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Polizei- und Ordnungsbehördengesetz

Wohnraumüberwachung zur Abwehr von Anschlagsgefahr muss bleiben - GdP-Brief an Bündnis 90 / Die Grünen

Mainz.

In den letzten Tagen hat sich die Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen mit einer Gesetzesinitiative zur Änderung des frisch verabschiedeten Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) hervorgetan. Konkret geht es der Grünen-Fraktion darum, die Möglichkeit der Wohnraumüberwachung stark einzuschränken.

Nur bei "erheblicher gegenwärtiger" Gefahr für Leben und Gesundheit einer Person, soll der Eingriff möglich sein. Die dringende Gemeingefahr, also beispielsweise die Gefahr eines bevorstehenden nicht näher definierbaren Anschlags, würde damit als Voraussetzung für die Wohnraumüberwachung aus dem Gesetz entfernt. In einer Pressemitteilung von Bündnis 90 / Die Grünen wird die Initiative mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet.

Die GdP in Rheinland-Pfalz weist in einem Brief an Friedel Grützmacher, innenpolitische Sprecherin von B 90 / Die Grünen, darauf hin, dass sich dieses Urteil ausschließlich auf die strafprozessuale Wohnraumüberwachung bezieht. In diesem Zusammenhang weist GdP-Vorsitzender Ernst Scharbach darauf hin, dass das Gericht in seinen Ausführungen zu § 100 f Strafprozessordnung eine Abgrenzung zur Gefahrenabwehr vornimmt und die dringende Gemeingefahr als Voraussetzung bestätigt. Das rheinland-pfälzische POG - so der GdP-Hinweis an Frau Grützmacher - übernehme sogar die Formulierung aus Artikel 13 Absatz 4 Grundgesetz. Und bemerkenswert sei auch, dass der § 100 f Strafprozessordnung von Burkhard Hirsch und den anderen Beschwerdeführern nicht zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gemacht werde, die Wohnraumüberwachung zur Gefahrenabwehr also offenbar unkritischer gesehen werde.

Anders ausgedrückt: Die Gesetzesinitiative von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht mit der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes begründbar.

Hier der Brief an die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Wortlaut:

"Sehr geehrte Frau Grützmacher,

die folgenden Zeilen sind mit der Bitte verbunden, sie als sachliche Hinweise aus der polizeilichen Praxis zu betrachten. Es ist die Sichtweise derer, die eine wachsende Bedrohung wahrnehmen und eine große Verantwortung verspüren, Gefahren von den Menschen abzuwenden.
Ich habe viel Verständnis dafür, dass Sie Ihren Wählern durch eine Rechtspolitik gerecht werden wollen, die Grund- und Menschenrechte stark in den Vordergrund stellt. Dem gleichen Prinzip folgen die polizeiliche Ausbildung und die Haltung der GdP. Die Rechtsentwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte ist diesem Grundanliegen ebenfalls gefolgt.

Nehmen Sie beispielsweise die gesetzliche Regelung präventiver oder repressiver Observationsmaßnahmen. Vor 15 - 20 Jahren wäre niemand auf den Gedanken gekommen, dass der Polizist oder die Polizistin eine Rechtsgrundlage braucht, wenn er / sie mit Augen und Ohren im öffentlichen Raum etwas wahrnimmt. Heute ist die Observation von Menschen in den Polizeigesetzen der Länder und in der Strafprozessordnung geregelt und an Voraussetzungen gebunden. Vor einigen Wochen war in diesem Zusammenhang kurioserweise zu beobachten, dass grüne Bundespolitiker in der ersten Reihe derjenigen standen, die die Kölner Polizei dafür tadelten, dass sie den so genannten Kalifen von Köln (Kaplan) vorübergehend aus den Augen verloren hatte. Die Kölner Kollegen hatten sich lediglich an Recht und Gesetz gehalten. Ich weise auf diesen Vorfall hin, weil ich mir auch sehr gut vorstellen kann, dass nach einem terroristischen Anschlag aus den Reihen des Landtages Fragen gestellt werden, wie "Hätte die Polizei die Täter kennen müssen?" Auch Schlagzeilen, wie "Tatverdächtige waren polizeibekannt - Warum wurde Anschlag nicht verhindert?" kann man sich mit wenig Fantasie vor Augen führen.

