
04.05.2025
3. Fachtagung DEIG – Eine ‚spannende‘ Diskussion
Bislang kommt das DEIG in Niedersachsen nur im SEK zum Einsatz. Immer wieder werden jedoch Forderungen nach einer flächendeckenden Einführung laut – aus der Opposition im Landtag, aus der Öffentlichkeit und vor allem auch aus Teilen des ESD. Die GdP Niedersachsen beschäftigt sich daher bereits seit Langem intensiv mit dem Thema und vertritt bislang eine zurückhaltende Position. Auf Grundlage der Erkenntnisse mehrerer Fachtagungen kam der Landesverband bisher zu dem Schluss, dass eine flächendeckende Ausstattung kritisch zu betrachten ist.
Am 29. April fand nun nach 2017 und 2022 die dritte Fachtagung der GdP Niedersachsen zum Thema DEIG statt. Sie beleuchtete neue Erkenntnisse, technische Entwicklungen, juristische Fallstricke sowie den Bedarf aus der Praxis. Eingeladen waren unter anderem Kolleginnen und Kollegen aus Hessen und NRW, die den Taser aus dem alltäglichen Einsatz kennen oder als Ausbilder damit arbeiten. Auch die Firma Axon, Hersteller des aktuellen Tasers, stellte ihr Produkt vor. Zudem nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik teil: Neben Staatssekretär Stefan Mahnke waren die Landtagsabgeordneten Alexander Saade (SPD) und Michael Lühmann (Grüne) der Einladung an die demokratischen Parteien im Landtag zur Teilnahme gefolgt. Vor rund 70 interessierten Mitgliedern stellten sie ihre Perspektiven auf die Chancen und Herausforderungen einer Taser-Einführung vor.
Erkenntnisse aus anderen Bundesländern
Die zentrale und immer wieder hervorgebrachte Annahme, dass durch die Einführung des Tasers der Einsatz der Schusswaffe in vielen Fällen verhindert würde, konnte dabei klar entkräftet werden. Der Taser ist keine Alternative zur Schusswaffe. Das bestätigen sowohl die Herstellerhinweise als auch die Erfahrungen aus anderen Bundesländern. Die Statistik zeigt zum Beispiel: In NRW sind die Fallzahlen des Schusswaffengebrauchs seit Einführung des Tasers nicht zurückgegangen – die Zahl der Taser-Einsätze steigt hingegen seit dessen Einführung deutlich. Das Einsatzmittel wird also häufig genutzt, aber nicht zur Vermeidung des Schusswaffeneinsatzes. Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern berichten von einer insgesamt hohen Zufriedenheit mit dem Gerät. Dabei nehmen sie den Taser nicht als Ersatz der Pistole wahr, sondern er dient als Ergänzung von Einsatzmitteln wie Reizstoffsprühgerät oder Einsatzstock.
Erwähnenswert ist, dass sich in NRW über drei Viertel der Einsatzsituationen auf eine bloße Androhung des Tasers beschränken. Laut Hersteller liegt dieser Anteil insgesamt sogar bei 91 Prozent. In diesen Fällen kommt es durch die “abschreckende Wirkung” des Tasers zur Deeskalation, ohne dass dieser tatsächlich eingesetzt werden muss. Die präventive Wirkung ist somit nicht zu unterschätzen.
Juristische Herausforderungen
Dieser Effekt wird von vielen Befürwortern betont. Gleichzeitig verdeutlichte Thore Tippe, Justiziar der GdP Niedersachsen, dass die juristische Bewertung in Niedersachsen schwierig bleibt. Das DEIG ist hier als Waffe eingestuft und unterliegt damit strengen gesetzlichen Vorgaben. Es darf nur eingesetzt oder angedroht werden, wenn es einem legitimen Zweck dient und geeignet, erforderlich sowie angemessen ist. Der Einsatz ist somit nur zulässig, wenn keine gleichgeeigneten milderen Mittel – wie Stimme, körperliche Gewalt, Reizstoff oder Einsatzstock – zur Verfügung stehen, um das Einsatzziel zu erreichen.
Bestimmte Szenarien – etwa dynamische Lagen oder das Vorhandensein von Hieb- und Stichwaffen – schließen den Einsatz des Tasers zudem aus. In solchen Fällen bleibt die Schusswaffe weiterhin Ultima Ratio. Der gesetzlich zulässige Anwendungsbereich des Tasers ist damit in Niedersachsen aktuell sehr eng.
Technische Entwicklungen und Kosten
Während diese Bedenken also bleiben, zeigt die technische Weiterentwicklung des aktuellen Modells „Taser 10“ der Firma Axon, dass mit der neuesten Generation einige Bedenken in Bezug auf die Anwendung ausgeräumt werden konnten. Zwar wird weiterhin eine Mannstärke von vier Personen empfohlen, doch ist durch größere Distanz und verbesserte Zieltechnik auch ein Einsatz mit zwei Personen möglich.
