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Polizeitag Hannover

Chancen und Risiken der Digitalisierung aus Sicht der Personalvertretung

Vortrag des PHPR-Vorsitzenden Martin Hellweg

Martin Hellweg während seines Vortrags beim Polizeitag 2018 in Hannover. Foto: Philipp Mantke
Martin Hellweg während seines Vortrags beim Polizeitag 2018 in Hannover. Foto: Philipp Mantke
Hannover.

Der Polizeitag Hannover am 4. September 2018 stand unter dem Motto "Bürgernah, robust, digital: Niedersachsens Polizei auf dem Weg in die Zukunft". Der PHPR-Vorsitzende und stellv. GdP-Landesvorsitzende Martin Hellweg hat dabei einen Vortrag gehalten, in dem er die Problematik aus Sicht der Personalvertretung schildert. Seine Ausführungen, Argumente und Gedanken veröffentlichen wir an dieser Stelle im Wortlaut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste,

beginnen möchte ich mein Statement mit einem Zitat, das deutlich macht, dass neue Techniken und ihre Auswirkungen nicht erst heute für Diskussionen sorgen und dass neue Entwicklungen, wie z.B. die Digitalisierung nicht aufzuhalten sind.

„Es ist an der Zeit, die abscheuliche Natur des Telefons öffentlich zu machen und seine vielen Erfinder zu verdammen.“

Das Zitat stammt aus der New York Times des Jahres 1877. Der Autor sorgte sich schon damals um die Privatsphäre der Bürger. Aufhalten konnte die Technologiekritik die Entwicklung nicht: Mehr als drei Viertel aller Deutschen besitzen heute ein Smartphone. Bei den unter 30-Jährigen hat es den Fernseher als „unverzichtbarstes“ Gerät abgelöst. Die Digitalisierung hat unsere Hosen- und Handtaschen, ja sogar unseren Körper erreicht. Mit der Einführung des niedersächsischen Polizeimessenger NIMes bekommt das private Smartphone der Polizeibeschäftigten noch einmal eine neue Bedeutung. Hierauf werde ich später noch einmal eingehen.

Die Digitalisierung hat weitreichende Folgen und birgt jede Menge Chancen, aber natürlich auch Risiken. Digitalisierung bringt nicht nur Fortschritte. Sie ist auch mit Herausforderungen verbunden. Arbeiten und Menschen können durch digitale Technik unterstützt aber auch ersetzt werden. Unzählige Informationen und (Beschäftigten-) Daten können digital verarbeitet, zusammengeführt, gespeichert und ausgewertet werden. Verhaltens- und Leistungskontrolle werden einfacher. Digitalisierung verändert letztendlich Beschäftigungsformen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten und Arbeitsorte.

Wie bei jeder wichtigen technologischen Entwicklung, wird es Versuche geben, die neuen Möglichkeiten zu missbrauchen. Trotzdem überwiegen die Chancen der digitalen Transformation die Risiken bei weitem. Wir werden als Gesellschaft und als Einzelner den Umgang damit lernen und im Prozess der Digitalisierung reifen. Personalvertretungen oder Betriebsräte haben die die Aufgabe und Verpflichtung, Risiken aufzuzeigen und etwas dagegen zu unternehmen bzw. abzumildern. Technologiekritik ist immer Teil einer gesellschaftlichen Debatte. Die Vergangenheit hat aber bewiesen, dass es deutlich sinnvoller ist, Marktentwicklungen mit zu gestalten, anstatt sie kategorisch abzulehnen. Für die digitale Transformation trifft das ganz besonders zu.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob die Personalräte hinreichend für die Phasen hoher technologischer Veränderungen aller Prozesse am Arbeitsplatz gerüstet sind? Werden sie eingebunden und können sie ihre Beteiligung einfordern? Konkurriert ihre dienststellen-bezogenen Zuständigkeit nicht mit zentralen Entscheidungen der Organisation? Digitalisierung ist als solches nicht bedrohlich oder gefährlich. Unsere Kolleginnen und Kollegen sollten aber noch verstehen, was da passiert und welche Auswirkungen damit verbunden sind. Weil dies der Einzelne kaum noch vermag, kommt den von Gesetzes wegen berufenen Organen der Mitbestimmung, wie zum Beispiel den Personalvertretungen, umso größere Verantwortung zu.

