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Neues Einsatzführungssystem in der Kritik

Arbeitsplatz des Einsatzführungssystems
Wiesbaden.

„Mit einer neuen Einsatzsoftware will die hessische Polizei schneller und gezielter auf Einsätze und Notlagen reagieren. Das Einsatzführungssystem (EFS) ist seit Ende November in allen hessischen Polizeipräsidien verfügbar“, sagte Minister Peter Beuth im Dezember im Polizeipräsidium Frankfurt. Indes kommt berechtigte Kritik von unseren Beschäftigten aus dem Anwenderbereich aus den Einsatzleitstellen. Dort eingesetzte Kolleginnen und Kollegen bemängeln unter anderem ständige Systemabstürze, für die offensichtlich nicht vorhandene und damit mangelhafte Leitungskapazitäten verantwortlich sind. In allen Behörden wurden Performance - Probleme bis in die Flächendirektionen festgestellt. Dadurch entstehen viel zu lange Wartezeiten bei der Einsatzbearbeitung. Dies birgt erhebliche Risiken für die von den Einsatzleitstellen entsendeten Einsatzkräfte, die auf die Verlässlichkeit der Einsatzzentralen angewiesen sind. Derzeit ist noch ein Rückgriff auf die bisherige Leitstellensoftware möglich, diese endet aber in der Silvesternacht mit Ablauf des 31.12.2019. „Damit einhergehend befürchten wir, dass es in der Neujahrsnacht zu systemimmanenten und möglicherweise risikobehafteten Softwareabstürzen kommen kann“, sagte der Landesvorsitzende Andreas Grün in Wiesbaden.

Zur Klarstellung: die GdP kritisiert nicht die Funktionalitäten des neuen Einsatzführungssystems! Die Software zeigt beispielsweise mithilfe von GPS-Daten auf einer Karte alle Streifenwagen an, die im Land unterwegs sind. Im Fall eines Notrufs schlägt das System den Wagen vor, der am schnellsten vor Ort sein kann.
„Wir sorgen uns um die Sicherheit der Einsatzkräfte und der Menschen, die aufgrund der Umstellung des Einsatzführungssystems durch lange Wartezeiten oder Systemausfälle nicht in der gleichen Qualität wie bisher betreut werden können“.

Dringender Handlungsbedarf bei den Leitungskapazitäten

.... Fehlermeldungen im EFS
Innenminister Beuth wurde zwischenzeitlich durch die GdP aufgefordert, bei Netzanbietern zu intervenieren, damit beim konsequenten Ausbau der notwendigen Infrastrukturen (Glasfaserleitungen) insbesondere polizeiliche Liegenschaften (wie auch Krankenhäuser und Notfallzentren) bevorzugt werden.

Landespolizeipräsident Münch wurde ebenfalls aufgefordert, ein verlässliches Fachkonzept zu erstellen, um den Polizeibeschäftigten - noch vor dem Jahreswechsel - Handlungssicherheit in möglichen Ausnahmesituationen zu vermitteln. Zudem versprach LPP Münch technische Abhilfe in der Form, dass zusätzliche Notfallserver bei möglichen Systemausfällen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden.

Die GdP fordert die schnellstmögliche Umsetzung und Problemlösung in diesem Prozess. „Die Handlungssicherheit der Einsatzsachbearbeiterinnen und -bearbeiter einerseits - und die Sicherheit der sich im Einsatz befindlichen Polizeibeschäftigten andererseits erwarten neben der Bereitstellung technischer Neuerungen auch eine verlässliche Funktionalität“, so der Landesvorsitzende abschließend.
GdP Hessen

Neues Einsatzführungssystem in der Kritik – HPT meldet sich bei der GdP

Nach Veröffentlichung unseres Artikels hat sich das Hessische Polizeipräsidium für Technik (HPT), das bei diesem Projekt die Federführung hat, umgehend bei Andreas Grün gemeldet und ein Interview mit der Projektleiterin Nicole Schraut-Stahl angeboten. Selbstverständlich nutzen wir die Möglichkeit der Projetleiterin ergänzende Fragen zu stellen.
Lesen Sie im Interview, wie das HPT zur EFS-Kritik der GdP und damit der Kolleginnen und Kollegen Stellung nimmt und was aktuell für die Systemstabilität getan wird.

