizei hält der GdP-Landesvorsitzende für unnötig. Im Alltag bleibe aber viel zu wenig Zeit für die Vor- und Nachbereitung der Einsätze, beklagt Dietmar Schilff. Foto: PM
DP: Damit sind wir da, wo wir am Anfang schon kurz drüber diskutiert haben. Sollte Rassismus in der Polizei oder Diskriminierung, wie Sie es lieber nennen, umfassend wissenschaftlich untersucht werden?


Jacobsen: Unbedingt!

Fahrbach: Eine Untersuchung brächte in jedenfalls keinen Schaden, ganz im Gegenteil: Keiner kann dabei verlieren, es kann ja auch durchweg positiv ausfallen. Am Ende muss es nur eine ergebnisoffene Untersuchung sein.

Schilff: Ob uns eine Studie helfen würde, da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die GdP sagt mehrheitlich, dass wir keine Untersuchung benötigen, weil wir der tiefen Überzeugung sind, dass wir diese Probleme nicht in der Struktur und auch nicht als generelles Problem bei den Beschäftigten haben. Aber natürlich muss man an dem Thema weiter dranbleiben. Deswegen haben wir als GdP gemeinsam mit Innenminister Pistorius die Initiative „Polizeischutz für Demokratiestärkung der demokratischen Resilienz“ (Anm. der Redaktion: Widerstandsfähigkeit)“ ins Leben gerufen, die jetzt in die Praxis überführt wird.


DP: Schauen wir zum Schluss noch einmal auf die Polizei Niedersachsen. Frau Jacobsen, Sie haben gesagt, es wäre wichtig, „unterhalb dessen zu gucken, was die Polizei als Organisation als Fehlverhalten sieht und ahndet.“ Wie soll das aussehen?

Jacobsen: Wir müssen das angucken, was ich als Alltagsdiskriminierung bezeichnen würde. Dabei ist der Korpsgeist in der Polizei ein großes Problem. Korpsgeist kommt aus dem Militär und ist der ‚unbedingte Gemeinschaftssinn einer elitären Gruppe‘. Ich würde die Polizei nicht als elitäre Gruppe bezeichnen, aber sie ist eine besondere Gruppe. Sie hat bestimmte Pflichten und sie hat bestimmte Ressourcen dafür: das staatliche Gewaltmonopol. Die Polizei Niedersachsen wirbt viel mit Teamgeist und Gemeinschaftssinn und ich glaube, das ist eine große Motivation der meisten meiner Studierenden zur Polizei zu kommen. Sie sagen: wir wollen in einer Gemeinschaft, in einem Team arbeiten. Korpsgeist hat hier also eine positive Konnotation, die auch notwendig ist. Man braucht die Gemeinschaft, aus der man polizeilich aktiv wird. Es funktioniert nicht, dass ein Polizist allein für Sicherheit sorgt. Es braucht diese Gemeinschaft und es braucht auch diese Solidarität. Sie ist absolute Basis, für gegenseitige Unterstützung und dafür, dass man den andere in einer Einsatzsituation nicht aus dem Auge verliert.
Aber Korpsgeist hat auch eine Kehrseite: Wenn ich beobachte, dass jemand etwas tut, was aus meiner Sicht subjektiv nicht in Ordnung ist. Das kann von ‚war das wirklich nötig, dass du so mit der Frau gesprochen hast?‘ bis hin zu illegaler Polizeigewalt reichen. Da sehe ich das Problem, dass es für Polizeibeamte und -beamtinnen mit hohen Kosten verbunden ist aus diesem Solidaritätskreis zu treten und zu sagen ‚du hast was falsch gemacht‘.
Ich kenne Fälle, in denen Polizeibeamtinnen oder -beamte Maßnahmen von Kolleginnen und Kollegen kritisiert haben und es soweit eskalierte, dass sie negativen Korpsgeist bis hin zu Mobbingstrategien erlebt haben. Es gibt zu viele, die bei falschem Verhalten zugucken, Kritik aber nicht zur Sprache bringen, weil die Angst zu groß ist, die unbedingt benötigte Solidarität zu verlieren. Das halte ich für ein strukturelles Problem.

