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Erneut GdP-Klage erfolgreich

Land korrigiert Beihilfevorschriften

Saarbrücken.

Im Zuge der Verschlechterungen bei der Beihilfe hatte das Innenministerium im Juni 2003 einen Erlass herausgegeben, nach dem die Beihilfestelle bei ärztlich verordneten Heilbehandlungen durch Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Krankengymnasten, Logopäden, Masseure oder Beschäftigungstherapeuten nur 85 Prozent der Aufwendungen als beihilfefähig anerkannt hat. Das bedeutete für die Beihilfeberechtigten, dass sie 15 Prozent der beihilfefähigen Aufwendungen als sog. Eigenanteil selbst tragen mussten. Das betraf z.B. Massagen, Krankengymnastik Packungen und Bäder, die Elektrotherapie u.v.m. – alles in allem mehr als 50 verschiedene Behandlungsvarianten.

Das geht ganz schön ins Geld, insbesondere dann, wenn gleich mehrere Familienmitglieder betroffen sind oder kontiniuerliche Behandlungen unabdingbar sind.

So musste es nicht verwundern, dass sich zahlreiche Betroffene beschwert fühlten und sich dann auch Hilfe suchend an ihre Berufsvertretung wandten: GdP – gut, dass es sie gibt. Mit gewerkschaftlichem Rechtsschutz wurden Widersprüche formuliert gegen Beihilfebescheide, die mit den Hinweis-Kürzeln „371“ und „377“ versehen waren und damit Eigenanteile in Abzug brachten. Nach ablehnenden Bescheiden des Innenministeriums musste schließlich vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden – und siehe da, der Dienstherr verlor. Dies übrigens mit einer überdeutlichen Ohrfeige des Gerichts, das dem Land und dessen Beihilfeverordnung insgesamt Verstöße gegen den verfassungsrechtlich bestehenden Gesetzesvorbehalt, den Vertrauensgrundsatz und gegen das Fürsorge- und Alimentationsprinzip ins Stammbuch schrieb (wir berichteten im Landesjournal 1/2005).

Für die GdP nicht der einzige Sieg vor Gericht, da auch die pauschale „Deckelung“ der Aufwendungen für orthopädische Einlagen (Kürzungshinweis 455 im Beihilfebescheid) auf 90 Euro vom Verwaltungsgericht verworfen wurde (siehe Landesjournal 2/2005).

Die Reaktion des Landes? Es legte erst mal Berufung ein, so dass das erstinstanzliche Urteil nicht rechtskräftig werden konnte und daher die berechtigten Nachforderungen der Beihilfeberechtigten erst mal ins Leere liefen.
Umso erfreulicher, dass das Land offensichtlich jetzt doch - jedenfalls in einem Teilbereich - einsichtig geworden ist: Es hat nicht nur - mit einiger Verzögerung - die zunächst gegen beide Urteile eingelegte Berufung zurückgezogen, sondern die angegriffenen Regelungen durch einen neuen Erlass korrigiert.
Nach dem neuen Erlass vom 13. Dezember 2005 erfolgt jetzt der Abzug eines Eigenanteils nicht mehr bei Aufwendungen für die oben genannten Heilbehandlungen bei Personen unter 18 Jahren und nicht mehr bei chronisch Kranken in Dauerbehandlung wegen derselben schwerwiegenden Krankheit im Sinne der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 22. Januar 2004 (Banz. S. 1343) in der jeweils geltenden Fassung.
Alles klar, was damit gemeint ist? Wohl kaum, denn wer kennt schon diesen Bundesausschuss und seine Richtlinien. Zur Erklärung daher hier ihr (auszugsweiser) Wortlaut, insbesondere zur Definition der schwerwiegenden chronischen Krankheiten im Sinne § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V):

§ 2 Schwerwiegende chronische Krankheit

(1) Eine Krankheit im Sinne des § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zusatnd, der Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat. Gliches gilt für die Erkrankung nach § 62 Abs. 1 Satz 4 SGB V.

(2) Eine Krankheit ist schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung) und eines der folgenden Merkmale vorhanden ist:

a) Es liegt eine Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe 2 oder 3 nach dem zweiten Kapitel des Elften Buches Sozialgesetzbuch vor.
b) Es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 60 nach § 30 des Bundesversorgungsgesetzes oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 60 % nach § 56 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vor, wobei der GdB bzw. die MdE zumindest auch durch die Krankheit nach Satz 1 begründet sein muss.
c) Es ist eine kontinuierliche Versorgung (ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung, Arzneimitteltherapie, Behandlungspflege, Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln) erforderlich, ohne die nachärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die aufgrund der Krankheit nach Satz 1 verursachte Gesundheitsstörung zu erwarten ist.

