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Stasi-Überprüfung wirkt immer noch

Fast 20 Jahre nach der Wende noch nicht alle Verfahren abgeschlossen, von Gerhard Mörke

Schleiz.

In den Jahren 1986 bis 1988 erfolgte die Rekonstruktion der BAB 9 zwischen Rodaborn und Hirschberg (Thüringen). Wegen der Grenznähe und des Transitverkehrs bestanden in der DDR besonders hohe Anforderungen an die Sicherheit und Ordnung. Auf Grundlage zentraler und örtlicher Beschlüsse, Gesetze, Weisungen, Anordnungen und Dienstvorschriften wurde die Zusammenarbeit zwischen den Staatsorganen und Betrieben und insbesondere das sogenannte politisch-operative Zusammenwirken zwischen der Volkspolizei (DVP) und der Staatssicherheit (MfS) festgelegt.

Auf den extra für den Autobahnbau eingerichteten Bauhöfen in Moßbach und Göttengrün trafen sich die Vertreter der Betriebe, Einrichtungen und Staatsorganen im Abstand von 14 Tagen zu Beratungen.

An den Treffen nahmen für die Staatsorgane ein Vertreter der Staatssicherheit und der zuständige ABV teil. Über dieses, zu großen Teilen auch arbeitsteilige, Zusammenwirken von MfS und DVP wurde periodisch Bericht erstattet.

Die Feststellungen im Zusammenhang mit Personen und Ereignissen, welche die Sicherheit und Ordnung negativ beeinflussen konnten, wurden von der DVP an das MfS berichtet.

ABV Klaus-Peter hatte im Auftrag seiner Dienststelle zunächst mit Hauptmann Ebertz und später mit Major Herold vom MfS das Zusammenwirken zu organisieren.

Diese offizielle Zusammenarbeit konspirierten die Mitarbeiter des MfS ohne jeglichen operativen Nutzen und legten zu Klaus-Peter eine GMS-Akte1 an. Offensichtlich spielten auch hier Planziffern, Statistiken und besonders das Leistungsstreben die ausschlaggebende Rolle, einen GMS zu schaffen. Schließlich wurden Imführende Mitarbeiter der Staatssicherheit bereits in den 70er- und 80er-Jahren leistungsorientiert bezahlt.2

Klaus-Peter musste eine Schweigeerklärung unterschreiben und erhielt ohne sein Wissen einen Decknamen. Die Beratungen des örtlichen Sicherheitsaktivs auf dem Bauhof und andere offiziell festgelegte Absprachen und Kontrollen mit dem ABV wiesen die MfS-Mitarbeiter als inoffizielle Informationen eines GMS nach.

Klaus-Peter wurde 1990 in die Thüringer Landespolizei übernommen. Sein Glück war, nicht unter die ersten Überprüfungen der Jahre 1992 bis 1994 gefallen zu sein. Die Aktenlage und der pauschal und teilweise parteiisch gegen die Betroffenen formulierte Einzelbericht der BStU (Gauck- bzw. Birthler-Behörde) hätte in aller Regel damals zur Entlassung geführt. Zudem stimmte anfänglich der Polizeihauptpersonalrat den Entlassungsanträgen des Thüringer Innenministeriums im Minutentakt zu, bis ein Großteil der Mitglieder des damaligen PHPR selbst entlassen war.3

Nachdem die Berufsvertretungen die Teilnahme von Beiständen für die Betroffenen in den Anhörungen durchgesetzt hatten und der damalige Innenminister Richard Dewes zumindest versuchte, die Überprüfungsmaßnahmen etwas fairer zu gestalten, kam Klaus-Peter im Herbst 1995 in die „Gauck-Überprüfung“. Das Innenministerium sah bei ihm die Entlassung vor. Seine Gewerkschaft verweigerte ihm den Rechtsschutz, weil keine Erfolgsaussichten beständen.

