Zum Inhalt wechseln

„Wir Verfassungspatrioten“

Foto: GdP

Rede von Sven Hüber, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei für die Bundespolizei, auf dem Delegiertentag der Direktionsgruppe Bundespolizeiakademie des GdP-Bezirks Bundespolizei im Original-Wortlaut:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich an diesen Delegiertentag und die Bundespolizeiakademie dachte, fragte ich mich, was wohl das wichtigste Fach sei, dass hier gelehrt würde.

Ich musste an John Grisham denken und seinen Roman „Die Schuld“. Er beschreibt dort seine literarische Figur Professor Thomas Callahan.

Der Professor gilt als cool.
Er trägt eine schick-liberale Akademikerkluft.
Er trinkt abends mit den Studenten.
Weshalb seine Vorlesungen immer erst am späten Vormittag stattfinden.

An so einer Bildungseinrichtung gibt es sicher viele Professoren mit vielen Fachgebieten.

Welches Fach aber gilt bei den jungen Leuten, die etwas für's Leben lernen wollen oder sollen, als cool, schick und sexy?

Grisham schreibt über seine professorale Romanfigur, er sei „beliebt“ gewesen, „weil er Verfassungsrecht lehrte, ein ziemlich verhasstes Thema, aber Pflichtstoff“. Der coole Professor schaffte es, so Grisham, „Verfassungsrecht interessant zu machen“. Und so drängten sich die Studenten in seine Vorlesung.

Ich weiß nicht, wie viele Grisham‘sche Professoren es in Lübeck gibt. Trinkend, in Jeans, mit Tweedsakko und abgeschabten Lederellenbogen, ohne Krawatte.

Ich könnte mir einige vorstellen, die so wenigstens gern auftreten wollten.

Aber ich weiß, dass Verfassungsrecht wenigstens eines der allerwichtigsten Fächer ist, in dem wir unsere jungen Polizistinnen und Polizisten unterrichten. Über das wir begeistern, sie zu glühenden Verehrern unserer Idee des Zusammenlebens in Deutschland machen müssen.

In anderen Gebieten kann man Defizite durch Nachschlagen ausgleichen. In Verfassungsfragen aber geht es nicht nur um Wissen. Es geht um verinnerlichte Haltung. Um den inneren Kompass, was gut und richtig ist. Um den Grundkonsens mit allen Menschen, denen wir als Polizeibeamte in unserem Land gegenübertreten.

Es geht um Verfassungspatriotismus von Polizisten.

In Verfassungspatriotismus stecken zwei Wörter: Verfassung und Patriotismus. Beide haben fundamentale Bedeutung für unser berufliches und moralisches Selbstverständnis. Beide ergeben aber nur in ihrer Kombination miteinander den tieferen Sinn.

Man hört nicht selten, dass Menschen ihr Land lieben. Dass sie stolz auf unser Land sind. Selbst Spitzenbeamte werden im Tonschlag von Untergangsszenarien nicht müde zu betonen, man müsse – wahlweise – unser Land „retten“ oder dem „Land helfen“. Diese Art Patriotismus der Herzen ist aber ohne den Patriotismus der Köpfe, ohne das Lieben der Verfassungswerte als einziger Klammer aller hier lebenden Menschen nichts wert.

Ich hätte große Lust, den unrühmlich bekannt gewordenen Dresdner Deutschland-Hütchen-Träger aus dem Sächsischen LKA einmal zu fragen, ob er unsere schwarz-rot-goldenen Verfassungswerte so liebt wie sein schwarz-rot-goldenes Hütchen.

Jürgen Habermas Idee des Verfassungspatriotismus, dass nicht ethnische Identität, sondern der Wertekanon des Grundgesetzes der Bezugspunkt unserer Identität als Nation sind, hat heute mehr Ideensprengkraft als je zuvor.

Nicht nur für die Liebeserklärer an Deutschland stellt sich die Frage, ob man ein liebesähnliches Wertschätzungsgefühl für einen Rechtstext entwickeln kann. Ein Text, der nach der größten Selbstzerstörungskatastrophe der Deutschen auf Geheiß der Alliierten zustande kam.