In der aktuellen Diskussion, ob die derzeit geltenden Mitbestimmungsrechte noch geeignet bzw. auf der Höhe der Zeit sind, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Überwiegende Meinung ist jedoch, dass die bestehenden Mitbestimmungsrechte in den §§ 65 bis 67 NPersVG bei der Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Einführung neuer Arbeitsmethoden ausreichend sind. Durch Wahrnehmung dieser Rechte kann der Entgrenzung von Arbeit sehr wohl Paroli geboten werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist in § 67 I Nr. 2 festgeschrieben, der eine Mitbestimmung bei der Einführung, wesentlicher Erweiterung und Anwendung technischer Einrichtungen vorsieht, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Diese Bestimmung greift regelmäßig bereits dann, wenn eine Einrichtung – unabhängig von ihrer Zweckbestimmung – objektiv geeignet ist, eine Kontrolle des Verhaltens oder der Leistung der Beschäftigten vorzunehmen. Sie muss nicht dafür bestimmt sein oder aber gar dafür genutzt werden.

Die Besonderheiten im Zusammenhang mit der Digitalisierung liegen darin, dass die meisten Neuerungen im ersten Moment von fast allen Betroffenen positiv betrachtet werden. Der Dienstherr ist noch nicht so ausgestattet, wie der Einzelne in seiner Freizeit und auch viele Techniken, die in der freien Wirtschaft Standard sind, scheinen im öffentlichen Dienst noch in weiter Ferne.

So wurde die Einführung des Digitalfunkes von allen Kolleginnen und Kollegen als Notwendigkeit erachtet und auch das vermehrte „Ausrollen“ von dienstlichen Handys wird bereits seit langem gefordert.

Entgrenzung der Arbeit - ständige Erreichbarkeit

Die Digitalisierung birgt die große Gefahr, dass Freizeit und Arbeit sich zu sehr vermischen. Foto: AH
Die Digitalisierung birgt die große Gefahr, dass Freizeit und Arbeit sich zu sehr vermischen. Foto: AH
Ich möchte anhand dreier Dienstvereinbarungen auf Risiken bei der Einführung neuer Techniken und die Lösung des Polizeihauptpersonalrates über Dienstvereinbarungen eingehen.

1. Dienstvereinbarung über die Nutzung von Positionsdaten im Digitalfunk der BOS

Mit der bildlichen Darstellung von Positionsdaten von Einsatzkräften bzw. -mitteln in polizeilichen Einsatzleitsystemen wird eine Optimierung des Einsatzmanagements sowohl in der Alltagssituation als auch in besonderen Einsatzlagen erreicht. Durch die Kräftevisualisierung werden Entscheidungsprozesse wirksam unterstützt und durch die zielgerichtete Führung von Kräften können Einsatzlagen effizienter bewältigt und der Einsatzerfolg gesteigert werden. Ein wichtiger Punkt auch für Personalvertretungen war, dass in Notlagen schneller reagiert werden kann und Risiken für Einsatzkräfte reduziert werden.

Ich habe selber in einer Leitstelle gearbeitet und kann die Vorteile sehr gut einschätzen. Durch die Übertragung der Positionsdaten in automatischen Intervallen wird auch die Eigensicherung unserer Einsatzkräfte unterstützt.

Diese „Digitalisierung“ erschien zunächst nur vorteilhaft. Im Rahmen der ersten Testnutzung, bei der die Übertragung der Positionsdaten in automatischen Intervallen erfolgt, wurde dann festgestellt, dass sich selbstverständlich auch negative Möglichkeiten ergeben können. So wurden Kolleginnen und Kollegen angesprochen, warum sie sich denn bei „Mc Donalds“ aufgehalten hätten und für Verantwortliche ist es möglich, Bewegungsabläufe ganzer Schichten rückwirkend zu betrachten.