GdP: Nach der flächendeckenden Einführung von EFS ist von den Einsatzsachbearbeitern der Leitstellen, hinsichtlich ständiger Systemabstürze vermehrt Kritik an der neuen Software zu vernehmen. Wie viele Ausfälle bzw. Systemabstürze gab es seit der Einführung?

Nicole Schraut-Stahl: Es gab vier Ausfälle des Systems, bei dem kein Arbeiten im EFS mehr möglich war. Zwei der vier Ausfälle betrafen vier Präsidien (Osthessen, Nordhessen, Westhessen und Mittelhessen), die zwei weiteren Ausfälle betrafen zusätzlich die Präsidien Frankfurt und Südhessen. Die Ausfälle traten in den Kalenderwochen 45 und 46 auf. Die Fehler wurden analysiert, nachgestellt und dauerhaft behoben.
Darüber hinaus kam es zu Störungen in einzelnen Diensten des Systems, bspw. bei der Suche. Diese Funktionen werden automatisiert wieder gestartet und die Ausfallzeit hierfür liegen im niedrigen Minutenbereich.

GdP: Was bedeutet so ein Ausfall für die Einsatzbearbeitung? Wie lange wird die Bearbeitung dadurch verzögert?

Nicole Schraut-Stahl:Im Zeitraum der Komplettausfälle war kein Arbeiten im EFS mehr möglich. Die Störungen beeinträchtigten die Arbeiten im EFS unterschiedlich lange. Die Ausfallzeit des ersten Fehlers betrug 20 Minuten, für den zweiten Fehler 90 Minuten, da hier ein neuer Softwarestand eingespielt wurde, der ein erneutes Auftreten des Fehlers verhindert.
Die Fehler in der Kalenderwoche 46 hatten eine Unterbrechung der Arbeit im EFS von ca. 80 Minuten zur Folge, wobei auch hier bei Auftreten des erneuten Fehlers die Zeit genutzt wurde, einen aktualisierten Softwarestand einzuführen, der seit diesem Zeitpunkt erfolgreich verhindert hat, dass das System erneut komplett gestört wurde.

Die weiteren Ausfälle im Bereich der Suche/Karte haben verhindert, dass eine Straße oder ein Objekt in der Karte gefunden werden konnte bzw. dass die Karte geladen werden konnte. Diese Ausfälle sind zwischenzeitlich auf unter zwei Minuten beschränkt. Die Eingabe der Daten kann in diesem Zeitraum aber erfolgen.

Eine weitere Fehlerhäufung trat in der Verbindung des Kommunikationssystems und des EFS auf. Hierbei wurde der Einsatz nicht automatisch beim Eingang eines Notrufs oder Sprechwunsches eröffnet. Ein manuelles Eröffnen des Einsatzes war aber jederzeit möglich. Anders als bei der automatischen Eröffnung muss in einem solchen Fall die Telefonnummer des Anrufers manuell erfasst werden.

GdP: Sind die Gründe der Ausfälle bekannt?

Nicole Schraut-Stahl: Alle Fehlersituationen konnten analysiert und nachgestellt werden. Für jeden aufgetretenen Fehler erfolgte bereits eine Fehlerbehebung. Nicht alle Fehlerbehebungen wurden direkt eingespielt. In einzelnen Fällen wurden diese Behebungen erst bei dem erneuten Eintreten der Ursache aktiviert, um die Auswirkungen auf die Mitarbeiter möglichst gering zu halten.

GdP: Wie wird versucht, die angesprochene Leitungskapazitätsproblematik zu verbessern bzw. ganz auszuräumen?