Ich sage: Ja, man kann unsere Werte lieben wie sein Land, weil ein Land ohne Werte nichts ist.
Ich sage: Ja! Gerade als Polizist.

Ich will Euch ein Beispiel geben:

Als ich gestern zum Delegiertentag der Direktionsgruppe Bayern fuhr, stellte ich fest, dass er nur einen Katzensprung weit von Flossenbürg stattfand.
Flossenbürg, Todesort, KZ-Gedenkstätte.

Dieser Ort des Schreckens ist bekannt aus einer Zeit, der einem im Bundestag sitzenden Parteivorsitzenden nur einen „Vogelschiss“ wert ist. An diesem Ort starben mehr als 30.000 Menschen. Auch Dietrich Bonhöfer.

Ein anderer Politiker dieser „Vogelschiss“-Partei sieht in solchen Orten nur eine „dämliche Bewältigungspolitik“ und forderte in Bezug auf solche Gedenkorte zu einer „erinnerungspoltischen Wende um 180 Grad“ auf.

Ich aber dachte: Was für ein wundervolles, freies Land, in dem die Verfassung die Meinungsfreiheit garantiert, auch gerade für Leute, die gern behaupten, man dürfe „nichts mehr sagen“ und ja trotzdem jeden Unsinn verbreiten.

Was für ein wundervolles Land, in dem wegen des verfassungsgarantierten Rechtsstaatsgebots und der Unabhängigkeit der Justiz eine Einweisung zur „Schutzhaft“ ohne Richteranrufung durch eine Verwaltungs- oder Polizeistelle nicht mehr möglich ist!

Was für ein wunderbares Land, in dem niemand fürchten muss, dass ihn ein geschmackloser Witz, eine Anstandslosigkeit gegenüber Frau Merkel, Herrn Erdogan oder wem auch immer „ins Lager“ bringt oder auf das Schafott.
In den vergangenen Wochen und Monaten ist viel über die Denk- und Geisteswelt von Polizisten geschrieben und gesprochen worden. Ob Polizisten eher am rechten Rand der Geisteshaltungen angesiedelt sind. Erst gestern erschienen viele Kommentare anlässlich der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts, einen Beamten mit fragwürdiger Geisteshaltung den Uniformrock ausziehen zu lassen.

Ich verstehe die Besorgnis und auch die Berechtigung der Fragen, wie viele und warum sich Polizisten bei einer Partei, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zum politischen Programm erhoben hat, engagieren und Mandate annehmen.

Ich verstehe aber auch:

Wenn es uns - und hier vor allem auch unseren polizeilichen Bildungseinrichtungen – immer wieder gelingt,
  • die Liebe zu unseren Verfassungswerten immer und immer wieder am Lodern zu halten,
  • Resonanz- und Verarbeitungsräume für im polizeilichen Einsatz Erlebtes zu schaffen,
  • sekundären Traumatisierungen und schrägen Sichtachsen mehr politische Bildung und Raum für Diskussionen zu bieten,
dann braucht uns um die Geisteshaltung von Bundespolizisten nicht bange zu sein.

Dieser Delegiertentag findet im 70. Jahr der Ausfertigung dieses Grundgesetzes statt, seit 1990 auch der Wertemaßstab der gesamten Nation.

Es gibt, das wissen wir nicht erst seit Grisham, für junge Menschen sicher auf den ersten Blick spannendere Fächer als Fragen der Verfassung. Aber es gibt, das ist meine Überzeugung, in den heutigen und den ins Haus stehenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen kein wichtigeres Fach.

Nie habe ich und viele in meinem und sicher auch in ihrem Umfeld so stark die Frage gestellt:
  • Wie wollen wir alle miteinander leben in unserem Land?
  • Was ist uns dieses gemeinsame Lebensmodell wert?
  • Wie wird die Zukunft für unser Land, für unsere Enkel aussehen?
  • Was verhindert ein Auseinanderdriften der Gesellschaft?