Da diese Technik damit auch geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen erfolgte die frühzeitige Beteiligung der Personalvertretung, die in einer gemeinsamen Dienstvereinbarung mündete.

In der Dienstvereinbarung ist festgeschrieben, dass Positionsdaten nicht zur personenbezogenen Leistungs- und Verhaltenskontrolle genutzt werden dürfen und diese Daten ausschließlich für Zwecke des Einsatzmanagements erhoben werden dürfen. Darüber hinaus wurde schriftlich fixiert, dass die bisherige Positionierung überschrieben wird, sobald eine neue Position vom Endgerät gesendet wird. Damit ist es ausgeschlossen, einen Fahrweg oder den Standort eines Endgeräteträgers retrograd zu ermitteln.

Für die Einsatznachbereitung von besonderen mobilen Einsatzlagen können ausnahmsweise die Standortinformationen eines oder mehrerer Funkgeräte in Form eines Bewegungsbildes aufgezeichnet werden. Dieses muss jedoch durch die Einsatzleitstelle angeordnet und aktiviert werden; im Einsatzprotokoll schriftlich dokumentiert werden und die Betroffenen sind in Form einer Kurzmitteilung zu informieren.

Nach meiner Auffassung macht diese Vereinbarung deutlich, dass auch die Personalvertretung hinter der Einführung neuer Techniken steht, da deutliche Verbesserungen und Vorteile auf der Hand liegen. Trotzdem war sich der PHPR der Probleme bewusst und hat eine Lösung im Interesse aller Beteiligten gefunden.

2. Rahmendienstvereinbarung über die Nutzung des Alarmierungssystems FACT 24 in der Polizei des Landes Niedersachsen

Die Polizei muss jederzeit in der Lage sein, auf neue Herausforderungen zu reagieren. Hierzu ist die Organisation über die 24/7 Organisation der Einsatz- und Streifendienste vorbereitet. Im Einzelfall gab es auch in den zurückliegenden Jahren Herausforderungen wie Geiselnahmen oder Bedrohungslagen, die zusätzliches Personal oder aber Führungsstäbe etc. erforderlich machten. Neben der althergebrachten telefonischen Alarmierung gab es auch vereinzelte automatisierte Systeme zur Unterstützung einer solchen Alarmierung.

Aufgrund der veränderten Sicherheitslage waren die herkömmlichen Alarmierungswege nicht ausreichend. Zur Bewältigung größerer polizeilicher Einsatz¬lagen (z.B. Geisellagen, lebensbedrohliche Einsatzlagen, größere Gefahren-, Schaden-, und Katastrophenlagen sind Besondere Aufbauorganisationen landesweit vorbereitet. Der Sicherstellung einer schnellstmöglichen Information bzw. Verständigung/Alarmierung bestimmter Funktionsträger sowie benötigter Einsatzeinheiten und/oder Spezialeinheiten/-kräfte kommt eine besondere Bedeutung zu.

Hierfür wurde das automatische Alarmierungssystem „FACT 24“ mit einer internetbasierten multimedialen Nachrichten-Plattform beschafft, mit der innerhalb kürzester Zeit Alarmierungsmeldungen als Sprachnachricht und Short Message Service (SMS) an eine geschlossene Benutzergruppe versendet werden können.

Die positiven Veränderungen sind nicht zu übersehen. Aber auch hier hat die Digitalisierung ihre Schattenseiten.

Mit einer Alarmierung wird eine sehr große Anzahl an Kolleginnen und Kollegen in ihrer notwendigen Ruhe- und Erholungsphase gestört. Zu dem Aspekt der möglicherweise damit verbundenen jederzeitigen „in Dienst Setzung“ und möglichen Krankheiten komme ich an späterer Stelle noch einmal zurück.

