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Kommentar

Prävention durch Präsenz

Von Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und Vorsitzender GdP-Bezirk Bundespolizei

„Endlich“, möchte man ausrufen. Endlich kehrt die Gefahrenabwehr zurück an ihren Platz.

Regierungskunst ist das Erkennen von Herausforderungen sowie die Entwicklung und Durchsetzung von geeigneten Lösungen. Mit den aktuellen Entscheidungen zu mehr Präsenz im öffentlichen Raum im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wird erkennbar die Priorität verändert. Der Innenminister will das Sicherheitsgefühl der Menschen bedienen. Er gibt ein Versprechen ab, das den gesetzlichen Auftrag der Bundespolizei zur „Gefahrenabwehr“ abbildet. Sichtbare Polizeipräsenz steigert das Entdeckungsrisiko bei einer Tatbegehung und erhöht den Fahndungsdruck bei der Strafverfolgung.

Die individuelle Lebensqualität wird durch zahlreiche politische, soziale, wirtschaftliche und umweltorientierte Faktoren bestimmt. Dazu gehören auch persönliche Sicherheit und Gesundheit, Bildungs- oder Verkehrsangebote. Jedoch: Vieles davon wurde in den vergangenen Jahren abgebaut. Denken wir an all die Verwaltungsreformen! Die Aufgaben vermehrten sich, während Personal reduziert und damit bewährte Strukturen zerschlagen wurden. Die Politik gab Versprechen ab, die der Staat nicht mehr halten konnte.

Eine Ordnung muss so verfasst sein, dass die Menschen sich in ihr wohlfühlen. Für Bürgerinnen und Bürger sind das Sicherheitsgefühl und die Sicherheitslage wichtige Aspekte ihres Wohlbefindens. Das alltägliche Erleben von Verwahrlosung, Vandalismus und Zerstörung führt in weiten Kreisen der Gesellschaft zu Verunsicherung, gar zu Furcht. Bestimmte Gegenden und Stadtviertel werden gemieden, zu manchen Zeiten traut man sich nicht mehr allein auf die Straße, einige Verkehrsmittel oder Bahnhöfe werden nicht mehr genutzt. Das Vertrauen in den Staat – der vermeintlich nicht ausreichend schützen kann (oder auch nicht will?) – nimmt ab, die Staats- und Politikverdrossenheit steigt.

Das Zusammenleben der Menschen und die Gewährleistung des Gemeinwesens vertragen keine fortgesetzte Demontage polizeilicher Strukturen. Die Polizei ist dann nur noch bei Veranstaltungen, Fußballspielen, Demonstrationen oder Großeinsätzen erkennbar. Die Menschen erwarten aber bei Bedarf auch überall vor Ort innerhalb zumutbarer und angemessener Zeit polizeiliche Reaktionen.

Die lange schwelende Bedrohung, dass die Innere Sicherheit als fundamentale Aufgabe des Staates durch die sogenannte Schuldenbremse endgültig „ausgebremst“ werden könnte, ist Wirklichkeit geworden. Häufig genug wurde dies als bloße Gewerkschafter-Rhetorik abgetan. Die Opfer von Gewalt und ihre Hinterbliebenen haben dazu eine andere Meinung! Die staatliche Ordnung wurde zum Nachteil der Menschen verändert.

Seit den 1990er Jahren fehlte jeder politischen Führung im Bereich der Inneren Sicherheit die Fähigkeit, für längere Zeithorizonte strategisch zu planen. Diese fehlende programmatische Führung machte Platz für betriebswirtschaftliche Steuerung. Dem „Schlanken Staat“ folgte die Politik der „Schwarzen Null“. Die Folge: Polizeipräsenz und damit auch die Prävention in der Fläche wurden abgebaut. Aus dem polizeilichen Alltag wissen wir nur zu genau, wie wenig sich unsere Arbeit an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien messen lässt. Der gesamte präventive Bereich entzieht sich einer konkreten Bemessung im Sinne klassischer Kosten-Nutzen-Rechnung.

Der Staat hat eine Schutzverpflichtung und der Einzelne ein Recht auf Schutz durch die staatliche Ordnung. Viel zu lange wurde die Innere Sicherheit nur durch die Kostenbrille betrachtet. Die Sichtbarkeit der Polizei auf die Strafverfolgung reduziert. Wir als Gewerkschaft der Polizei für die Bundespolizei erkennen nicht erst im Nachhinein, dass es kontraproduktiv war, Stellenabbau und Unterfinanzierung im Sachhaushalt zuzulassen. Wir haben bereits seit 2007 auf diese Missstände hingewiesen. Ökonomie allein darf nicht dominieren.

Wer nun nach den beiden Angriffen an den Bahnhöfen von Voerde und Frankfurt am Main schnelle Lösungen parat hat, muss sich fragen: Warum wurden diese Ansätze nicht in der Vergangenheit eingebracht? Trotz einem Jahrzehnt der „Bedrohungsrhetorik“ mit Gesetzesverschärfungen fehlt es in der Politik an einem Gesellschaftsentwurf, der den Bedürfnissen der Menschen nach Ordnung und Sicherheit gerecht wird. Doch Ordnung zu schaffen, ist nicht nur Aufgabe des Staates und der Polizei. Auch andere Akteure müssen ihren Beitrag leisten. Nutznießer einer polizeilichen Dienstleistung an den Flughäfen und Bahnhöfen sind nicht nur die Reisenden, sondern auch die Betreiber. Auch über ihren Beitrag für mehr Ordnung muss gesprochen werden.

Wir nehmen für uns in Anspruch, dass die aktuellen Veränderungen ohne unsere Mahnungen und Warnungen seit Beginn der 1990er Jahre nicht erfolgt wären. Dies lässt sich auch durch die Rede des amtierenden Innenministers auf dem Bundeskongress der Gewerkschaft der Polizei im November 2018 ableiten: „Ich glaube, als Politiker darf man sagen: Der Trend im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts (...) ging zur Neoliberalität. Nur ganz wenige haben da Kurs gehalten – die Gewerkschaften gehören dazu – und sind nicht der Neoliberalität anheimgefallen. Da sind viele Fehler gemacht worden. Einer der Fehler war eben das Sparpotenzial zulasten der Sicherheit und der Personalausstattung.“ Mit diesem Blick zurück, mit dieser Erkenntnis lässt sich die Kurve kriegen. Doch der Weg ist noch nicht zu Ende. Nicht nur mit Blick auf die Aus- und Fortbildungsorganisation und die Unterstützungsleistung der Verwaltung darf in den Bedarfsforderungen für mehr Personal nicht nachgelassen werden.
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