Man hört, sieht, spürt eine Polarisierung in unserem Land – und manchmal auch in unseren Reihen.

Diese Orientierungsfragen gehen an Polizisten nicht vorbei.

Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, CDU, rief im Juli dazu auf, „unsere Werte zu verteidigen“. Maßstab seien „unsere Werte und Normen des Zusammenlebens“, da gebe es keinen Rabatt.

Bereits im Jahr 2004 rief der damalige Berliner Bildungssenator Böger dazu auf, „Wir müssen unsere Werte verteidigen“. Im Zusammenhang mit der Debatte über die Integration von Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund sagte er, in Deutschland sei „viel zu lange weggesehen und Toleranz mit Beliebigkeit verwechselt“ worden.

Der Baden-Württembergische Ministerpräsident Kretschmann rief 2015 ebenfalls zur Werteverteidigung auf: „Unsere Werte, unsere Demokratie, unsere offene Gesellschaft sind stärker als die Verblendung und der Hass von Fanatikern.“

Angela Merkel versprach, „so wichtige Werte wie die Freiheit der Presse und die Freiheit der Religion […], die uns allen in Europa wichtig sind, gemeinsam zu verteidigen“.

Auch rechts der Mitte wird über Werte gesprochen.

Im CSU-Programm von 2007 heißt es: „Sprache, Geschichte, Traditionen und die christlich-abendländischen Werte bilden die deutsche Leitkultur“ – auch wenn die Demokratie von der Aufklärung kommt und nicht aus der Bibel.

Und ganz rechts hörte sich der „Werte“-Ruf bei einer Veranstaltung der Herren Höcke und Dornau von der AfD im sächsischen Grimma im August 2019 so an, als es um sächsische Identität ging: „Das ist wichtig, dass wir ein bisschen mehr auf unsere Werte gehen, dieser Genderwahn wieder abgeschafft wird, zurückgefahren wird. Brauchen wir alles nicht. Wir müssen auch in den Schulen wieder mehr Naturwissenschaften lernen, nicht so viel Ethik und so ein Zeug, das muss alles etwas rausgehalten werden.“

Sprechen wir hier also immer über dasselbe?

Über „deutsche Werte“?

Was ist das Ding, das, frei nach Goethe, unsere kleine deutsche Welt im Innersten zusammenhält?

Die Maßstäbe dessen, was es wert ist, als Lebensmaxime für ein Leben in Deutschland verteidigt (oder, je nach Blickwinkel, konserviert oder auch abgeschafft) zu werden, die Wertmaßstäbe unseres Zusammenlebens scheinen wohl sehr vielfältig zu sein. Es vermischen sich kulturelle Ansprüche gegen sich selbst und andere, religiöse Verhaltenserwartungen und Wertemaßstäbe mit Garantiebegriffen, wie das Leben aller Menschen in diesem Land verfasst sein soll.

Werte schützen, Werte anerziehen, hat einen sehr auf Menschen und ihre Verhaltensweisen zielenden Aspekt. Der Erziehungswissenschaftler und Zukunftsforscher Horst Opaschowski befragte im Jahr 2018 mehrere Tausend Deutsche über 14 Jahren nach ihrem Wertekanon.

Was sind erstrebenswerte „deutsche Werte“?

Die Ergebnisse:

Deutsche Werte
(Quelle: Horst Opaschowski, Ipsos CAPIBUS Studie 2018 Erziehungsziele heute/ Computer Assisted Personal Interviewing)

Platz 1
Ehrlichkeit

Platz 2
Selbstständigkeit

Platz 3
Verlässlichkeit

Platz 4
Hilfsbereitschaft

Platz 5
Richtiges Benehmen/Anstand

Platz 6
Verantwortungsbereitschaft

Platz 7
Freundlichkeit

Platz 8
Höflichkeit

Platz 9
Fleiß

Platz 10
Toleranz

Platz 11
Pflichterfüllung/Pflichtbewusstsein

Platz 12
Disziplin

Platz 13
Gerechtigkeitsgefühl

Platz 14
Vertrauenswürdigkeit

Platz 15
Kontaktfähigkeit

Platz 16
Durchsetzungsvermögen

Platz 17
Kritikfähigkeit

Bei den 14- bis 24-Jährigen - der „Generation Z“ - wird besonderer Wert auf Selbstständigkeit (64 % – übrige Bevölkerung: 59 %), Durchsetzungsvermögen (61 % - übrige: 49 %) und Teamfähigkeit (55 % - übrige: 45 %) gelegt.