Sie beziehen sich in Ihrer Pressemitteilung über die Gesetzesinitiative zur Änderung des POG auf das Urteil des Bundes- verfassungsgerichtes vom 3.3.2004, Az. 1 BvR 2378/98, und teilen der interessierten Öffentlichkeit mit, dass unser oberstes Gericht die Wohnraumüberwachung nur unter strengen Beschränkungen für zulässig erklärt hat. Dann führen Sie fort, dass Sie der Auffassung sind, dass das rheinland-pfälzische POG "weit über diesen Rahmen hinausgeht".

In unseren Gesprächen vor Verabschiedung des POG haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass Repression (Strafverfolgung) und Prävention (Gefahrenabwehr) zwei oft ineinander übergehende aber doch unterschiedliche Felder sind, die von Polizei und Justiz zu beackern sind. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wägt in 373 Absätzen und auf 58 Seiten den Kernbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung i.V.m. den allgemeinen Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde mit dem "Strafanspruch des Staates" ab. Die verfassungsrechtliche Betrachtung stellt folglich im Kern auf Artikel 13 Abs. III des Grundgesetzes ab. Die im rheinland-pfälzischen Polizeigesetz formulierte Eingriffsbefugnis zur Wohnraumüberwachung hat jedoch ihre verfassungsrechtliche Entsprechung in Artikel 13 Abs. IV Grundgesetz. § 29 Abs. I des POG übernimmt als Voraussetzung sogar die Formulierung aus dem Grundgesetz: "zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit".

Die unterschiedliche Eingriffsintensität bei unterschiedlichen Voraussetzungen folgt dem Grundsatz, dass der Verfassungs- und Gesetzgeber die Abwehr von Gefahren höher ansiedelt, als die nachträgliche Verwirklichung des staatlichen Strafanspruches, der ja auch wieder im Wesentlichen seine Bedeutung aus dem ihm innewohnenden allgemeinen und individuellen Präventionscharakter bezieht.

Das Bundesverfassungsgericht befasst sich in seinem Urteil an einer Stelle kurz mit dem § 100 f Strafprozessordnung, also der Fragestellung, in welchen Fällen Daten, die strafprozessual erhoben wurden, für Zwecke der Gefahrenabwehr (Zweckbindung) übermittelt werden dürfen. Hier werden Sie eine interessante Abgrenzung für die Fälle finden, in denen lediglich Vermögens- und Sachwerte gefährdet sind. In diesen Fällen - so das Bundesverfassungsgericht - können strafprozessual gewonnene Er- kenntnisse nur dann zu gefahrenabwehrenden Zwecken verwandt werden, wenn der Charakter der gemeinen Gefahr gegeben ist. "Nur dann hat die Gefährdung von Sach- und Vermögenswerten ein Gewicht, das der vom verfassungsändernden Gesetzgeber angestrebten Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter in Art. 13 Abs. IV GG entspricht", schreiben die Verfas- sungsrichter.

Es ist unschwer zu erkennen: Hier ist von der Gefahr eines großen (terroristischen) Anschlags die Rede. Das ist genau der Beispielsfall, den Sie mit Ihrem Gesetzesvorschlag wieder aus dem POG entfernen möchten. Ich finde, dass Burkhard Hirsch und die anderen Beschwerdeführer den § 100 f Strafprozessordnung vollkommen zu Recht nicht zum Gegenstand ihrer Kritik gemacht haben (siehe Absatz 331 des Urteils).

Sehr geehrte Frau Grützmacher, auch wir von der GdP erwarten mit Spannung das Gutachten der Landtagsverwaltung. Aus unserer Sicht ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das von der GdP im Hinblick auf die Forderung nach Änderung des Strafprozessrechts durchaus kritisiert wird, geradezu eine Bestätigung für die Eingriffsnormen zur Wohnraumüberwachung im rheinland-pfälzischen POG. Anders ausgedrückt: Ihre Gesetzesinitiative ist nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichtes begründbar.

Natürlich steht Ihnen die GdP jederzeit für weitere Gespräche zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Bernd Becker
Stellvertretender Vorsitzender"