Eine derartige Alarmierung könnte Bereitschaftsdienste überflüssig machen, da über die sehr große Anzahl an Alarmierungen stets genügend Einsat-kräfte einsetzbar sind. Darüber hinaus wäre eine niedrigschwellige Alarmierung möglich gewesen, da eine telefonische Alarmierung Gespräche mit jedem Einzelnen erforderlich macht, in denen jeweils die Notwendigkeit auch begründet werden muss. Ein Knopfdruck für die Alarmierung über FACT 24 vereinfacht die Sache.

Um den möglichen Auswirkungen einen Riegel vorzuschieben, ohne damit die gute Möglichkeit im Ernstfall zu verlieren, wurden Rahmenpunkte in der Dienstvereinbarung festgelegt, an die sich alle Dienststellen zu halten haben.

Zum einen sind die Auslösungsmöglichkeiten auf herausragende Sachverhalte beschränkt (Geisellagen, lebensbedrohliche Einsatzlagen ...), zum anderen wurde die Anordnungsbefugnis grundsätzlich auf die Polizeivizepräsidenten festgelegt.

Das System gibt die Möglichkeit, festzustellen, wer alarmiert wurde, ob er sich gemeldet hat oder nicht, ob er bereit war, am Einsatz teilzunehmen oder nicht. Diese Daten sind für den laufenden Einsatz von großer Wichtigkeit. Die ausgedruckten Meldungen sind nach Einsatzende unverzüglich zu vernichten. Diese Daten sind natürlich auch für den einen oder anderen Vorgesetzten von möglichem Interesse. Auch hier ist selbstverständlich eine Leistungs-/Verhaltenskontrolle von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern anhand der Alarmierungsberichte und des Alarmierungs-Logbuches untersagt. Ein begründeter Zugriff auf die digitalen Statusberichte ist unter Beteiligung des Personalrates auf die Behördenleitung beschränkt.

Der Personalvertretung ist hier besonders wichtig, dass das gute Hilfsmittel nicht zu häufig bei Herausforderungen geringerer Art genutzt wird, da damit unter anderem gesundheitlich notwendige Erholungszeiträume beeinträchtigt werden und gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten unterbrochen werden.

Personalrat übernimmt Schutzfunktion

Bevor wir zu meinem dritten Beispiel kommen, möchte ich etwas intensiver auf ein besonderes Problem im Zusammenhang mit der Digitalisierung eingehen. Es geht dabei um die große Überschrift „Entgrenzung der Arbeit“ und „Ständige Erreichbarkeit“.

Im Zusammenhang mit mobilem Arbeiten stellt sich oft die Frage: Wann ist Feierabend, wenn ich doch ständig erreichbar bin? Dem Personalrat komme gerade in diesem Bereich eine Schutzfunktion zu, um eine Überforderung der Beschäftigten zu vermeiden. Arbeiten wann und wo wir wollen – viele Beschäftigte wünschen sich das. Ein wichtiges Anliegen ist die Vereinbarkeit von Beruf- und Familie (Polizei Nds. ist zertifiziert) bzw. Beruf und Privatleben. Zugleich ist Zeit und ortsflexibles Arbeiten technisch heute in vielen Bereichen auch leichter umsetzbar. Welche Folgen hat es, wenn Beschäftigte ihr mobiles Büro mit sich herumtragen und potentiell immer und an jedem Ort erreichbar sind.

Ständige Erreichbarkeit außerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeiten ist bereits heute die Regel. 77 % der Beschäftigten in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst sind auch außerhalb ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitszeit für ihren Arbeitgeber erreichbar.

Auch Beschäftigte belastende Abrufarbeit ist im öffentlichen Dienst stärker verbreitet als im Bundesdurchschnitt. Bei der Polizei haben insbesondere die Alarmierungen aus der Freizeit heraus massiv zugenommen. Es ist fast täglicher Usus, dass Anrufe im dienstfrei erfolgen, ob man Vertretungsdienste am nächsten Tage übernehmen könne, ob man für Sokos/EGs zur Verfügung stehe etc. jede dieser Störungen unterbricht die Ruhezeiten und jede dieser Störungen mindert massiv den Erholungswert. Gerade im Vollzugsdienst sind Wochenenden nicht mehr planbar und selbst mit Dienstvereinbarung geplante „freie Wochenenden“ stehen immer wieder zur Disposition.

