Erinnerungen
"Nur die Opfer sind lebenslänglich gestraft"
- Kurz danach passiert das Unfassbare:
Auf dem Beifahrer sitzend, will Stefan Grage zusätzlich über Funk die Personalien des Fahrers überprüfen. In diesem Augenblick steht Kay Diesner plötzlich unmittelbar neben dem Streifenwagen. In den Händen hält der Gewalttäter eine „Pump-Gun“. Ohne mit der Wimper zu zucken, eröffnet er das Feuer durch die geschlossene Seitenscheibe. Stefan Grage kann gerade noch einen Funkspruch an die Einsatzleitstelle abgeben. Diesner lädt aber nochmals durch, zielt erneut auf den 33-Jährigen Polizisten und drückt ab. Kussauer erinnert sich an einen ohrenbetäubenden Lärm. Im Brust- und Nackenbereich getroffen, kippt Stefan Grage nach vorn und sackt zusammen. Der Polizist erliegt später den schweren Schussverletzungen. Der auf dem Fahrersitz befindliche Stefan Kussauer wird am Bein schwer getroffen, erleidet durch herumfliegende Splitter Verletzungen im Gesicht. Dem 31-Jährigen gelingt es trotzdem, das Fahrzeug zu verlassen. Laut Zeugenaussagen gibt Diesner einen weiteren Schuss auf Kussauer ab, der jedoch sein Ziel verfehlt. Diesen Schuss nimmt Kussauer nicht mehr wahr. Auch nicht die Schüsse, die Stefan Grage trotz seiner schweren Verletzungen noch auf Diesner abgibt. Kussauer schafft es unter schwierigsten Umständen, Hilfe zu holen. Die dramatischen Ereignisse auf dem Autobahn-Parkplatz geschehen innerhalb von nicht mal drei Minuten. Diesner flüchtet anschließend mit seinem Pkw. Bei der Verfolgung durch hinzu gekommene Einsatzkräfte zeigt sich Diesner weiter entschlossen und gewaltbereit, schießt kaltblütig und wie von Sinnen auf die ihn verfolgenden Polizeibeamten. Erst ein Unfall bei Lauenburg beendet seine Flucht. Diesner hat eine Schussverletzung am Bein davon getragen und kann nicht mehr laufen. Bei der spektakulären Festnahme stellt sich heraus, dass er eine Schutzweste trägt. Aber damit nicht genug: In seinem Auto werden Unmengen an Munition, eine Machete und ein Pitbull-Terrier gefunden. Dann wird auch bekannt, dass der junge Rechtsextremist erst vier Tage zuvor in Berlin-Marzahn ein Attentat auf den Buchhändler Klaus Baltruschat verübt hatte. Baltruschat hatte so schwere Verletzungen davon getragen, dass er seinen Arm einbüßt.
- Ende 1997 werden die Geschehnisse vor dem Lübecker Landgericht verhandelt. Begleitet von Susanne Hansen verfolgen die Mutter und Schwester Stefan Grages als Nebenkläger das Gerichtsverfahren. Zeitungsberichten und Gerichtsbeobachtern zufolge nutzt der Neonazi die Verhandlung, um seine wirren Gedanken vorzutragen. Für ihn seien „Staatsanwälte Folterknechte des Staates und die Bullen ihre Handlanger”. Auch den von ihm getöteten Stefan Grage bezeichnet er als „Bullen”. Der von ihm getötete Polizist zähle zu jenen, denen „in den Rücken, in den Kopf geschossen werden muss, wo man sie trifft”. Für seine Schüsse auf die beiden Autobahnpolizisten reklamiert er Notwehr, er habe sich schon seit 1990 von der Polizei verfolgt gefühlt. Der Angeklagte habe sich an den Verhandlungstagen die meiste Zeit gelassen bis gelangweilt gezeigt, berichtet ein Prozessbeobachter der Polizei. Auch die Mutter des Rechtsextremisten ist zugegen. Am 1. Dezember 1997 wird Kay Diesner nach 15 Verhandlungstagen zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes und zweifachen Mordversuchs verurteilt. Das Gericht erkennt auf eine besondere Schwere der Schuld. Damit kann Diesner nicht nach 15 Jahren Haft mit einer Entlassung auf Bewährung rechnen. In seiner Urteilsbegründung hebt der Richter den „Vernichtungswillen“ des Täters hervor, mit schwersten Folgen für die Opfer. Diesner sei "eine tickende Zeitbombe für Polizeibeamte" gewesen, habe in Tötungsabsicht und "auf niedrigster Stufe stehender Gesinnung" gehandelt.
- Ursula von Seitzberg, die Mutter Stefan Grages, muss aber zeitlebens mit der Furcht leben, dass der Mörder ihres Sohnes vorzeitig das Gefängnis verlassen könne. Sie hofft, dass Diesner wirklich lebenslang in Haft bleiben und sie nicht selbst noch sein Opfer werden würde: „Ich habe Angst vor ihm und dass er da früher rauskommt und sich irgendwie meine Anschrift verschafft”, zeigte sich von Seitzberg gegenüber Horst Winter in großer Sorge. Der Erste Polizeihauptkommissar ist seinerzeit Personalchef bei der Verkehrspolizeidirektion und steht Stefan Grages Mutter und Schwester fortan zur Seite und begleitet sie alljährlich an jedem Todestag beim Besuch des Grabes auf dem Eutiner Friedhof.
Am Ende bleibt auch 20 Jahre nach den dramatischen Geschehnissen von Hornbek die Erkenntnis: Kay Diesner ist zwar verurteilt worden, aber lebenslänglich gestraft sind die Opfer Stefan Kussauer sowie Stefan Grages Mutter und Schwester. Und das ganz ohne eigene Schuld”!
20. Todestag: Gedenktafel erinnert Stefan Grage / Hilfsfonds gegründet
Eine Gedenkplatte auf einem Pfahl erinnert bis heute noch an den gewaltsamen Tod von Stefan Grage auf dem Rastplatz der Autobahn 24 bei Hornbek nahe Mölln. „Die damaligen Geschehnisse hätten die Landespolizei, insbesondere aber die Kollegen der betroffenen Dienstschicht, bis ins Mark getroffen und auf tragischste Weise die mit dem Polizeiberuf einhergehenden Gefahren vor Augen geführt“, sagt Torsten Jäger, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Das Leben von Stefan Grages Angehörigen und des verletzten Streifenkollegen Stefan Kussauer sei zudem für immer schmerzhaft verändert worden, so Jäger. Als Folge der damaligen Geschehnisse wurde auf Initiative der GdP im Jahr 2001 der „Hilfs- und Unterstützungsfonds für Polizeibeschäftigte und deren Familien in Not“ ins Leben gerufen. In über 90 Fällen konnte der Fonds mit knapp 165.000 Euro im Dienst verletzten Polizistinnen und Polizisten und deren Familien zur Seite stehen. Text/Fotos(2): Thomas Gründemann