Auch auf die zuletzt noch monierten enormen Aufwände bei der Aus- und Fortbildung wurde reagiert: Durch VR-Anwendungen ist eine deutlich kostengünstigere und weniger zeitintensive Ausbildung möglich. Dennoch: Mit einem realistischen Blick auf den Landeshaushalt und den erbitterten Kampf um die Mittel für die Polizei muss auch der Aspekt der Finanzierung bedacht werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht sollte zwar gerade am Schutz der Kolleginnen und Kollegen nicht gespart werden, doch darf ein Blick auf die Kosten nicht unberücksichtigt bleiben. Neben ca. 2.500 Euro pro Gerät entstehen Zusatzkosten für Schulungen, Verbrauchsmaterial (mindestens zwei Pfeile pro Einsatz, etwa 20 Euro pro Pfeil), Instandhaltung und Ausstattung wie Holster. Eine flächendeckende Ausstattung des ESD würde somit erhebliche Haushaltsmittel binden, die bei einer Priorisierung an anderer Stelle fehlen werden.
Medizinische und gesellschaftliche Aspekte
Neben dem eindeutigen Zahlenwerk bilden zwei weitere Argumente Grundlage für Diskussionen, die nicht ganz eindeutig zu bewerten sind. Zum einen betrifft dies die medizinische Unbedenklichkeit des DEIG. Auf der einen Seite stehen dabei diverse Berichte über Taser-Einsätze, in deren Folge es dramatische medizinische Vorfälle bis zum Tod gibt. Auch der Hersteller warnt davor, das Gerät bei Menschen mit bestimmten Konditionen einzusetzen (Herz-/Kreislaufprobleme, Schwangerschaft, BTM-Einfluss, etc.). Andererseits fehlt in vielen Fällen ein medizinisch eindeutiger Nachweis, dass ein negativer Effekt auf den Taser-Einsatz zurückzuführen ist. Auf der anderen Seite wiegt vor allem der Selbstschutz der Polizeibeamtinnen und -beamten schwer, wenn eine Lage mithilfe des Tasers deeskaliert werden kann, bevor es zu einem körperlichen Angriff kommt. Auch im Vergleich zwischen den Gefahren einer Schussverletzung und einem DEIG-Einsatz dürfte die Mehrzahl der Fälle für den Taser ausfallen. Leichtfertig einzusetzen ist das Gerät aber sicher nicht.
Zum anderen geht es um die Frage, inwiefern das DEIG geeignet ist, einen Mangel an Respekt und Autorität (in bestimmten Milieus) wieder herzustellen. Dass es diesem Zweck dienen kann, zeigen die Berichte aus den anderen Bundesländern, nicht zuletzt in Anbetracht der Deeskalation durch die abschreckende Wirkung eines zu erwartenden Elektroschocks. Die niedersächsische Polizei ist jedoch zurecht stolz auf ihren Ruf als bürgernah und dialogorientiert, daher stellt sich auch die Frage, ob es das Ziel sein soll, Autorität durch mehr Einsatzmittel (bzw. Waffen) durchzusetzen und welche Alternativen es für diesen Zweck sonst noch geben kann. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Taser nicht als Ersatz für einfache körperliche Gewalt gedacht ist, sondern dessen Einsatz nur durch eine wesentlich höhere Eskalationsstufe gerechtfertigt ist.
Fazit
Abschließend betrachtet hat die dritte „Fachtagung DEIG“ zeigen können, dass der Taser nicht das von vielen erhoffte Allheilmittel ist. Es bleiben offene Fragen, aber die Teilnehmenden konnten zahlreiche neue Informationen mitnehmen. Der Bedarf nach einem wirksamen Einsatzmittel zwischen Reizstoff und Schusswaffe ist unter den Kolleginnen und Kollegen groß. Das DEIG kann eine Lücke schließen, ist jedoch keine Alternative zur Schusswaffe. Juristische Unsicherheiten und fehlende belastbare Studien zu geeigneten Einsatzszenarien bestehen weiterhin.
Nach der letzten Fachtagung standen vor allem drei Bedenken im Raum: Erstens die Rechtsunsicherheit, insbesondere in Bezug auf die Frage, welche Konsequenzen drohen, wenn sich nach einer Entscheidung für den DEIG oder die Schusswaffe diese als nicht angemessen erweist. Diese Problematik besteht weiter fort. Zweitens stand die Herausforderung der komplexen Handhabung im Fokus und drittens der hohe Schulungsaufwand. Letztere konnten durch technische Fortschritte und die Erfahrungen aus anderen Bundesländern weitgehend entkräftet werden.
Vor diesem Hintergrund gilt es, auch Alternativen zur flächendeckenden Ausstattung zu prüfen – etwa die gezielte Ausrüstung von Spezialkräften wie Verfügungseinheiten oder dem MEK für statische Lagen. Es ist nun Aufgabe des Landesvorstands, die Erkenntnisse der Tagung auszuwerten und eine fundierte Position zum weiteren Umgang mit dem DEIG zu entwickeln.