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Arbeitszeit

Interview mit dem Landespolizeipräsidenten

Sascha Göritz & Philipp Mantke

Landespolizeipräsident Axel Brockmann im Gespräch mit Sascha Göritz
Landespolizeipräsident Axel Brockmann im Gespräch mit Sascha Göritz

Lange wurde darüber geredet, nun sollen Taten folgen: Der neue landesweit einheitliche Arbeitszeiterlass für die Polizei Niedersachsen nimmt Formen an und soll in den kommenden Wochen dem Polizeihauptpersonalrat vorgelegt werden. Im Vorfeld dazu haben wir unseren Landespolizeipräsidenten Axel Brockmann unter anderem gefragt, wie er sich den Kulturwandel vorstellt, wie Beschäftigte und Führungskräfte vorbereitet werden sollen und wann der Erlass in Kraft treten soll.

DP: Beim Thema „Arbeitszeit“ wird viel mit dem Begriff „Kulturwandel“ argumentiert. Was sind die fünf prägenden Momente der neuen Kultur und welche Kulturelemente der Vergangenheit werden wir über Bord werfen?

Axel Brockmann: In den zurückliegenden Jahren haben sich einige arbeitszeitrechtliche Veränderungen ergeben, die nun in neue Arbeitszeitregelungen der Polizei einfließen müssen. Für eine moderne und zukunftsorientierte Polizei ist es unerlässlich, die aktuelle Vielfalt der polizeiinternen arbeitszeitrechtlichen Vorgaben zu reduzieren und hierdurch mehr Rechtssicherheit, Transparenz und vor allem auch Klarheit zu schaffen.

Die fünf prägendsten Momente der neuen Kultur sind für mich folgende, die ich jeweils auch kurz begründen möchte:

1. Stärkung der Eigenverantwortung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer persönlichen Arbeitszeit bei zeitgleichem Abbau der Kontrollmechanismen seitens der Organisation.
Das bedeutet für mich, dass
  • es künftig keine uneingeschränkten und dauerhaften Einsichtnahmen mehr in die Stundenkonten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben wird, sondern Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen selbst für die Einhaltung der Vorgaben verantwortlich sind,
  • Vorgesetzte bei Über- bzw. Unterschreiten noch zu definierender Stundenober- bzw. -untergrenzen bei Zeitguthaben bzw. Minderzeiten sowie Mehrarbeitsstunden mittels eines Ampelsystems (gelb, rot) durch das neue Zeitmanagementsystem automatisch benachrichtigt werden und
  • sie darauf basierend ihrer Führungsverantwortung durch z.B. Personalgespräche nachkommen können und auch sollen.

2. Die Schaffung eines modernen Arbeitszeitrahmens für eine flexible Arbeitszeitgestaltung, der auch für die Kolleginnen und Kollegen des Wechselschichtdienstes und des Schichtdienstes gilt.
Das bedeutet für mich, dass
  • alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitszeit minutengenau erfassen können,
  • sie Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit innerhalb des vorgegebenen Arbeitszeitrahmens unter Berücksichtigung von definierten Funktionszeiten selbst bestimmen können und
  • auch für die Mitarbeitenden des Wechselschichtdienstes/Schichtdienstes analog zu den Gleitzeitkonten so genannte Zeitguthabenkonten eingerichtet werden.

3. Die künftige Gewährleistung von verbindlichen Dienstplänen für den Wechselschichtdienst/Schichtdienst mit klaren, landeseinheitlich standardisierten Verfahren.
Das bedeutet für mich, dass
  • wir als Polizei Niedersachsen durch planbare und verbindliche Arbeitszeiten die Basis für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben weiter ausbauen und
  • es für das Bedarfsorientierte Schichtdienstmodell ein so genanntes Drei-Phasen-Modell (Planung, Koordinierung, Verbindlichkeit) bei der Dienstplangestaltung geben wird und Abweichungen nach Erklärung der Verbindlichkeit nur aus zwingenden dienstlichen Gründen erfolgen können. Gleiches gilt hinsichtlich der Verbindlichkeit für Dienstpläne des Einsatz- und Streifendienstes mit einem festen Schichtdienstplan.

4. Die Schaffung landesweit einheitlicher Zeitkonten mit einheitlicher jährlicher Kappungsgrenze für alle Polizeibeschäftigten.
Das bedeutet für mich, dass
  • die Stundenabrechnungen landesweit einheitlich erfolgen und
  • es eine jährlich einheitliche Kappungsgrenze für die Gleitzeit- und auch die neuen Zeitguthabenkonten des Wechselschichtdienstes/Schichtdienstes gibt.
Wir werden hier natürlich auch eine Übergangsfrist für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Regelungen bereits darüber hinaus erwirtschaftetes Zeitguthaben festlegen.

5. Die Geltendmachung der Einrede der Verjährung von Mehrarbeitsstunden, auf die bisher verzichtet worden ist.
Das bedeutet für mich, dass
  • beabsichtigt ist, die Einrede der Verjährung von Mehrarbeitsstunden landesweit, mit einer angemessenen Übergangsfrist für alte Mehrarbeitsstunden, geltend zu machen.

DP: Wir haben ein neues, umfangreiches, mit Wechselwirkungen versehendes Regelwerk zur Arbeitszeit zu erwarten. Durch welche Maßnahmen werden Mitarbeitende wie Führungskräfte begleitet, gestützt, sich rechtmäßig zu verhalten?

