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Landesjournal Niedersachsen Juli 2018 - Leitartikel - Gewalt im Polizeialltag – Problem oder normale Begleiterscheinung

Hannover, 26.06.2018. „Ihr wusstet doch, worauf ihr euch einlasst! Ihr habt euch doch diesen gefährlichen Beruf selbst ausgesucht! Niemand muss Bulle sein!“ Sätze, die jeder Kollegin, jedem Kollegen durch Mark und Bein gehen und die inzwischen immer wieder als Rechtfertigung für Gewalthandlungen gegenüber Polizistinnen und Polizisten von Beschuldigten und deren Unterstützenden gesagt, geschrieben und verbreitet werden.

Kevin Komolka
Kevin Komolka
Es ist richtig, dass alle, die den Polizeiberuf gewählt haben, wussten, dass dabei eine bestimmte Gefahr mitschwingt. Aber niemand ist in dem Selbstverständnis Polizistin beziehungsweise Polizist geworden, tagtäglich lebendige Zielscheibe, Ventil und Fußabtreter für den angestauten Frust in der Gesellschaft zu sein!

Wenn es irgendwo knallt, wenn Gefahr für Hab und Gut, Leib oder Leben besteht, dann schreitet die Polizei ein. Sie hat den Auftrag, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu wahren. So weit, so gut. Von vielen Menschen wird diese Schutz- und Ordnungsfunktion akzeptiert und dankbar aufgenommen, denn die Einhaltung bestimmter Regeln ist nun einmal die Grundlage dafür, dass Staat und Gesellschaft funktionieren.

Leider gibt es aber eine zunehmende Tendenz in der Bevölkerung, eben diese Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht als positiv, sondern als Provokation zu betrachten. Es gibt immer mehr Menschen, die nicht akzeptieren wollen, wenn sie für ihr Fehlverhalten ermahnt, zur Kasse gebeten oder sogar strafrechtlich verfolgt werden. Die Schuld an ihrer misslichen Situation suchen sie dabei zumeist nicht bei sich selbst, sondern in staatlichen Anordnungen und Gesetzen. Unser Rechtsstaat wird zunehmend als repressiv empfunden, als Organ, das die Entfaltung der persönlichen Freiheit behindert. Die Polizei als Vertreterin dieser staatlichen Gewalt wird dabei immer mehr zum Feindbild. Und da der Staat als solcher nicht greifbar ist, richtet sich die Aggression gegen seine Repräsentanten – gegen Polizistinnen und Polizisten!

Gewalt gehört mittlerweile zum ständigen Begleiter im Berufsalltag der Polizei. Insgesamt nimmt die Zahl der Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Dabei reichen die Angriffe von Beleidigungen über einfache und schwere Körperverletzungen bis hin zu versuchten Tötungsdelikten – unter Umständen nur wegen einer Verkehrskontrolle. Öffentlich bekannt werden dabei oft nur die „besonderen“ Fälle, die kuriosen, die außergewöhnlichen. Oder wenn sie im Zusammenhang mit klassischen Brennpunktsituationen wie Demonstrationen und Fußballspielen stehen.

