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Elite-Truppe nimmt Verbrecher ins Fadenkreuz

Reportage der Woche von SZ-Redaktionsmitglied Inga Catharina Thomas in "Themen des Tages"

Spezialeinsatzkommando hält Taktik und Technik gern geheim

Saarbrücken.

Spezialeinsatzkommando SEK: Die Elite-Truppe des Landeskriminalamts erstürmt Gebäude, befreit Geiseln, überwältigt Verbrecher. Schnell, präzise. Aus Sicherheitsgründen mieden die Beamten lange die Öffentlichkeit. Jetzt gewährt das SEK Saarland erstmals Einblick in seine Arbeit.

Die Stahlstreben unter den Fingern des Lebensmüden sind heiß von der Sonne. 30 Meter ist der Mann den Strommast am Bilsdorfer Sportplatz hinaufgeklettert. Jetzt, hoch im Blau des Himmels, wirkt das Fußballfeld unter ihm fern entrückt. Dann schlägt etwas gegen den Mast; zwei Männer in der grün-schwarzen Kluft des Spezialeinsatzkommandos (SEK) klettern mühsam herauf, sichern sich mit Karabinerhaken Strebe um Strebe. Als sie den Lebensmüden erreichen, ist sein Widerstand gering. Ohne Gegenwehr lässt er sich abseilen. Wie im Lehrbuch. Denn bei dem Selbstmord-Szenario handelt es sich um eine Übung des Höheninterventionsteams. Dennoch ist dieser Tag etwas Besonderes – zum ersten Mal darf ein Journalist beim Training des SEK Saarland dabei sein, die Elitepolizisten einen Tag lang begleiten.

Eigentlich wollte Dieter Debrand den Pressetermin nicht. Der SEK-Leiter hatte viele Jahre lang Anfragen abgeblockt, auf die Geheimhaltung von Taktik, Technik und Training gepocht. Um den Kriminellen einen Schritt voraus zu sein. Um seine Mitarbeiter zu schützen. „Aber heute“, sagt Debrand, „braucht man nur SEK im Internet einzugeben und findet Dutzende Seiten mit Informationen.“

So steht der 52-Jährige nun im Schatten des Strommastes und scheint hin- und hergerissen zwischen Stolz und Wachsamkeit. Mitarbeiter werden nur mit Vornamen vorgestellt (im Artikel geändert). Auch Fotografieren ist untersagt. Die Objekte dieser strengen Vorsichtsmaßnahmen wirken überraschend gelassen und – schweißnass von der Klettertour – so gar nicht wie jene namenlose Superpolizisten, die im Fernsehen Verbrecher stellen.

„Wir haben die Uniform gemeinsam, sonst ist das an den Haaren herbeigezogen“, urteilt Michael über die TV-Kollegen, während er sich auf die Trainerbank am Spielfeldrand fallen lässt. Als er sich 1998 beim SEK bewarb, machte er sich keine Illusionen. Da war er bereits zehn Jahre im Polizeidienst, erst als Bereitschaftspolizist, später als Kommissar. „Mich interessierten die Teamarbeit und die spezielle Ausbildung“, sagt der heute 40-Jährige. „Und es war auch ein bisschen Abenteuerlust. Wo lernt man sonst, sich aus einem Hubschrauber abzuseilen?“

Finanziell brachte der Wechsel zum SEK nichts: Es gibt eine Erschwerniszulage von 150 Euro pro Monat, gleichzeitig fällt aber die Zulage für Schichtdienst weg. Genauso wie die Möglichkeit, die Freizeit unabhängig zu gestalten, über den Beruf offen zu sprechen. Hat Michael Bereitschaft, gibt es bei Partys nur Wasser zu trinken. Manche Kollegen unternehmen Familienausflüge nur im 15-Minuten-Radius ihres Zuhauses. Wenn Michael dann vom Einsatz zurückkommt, sagt er seiner Frau nur wenig: „Sonst macht sie sich zu viele Gedanken.“ Kollege Manuel hält es ähnlich. „Bei mir wissen nur zwei, drei Leute Bescheid“, sagt der 29-Jährige. Außerhalb dieses Zirkels weicht er Fragen aus, gibt lediglich an, beim Landeskriminalamt (LKA) zu arbeiten. Ganz Hartnäckige speist er mit Erzählungen aus seiner Zeit als Streifenpolizist ab. „Irgendwann kommen dann keine Fragen mehr“, feixt Manuel. Öffentliche Anerkennung braucht er nicht. Ihm ist es genug, „Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen, für ihre Sicherheit zu bürgen“.