Brockmann:
Als erstes ist die interne Kommunikation der neuen arbeitszeitrechtlichen Regelungen und Vorgaben von besonderer Bedeutung. Es muss hierbei darum gehen, diesen eben beschriebenen Kulturwandel zu erklären, die neuen Freiräume zu definieren und Führungskräfte wie Mitarbeitende auf die neuen Leitlinien und den Philosophiewechsel einzustimmen. Daneben sind natürlich auch inhaltliche Fortbildungen erforderlich, damit jede Kollegin und jeder Kollege letztlich auch von ihrem bzw. seinem neuen Gestaltungsspielraum rechtssicher Gebrauch machen kann. Darüber hinaus soll auch das neue Zeitmanagementsystem eine technische Unterstützung bieten, in dem es Buchungen entgegen des festgelegten Rahmens zur Entscheidung an die jeweilige Führungskraft übermittelt.

DP: Wenn es Regeln gibt, ist auch zu erwarten, dass einzelne dagegen verstoßen. Insbesondere Vorgesetzte stehen dabei in einer Garantenstellung. Hier fallen teilweise sperrige Stichwörter wie rechtswidrige Zuvielarbeit, unionsrechtlicher Haftungsanspruch, beamtenrechtlicher Ausgleichsanspruch aus Treue und Glauben. Kommt ein zivilrechtliches Mitverschulden desjenigen in Betracht, der die Verantwortung für die Zuvielarbeit trägt? Wie steht es mit der (strafrechtlichen) Garantenpflicht des Arbeitgebers, wenn es z.B. zu einem Verkehrsunfall oder zur Falschbetankung eines DienstKfz kommt?

Brockmann: Klar ist, dass auch Vorgesetzte an Recht und Gesetz gebunden sind und sich daran zu halten haben. Wir gehen aber davon aus, dass sich diese Fragen so nicht stellen. Durch die Vielzahl unserer Maßnahmen zur Information, Sensibilisierung und Fortbildung ist es Ziel, die Führungsverantwortlichen und auch die Mitarbeitenden selbst in die Lage zu versetzen, die arbeitszeitrechtlichen Vorgaben bei der Dienst- und Einsatzplanung rechtssicher anzuwenden und im Auge zu behalten.

DP: Arbeits- und Gesundheitsschutzerkenntnisse orientieren sich am Menschen, an wissenschaftlich belegten Risiken und Gefahren. Diesen Erkenntnissen ist es egal, in welcher Organisationseinheit jemand seinen Dienst versieht. Daher hat die EU wörtlich zu nehmende Mindestschutzstandards normiert. Lediglich für die Kontinuität des Dienstbetriebs gibt es einen ganz schmalen Korridor der Abweichungsmöglichkeit. Kann man also davon ausgehen, dass damit außerhalb dieses Bereiches alle unbeschränkten Zugang zu diesen Mindeststandards für den Erhalt ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten werden?

Brockmann: Es ist unstrittig, dass sich die Polizei Niedersachsen als Teil der niedersächsischen Landesverwaltung in dem für diese geltenden rechtlich-organisatorischen Rahmen bewegen muss und bewegen wird. Wir streben moderne, zukunftsfähige Arbeitszeitregelungen an, die sich an den rechtlichen Vorgaben orientieren und für alle Bereiche und Beschäftigtengruppen der Polizei gelten. Hierbei spielt die Gesundheitsprävention eine ebenso wichtige Rolle wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch größtmögliche zeitliche Flexibilisierungen.

DP: In der Polizei Niedersachsen verfolgen über 4.000 Tarifbeschäftigte gespannt die Entwicklungen eines modernen Arbeitszeitregelwerks. Die rechtliche Grundlage von diesen Kolleginnen und Kollegen lassen sich jedoch nicht im NBG oder in Erlassen, sondern im bundesweit gültigen Arbeitszeitgesetz und den gültigen Tarifverträgen inklusive der verhandelten 81er-Vereinbarung finden. Was können die Menschen im Tarifbereich erwarten?

Brockmann: Auf Basis gemeinsamer Leitlinien des Landespolizeipräsidiums und des Polizeihauptpersonalrats sind aktuell die Entwürfe neuer Arbeitszeitregelungen erstellt und werden nun hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Tarifbeschäftigten überprüft und ggf. angepasst. Ich erwarte, dass eine zukünftige Dienstvereinbarung die vereinbarten Regelungen für alle Beschäftigtengruppen der Polizei Niedersachsen und demnach auch für die ca. 4.100 Tarifbeschäftigten enthalten wird.

DP: Wann wird geliefert?
Brockmann: Mein Ziel ist es, die neuen Regelungen so schnell wie möglich in Kraft zu setzen. Aber Schnelligkeit darf nicht zu Lasten der Qualität gehen. Außerdem müssen wir auch Zeiträume für notwendige Abstimmungen – wie zum Beispiel mit dem Polizeihauptpersonalrat – vorsehen. Wir haben verabredet, dass die neuen Arbeitszeitregelungen Mitte des nächsten Jahres in Kraft treten. (Redaktioneller Hinweis: Das Interview wurde im Jahr 2021 geführt. Geplant ist also ein Inkrafttreten Mitte 2022.)
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