Viele betroffene Beschäftigte verspüren die Erwartung, jederzeit kontaktiert werden zu können. Damit geht eine hohe psychische Beanspruchung einher. Allein das Bewusstsein, dass ein Anruf am Abend erfolgen könnte, versetzt Beschäftigte schon in einen Unruhezustand. In vielen Dienststellen gibt es bereits einen schleichenden Übergang zur Erreichbarkeit im Privaten. Oft besteht auch ein indirekter Zwang zur ständigen Verfügbarkeit. Beschäftigte gehen davon aus, dass es „dazugehöre“, auch am Wochenende für die Dienststelle erreichbar zu sein.
An dieser Stelle will ich deutlich sagen, dass auch das Aufgabenfeld eines Polizeivollzugsbeamten keine ständige Erreichbarkeit beinhaltet. Wird so etwas erwartet, dann gibt es die herkömmlichen Mittel wie Anordnung von Bereitschaft etc.

Neben Arbeit auf Abruf wird aufgrund Digitalisierung und damit verbundenen ortsflexiblem Arbeitens Homeoffice weiter zunehmen. Studien zeigen, dass gerade Beschäftigte im Homeoffice und mit Vertrauensarbeitszeiten die meisten unbezahlten Überstunden machen.

In diesem Zusammenhang muss man Forderungen nach Arbeitszeitflexibilisierung im Rahmen von Reformvorschlägen nennen. Der bisherige im Arbeitszeitgesetz geregelte 8-Stunden Arbeitstag und elfstündige ununterbrochenen Ruhezeiten seien nicht mehr zeitgemäß und nicht mehr praktikabel. Wöchentliche Höchstarbeitszeiten würden genügen, ebenso Ruhezeiten von acht bis neun Stunden. Kurzzeitige Unterbrechungen der Ruhezeiten aufgrund von E-Mail und Telefonieren sollten unberücksichtigt bleiben; so lauten viele der Ideen.

Hierzu ist festzustellen, dass ab zwei Überstunden deutlich häufiger gesundheitliche Beschwerden auftreten. Mehr als acht Stunden arbeiten am Tag erhöht in signifikanter Weisen die Fehleranfälligkeit von Arbeit und Arbeitsunfallrisiken, denn Konzentration und Wachheit lassen nach acht Stunden erheblich nach.

Der Einsatz mobiler Endgeräte hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen und ist in der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Wir sind digital unterwegs in allen Lebenslagen und zu jeder Uhrzeit. Modernes Arbeiten heißt, mobil und ständig erreichbar zu sein.

Neben der Verantwortung der Vorgesetzten und den Beteiligungsrechten der Personalvertretung kommt auch der Eigenverantwortung der Beschäftigten eine besondere Rolle zu. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst stehen in der Pflicht, auf ihre Gesundheit zu achten.

Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen

Der neue Messenger-Dienst der Polizei auf einem überdimensionalen Smartphone: Zur Nutzung wurde eine umfangreiche Dienstvereinbarung geschlossen, um die negativen Auswirkungen der Digitalisierung zu minimieren. Foto: AH
Der neue Messenger-Dienst der Polizei auf einem überdimensionalen Smartphone: Zur Nutzung wurde eine umfangreiche Dienstvereinbarung geschlossen, um die negativen Auswirkungen der Digitalisierung zu minimieren. Foto: AH
3. Dienstvereinbarung über die Einführung eines Polizei-Messenger in der Polizei des Landes Niedersachsen

Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung wird Kommunikation heutzutage insbesondere im privaten Bereich vermehrt über Instant Messenger Dienste (z.B. Whats App) geführt, da diese im Vergleich zu klassischen Kommunikationsmitteln (z.B. E-Mail) wegen ihrer mobilen Verfügbarkeit für Anwenderinnen und Anwender nicht zuletzt wegen ihrer technischen Möglichkeiten einen erheblichen Mehrwert bieten.