Das Beruhigende an diesem Befund: Offenbar haben universelle Werte Hochkonjunktur. Nichts daran ist „sächsisch“ oder „deutsch“, sondern schlicht menschlich. Diese Werte sind so christlich wie jüdisch wie islamisch wie buddhistisch wie aufklärerisch-atheistisch.

Opaschowski erwartet in naher Zukunft einen Werteexport der Zuwanderer nach Deutschland: „Von der Migration der Menschen zur Migration der Werte ist es nicht mehr weit. Nachbarschaftshilfe, familiärer Zusammenhalt, Respekt vor dem Alter und Verantwortung gegenüber der nachkommenden Generation werden wichtiger. Materialistische und individualistische Wertorientierungen werden weniger im Zentrum des Lebens stehen. Konsumorientierte Anspruchshaltungen, das Streben nach Selbstverwirklichung sowie das Recht auf persönliches Glück werden ihre dominante Bedeutung im Leben verlieren. Selbstentfaltungswerte müssen sich wieder mehr im Wettstreit um Gemeinschaftswerte behaupten. Die Zukunft wird sicher keine idealistische Wir-Gesellschaft oder einheitliche Werte-Gemeinschaft sein. Die nächsten Jahre gehören eher einer Gesellschaft mit einer Vielzahl gemeinsamer Wertschätzungen und persönlicher Wertorientierungen. Ein Minimalkonsens für den sozialen Zusammenhalt muss gefunden und überzeugend vermittelt werden, um ein konfliktfreies und friedliches Zusammenleben in Zukunft zu ermöglichen.“

Ich finde, kürzer kann man den großen Schritt von den persönlichen Werten zum Wertekanon des Grundgesetzes nicht machen. Und unser Land wird sich aus ganz naheliegenden Zwangsläufigkeiten weiter ändern. Der Wertekanon des Grundgesetzes als Minimalkonsens für den sozialen Zusammenhalt wird noch viel, viel stärkere Bedeutung erhalten – für alle.

Ich habe in der „Deutschen Polizei“ schon vor zwei Jahren unter der Überschrift „Spurwechsel im Einwanderungsland“ auf die Befunde der Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsforscher aufmerksam gemacht: Deutschland wird in den Jahren bis 2050 mehr als 16 Millionen Menschen aus seinem Arbeitskräftereservoir verlieren. Die Sicherung unserer Sozialsysteme, unseres Wohlstandes und Lebensstandards, unserer Steuereinnahmen und unserer Wirtschaft zwingt zu sehr klaren Folgen. Selbst im Falle einer Verdoppelung des Frauenanteils in der Arbeitswelt und der Einführung der Rente mit 70 sowie unter Einrechnung der EU-Binnenwanderung von Arbeitskräften müssen jährlich bis zu 400.000 Menschen aus Drittstaaten in das deutsche Arbeitskräftereservoir einwandern.
Wer die deutsche Geschichte kennt (ich habe da bei einem politisierenden deutschnationalen Geschichtslehrer Zweifel), dem wird hier vielleicht die Politik Friedrich des Großen als deutscher Wert einfallen:

„Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.“ (Rand-Verfügung des Königs Friedrich II. von Preußen auf dem Immediat-Bericht des General-Directoriums vom 15. 6. 1740)

„Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden und Mus der fiscal nuhr das auge darauf haben das Keine der andern abruch Tuhe, denn hier mus ein jeder nach seiner Fasson Seelich werden." (Rand-Verfügung des Königs Friedrich II. von Preußen auf dem Immediat-Bericht des Geistlichen Departements vom 22. Juni 1740)

„Ich habe Euch in Meiner Orde vom 7. Juni...aufgetragen, Euch zu bemühen, die...sich aufhaltenden Tartaren zu persuadiren, dass selbige sich in Meinen Landen niederlassen, und...dass Ich es nemlich gerne sehen würde, wenn diese Leute sich gantz und gar in Meinen Landen...etabliren wollten...Ihr werdet demnach Euch alle ersinnliche Muhe geben, gemeinschaftlich...zu bewürcken, wie diese Leute zu gewinnen und in's Land gezogen werden können. Ich will ihnen gerne erlauben, Moscheen zu bauen und sollen sie allen Schutz geniessen." (Edikt des Königs Friedrich II. von Preußen an den Kammerdirektor v. Gaudi über die „Ansetzung von Tataren in Westpreußen“ vom 22. 7. 1775)

Mir gefällt der „Alte Fritz“ an dieser Stelle ebenso wie die Toleranzedikte, weil ihr Tenor Eingang in unsere Verfassungswerte gefunden hat.

In den kommenden Jahrzehnten wird sich ein enormes Projekt der Integration und Assimilation mit uns allen als Akteure abspielen und wir werden die Aufgabe der Wahrung der gesellschaftlichen Balance haben. Wir müssen, davon bin ich überzeugt, darauf achten, den Willen zu entwickeln, aus allen, die zu uns kommen, zügig Deutsche zu machen, nicht im Sinne von Blut und Boden, sondern im Sinne des Verfassungspatriotismus, nach diesem Minimalkonsens für den sozialen Zusammenhalt gut miteinander leben.

Die daraus resultierenden Veränderungen in der deutschen Gesellschaft, der Schritt von der „Migration der Menschen zur Migration der Werte“ sind kein Grund, den Untergang des Abendlandes zu beschwören, wie es mitunter auch Spitzenbeamte anfällt.Veränderungsprozesse können nicht immer wie geschmiert und konfliktfrei verlaufen.

Uns als Polizei kommt eine wichtige gesellschaftliche Balance- und Aussteuerungsfunktion zu. Noch stärker als bisher werden wir in die Sandwich-Position widerstreitender gesellschaftlicher Interessen und Konflikte kommen. Köthen und Chemnitz lassen als Vorgeschmack grüßen.

Veränderungszeiten sind keine einfachen Zeiten. Auch nicht für Polizisten. Erst recht nicht die nachwachsende Polizeigeneration, die heute die Schulbank drückt, auch im Fach „Staats- und Verfassungsrecht“.

Herz und Hirn anzusprechen, Orientierung und Werterahmen zu bieten und immer wieder zu bestärken - das ist der Anspruch, den wir an die polizeilichen Bildungseinrichtungen stellen.

Wie wichtig diese geistige Wertestabilität ist, sehen wir in der Gegenwart. Die großen Veränderungen der vergangenen 30 Jahre, darunter Wiedervereinigung und EU-Osterweiterung haben manchen überfordert, darunter auch Menschen in politischen Spitzenämtern. Die neuen Werte wurden nicht für jeden im gleichen Maße wertvoll. Wir sehen an einigen Werteverächtern in Sachsen und Brandenburg ebenso wie in Polen oder Ungarn, dass selbst die Herstellung eines Minimalkonsens des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts kein Selbstläufer ist.

Ich frage mich, ob wir uns gemeinsam immer im gleichen Maße für die Werte unserer Verfassung, unseres „Zusammenlebensvertrages“ einsetzen wie für die deutsche Hausordnung, die uns ja auch etwas „wert“ ist.

Ich bin überzeugt, dass wesentliche Garantien unseres Zusammenlebens wie
  • die Religionsfreiheit,
  • die Parteiendemokratie,
  • die Pressefreiheit,
  • das Rechtsstaatsgebot
  • die Rechtswegegarantie für jedermann und
  • das Sozialstaatsgebot
unverzichtbar sind im Minimalkonsens für den sozialen Zusammenhalt.

