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Landesjournal Niedersachsen Juni 2010 - POLIZEILICHE VIDEOÜBERWACHUNG UND DATENSCHUTZ - Vakuum: Wo waren Aufsichtspflicht des Innenministers und Fürsorgepflicht der Behördenleiter?

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen (LfD NI) stellte nach einer Prüfung bis April 2010 bei der polizeilichen Videoüberwachung eine landesweite Mängelquote von 96 % fest. Nur 23 von 604 Kameras blieben ohne Beanstandung. Bei allen anderen erhobenen und kontrollierten Anwendungsformen der Videotechnik wurden mehr oder weniger schwerwiegende Probleme dokumentiert.

Die Polizeibehörden wurden schriftlich in Kenntnis gesetzt und Fristen zur Beseitigung der Problemfälle vorgegeben. Zusätzlich hat der LfD NI von seinem Recht Gebrauch gemacht und am 19.04.2010 den Niedersächsischen Landtag und am 20.04.2010 die Öffentlichkeit informiert.
Bei den Videoanlagen zur Sicherung von Polizeigebäuden und -liegenschaften wurde es nicht sehr genau mit den gesetzlich vorgeschriebenen Rechtmäßigkeitsprüfungen und der Kennzeichnungspflicht genommen. Es wurden offensichtlich auch regelmäßig die Beteiligungspflichten/-rechte der behördlichen Datenschutzbeauftragten und der Personalvertretungen missachtet, und es bestand die Möglichkeit von Verhaltens- und Leistungskontrollen (z. B. Raucherecke). Bei Übungen mit der neuen Minidrohne ging man seitens der Polizeibehörden sogar davon aus, dass alle Teilnehmer an den Übungslagen konkludent eingewilligt hätten. Eine völlig haltlose und gesetzeswidrige Interpretation.

Ein Runderlass des Innenministeriums (MI) räumt seit mindestens 2002 eine Video- und Audioüberwachung von Diensträumen ein, wo dienstliche Munition und Waffen gelagert werden, die sich nicht in ständiger Sichtweite des Einsatz- und Streifendienstes befinden. Eine Audioüberwachung ist jedoch unzulässig und gegebenenfalls strafrechtlich relevant. Zur Videoüberwachung lässt das MI indessen den LfD NI seit September 2009 auf eine Stellungnahme warten.

Bei der Überwachung des öffentlichen Raumes wurden Anlagen ohne originäre Zuständigkeit – insbesondere Verkehrslenkung –, entgegen den gesetzlichen Grundlagen, ohne hinreichende technisch-organisatorische Maßnahmen (zum Schutz z. B. gegen Zugriffs- und Manipulationsmöglichkeiten durch Dritte) und Einrichtung von Privatzonen – Ausblendung von gem. Artikel 13 Grundgesetz geschützten Bereichen – betrieben.

In den bereits erwähnten Einsatzgebieten wurden auch defekte Kameras und Aufzeichnungsgeräte eingesetzt und über mehrere Monate und Jahre nicht abgebaut bzw. ersetzt. Dem Bürger wurde u. a. Schutz und Sicherheit vorgegaukelt, die tatsächlich nicht vorhanden war.
Polizeigewahrsamsräume wurden ohne Rechtsnorm überwacht. Einige Polizeibehörden konnten die Argumentation des LfD NI nachvollziehen und bauten die Technik umgehend ab. Das Innenministerium wurde vom LfD zur Stellungnahme  aufgefordert. Trotz rechtlicher Verpflichtung zur Auskunft blieb eine Reaktion aus dem Hause von Herrn Schünemann aus und die datenschutzrechtliche Landesaufsichtsbehörde wurde ignoriert. Und somit setzt sich der Rechtsbruch durch die übrigen Polizeibehörden fort.

