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„In Zukunft wird Stress nicht mehr als Zeichen gedeutet, dass jemand viel leistet, sondern als Unvermögen, eine Balance herzustellen.“ (zukunftsinstitut.de)

Was haben wir jetzt gekonnt …

… wenn wir doch nichts dazu gelernt haben? Dabei lief alles mit dem Inkrafttreten der Rahmendienstvereinbarung (RDV) Arbeitszeit in der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern am 1. April 2017 in eine gute Richtung. Schon damals hatte diese RDV die noch heute in der letzten Fassung vom 20. Januar 2010 gültige sowie übergeordnete Arbeitszeitverordnung Mecklenburg-Vorpommern in Aktualität und in rechtlicher Konformität überholt.

„Geprägt vom Anspruch des Gesundheitsschutzes“

Das attestierte das Innenministerium MV dieser RDV Arbeitszeit in einem Artikel in der Infoline am 1. September 2016. Es war davon die Rede, dass längere Schichtzeiten zu Ermüdung und Erschöpfung führen und sich dadurch nachweislich das Fehler- und Unfallrisiko erhöht. Schichtlängen sollten zur Belastung und zur körperlichen Leistungsbereitschaft passen. In der zentralen Informationsveranstaltung zur RDV am 3. November 2016 hörten Polizeiführung und Vorgesetzte aus den Dienststellen der Landespolizei den Vortrag des LMedD Thomas Gründler (Foto - Quelle: LPBK MV) . Er sprach von der Wirkung der Schicht- und Nachtarbeit auf den Menschen und den möglichen Folgen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Er stellte dies nicht nur anschaulich dar, sondern benannte auch Maßnahmen dazu, die wiederum in die Ausgestaltung der RDV einflossen. Konkret wurde beispielsweise die Vermeidung überlanger täglicher Arbeitszeiten aufgezählt. Daraus resultiert unter anderem der Grundsatz des 8-Stunden Arbeitstages in der RDV. Auch damals wurde dies vorher rege und kontrovers diskutiert.

Und was können wir heute, …

nach dem Inkrafttreten der evaluierten und am 15. Juni 2021 von HPR und dem Minister für Inneres und Europa des Landes Mecklenburg-Vorpommern neu unterzeichneten RDV feststellen?
Es interessiert nicht! Es spielt scheinbar keine Rolle, dass der LMedD Thomas Gründler hier nicht etwa seine persönliche Meinung, sondern fundierte Ergebnisse aus Forschung und Wissenschaft dargestellt hat. Empfehlungen, wie die Durchführung von Belastungsanalysen, arbeitsmedizinische Untersuchungen vor Aufnahme der Nachtarbeit, ab dem 50. Lebensjahr auch jährlich oder auch vorhersehbare, überschaubare und langfristige Schichtpläne bleiben theoretisches Wunschdenken.

Wollen oder können wir nicht?
Das ist die Frage. Die einen sprechen von Theorie und Praxis. Die anderen suchen nach einem Deckmantel, um irgendwie aus allem Übel noch das Beste zu machen und damit aus eigener Kraft den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. Mitarbeiterzufriedenheit wird hier immer wieder gern genommen. Und es ist absolut keine Frage, dass diese wichtig ist. Die FHöVPR hatte in ihrer Führungskräftetagung „In Führung gehen – Arbeits(zeit)modelle - Arbeitszeit ist Lebenszeit“ am 7. November 2018 die Gesamtthematik aufgegriffen und dazu unter anderem Dr. Anna Arlinghaus zum Thema „Arbeitszeitmodelle und ihre Auswirkungen“ eingeladen. Sie benannte in ihrem Vortrag die Kernfragen betrieblicher Arbeitszeitgestaltung: „Was wäre zulässig? (Rechtliche Grundlagen) Was macht betrieblich Sinn? (Organisationsrechtliche Belange) Was wollen Mitarbeiter? (Mitarbeiterzufriedenheit) Was wäre gesünder? (Arbeits- und Gesundheitsschutz)“ Dabei ist es nicht so, dass wenn eine Frage mit Ja beantwortet wird bzw. erfüllt ist, alle anderen Fragen nicht mehr relevant sind. Es ist und bleibt ein Abwägungsprozess aller Kernfragen. Lassen wir längere Schichten zu, können (sollten) nicht Fragen der Fürsorge weggelassen werden, weil Mitarbeiter einverstanden sind.

Was ist nun passiert?

