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GdP Information

Luftbildauswertung: Akribische Vorarbeit für erfolgreiche Kampfmittelsuche

Kai Jensen erklärt am Mosaik der Kieler Luftbilder von 1945, wie die alliierten Aufklärungsflieger die Bilder aufgenommen haben.
Kai Jensen erklärt am Mosaik der Kieler Luftbilder von 1945, wie die alliierten Aufklärungsflieger die Bilder aufgenommen haben.
Groß Nordsee.

Der Kampfmittelräumdienst (KMRD) genießt in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung großes Ansehen und vor allem Vertrauen. Zum Team der Spezialeinheit mit ihren Entschärfern und Munitionsfacharbeitern gehören auch die Frauen und Männer der Luftbildauswertung. Sie sind es, die im Hintergrund akribische Vorarbeit leisten und damit bei der erfolgreichen Kampfmittelsuche und -beseitigung eine herausragende Rolle einnehmen.

Regelmäßig wird in den Medien vom erfolgreichen Einsatz der in Groß Nordsee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) ansässigen Spezialeinheit berichtet, insbesondere, wenn es darum geht, die explosiven Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg zu entschärfen. Die Landeshauptstadt gehört dabei zu den Haupteinsatzgebieten des Kampfmittelräumdienstes. Zur Erinnerung: Von 1940 an bombardierten britische und später auch amerikanische Flugzeuge vor allem Marinehäfen und Industriestandorte sowie wichtige Bahnknotenpunkte. So fielen 28.000 Tonnen Abwurfmunition auf Kiel. Das „neue Kiel“ steht noch heute auf den Kriegs-Trümmern des „alten Kiels“ mit einer Vielzahl von noch immer unentdeckten „Bomben-Blindgängern“. Bei der Suche nach eben diesen „noch vor sich her schlummernden“ hochexplosiven Gefahrenquellen sind die Luftbildauswerter beim Kampfmittelräumdienst gefragt.
        10.000 Anträge pro Jahr

        Kai Jensen ist einer von derzeit insgesamt 14 Luftbildauswerterinnen und -auswertern beim Kampfmittelräumdienst. Deren Aufgabe ist es unter anderem, im Zuge von Bauvorhaben für Flächen und Grundstücke grundlegend eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Denn: In Schleswig-Holstein sind laut Kampfmittelverordnung 90 Gemeinden dazu verpflichtet, vor dem Bodeneingriff im Zuge einer Baumaßnahme eine Freigabe der Bautätigkeit beim KMRD zu beantragen. „Das sind aktuell landesweit etwa 10.000 Anträge pro Jahr. Gefährdungsbeurteilungen werden erstellt für einzelne Grundstücke, aber auch für ganze Industrieareale, Bahntrassen, Autobahnen, Wind- und Solarparks. Begleitet wird auch der Glasfaserausbau“, erklärt Kai Jensen den Arbeitsumfang.

        Die Luftbildauswertung des Kampfmittelräumdienstes ist maßgeblich am Auffinden von verborgenen Bombenblindgängern beteiligt. „Damit wird ein erheblicher Beitrag zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und für den Fortschritt des infrastrukturellen Wandels in Schleswig-Holstein geleistet“, berichtet Jensen. Bei ihrer intensiven Suche nach Blindgängern gewinnen die Angestellten um Jensen ihre sogenannten „Primären Informationen“ aus alliierten Kriegsluftbildern. Diese wurden zwischen 1939 und 1945 von alliierten Aufklärungsfliegern gemacht, um Bombardierungen zu planen und Schäden zu dokumentieren. „Uns Luftbildauswerterinnen und -auswertern in Deutschland stehen diese Bilder seit Ende der 1980-er Jahre zur Verfügung. Durch das mühevolle Aufarbeiten der englischen und amerikanischen Archive werden weiterhin Luftbildbestände erschlossen, sodass wir jährlich neues Bildmaterial erhalten können“, berichtet Jensen.

        Allerdings gebe es Jensens Angaben zufolge mittlerweile sehr viele sogenannter „Sekundärquellen“, die ein Luftbildauswerter zu seiner Arbeit hinzuziehen müsse. Schadenspläne, historische Photographien, Luftschutzpolizeimeldungen, Zeitungsberichte und Fundmunitionsmeldungen sind nur einige dieser Informationen, die täglich über den Bestand von gut 94.000 Luftbildern hinaus genutzt werden.

