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Landesjournal Niedersachsen Juli 2012 -
FACHTAGUNG HÖHERER DIENST
GdP befasst sich mit Auslandseinsätzen

Die Themen "Polizeiliche Auslandseinsätze" sowie "Auswirkungen der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Innere Sicherheit" der GdP-Fachtagung am 9. Juni weckten so viel Interesse, dass sich selbst an diesem Sonnabend bei schönstem Wetter der Tagungsraum im Stadtteilzentrum Kronsberg (Krokus) in Hannover füllte.

Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der GdP Niedersachsen, begrüßte neben dem Landespolizeidirektor Volker Kluwe fast 60 Kolleginnen und Kollegen der GdP Niedersachsen aus der Führungsebene, die aus dem gesamten Land angereist waren.


Dietmar Schilff
Alle Fotos: Uwe Robra

Hubertus Heil (MdB), stellv. SPD-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, referierte zum Thema "Auswirkungen der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik auf die Innere Sicherheit" und stellte sich für Fragen des Plenums und für eine Diskussionsrunde zur Verfügung.



Hubertus Heil

Zuvor beschäftigte sich die GdP mit dem Haupttagungsthema "Auslandseinsätze und ihre Auswirkungen auf die Innere Sicherheit und die eingesetzten Kräfte".

Das Ehepaar Nicole und Michael Rügenhagen, die als niedersächsische Polizeibeamtin bzw. -beamter mehrere Jahre an der EUPM Bosnien und Herzegowina sowie im Kosovo aktiv teilgenommen haben, berichteten sehr anschaulich und beeindruckend, wie mitten in Europa aus ethnischen Differenzen separatistischen Abspaltungen, Anfeindungen und schließlich kriegerische Eskalationen mit den Vertreibungen, Massentötungen und Folterungen gekommen war, ohne dass die Europäische Gemeinschaft erfolgreich interveniert hätte.

Die dreijährige Belagerung von Sarajewo, die erst im Februar 1996 endete, sei mit mehr als 1.400 Tagen die längste kriegerische Belagerung im 20. Jahrhundert und habe tiefe Wunden hinterlassen.

Nach UN-Missionen zur Friedenssicherung folgte die EU-Police Mission (EUPM), zu der auch ein deutsches Kontingent von Polizeibeamtinnen und -beamten entsandt worden waren. Bis Ende 2012 wird die Mission abgeschlossen werden.

Das Ehepaar Rügenhagen schilderten die Belastungen, denen die Missionsteilnehmer ausgesetzt waren. Insbesondere die Gefahrensituationen in bestimmten Gebieten, aber auch die Ferne von der Heimat und den Familien spielen oft eine wichtige Rolle. Dabei stellte der Einsatz stets hohe Anforderungen an das Improvisationstalent und die Fähigkeit zum flexiblen Umgang mit bis dahin unbekannten Bedingungen und Herausforderungen.


Nicole Rügenhagen und Michael Rügenhagen

Nicole Rügenhagen war u. a. mit dem Konzeptauftrag für das sogenannte Handover, also der Übergabe an die aufgebauten Sicherheitsstrukturen des Landes betraut. Zuletzt war sie als Acting Director of Crime Vorgesetzte für 233 Mitarbeiter im Bereich MEK und OK tätig. Die Verantwortungsspanne sei innerhalb weniger Jahre aus dem "untersten Rang" als Kommissarin (nach EU-Maßstäben) gewachsen. Die daraus resultierende Verantwortungsentwicklung sei unter den besonderen Bedingungen der Lage im Land mit denen in Deutschland nicht vergleichbar.

"Nach Jahren des Friedens stehen zudem heute Probleme ganz anderer Art im Mittelpunkt," sagte Michael Rügenhagen. Die Verbindungen zwischen organisierten Kriminalitätsstrukturen und der kommunalen, regionalen und Landespolitik verhindere eine kooperative erfolgreiche Zusammenarbeit bei der OK-Bekämpfung, geschweige denn eine zentralisierte Arbeit. In zehn Kantonen gibt es jeweils einen eigenen Innenminister mit eigenem "Hofstaat" aber teils nur 150 Polizisten. Allerorten treffe man auf grenzenlose Korruption, die einen wirtschaftlichen und politischen Stillstand nach sich ziehe. Berichte der EUPM gelangen bestenfalls nach Brüssel, versanden jedoch, weil sie nur zur Kenntnis genommen, jedoch ohne politische Reaktionen blieben.

In einem Grundsatzreferat stellte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende, Jörg Radek, die Positionen und Forderungen des Bundesvorstandes zum Thema Auslandsmissionen dar. Er stellte klar, dass die GdP zu den Missionen stehe. Allerdings müssten einige grundlegende Rahmenbedingungen erheblich verbessert werden.

Wie unterschiedlich die Bedingungen vor Ort zu denen in Deutschland seien, werde bereits deutlich, wenn man die Tatsache betrachte, dass bei internationalen Missionen der Befähigungsnachweis im Umgang mit Waffen ernsthaft von deutschen Polizeibeamten gefordert würde. Die Erklärung finde sich darin, dass dort keineswegs selbstverständlich sei, dass dies von allen Kontingentstellern, also anderen Staaten, erbracht werden könne.

Eine wichtige Rahmenbedingung für internationale Polizeimissionen sei Klarheit und Transparenz/Nachvollziehbarkeit für die Missionsziele. Derzeit herrsche wiederholt Unklarheit und Irritation über die Befugnisse und das Ausmaß der Aufgaben. Definitionen richten sich nach diplomatischem Vokabular und erzeugen Widersprüche.