Diese Form der Kommunikation stellt auch für die Erfüllung polizeilicher Kernaufgaben eine sinnvolle Ergänzung des Kommunikationsportfolios dar und ist geeignet, die polizeiliche Aufgabenbewältigung in vielen Arbeitsbereichen sinnvoll zu unterstützen. Anzunehmen ist, dass die im privaten Bereich gemachten Erfahrungen der komfortablen und schnellen (Gruppen-) Kommunikation vereinzelt auch durch Beschäftigte der Polizei Niedersachsen zur Erleichterung ihrer Aufgabenbewältigung genutzt werden.

Wenn jeder der hier Anwesenden ehrlich ist, wird er feststellen, dass auch in der Polizei Niedersachsen im Interesse der Sache mit „Whats App oder ähnlichen Programmen gearbeitet wurde. Verschiedene Versuche, wie z.B. „Sims-Me“ dienstlich zu ermöglichen scheiterten. Jeder wusste, dass dienstliche Inhalte nicht über Programme wie „Whats App“ laufen durften, im Interesse der Sache soll jedoch davon abgewichen worden sein.

Um diesen Zustand zu beenden lag die Herausforderung darin, den Bereich mobiler Kommunikation für die Belange der Polizei Niedersachsen rechtssicher zu gestalten und synergetische Vorteile zu erzielen, um mit der Bereitstellung einer polizeilichen Messenger-Applikation die Voraussetzungen zu schaffen, dass nicht immer trennscharf abzugrenzende Kommunikationsinhalte dienstlicher und privater Art auf freiwilliger Basis nur noch über gesicherte Kommunikationsplattformen verarbeitet werden.

Da dienstliche Smartphones aufgrund der Haushaltslage nicht für jeden Einzelnen beschafft werden können, war von Anfang an die Überlegung, auch die Nutzung privater Smartphones mit einer dienstlichen Applikation im Dienst zuzulassen. Mit der Bereitstellung einer dienstlichen Applikation für private Endgeräte werden somit auch Vorteile für die Polizei Niedersachsen erschlossen. Zugleich wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei Niedersachsen eine Kommunikationsplattform geboten, die jeder Nutzerin und jedem Nutzer eine rechtskonforme Kommunikation im dienstlich-privaten Kontext möglich macht. Damit werden die Belange der Informationssicherheit, des Datenschutzes sowie Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterrechte im besonderen Maße geschützt.

Für die Personalvertretung standen besonders die Themen „Freiwilligkeit“ und „Ruhezeiten“ im absoluten Vordergrund.

Selbstverständlich sind gem. Dienstvereinbarung eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle der nutzenden Mitarbeiter im Rahmen des Betriebes untersagt. Auch Anordnungen hinsichtlich eines möglichen sog. „Trackings“ (geobasierte Übermittlung des Standortes) sind unzulässig.

Jedwede Nutzung der polizeilichen Messenger-App selbst sowie die Art und Weise der konkreten Nutzungsausgestaltung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei Niedersachsen erfolgt bei Nutzung des Polizei-Messenger sowohl auf dem privaten mobilen Endgerät als auch auf dienstlich zur Verfügung gestellten Endgeräten auf freiwilliger Basis. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich gegen eine derartige freiwillige Nutzung entscheiden, entsteht hierdurch kein Nachteil.

Der Personalvertretung ist natürlich klar, dass interne Gruppenzwänge hier ebenfalls eine Rolle spielen. Diese kann man jedoch nicht mit Dienstvereinbarungen oder dienstlichen Verfügungen lösen. Wichtig ist nur, dass von dienstlicher Seite, auch nicht vom unmittelbaren Vorgesetzten jemand zur Nutzung des Messengers gezwungen werden kann. Gerade bei internen Gruppenzwängen ist das Verhalten von Vorgesetzten von besonderer Bedeutung.

In der Dienstvereinbarung ist festgeschrieben, dass die Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Ruhe- und Erholungszeiten über technische Funktionalitäten des Polizei-Messengers einerseits und über organisatorische Maßnahmen andererseits gewährleistet wird. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen nicht über ein vertretbares Maß hinaus in Kommunikationsprozesse mit dienstlichem Bezug, insbesondere in der Freizeit eingebunden werden.