Am 1. Juli 2021 trat die neue RDV Arbeitszeit in Kraft. Sie beinhaltet folgende Möglichkeit: „Sofern im Einzelfall oder in bestimmten Organisationseinheiten aufgrund der Eigenart der Tätigkeit die überwiegende oder ausschließliche Planung von 12-Stunden-Schichten durch das MfIuE MV und nach Beteiligung des Hauptpersonalrates der Polizei Mecklenburg-Vorpommern zugelassen ist, …“ Grundlage bleibt die AZVO MV, nach der eine Arbeitszeitverlängerung ermöglicht werden kann, wenn dienstliche Verhältnisse es erfordern. Alle Vorschriften beinhalten demnach eine gewisse Abwägung von Voraussetzungen. Nachdem es mittlerweile nicht nur für den Kriminaldauerdienst in der PI Anklam, sondern auch für mehrere P(H)R im Bereich des PP Neubrandenburg zu auf dem Dienstweg gestellten Anträgen auf einen durchgehenden 12-Stundendienst aus dem MfIuE MV und dem HPR Zustimmungen gibt, stellt sich nun die Frage, zu welchem Antrag und aus welchem Organisationsbereich es jetzt überhaupt noch Ablehnungsgründe geben kann? Welche Hürde gibt es noch? Was ist der vorausgesetzte Einzelfall? Und vor allem, wie „eigenartig“ darf die Tätigkeit denn als Ausnahme zur Regel sein? Welchen Wert haben die zuvor erwähnten Erkenntnisse und Informationen? Die Ausnahme wird zur Regel und das scheinbar ohne, dass zu den Anträgen die durch die AZVO MV vorgegebenen und von Frau Dr. Aarlinghaus auch benannten Abwägungen erfolgten!

Welche Rückschlüsse müssen wir somit ziehen?
Man könnte so beginnen: Die Mehrheit der Organisationsbereiche hat (noch) keinen durchgehenden 12-Stundendienst beantragt. Wenn es jedoch noch mehr tun wollen, die Möglichkeiten stehen offen. Es ist so einfach wie noch nie. Es gibt offensichtlich keine Erwartungshaltung hinsichtlich bestimmter Voraussetzungen. Es gibt genauso wenig Antworten auf folgende Fragen:
Wie soll die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vorfeld erfolgen und nachgewiesen werden? Wie geht man mit den Beschäftigten um, die familienbedingt, altersbedingt oder gesundheitsbedingt keine 12 Stunden leisten sollten/können? Wie können die Dienstpläne aussehen und wie schütze ich Ausgleichszeiträume, wenn Dienstpläne, wie im Lockdown während der Corona-Pandemie mit 60- und 24-Stunden-Wochen aufgestellt werden? Die Personalsituation und die Einsatzlagen nehmen keine Rücksicht darauf und machen einer verlässlichen und langfristigen Dienstplanung schon nach dem ersten Tag der Festlegung einen Strich durch die Rechnung. Nach welchem Zeitraum erfolgt eine erneute Prüfung und Abwägung aller Kernfragen?

Allein der Wille zählt – Ist das wirklich unsere einzige Antwort?
Wir müssen uns endlich mit den Ursachen beschäftigten, warum wir es nicht durchhalten, die Ergebnisse der Forschung und der Wissenschaft nachhaltig zu berücksichtigen, sonst verkaufen wir am Ende unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und setzen uns damit aber langfristig nicht für sie und ihre Gesundheit ein. Und dann zu sagen, Ihr wolltet es doch so, wäre wohl etwas zu kurz gegriffen. Wir müssen aufhören, ständig neue Verpackungen, Schönschriften, Verschiebungen von Problemen und Verantwortlichkeiten oder Drohszenarien zu finden, um ja nicht den Ist-Zustand zu erwähnen. Unsere Beschäftigten kennen ihre Aufgaben, setzen sich für ihre Organisation ein, manchmal weit über ihre Grenzen hinaus. Sie sind loyal, wollen sich einbringen, aber manchmal wäre es auch schön, wenn nicht der Vorgesetzte mit zehn Aufgaben zu seiner einzigen Streifenwagenbesatzung kommt, sondern dass er stattdessen wieder die Schicht fragen kann, worum wollen wir uns heute kümmern? Auch der Ermittler oder die Ermittlerin braucht wenigstens ab und zu das Gefühl, seine Arbeit für den Tag fertig zu haben. Für eine belastungsfähige und gesunde Polizei brauchen wir mehr personellen Spielraum.

Fakt ist …
wir haben mit der Zielstellung und dem Anspruch der RDV Arbeitszeit nicht überzeugen können, weil wir dafür nicht die Rahmenbedingungen schaffen. Das ist wie Einstellungen vornehmen, ohne Ausbilder zu haben oder ein Bewirtschaftungskontingent für Maßnahmen im Gesundheitsmanagement von 0,00 Euro usw. Wenn immer erst die Lage eskalieren muss, bevor es besser wird, haben wir zu hohe Verluste zu kompensieren.
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