§ 3 Belege

(1) Versicherte weisen die Dauerbehandlung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 durch eine ärztliche Bescheinigung nach, in der die dauerbehandelte Krankheit nachgewiesen ist.
(2) Zum Beleg für den Grad der Behinderung, die Minderung der Erwerbsfähigkeit und die Pflegestufe haben Versicherte die entsprechenden bestandskräftigen amtlichen Bescheide in Kopie vorzulegen. Die Krankheit, wegen der sich die Versicherten in Dauerbehandlung befinden, muss in dem Bescheid zum GdB oder zur MdE als Begründung aufgeführt sein.
(3) Das Vorliegen der kontinuierlichen Behandlungserfordernis nach § 2 Abs. 2 Buchstabe c wird durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen.
(4) Auf die Unterlagen, die der zuständigen Krankenkasse bereits vorliegen, kann verwiesen werden.


§ 5 Inkrafttreten
Diese Richtlinie tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft.

Wir fragen uns:
  • Warum hat unser Dienstherr die gewerkschaftlichen Einwände gegen die Verschlechterungen bei der Beihilfe überhört?
  • Weshalb bedurfte es eines Zeitraums von fast zwei Jahren und zahlreicher Widersprüche, Klagen sowie gerichtlichen Drucks, um die bereits seit Januar 2004 gültigen Richtlinien erst im Dezember 2005 in korrigierte Beilhilfevorschriften umzusetzen?
  • Muss man sich angesichts des bürokratischen Aufwands, der dem Kranken selbst wie auch seinem Arzt allein zum Beleg der schwerwiegenden Krankheit abverlangt wird, noch wundern, dass die Ärzte heute fast mehr Zeit und Mühe für Verwaltungskram als für ihre Patienten aufwenden (müssen) und aus Protest dagegen auf die Straße gehen?
  • Ist es nicht schade, dass sich Minderjährige, Pflegebedürftige, Behinderte und chronisch schwer Kranke in unserem „Sozialstaat“ ihr Recht erst mühsam erklagen müssen – dies selbst gegen den eigenen Dienstherrn, der seinen Bediensteten in die Ernennungsurkunden geschrieben hat, dass sie „des besonderen Schutzes und der Fürsorge des Staates versichert sein“ können??

Die GdP meint:
  • Es wird Zeit, dass die verantwortliche Landespolitik sich umbesinnt und ihre harte, mehr am Geld als an den Menschen orientierte Linie aufgibt. Wir helfen dabei!

Ihren betroffenen Mitgliedern rät die GdP nicht nur in den oben geschilderten Fallkonstellationen, sondern in allen nicht ganz klaren Beihilfefällen :
  • Lasst euch zunächst vom Arzt eingehend beraten, ggf. auch unter Hinweis auf die o.a. Richtlinien.
  • Sprecht persönlich oder telelefoniert möglichst schon vor Entstehen von Aufwendungen mit den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern der Beihilfestelle – sie beißen nicht!
  • Überprüft anschließende Beihilfebescheide auf Kürzungshinweise (insbesondere unter Ziffern 371 und 377).
  • Besorgt euch bei Bedarf über (noch aktive) Kollegen, Personal- und Schwerbehindertenvertreter oder die GdP besagten Erlass, z.B. aus dem Intranet des Landesverwaltung SaarlandPlus (Rubrik: Recht/Vorschriften, Amtsblatt-Archiv) oder aus der Internet-Homepage der Ruhegehalts- und Zusatzversorgungskasse Saar (www. rzvk-saar.de).
  • Unterstützt besonders unsere älteren Senioren und Hinterbliebene, die „in ihrer Zeit“ wohl noch mit einem fürsorgebetonteren Dienstherrn, aber noch kaum mit der heutigen völligen Bürokratisierung von Krankheit und Hilfsbedürftigkeit sowie schon gar nicht mit dem Internet vertraut gewesen sind.


Die GdP jedenfalls wird weiter aktiv bleiben, um sozialen Ungereimtheiten angemessen zu begegnen.

Carsten Baum
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