Kritisiert Unklarheit und Irritation über die Befugnisse und das Ausmaß der Aufgaben bei Missionen: Jörg Radek, stellv. Bundesvorsitzender der GdP

Es gehöre auch eine Festlegung zu einer Exit-Strategie dazu. Diese dürfe nicht nur der Geschäftsordnung der Bundesregierung obliegen. Zwischen Bundestag, Landesinnenministern, BMI, Auswärtigem Amt (AA) und Bundeskanzleramt sind hierzu durchaus fünf verschiedene Aussagen anzutreffen. Dies halte die GdP für unverantwortlich.

Unverständlich sei auch, dass, obwohl die Leistung gegenüber dem AA erbracht werde, sich dies noch immer nicht im Haushalt der Polizeien proportional widerspiegele. Hier müssten Aufgaben gemeinsam als Verbundaufgabe wahrgenommen und nach dem Königsteiner Schlüssel aufgeteilt werden.

Eine weitere Forderung sei die systematische Fürsorge und eine umfassende und gründliche Betreuung von Missionsteilnehmern, insbesondere wenn diese erheblichen Belastungen ausgesetzt waren oder gar Traumatisierungen, etwa beim Ausheben von Massengräbern, erleben mussten.

Schließlich sei die mediale Begleitung von polizeilichen Missionen unzureichend. Sie dürfe sich nicht nur an medienwirksamen Schlagzeilen orientieren, sondern verdienten eine breitere Aufmerksamkeit. Die drei getöteten Kollegen im Jahre 2008 dürften nicht nur als einmalige Horrorschlagzeile erscheinen, sondern müssten in einer intensiveren Hinterfragung der Umstände und Rahmenbedingungen aufgearbeitet werden.



Rund 50 Teilnehmende - trotz sonnigen Samstags: Das Plenum folgte ...


... sehr interessiert den Referaten und belebte die Diskussionen

In einer Podiumsdiskussion wurden unter Moderation von Sascha Göritz, Mitglied im geschäftsführenden GdP-Landesvorstand, die Eindrücke vor Ort und die Bewertungen aus Sicht eingesetzter Kräfte sowie die erforderlichen Konsequenzen erörtert. Die Diskutanten waren Nicole und Michael Rügenhagen, Martin Schilff, Vorsitzender des Bezirkspersonalrates des Bundespolizeipräsidiums (Potsdam) und Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der GdP sowie Dietmar Schilff, GdP-Landesvorsitzender.

Podiumsdiskussion (v.l.): Martin Schilff, Jörg Radek, Dietmar Schilff, Sascha Göritz , Michael Rügenhagen, Nicole Rügenhagen

Dabei konnte Martin Schilff aus eigener Anschauung Erlebnisse, Eindrücke und Einschätzungen von seinem Besuch bei den Kollegen/-innen in Afghanistan schildern, wo unter sehr schwierigen Bedingungen (Analphabetismus, völliger Mangel an erlernter Handlungs-, Koordinations- und Zusammenarbeitsfähigkeiten) Grundschulungen durch deutsche Polizisten erfolgen müssen. Dabei bestünden vielerorts ständig Gefahren von Anschlägen gegen Konvois und Stützpunkte.

Jörg Radek bemängelte die unlautere Haltung im politischen Vorgehen. Einerseits wurden in vielen "Tausender-Paketen" Personalabbau bei der Polizei von Bund und Ländern beschlossen, andererseits scheute sich Politik nicht, trotzdem den Aufgabenzuwachs voranzutreiben. Die Finanzierung sei unzureichend. Eine über einen globalen zweiprozentigen Haushaltsansatz aufgestellte Finanzierung sei dagegen ein gangbarer Weg. Diesen Weg beschreiten z. B. bereits heute skandinavische Staaten. Es müsse zu einer gerechten Kontingentdurchschlüsselung für die Entsendesituation kommen und eine hinreichende Ausrüstung und Ausstattung sichergestellt werden. Ansonsten stelle sich die Frage, was unter einem "robusten Mandat für eine Polizeimission" verstanden werden könne, die von Politikern formuliert worden sei. Dies sei eine Farce, denn es fehle hier an einer Verankerung der Ziele und Ressourcen im Gesetz, um die Missionen darauf fußend operativ sachgerecht umsetzen zu können.

Dietmar Schilff betonte, dass die GdP Niedersachsen die Verabschiedung eines Landesentsendegesetzes fordere.

Die aktuelle Lage in Afghanistan und insbesondere in Kabul sei sehr besorgniserregend. Bislang gebe es für die Entsendung von Polizeibeamtinnen und -beamten zu Auslandseinsätzen keine rechtliche Grundlage. Damit unterliege dies keiner parlamentarischen Kontrolle. Ministerpräsident David McAllister und die Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie FDP seien daher von der GdP Niedersachsen angeschrieben worden, um der Forderung nach Rechtssicherheit für die Polizei Niedersachsen Nachdruck zu verleihen. Der MP hat jedoch über das Innenministerium verlauten lassen, dass ein Gesetzesvorstoß nicht zu erwarten sei. Derzeit bleibt abzuwarten, was aus den Initiativen der SPD werde.

Das Fazit zu der Veranstaltung war sehr positiv: "Eine gute und wichtige Veranstaltung, die auch im nächsten Jahr fortgeführt wird," sagte Dietmar Schilff.

Uwe Robra,
verantwortlicher Redakteur des LandesJournals


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