Schilff: Und was schlagen Sie vor? Eigentlich kann sich jeder melden und Kritik äußern. Sogar anonym kann man mittlerweile problemlos Anzeige erstatten.

Jacobsen: Wenn ich einen einfachen Vorschlag hätte, hätte ich den schon veröffentlicht. Als Wissenschaftlerin plädiere ich dafür, herauszufinden, in welchen Situationen Leute mutig genug sind, zu sagen, dass etwas falsch läuft und in welchen Situationen sie das typischerweise nicht tun. Eine wichtige Strategie ist dann, Führungskräfte zu ermutigen, kritisch auf die eigenen Kollegen zu gucken und zu erklären, Kritik nicht per se Petzerei ist. Ich kenne wunderbare Beispiele, wo Führungskräfte gesagt haben ‚Gut, dass du mir das sagst. Ich nehme das zur Kenntnis, höre mir aber auch die Gegenseite an, denn ich war ja nicht dabei‘. So muss eine Führungskraft argumentieren. Solche Best-Practise-Beispiele schaue ich mir aktuell an. Und ich spreche darüber mit Studierenden und frage sie, wie sie reagieren würden. Dabei gibt es keine pauschale Reaktion. Wenn jemand eine Körperverletzung im Amt begeht, ist das was anderes, als wenn er sich im Ton vergreift und man hinterher sagt ‚das hättest du auch freundlicher sagen können‘. Ein wichtiger Punkt ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ertüchtigen, offen zu sprechen.

Schilff: Ich finde, dass diese Ermutigung nicht nur im Studium stattfinden muss, sondern auch im normalen Dienst. In den drei Jahren Studium wird das in Theorie und Praxis besprochen, aber dann geht man raus und erlebt unterschiedliche Situationen. Und dann muss man Zeit für die Vor- und die Nachbereitung haben. Das ist eines der größten Probleme: Diese Zeit fehlt oft. Früher haben wir uns nach dem Dienst hingesetzt und haben wirklich miteinander besprochen, was im Dienst geschehen ist. Da ist der eine oder andere auch ‚abgeholt‘ worden. Man konnte dabei junge Leute an die Hand nehmen und mal ein Gespräch führen. Diese sozialen Kontakte, die gibt es so gut wie gar nicht mehr. Denn im ESD fahren Sie von Einsatz zu Einsatz, fahren rein, erfassen die Vorgänge im Computer. Aber es ist zu wenig Personal da, und Sie müssen sofort wieder zum nächsten Einsatz fahren.

Jacobsen: Sie haben völlig recht. Man darf nicht nur auf Ausbildung setzen. Wir setzen nur die Impulse. Draußen herrscht eine ganz andere Logik. Wir müssen zeigen: Hier darf und soll man kritisch auf die eigene Arbeit gucken. Wir sagen ja auch nicht ‚ihr dürft eure Erfahrungen nicht nutzen‘. Stellen wir uns eine Polizei vor, die jeden Morgen wieder auf die Straße geht und von vorne anfängt. Das wäre völlig abwegig. Aber das Erfahrungswissen muss sich immer wieder irritieren lassen. Durch wissenschaftliche Studien, durch andere Erfahrungen und so weiter. Wir werden nie auf abstrakte Lösungen kommen, sondern wir können Dilemmata beschreiben. Ich glaube, das ist ein Dilemma für jede Polizeibeamtin und jeden Polizeibeamten, spezifische Erfahrungen zu machen und immer wieder den Schritt zurück zu gehen und zu sagen ‚trotzdem darf ich das nicht verallgemeinern.‘

DP: Vielen Dank für das Gespräch!


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