Zum Inhalt wechseln

Auschwitz- Für die Zukunft zurück in die Vergangenheit

Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet nutzten in der Zeit vom 10. bis zum 15. Juni 2023 ein ganz besonderes Bildungsangebot. Auf Bestreben der Bundesfrauengruppe der GdP sowie der Landesfrauen der GdP MV richtete die Europäische Akademie MV e.V. mit Sitz in Waren (Müritz) ein mehrtägiges Seminar aus, welches sich thematisch mit einem unwirklichen Teil der Geschichte befasst.

Laut Beschreibung des Seminars sollte es sich auf die Geschichte von Auschwitz und den Holocaust fokussieren. Auschwitz und sein Außenlager Birkenau – bekannt als Todeslager – stehen für die Endlösung der Judenfrage. Die Seminarleitung hatte Anna Kiesell übernommen. Im Rahmen des Seminars standen eine Besichtigung des Konzentrations- und Vernichtungslagers, Vorträge, Workshops, Besuche von Synagogen und Ausstellungen sowie viele Gespräche auf dem Plan. Das Programm schien bereits auf den ersten Blick sehr vielseitig, interessant, und allein wegen des Umfangs eine Herausforderung zu werden.
Schnell zeigte sich, dass mit Anna Kiesell eine Frau das Seminar leitete, die sich als Historikerin mit Leib und Seele dem jüdischen Leben verschrieben und dementsprechend einen enormen Erfahrungs- und Wissensschatz angeeignet hat. Anna arbeitet seit Jahren in diesem Bereich und hat sich in dem Zusammenhang, insbesondere auch mit der Geschichte von Frauen beschäftigt, so dass sie für unsere Frauengruppe praktischerweise sogar Fragen aus dieser speziellen Perspektive beantworten konnte. Und wohl nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrung hat sie es geschafft, ein gefühlt perfekt aufeinander abgestimmtes Programm zusammenzustellen, welches uns Schritt für Schritt diesem schwierigen Thema näherbrachte.

Am Samstag erfolgte die Anreise mit dem Bus zum Hotel in Oœwiêcim, wie Auschwitz auf Polnisch heißt, einer heute circa 40.000 Einwohner zählenden Stadt im Süden Polens, etwa 50 km von Krakau entfernt. Gleich nach der Ankunft und Begrüßung führte uns Anna in die Thematik ein und wir tauschten einander über unsere Erwartungen aus. Diese waren naturgemäß bei den Teilnehmerinnen sehr unterschiedlich, genauso wie die bisherigen Kenntnisse, die aus der Schule, aus Büchern, Filmen, Besuchen von Konzentrationslagern oder anderen Quellen stammten. Übereinstimmend wurde aber geäußert, dass das Thema allen Teilnehmerinnen Respekt abfordert und jede für sich auch Bedenken hatte, wie man als Deutsche*r – als „Nachkomme der Täter*in“ - damit umgehen könne und inwieweit oder ob überhaupt das Seminar auch an individuelle Grenzen führen wird.

Man muss nach Auschwitz fahren, um zu verstehen

Für den Sonntag standen die Besuche im Stammlager Auschwitz und im Nebenlager Auschwitz- Birkenau auf dem Plan. Heute sind die Lager Gedenkstätten und gehören zum UNESCO Weltkulturerbe. Schon 1939 kamen die ersten Häftlinge hierher. Es handelte sich zunächst um politisch verfolgte Polen. Später kamen Menschen jüdischen Glaubens dazu, die schließlich etwa 90 Prozent der Häftlinge ausmachten. Aber auch Geistliche, Homosexuelle und politische Widerständler*innen zum Beispiel waren hier. Die Häftlinge stammten aus mindestens 15 verschiedenen Ländern. In Höchstzeiten waren hier 18.000 Häftlinge unterbracht. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf wenigstens 1,1 bis 1,5 Millionen.

