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Novellierung des § 29 POG

Akustische Wohnraumüberwachung

Mainz.

Bei Anhörungen in der CDU- und in der SPD-Fraktion haben am 21. und 23.9.2004 Ernst Scharbach und Bernd Becker für die GdP zu der Frage des Erfordernisses der Novellierung des § 29 des rheinland-pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur strafprozessualen Wohnraumüberwachung Stellung genommen.

1. Vorbemerkung

Wir bedanken uns bei den Fraktionen des rheinland-pfälzischen Landtages für das Interesse an unseren Einschätzungen zur vorliegenden Thematik.

Um es vorwegzunehmen:Die GdP ist der Auffassung, dass von dem Urteil des BVerfG nicht die Verpflichtung ausgeht, die Ausführungen zum Menschenwürdekern des Wohnungsrechts aus Artikel 13 des Grundgesetzes auf die präventive Wohnraumüberwachung zu übertragen.

Die Voraussetzungen für gefahrenabwehrende Einschränkungen des Wohnungsrechts werden ausdrücklich in einem gesonderten Absatz des Artikels 13 GG geregelt und lassen eine deutlich höhere Eingriffintensität zu.

Es geht hier in der Abwägung eben nicht um das bloße staatliche Interesse an der Strafverfolgung, sondern um die Abwägung des Wohnungsrechts (und des enthaltenen Menschenwürdekerns) mit verfassungs- und menschenrechtlich sehr hochwertigen Individualrechtsgütern und um deren Schutz durch den Staat. Also auch um die Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Würde von Menschen, die der Bedrohung ausgesetzt sind, Opfer von Straftaten zu werden.

Davon bleibt zunächst die Frage getrennt, ob Daten, die auf einer gefahrenabwehrenden Rechtsgrundlage erfasst wurden, später Verwendung für die Strafverfolgung finden können. Diese Diskussion hat die GdP mit dem Bundesgesetzgeber zu führen. Auf dieser Ebene stößt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur strafprozessualen Wohnraumüberwachung ebenfalls auf fundierte Kritik. Schon alleine, weil es bisher geltende Rechtsgrundsätze umkehrt und von der Polizei und der Justiz ein tatsächlich unmögliches Verhalten fordert.


2. Einige Fakten

2.1 Die Lage

Die internationale Sicherheitslage, insbesondere die vom vernetzten und nicht vernetzten islamistischen Terrorismus ausgehende Bedrohung kann sicher als zumindest vom Gesamteindruck her bekannt unterstellt werden.

Zweifel treten bei der GdP hier und da bei der Frage auf, ob im erforderlichen Maße zur Kenntnis genommen wurde, dass Deutschland für diese Bedrohung keine Ausnahme darstellt. Deutschland ist gleichermaßen Rückzugs- wie Planungsraum, aber auch potenzieller Tatort.

Konkret: Rheinland-Pfalz ist diesbezüglich ebenfalls keine Ausnahme. In zurückliegenden und aktuellen Verfahren ist eindeutig festzustellen, dass in Rheinland-Pfalz Gefährder unterschiedlicher Intensität ansässig sind. Ebenso ist festzustellen, dass es inhaltliche und personelle Verknüpfungen zu nicht politisch motivierter Kriminalität, beispielsweise Schleuserkriminalität gibt.

Die GdP begrüßt die Bereitschaft der Fraktionen, sich durch die Anhörung von Vertretern der zuständigen Behörden einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen und verzichtet deshalb auf eine detaillierte Darstellung.

Die Wohnraumüberwachung wurde in RP seit Bestehen ca. 10 Mal angewendet, 7 Mal strafprozessual und 3 Mal gefahrenabwehrend. Dies ist keinesfalls ein Indiz dafür, dass sie nicht erforderlich ist. Sie ist auch bisher schon als unverzichtbare Taste auf der Klaviatur der repressiven und präventiven Eingriffsmaßnahmen zu sehen.

Viel wichtiger ist aber noch die Erkenntnis, dass der Polizei für zwar in Anbetracht der internationalen Bedrohungssituation vorstellbare, aber Gott sei dank bisher nicht akute Lagen das Handwerkszeug an die Hand gegeben werden muss.

Die Bilanz der bundesweit durchgeführten Wohnraumüberwachungen ist durchweg positiv. Der weitaus größere Teil hat zur Überführung/Festnahme der Tatverdächtigen und/oder zur Gefahrenbeseitigung geführt. Der kleinere Teil hat Strukturen erkennen lassen, die den Weg für weiter gehende Ermittlungszüge geöffnet haben.

Die Anschläge in New York, Madrid und Beslan sind markante Beispiele dafür, dass sich die Planungs- und Vortatphase solcher Taten über Monate und Jahre erstreckt hat. Bei Madrid: über 2 Jahre. Es geht also bei der Gefahrenabwehr nicht - wie oft bei der Repression - um die Dokumentation der Tatphase. Ein signifikanter Unterschied.