Teamwork und fachübergreifende Zusammenarbeit
Kampfmittelverdachtsflächen und Bombenblindgängerhinweispunkte werden zwar in der Luftbildauswertung des Kampfmittelräumdienstes detektiert, allerdings kann nur durch ein enges Zusammenarbeiten mit den anderen ansässigen Trupps wie dem Tauch- und dem Sondiertrupp diese Munition vor Ort aufgespürt werden. „Teamwork und fachübergreifende Zusammenarbeit werden bei uns großgeschrieben“, unterstreicht der 36-Jährige.

Aber damit nicht genug: Neben Bombenblindgängern kommt es in Schleswig-Holstein täglich zu Munitionsfunden aller Art. Artilleriegranaten, Handwaffenmunition, Wasserbomben und Mienen, Brandbomben und Handgranaten sind nur ein kleiner Auszug aus dem Repertoire dessen, was die Munitionsfacharbeiter täglich räumen und teilweise zu entschärfen haben.

„Auch diese Art von Munition kann über die Recherche von Luftbildauswerterinnen und -auswertern gefunden werden. Werden Flächen von uns als kampfmittelverdächtig eingestuft, muss vor Ort mit Spezialgerät danach gesucht werden. Oftmals kommt es dann zu Funden verschiedener Munition. Außerdem wird jeder Munitionsfund von uns im System des KMRD zur Dokumentation verortet“, erklärt Kai Jensen.

Kampfmittelräumung ist in Deutschland Ländersache. Deshalb habe auch jedes Bundesland seine eigene Vorgehensweise oder spezielle Gesetze oder Verordnungen. Die Herangehensweise des schleswig-holsteinischen Kampfmittelräumdienstes sei in Deutschland jedoch einzigartig. „Wir haben jegliches Archivgut seit 1945 digitalisiert und nutzen diese Informationen in unserem Kampfmittelinformationssystem (KIS)“, erklärt Jensen.

Die Luftbildauswertung ist eine äußerst spannende Tätigkeit

Jensen übt diese anspruchsvolle Tätigkeit, die geografisches Grundverständnis, aber auch Genauigkeit und Geduld voraussetzt, seit 2014 aus. Er war der erste studierte Geograph, der für diese sehr spezielle Aufgabe eingestellt worden ist. Bei den Schilderungen über seine Arbeit merkt man Jensen die Begeisterung an. „Die Luftbildauswertung ist für mich eine äußerst spannende Tätigkeit. Es ist eine ganz besondere Aufgabe und Herausforderung, die historischen Daten aus dem Zweiten Weltkrieg in die digitale Welt zu überführen“, sagt er.
Die Fülle an Informationen zu beachten, die sich wie einzelne Puzzleteile zu einem Auswertungsergebnis zusammensetzen, sei sehr anspruchsvoll, mache aber auch den Reiz an der Arbeit aus und sorge für Abwechslung. Durch seine Recherchen mache er Anzeichen für umweltschädliche und für den Menschen sehr gefährliche Bomben und Munition ausfindig. Auf diese Weise etwas zur Sicherheit von Land und Mensch beitragen zu können, sei es gutes Gefühl, so Jensen. „Wir haben uns über die Jahre ein tolles Team aufgebaut. Luftbildauswertung ist nie eine One-Man-Show, es wird vielmehr gemeinsam diskutiert, ausgearbeitet und auch entschieden. Das ist besonders wichtig beim Kampfmittelräumdienst“, unterstreicht Kai Jensen.

Ansprüche haben im Laufe der Zeit erheblich zugenommen

Die Ansprüche an die Luftbildauswertung haben im Laufe der Zeit erheblich zugenommen. „Durch die heute benötigten Programme, die zu füllenden Datenbanken, das Geoinformationssystem und weitere technische Anforderungen war es allerdings nötig, studierte Geographinnen und Geographen einzustellen“, so Jensen. Seit 2014 seien zwölf weitere Arbeitsplätze bei den Luftbildauswertern geschaffen worden, um der stetig steigenden Antragsflut und den technischen Aufgaben zu begegnen. „Wir sind heute ein Team aus jungen Bachelor- und Masterabsolventen sowie einer Doktorin aus den Fachrichtungen Geographie, Geowissenschaften und Geophysik. Durch diese Expertise kann der Auftrag des Kampfmittelräumdienstes gewährleistet werden - „eine antragsbezogene, systematische Absuche der Bauflächen in Schleswig-Holstein“, erläutert Kai Jensen. Damit trägt die Luftbildauswertung maßgeblich zur Sicherheit bei der Umsetzung von Baumaßnahmen bei. Nicht zuletzt dadurch ist es seit Jahren in Schleswig-Holstein zu keinen Unfällen mit Munition gekommen.


Text und Fotos: Thomas Gründemann
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