Nicole Schraut-Stahl: Für die Problematik der fehlenden Bandbreite im Netzbereich sind wir seitens des Projektes mit der Firma Eurofunk Kappacher derzeit damit beschäftigt, mittels einer sog. „Remote Desktop Service“ (RDS) Lösung Abhilfe zu schaffen. Die RDS-Lösung, um es mit einfachen Worten zu beschreiben, erzeugt einen Fernzugriff vom Arbeitsplatz des Einsatzsachbearbeiters auf die eigentliche Anwendung. So können große Datenmengen an zentraler Stelle verbleiben und die Netzlast wird erheblich reduziert. Ein „Proof of Concept (PoC)“ wurde mit Unterstützung des PP Nordhessen bereits durchgeführt. Die erforderlichen Schlüsse sind gezogen und wir sind zuversichtlich, dass die Lösung im 1. Quartal 2020 umgesetzt ist.

GdP: Wie oft musste durch den Einsatzsachbearbeiter seit der Einführung von EFS wegen Systemabstürzen auf das alte System zurückgegriffen werden?

Nicole Schraut-Stahl: Seitens des Projektes wurde den Präsidien viermal die Empfehlung ausgesprochen, auf das alte ELS zurückzugreifen. Dies war bei den vier Komplettausfällen der Fall.
Bei den weiteren Störungen wurde den Präsidien der Rückgang auf das Altsystem freigestellt. Hierbei haben die Präsidien in eigener Verantwortung die Entscheidung getroffen.
Es gab somit bei diesen Teilstörungen einzelne Präsidien, die das System gewechselt haben.

GdP: Zum Jahresende ist kein Zugriff auf das alte System mehr möglich. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass durch einen Systemabsturz in der Neujahrsnacht oder danach die Einsatzsachbearbeitung gefährdet ist?

Nicole Schraut-Stahl: Derzeit sind wir dabei, eine Rückfallebene für das EFS – die es im Altsystem übrigens nie gab - zu implementieren und zu testen. Im Falle eines Ausfalls kann dieses System genutzt werden. Diese Rückfallebene wird die Arbeiten der Einsatzsachbearbeitung in den Leit- und Befehlsstellen sicherstellen.
Ergänzend hierzu wird auch in der verbleibenden Zeit bis 31.12.2020 an weiteren Stabilisierungsmaßnahmen des Systems gearbeitet, die die Anzahl der Störungen weiter minimieren werden. Erste Erfolge konnten bereits in den letzten zehn Tagen erzielt werden, da es in diesem Zeitraum lediglich zu einer einzigen Störung (Dauer 1,5 Minuten) gekommen ist.
Für den Zeitraum zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr bis einschließlich 6. Januar 2020 ist überdies ein Bereitschaftsdienst seitens der Entwicklung der Firma Eurofunk Kappacher, der über den normalen Umfang der Bereitschaft hinausgeht, gesichert.

GdP: Frau Schraut-Stahl, möchten sie über unsere Fragen hinaus den Kolleginnen und Kollegen noch etwas sagen?

Nicole Schraut-Stahl: Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung:
Wie mein Präsident Karl-Heinz Reinstädt auch, habe ich großes Verständnis für das deutlich hörbare Murren, wenn das System „nicht schnell genug läuft“ und gelegentlich ein Systemabbruch oder der Abbruch einer Funktionalität erfolgt.
Wir sind mit der Firma Eurofunk-Kappacher im Projekt noch nicht da, wo wir gerne stünden, setzen aber alles dran, das System zu stabilisieren, Verbesserungsvorschläge der Einsatzsachbearbeiter so rasch als möglich umzusetzen und natürlich mit Hochdruck die noch fehlenden Funktionalitäten zu entwickeln.
Wir tun das alles in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Beschäftigten aus dem Bereich E3. Bleiben Sie dem neuen EFS, trotz des gegenwärtig einen oder anderen Problems, gegenüber aufgeschlossen, optimieren Sie es mit uns gemeinsam. Denn es ist das Herzstück der Einsatzfähigkeit der hessischen Polizei, sowohl im täglichen Dienst als auch bei der Bewältigung von besonderen Lagen.


GdP: Vielen Dank Frau Schraut-Stahl für die ausführliche Darstellung der Situation aus Sicht der Projektleiterin.

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