Die besonderen Schutzbelange bei den Ruhe- und Erholungszeiten wurde mit einer Anlage „Ergänzende Erläuterungen zur Einhaltung von Ruhe- und Erholungszeiten“ als Teil der Dienstvereinbarung berücksichtigt. Hierin wird noch einmal deutlich auf die herausragende Bedeutung sowie die arbeitsrechtlich strikt vorgegeben Ruhe- und Erholungszeiten hingewiesen. Deutlich wird noch einmal auf die besondere Verantwortung von Vorgesetzten im Hinblick auf die Einhaltung der Ruhe- und Erholungszeiten hingewiesen. In dieser Anlage ist auch festgeschrieben, dass es mit Fürsorgepflichten nicht vereinbar ist, wenn zwar der Arbeitgeber/Dienstherr nicht direkt die/den Beschäftigten auffordert, nach der regulären Arbeitszeit eingehende Nachrichten zu lesen und zu beantworten oder sonst wie auf Messenger-Nachrichten zu reagieren, jedoch durch entsprechende Verhaltensweisen den Eindruck vermittelt, dass der Vorgesetzte diese Tätigkeit von ihr/ihm erwartet.

Die Dienstvereinbarung mit Anlage ist durch jeden Beschäftigten vor Installation der App zur Kenntnis zu nehmen.

Der Personalvertretung ist klar, dass mit dieser Dienstvereinbarung noch nicht alle Punkte hundertprozentig gelöst werden konnten. Wir glauben jedoch, dass diese Dienstvereinbarung einen handhabbaren Rahmen vorgibt und gegenüber der bisherigen Verfahrensweise allen Beschäftigten Rechtssicherheit im Hinblick auf die Nutzung des Messenger gibt. Es gab einzelne Verfahren gegenüber Kolleginnen und Kollegen, da diese dienstliche Inhalte auf ihrem privaten herkömmlichen Messenger im Interesse des Dienstes versandt haben. Mit NIMes haben sie dadurch Rechtssicherheit und dürfen ihn nutzen.

Nach Ablauf eines Jahre erfolgt eine Evaluation, in der wir besonders den Umgang mit Ruhe-/Erholungszeiten betrachten werden.

Mit der Nutzung von NIMes ist die Situation beim Umgang mit im Dienst beschädigter privater Mobiltelefone ebenfalls deutlich verbessert worden. Bisher gab es keinerlei Ersatz, wenn private Mobiltelefone im Dienst beschädigt wurden. Nunmehr wird bei Nutzung von NIMes der Zeitwert anerkannt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es bei der Digitalisierung Chancen und Risiken gibt. Jede Neuerung hat Vor- und auch Nachteile und Aufgabe der Personalvertretung ist es, Lösungen im Interesse der Beschäftigten zu finden um deren Rechte und Gesundheit zu bewahren. Digitalisierung kann nur dann erfolgreich und innovativ genutzt werden, wenn Probleme und Risiken berücksichtigt, und Mitbestimmungsrechte der Personalräte, etwa in Sachen Weiterbildung, Beschäftigungssicherung, Personalplanung, Arbeits- und Gesundheitsschutz ausgebaut werden. Es gilt, Beschäftigtenrechte zeitgemäß zu gestalten, Selbstbestimmung zu ermöglichen, die Gesundheit nicht zu gefährden und die Einhaltung bestehender Regelungen zu kontrollieren.

Einer der wichtigsten Punkte ist eine Arbeitsorganisation, die eine ständige Erreichbarkeit unterbindet und Abschalten und Ruhephasen ermöglicht. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen, in dem sie außerhalb der Arbeitszeiten keine E-Mails und andere Benachrichtigungen an die Beschäftigten verschicken oder selbst beantworten. Aber auch die Beschäftigten müssen konsequent sein und nicht ständig prüfen, ob neue Nachrichten eingegangen sind.
Martin Hellweg
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