Zurück in Saarbrücken. Das Dezernat LKA 34, so der offizielle Titel des Spezialeinsatzkommandos, ist untergebracht in einem ehemaligen Kasernengebäude. Im Treppenaufgang das Emblem der Einheit: der Umriss des Saarlandes, überlagert von einem Fadenkreuz. Oben im Flur hängen Mannschaftsfotos, stehen Siegerpokale in Regalen. Jemand hat ein Poster von Angelina Jolie als Actionheldin Lara Croft an seine Bürotür geklebt. Die Räume selbst sind verwaist.

„Wir haben zurzeit eine Lage“, sagt Dieter Debrand. Zu etwa 100 Einsätzen werden die maskierten Männer mit Pistole und Schutzweste pro Jahr angefordert, etwa, wenn bei einer Verhaftung mit bewaffnetem Widerstand zu rechnen ist. Bis zum Zugriff können Tage verstreichen – so wie jetzt: Rund um die Uhr sind die Beamten vor Ort. Für Schlaf bleibt wenig Zeit. „Da ist es um so wichtiger, dass die Motivation stimmt“, sagt Debrand mit Blick auf die Auswahlkriterien für SEK-Beamte. „Wer sich nur wegen des Nimbus' bewirbt, den Kick sucht, der ist hier falsch.“

Wie wichtig die richtige Entscheidung ist, wird klar, wenn man die Stufen ins Kellergeschoss der benachbarten Fitnesshalle hinabsteigt. Hier unten, in einem schalldichten Raum, trainiert die Präzisionsschützengruppe (PSG), eine Einheit des SEK. Diese Beamten haben eine besondere Verantwortung: Eskaliert eine Situation, sind Menschenleben unmittelbar gefährdet, dann müssen sie den so genannten finalen Rettungsschuss abgeben. Auch heute wird das Töten geprobt. Gerade begutachten drei Beamte das Loch, das ein Projektil des Nato-Kalibers 62 in die Hinterwand der Trainingshalle gerissen hat – genau durch den Kopf eines Geiselnehmers. Die Projektion des Übungsfilms flirrt noch über die Wand.

„In den 13 Jahren, in denen ich beim SEK bin, ist real noch nicht geschossen worden“, nimmt der Leiter der PSG, Andreas, die Frage nach dem Ernstfall vorweg. Und SEK-Neuling Dennis seufzt tief auf, als er sagt: „Gott bewahre, dass wir das nie müssen.“ Martin, sein dienstälterer Kollege, reagiert fast ruppig: „Ich bin nicht scharf drauf, auf irgendjemanden zu schießen. Aber unterm Strich muss ich Ja sagen. Man kann nicht hinter der Waffe liegen und sich dann Gedanken machen – das wäre unprofessionell.“ Ein Mal, da war Martin bereits mit solch einer Situation konfrontiert. Damals wurden die saarländischen Präzisionsschützen zu einer Geiselnahme in Rheinland-Pfalz gerufen. „Nach einem Banküberfall war der Räuber auf der Flucht und hatte Geiseln in einem Einfamilienhaus genommen“, erinnert sich der 38-Jährige. „Da gab es dann die Durchsage: Finaler Rettungsschuss ist freigegeben.“ Letztlich wurde der Befehl nicht ausgeführt – das Haus wurde in der Nacht gestürmt, der Mann überwältigt. „Das war knapp“, sagt Martin. „Der Schuss sollte die letzte Möglichkeit bleiben.“

Hintergrund

Die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der deutschen Polizei, fälschlicherweise oft Sondereinsatzkommandos genannt, entstanden als Reaktion auf das Terror-Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Das SEK Saarland wurde 1974 gegründet und hat heute über 30 Mitarbeiter, darunter eine Frau. Das SEK kommt hauptsächlich zum Einsatz bei Entführungen, Geiselnahmen und Erpressungen. Aber auch bei der Vollstreckung von Haftbefehlen und bei Bedrohungslagen. ith

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