Die Aggressionen, die uns entgegenschlagen, werden dabei immer härter. Mit der Einschüchterungsaktion von Linksradikalen im Wendland an Pfingsten wurde eine neue Dimension der psychischen Gewalt erreicht. Und nicht nur mit Blick auf den G20-Gipfel im vergangenen Jahr wissen wir, wie es sich anfühlt, lebendige Zielscheibe zunehmender physischer Gewalt zu sein: Zwillenbeschuss mit Stahlkugeln, Bewurf mit Molotowcocktails und Pflastersteinen sind nur einige Beispiele für die steigende Verrohung. Zum „ganz normalen Wahnsinn“ des „ganz normalen“ Alltags gehört es, dass Polizistinnen und Polizisten mit Messern bedroht, mit Bierflaschen beworfen, getreten, geschlagen oder bespuckt werden. Ein Polizist wird an der Schulter verletzt, weil sich ein Zechpreller gegen die Festnahme wehrt. Ein Polizist hat eine Rippenverletzung, weil er einen alkoholisierten Mann fixieren muss, der versucht, ihn zu schlagen. Eine Polizistin erleidet eine Gehirnerschütterung, weil sich ein aggressiver Mann in ihren Haaren festkrallt. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Wie oft hören wir: „Ihr habt Schutzkleidung, Wasserwerfer und Räumpanzer, also stellt euch nicht so an!“? Man muss sich an dieser Stelle fragen: Warum haben wir das eigentlich? Befinden wir uns in einer Gewaltspirale? In einem „Wettrüsten”? Von älteren Kollegen hört man oft „Früher sind wir nur mit Lederjacke und Schlagstock zur Demonstration gefahren. Körperschutzausstattung gab es nicht. Brauchten wir auch nicht.” Ist es tatsächlich so, dass es früher weniger Gewalt gab, oder war sie anders? Richtete sich die Gewalt früher eher gegen Sachen? Wurden also „nur“ Barrikaden errichtet und angezündet? Gab es weniger gezielte Gewalt gegen Menschen? Ist es heute tatsächlich so, dass sich die Gewalt vermehrt gegen den Menschen unter der Uniform richtet? Ist es das Ziel, bewusst Repräsentanten des Staates zu verletzen oder gar deren Tod in Kauf zu nehmen?

Diese Fragen sind wichtig, um der steigenden Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten zu begegnen. Ist es Protest oder Angriff? Wer ist eigentlich das Ziel? Wird die Polizei, wird der Mensch in der Uniform lediglich als „Sache“ betrachtet, als Stellvertreter für den Staat? Was dabei sehr oft vergessen wird: Hinter der Frau oder dem Mann in Uniform steckt immer auch eine Mutter, ein Vater, eine Schwester, ein Bruder, ein Sohn oder eine Tochter. Und auch Polizisten haben neben ihrem Beruf noch ein Privatleben, Familien und Freunde.

Die Respektlosigkeit hat inzwischen in einem Maße zugenommen, das nicht mehr hinnehmbar ist. Jeden Tag werden in Niedersachsen neun Kolleginnen und Kollegen angegriffen. Im Jahr 2017 gab es laut PKS insgesamt 3.179 Fälle von Gewalt gegen die Polizei, 122 mehr als im Jahr davor (3.057 Fälle).

Diese Entwicklung ist völlig inakzeptabel. Polizistinnen und Polizisten haben das Recht, dass Gewalt ihnen gegenüber nicht toleriert wird. Gewalt darf nicht zur Normalität werden. Denjenigen, die unseren Kolleginnen und Kollegen Gewalt antun, muss diese Grenze aufgezeigt werden. Hier sind die politisch Verantwortlichen und die Justiz gefragt, der Polizei noch mehr den Rücken zu stärken.

Seit gut einem Jahr, seit dem 30. Mai 2017, steht auch der Angriff gegen Vollstreckungsbeamte unter Strafe. Es gibt also endlich ein Instrument, um mit entsprechenden Urteilen abzuschrecken. Die GdP hat es hart erkämpft. Der Paragraph 114 muss jetzt nur noch konsequent angewendet werden. Auch die Medien dürfen die Gewalt gegen die Polizei nicht als normal ansehen und „nur zwei” verletzte Polizisten als friedlichen Verlauf darstellen! Jede verletzte Kollegin, jeder verletzte Kollege ist eine bzw. einer zu viel!

Kevin Komolka, stellvertretender Landesvorsitzender


Polizist sein bedeutet AUCH MENSCH sein!

Mit der Kampagne „AUCH MENSCH – Polizei im Spannungsfeld“ macht die JUNGE GRUPPE (GdP) deutlich, dass die Grenzen des Erträglichen überschritten sind. Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten darf nicht toleriert werden. Wenn Polizistinnen und Polizisten als „anonymisierte Feindbilder“ herhalten müssen, hat das fatale Konsequenzen für sie selbst, ihre Familien und Freunde und letztlich auch für die gesamte Gesellschaft. Wie wird es um unsere Sicherheit bestellt sein, wenn niemand mehr den Beruf der Polizistin oder des Polizisten ergreifen und ausüben will? Weitere Informationen unter www.auchmensch.de.
 

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