2.2 Die praktischen Probleme

Als Folge des Verfassungsgerichtsurteils wurden in RP laufende Maßnahmen auf "Live-Überwachung" umgestellt, so dass die betroffenen Dienststellen aus der Praxis berichten können. Hier in Stichworten einzelne Problemstellungen:
  • Grundsätzlich weisen Ermittler darauf hin, dass die optische Überwachung dringend erforderlich ist, um bei einer Vielzahl von kommunizierenden Gefährdern oder Tatverdächtigen eine Zuordnung von Aussagen vornehmen zu können.
  • Durch die erforderlich gewordene Live-Überwachung ist ein Schichtdienst für Polizei und Übersetzer erforderlich. Personalansatz Polizei: Ca. 16 BeamtInnen je Maßnahme.
  • "Normale" Übersetzer reichen nicht mehr aus. Es müssen Simultandolmetscher eingesetzt werden; bei den zahllosen unterschiedlichen Dialekten und exotischen Sprachen ein Riesenproblem.
  • Zur Abklärung der "Kernbereichsrelevanz" sind viel stärker als bisher begleitende Maßnahmen mit Eingriffscharakter (TKÜ, Observation) erforderlich.
  • Die Qualität der vorhandenen Aufzeichnungstechnik lässt teilweise nur schwer eine Live-Verfolgung des gesprochenen Wortes zu.
  • Durch die Vorgaben des BVerfG eröffnen sich vollkommen neue Codierungsmöglichkeiten für Tatverdächtige und Gefährder. Eine höchstpersönliche Kommunikation kann beispielsweise durch den Austausch von Zärtlichkeiten vorgetäuscht werden.
  • Es ist vollkommen unmöglich, den richtigen Moment für das erneute Aufschalten der Überwachung festzustellen.
  • Dadurch können sowohl belastende als auch entlastende Kommunikationssegmente, die insbesondere bei einem bevorstehenden Anschlag von entscheidender Relevanz sein können, unwiederbringlich verloren gehen.
  • Die bisherige Rechtsprechung hat, z.B. bei der TKÜ, eine lückenlose Aufzeichnung verlangt, um bereits die Anmutung zu entkräften, die Polizei werde selektive Beweissicherung betreiben.
  • Terroristische Anschläge haben Planungs- und Vortatphasen von Monaten und Jahren; entsprechend sind die Auswirkungen auf die mögliche Dauer von Überwachungen.
  • Die Installation einer Wohnraumüberwachung hat in Einzelfällen bis zu 8 Wochen nach Vorliegen des Beschlusses gedauert. da vorher keine Gelegenheit bestand.


3. Anregungen der GdP

Die GdP ist nach all den beschriebenen Feststellungen und Überlegungen der gefestigten Auffassung, dass im Bereich der Gefahrenabwehr der "Menschenwürdekern" des Wohnungsrechts sehr viel weitergehender als bei der Strafverfolgung einer Grundrechtsabwägung zugänglich sein muss und zwar sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Exekutive.

Es lohnt, sich in diesem Zusammenhang den Extremfall vorzustellen, also z.B. die Abwehr eines Anschlages mit Gefahr für das Leben hunderter von Menschen. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die Wahrung der Menschenwürde des Gefährders den Staat daran hindern soll, seiner Schutzpflicht für Menschenleben nachzukommen.

Solche oder auch stark abgemilderte Fallgestaltungen im Bereich der Gefahrenabwehr sind mit vorstellbaren strafprozessualen Lagen nicht zu vergleichen. Das Interesse des Staates an Strafverfolgung, das das BVerfG in seinem Urteil durchgehend im Blickfeld hat, ist mit der Sicherung und dem Schutz elementarer Grund- und Menschenrechte nicht vergleichbar.

Die Tendenz in der öffentlichen und politischen Diskussion, nunmehr auch die Gefahrenabwehr zu "liberalisieren" kommt dem Gegenteil gleich. Sie ist geprägt von weitgehender Ignoranz gegenüber den Rechten auf Leben, Gesundheit und Freiheit potenzieller Opfer.

Übrigens sind bei der Frage des Schutzes bestimmter Personengruppen (52, 53 Strafprozessordnung) ähnliche Abwägungsüberlegungen anzustellen.


Bleibt die Frage, ob der § 29 POG geändert werden sollte. Die Antwort der GdP lautet: Grundsätzlich Nein.
Da die andauernde Diskussion aber geeignet ist, bei allen Beteiligten neue Erkenntnisse hervorzurufen, sollte man diese Frage vielleicht differenzierter angehen. Deshalb einige wenige Anregungen in aller Zurückhaltung:

  • Analog des bayerischen Entwurfes oder angelehnt an den Gesetzentwurf der Bundesregierung könnte ein vom Richter zu entscheidender Verzicht auf die anschließende Mitteilung ins Gesetz aufgenommen werden, wenn hierdurch Polizisten, Verdeckte Ermittler oder V-Personen gefährdet würden.
  • Der Straftatenkatalog sollte aus Sicht der GdP nicht abgespeckt werden, keinesfalls sollen wegen der 5-Jahres-Grenze, die vom BVerfG formuliert wird, die 129-er-Straftaten entfallen. Vielmehr stellt sich angesichts der Bedrohung durch Rechtsradikale die Frage, ob § 86 StGB aufgenommen werden sollte.
  • Bzgl. der Anordnungsbefugnis gibt es keinen Änderungsbedarf.
  • Bzgl. der Dauer der Anordnung könnte die Bremer Regelung beispielgebend sein: 3 Monate Erstanordnung mit Überprüfung alle 4 Wochen und der Option der Fortsetzung bis zur negativen Entscheidung des Richters.
  • Die Kernfrage ist aber, ob die Maßnahme an sich auf Dauer ad absurdum geführt wird, indem von der Polizei verlangt wird, sogenannte Kernbereichsverletzungen zu vermeiden. Noch einmal: In der Abwägung gegenüber Menschenleben kann der Kernbereich der Menschenwürde des Gefährders zwar vorhanden aber einer Abwägung zugänglich sein und faktisch gegen NULL tendieren.