Erst die Gegenüberstellung der Archivunterlagen der Volkspolizei aus den Beständen des Staatsarchivs Rudolstadt und der PI Schleiz durch den als Beistand tätigen Autor zu den Unterlagen aus den Beständen der Außenstelle Gera des BstU ließen erkennen, dass keine IM-Tätigkeit vorlag. Es fehlte der Aspekt einer tatsächlichen Konspiration, es fehlte an einer Bereitschaftserklärung oder Verpflichtung inoffizielle Informationen zu liefern und es fehlte am schlüssigen Handeln.

Die gesamten Klaus-Peter betreffenden Unterlagen im Umfang von 98 Seiten wurden im Rahmen der Anhörung zur Überprüfung der Eignung für den öffentlichen Dienst an das Thüringer Innenministerium übersandt. Mit Schreiben vom 9. 5. 1996 teilte das Innenministerium dem Beamten mit, dass die Überprüfung abgeschlossen sei. Es hieß: „Aus den bisher vorliegenden Unterlagen haben sich keine Tatsachen ergeben, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen.“

Der Kollege hatte seine Unschuld beweisen müssen und trotzdem nahm die Odyssee kein Ende.
Aufgrund eines Beschlusses des Thüringer Kabinetts vom 15. 12. 1998 reichte das Thüringer Innenministerium mit Schreiben vom 24. 5. 2000 beim BStU 286 Bedienstete zur erneuten Stasi-Überprüfung ein. Es handelte sich um Bedienstete, die trotz einer positiven Auskunft des BstU weiter beschäftigt wurden.

Zur gleichen Zeit wurde in vielen Fällen die Überprüfungsunterlagen dieser Bediensteten
an die Thüringer Oberfinanzdirektion – Zentrale Gehaltsstelle (OFDZG) übergeben. In der Folge „beglückte“ die OFD-ZG diese Kollegen jeweils mit einem Bescheid, welcher deren Vordienstzeiten und damit das Besoldungsdienstalter wegen angeblicher Tätigkeit für die Staatssicherheit nachteilig neu berechnete und angebliche Überzahlungen zurückforderte.

Dies geschah auch bei Klaus-Peter. Mit Bescheid vom 1. 11. 2000 forderte die OFD-ZG eine dreistellige Summe als Überzahlung zurück, wogegen der Beamte Widerspruch einlegte. Nach über acht Jahren, am 16. 1. 2009, beschied nun die Thüringer Landesfinanzdirektion: „Die mit Bescheid vom 1. 11. 2000 erfolgte BDAFestsetzung auf den 1. 2. 1977 war rechtswidrig, da diese gegen §§ 28 ff. BBesG verstößt. Vorliegend wurden zu Unrecht Zeiten im öffentlichen Dienst vor dem 19. 1. 1988 nicht berücksichtigt, da eine Zusammenarbeit mit dem MfS nicht nachzuweisen ist.“

18 Jahre nach Übernahme in die Thüringer Landespolizei und 14 Jahre nach Feststellung einer scheinbaren Stasi-Belastung ist Klaus-Peter nun rehabilitiert. Dabei lagen alle be- und entlastenden Dokumente bereits 1996 dem Innenministerium vor. So wie Klaus-Peter erhielten in den letzten Wochen weitere Bedienstete Bescheide bzw. Widerspruchsbescheide zur Änderung des BDA im Zusammenhang mit vermeintlicher und tatsächlicher Tätigkeit für die Staatssicherheit, auch zum Nachteil der Beamten.

Diese ein halbes Berufsleben andauernde Überprüfungspraxis steht im krassen Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention.

Heißt es doch hier im § 6:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“

1 Entsprechend der herrschenden Meinung sind Gesellschaftliche Mitarbeiter Sicherheit (GMS) die niedrigste Stufe der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM)

2 GVS 40/85, Regelungen zur Materiellen und moralischen Anerkennung der Tätigkeit IM-führender Mitarbeiter leistungsgerechte Bezahlung, MfS-BdL NR 008199, BStU, Zentralarchiv

3 Gerhard Mörke: „Die offizielle und inoffizielle Zusammenarbeit zwischen Volkspolizei und Staatssicherheit“, Schleiz, ISBN 3-934828-02-7, S. 375
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