Bei Versammlungen und Aufzügen wird offensichtlich pauschal Videotechnik eingesetzt. Auch gesetzes- und verfassungskonformes Verhalten wurde aufgenommen und dem Polizeiführer bzw. dem Polizeilichen Staatsschutz zur Verfügung gestellt. Dabei hätten diese Aufnahmen niemals angefertigt werden dürfen oder sofort nach Beendigung des Einsatzes von der aufnehmenden Einheit gelöscht werden müssen. Sofern überhaupt Löschungsfristen festgelegt wurden, wurden nicht nachvollziehbare Aufbewahrungen von bis zu sechs Monaten festgestellt. In dieser Angelegenheit wäre eine sachgerechte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte sinnvoll, damit man die grundsätzliche verfassungsrechtliche Problematik einer derartigen Vorgehensweise tatsächlich erkennt.

Es stellt sich also die Frage, warum die Polizei dem Ruf des Innenministers Schünemann nach immer mehr Videoüberwachung vorbehaltlos nachkommt und die Behörden-/Dienststellenleiter ihre Mitarbeiter/innen bei der Anwendung nicht gesetzeskonformer Technik im Regen stehen lassen.

Wir alle haben einen Eid auf das Grundgesetz und die Nds. Verfassung geleistet, der uns an die Einhaltung von Gesetz und Recht bindet. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Volkszählung Grundrechtscharakter.
In 96 % der Fälle wurde dieses Recht offensichtlich seit Jahren missachtet. Innenminister und Führungskräfte auf allen Ebenen sollten ihr Bewusstsein für einen rechtlich einwandfreien Einsatz der Videotechnik schärfen.


Red.


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Die Pressemitteilung des LfD NI sowie zahlreiche Fakten aus den dazugehörigen Prüfungsergebnissen findet man im Netz unter:
www.lfd.niedersachsen.de
deeplink:
www.lfd.niedersachsen.de/master/C62907614_N62907436_L20_D0_I560.html
 
 
 
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Bernhard Witthaut, Landesvorsitzender
Foto: Archiv
Ein Kommentar von Bernhard Witthaut, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Niedersachsen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bereits vor zehn Jahren haben wir als GdP deutlich gemacht[1], dass Videoüberwachung zwar ein sinnvolles Einsatz- und Führungsmittel sein kann, aber auch kein Allheilmittel ist und erst recht nicht systematisch Polizeipräsenz vor Ort ersetzen kann. Ein flächendeckendes Überwachungsnetz wie z. B. in London mit einer Mio. Kameras für 500 Mio. Pfund ist nicht nur unter dem Aspekt der Grundrechtseingriffe gesellschaftlich bedenklich, sondern erbringt angesichts der mageren Personalressourcen vor der Bildschirmwand und einer Studie zufolge auch nicht die behaupteten Sicherheitsgewinne.
Was aber ist hier in Niedersachsen geschehen?
Wir alle haben bereits in der Ausbildung bzw. im Studium gelernt, dass in einem Rechtsstaat die Eingriffsverwaltung verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen ist. Daher gibt es für alle Eingriffsnormen – so auch für die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung in unserem Bereich – Verfahrensregeln und Erlaubnisvorbehalte sowie die Gewaltenteilung mit Kontrollfunktionen. Wenn also Videoüberwachungstechnik zum Einsatz kommt, die in 96% der Fälle ohne Einhaltung formaler oder gar materiellrechtlicher Vorschriften[2] in den Betrieb gehen und folglich vom Landesdatenschutzbeauftragten bemängelt wird, sollte die politische Führung und die verantwortlichen Stellen nicht den Überbringer der schlechten Nachricht attackieren, sondern sich korrigieren und die eigenen Versäumnisse nachholen.
Wir als GdP wollen für die Kolleginnen und Kollegen Rechtssicherheit und sauber aufgestellte Verfahren. Wir wollen keine Videoüberwachung um jeden Preis, sondern mit Augenmaß und unter Einhaltung gesetzlicher und verfassungsmäßiger Vorgaben.

Bernhard Witthaut, Landesvorsitzender

[1]       DP 8/2000 www.gdp.de/id/dp0800/$file/0008_09.pdf
[2]      § 32 Abs. 3 Nds. SOG, § 25a NDSG


 
 
 




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