Man kann in diesem Land, davon bin ich auch trotz eigener unschöner Presseerfahrungen überzeugt, nicht Polizist sein und gleichzeitig auf Marktplätzen über die „Lügen-Presse“ und die verfassungsrechtliche Pressefreiheit herziehen, auch dann nicht, wenn man in der Presse zu Unrecht angegriffen wird.

Man kann in diesem Lande, davon bin ich überzeugt, nicht Polizist sein und in seiner Freizeit gegen die Religionsfreiheit für alle und Gebetshäuser anderer agitieren. In einem freien Land freier Menschen mit Religionsfreiheit gehört jede Religion zu dieser Freiheit dazu.

Man kann in diesem Lande nicht der Menschenwürde verpflichteter Polizist sein und gleichzeitig von „Kopftuchtanten“, „Zecken“, „Schwarzköpfen“, „Ölaugen“ schwadronieren.

Ich bin stolz darauf, wenn sich die Bundespolizei als Organisation und meine Kolleginnen und Kollegen als Person klar von so etwas distanzieren, positionieren, einschreiten, nicht stehen lassen.

Natürlich kann man auf Parteien, auf gebrochene Zusagen und falsches politisches Spiel verärgert sein – und wir sind das nach den vergangenen Wochen und den Verhandlungen zum BesStMG sehr auf CDU/CSU wie SPD. Aber man kann das demokratische System darüber nicht in Frage stellen.

Wenn wir über unseren Wertekanon, über das, was uns als Bürger und als Berufspolizisten verbindet, reden, dann reden wir auch darüber, was nicht dazu gehört.

Nicht zu unseren deutschen Werten gehört, wenn eine Partei mit dem Erstbuchstaben des Alphabets fordert „...in Form von zivilem Ungehorsam die geplanten Flüchtlingsunterkünfte einfach abfackeln“. Der Schutz der Wohnung ist Verfassungswert!

Nicht zum deutschen Wertekanon gehört, wenn ein sächsischer A-Partei-Politiker Bundespolizisten zum Schusswaffeneinsatz gegen unbewaffnete Schutzsuchende auffordert.

Nicht zum deutschen Wertekanon gehört, auf Marktplätzen über Ertrinkende im Mittelmeer „Absaufen, Absaufen!“ zu skandieren.

Nicht zu deutschen Werten gehört die Forderung, meine Kolleginnen und Kollegen mit dunkler Hautfarbe und blauer Uniform endlich wieder „Neger!“ nennen zu dürfen oder Schandpranger gegen Lehrer und meine Gewerkschaftsfreunde von der GEW im Internet zu führen.

Bei aller persönlichen Freiheitsentfaltung, bei aller Vielfalt der Lebensentwürfe gibt doch das Grundgesetz einen Rahmen vor, der als Wertmaßstab aller gilt – die hier geboren wurden, die hierher gekommen sind, die hier leben.

Ich sehe die Beschäftigten der Polizeien in Deutschland nicht nur als Garanten der FDG. Und wir reden dabei über mehr als „nur“ die berühmte freiheitlich-demokratische Grundordnung, die FDG, der jeder Polizist und jede Polizistin per Eid verpflichtet ist.

Ich sehe sie als Garanten des weiter gefassten „Minimalkonsens für den sozialen Zusammenhalt“, der Verfassung als Ganzes.

Ich wünsche nicht nur den Professoren mit den abgeschabten Lederflicken am Ellenbogen, sondern uns allen, dass es uns gelingt, uns in den auch weitergehenden Zeiten der Veränderung als Verfassungspatrioten zu beweisen.

In diesem Sinne wünsche ich mir, dass das Verfassungsrecht zum Lieblingsfach bei der Bundespolizeiakademie avanciert, meinetwegen auch mit coolen, trinkfesten Professoren.
This link is for the Robots and should not be seen.