Die Führungen wurden durch Guides, die extra für diese Touren ausgebildet sind und wiederum über ein erstaunliches Wissen verfügen, geleitet. Sie sind alle eigentlich in anderen Berufen tätig und führen die Besucher aus aller Welt neben ihrem eigentlichen Job über die Gedenkstätte. Im Laufe der Besichtigung ging es, vorbei am Appellplatz, Küchenbaracken, Magazinen, Unterkünften, Büros, Folterplätzen und -kellern, später auch am persönlichen Hab und Gut, an Schuhen, Bergen aus Haaren, unzähligen Fotos von Gefangenen, und in Birkenau entlang der Überbleibsel der Holzbarracken und schließlich der Desinfektions- und Gaskammern. Wir konnten nur erahnen, was an diesem Ort einmal passiert ist. Geschichte wurde erlebbar, machte betroffen, emotional und auch demütig. Und am Ende stellte sich heraus, dass man einen Besuch in Auschwitz nicht durch Eindrücke aus Büchern, oder Filmen ersetzen kann. Man muss nach Auschwitz fahren, um zu verstehen. Unsere Guides schafften es, das Unfassbare für uns etwas verständlicher und spürbarer zu machen. Sie schafften es auch, uns etwaige Bedenken zu nehmen, als Deutsche an diesen Ort zu kommen. Ganz im Gegenteil, sowohl Anna als auch die Guides, zeigten sich dankbar für die Gelegenheit, uns die Geschichte in diesem sehr speziellen Teil Polens näher bringen zu dürfen.

Nach dieser beeindruckenden Besichtigung fuhren wir zurück ins Hotel, wo uns am frühen Abend noch eine interessante und kurzweilige Gesprächsrunde mit Vertretung der örtlichen Polizeikommandantur erwartete, wobei natürlich auch eine Diskussion zur Rolle der Frau in der polnischen Polizei nicht zu kurz kam.

Überlebender verarbeitet in seiner Kunst die Erlebnisse in der Hölle von Auschwitz

Der Montag bot sich die Gelegenheit in Workshops mit geschulten Pädagog*innen, des Internationalen Bildungszentrums in Auschwitz Einblicke in Originaldokumente, wie Berichte, Protokolle oder Briefe erhielten, die uns die Realität im KZ aus Täter*innen- und Opfersicht zu erhalten, eine anschließende Reflexion ermöglichte und noch einmal die Dimensionen von Auschwitz aufzeigte.

Am Nachmittag standen eine Blumenniederlegung in Gedenken für die Opfer von Birkenau und ein Besuch in der Synagoge in Oœwiêcim sowie die Besichtigung der Stadt Oœwiêcim auf dem Plan. Wir erhielten weitere Informationen zum jüdischen Leben. So lebten kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges etwa 3,5 Millionen Menschen jüdischen Glaubens im Südwesten von Polen, mehr als an den meisten anderen Orten in der Welt. Noch heute finden sich überall Spuren des jüdischen Lebens in der Region.

Dienstagvormittag führte Anna uns in die Kirche der Franziskaner-Minoriten in Harmê¿e. Dort gibt es eine sehr beeindruckende Kunstausstellung. Der Künstler, Marian Kolodziej, war ein ehemaliger Häftling im KZ Auschwitz und wurde im Juni 1940 in Krakau verhaftet und mit der Nummer 432 registriert. Er wurde mehrfach verlegt und schließlich 1945 in Mauthausen befreit. Danach wurde er Bühnenbildner. Über seine Zeit im Konzentrationslager verlor der Überlebende nie wieder ein Wort. Bis er 1992, nach fast 50 Jahren des Schweigens, seine Erinnerungen zu Bildern machte, die man nun im Kellergewölbe der Kirche besichtigen kann. Ganz bewusst hat er die Ausstellung wie ein Labyrinth aufgebaut, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Ausstellung ist sehr intensiv und berührend, weil sie das Leid und Erleben eines Einzelnen in den Mittelpunkt stellt und dabei das individuelle Ausmaß erkennbar werden lässt. Der Künstler verstarb 2009. Er hat seine Erlebnisse in der Hölle von Auschwitz nie überwunden.

Für die Zukunft

Im Anschluss gab es nachmittags noch einen Vortrag zum Thema „Symbolik von Auschwitz und deren Einfluss auf die Gegenwart“. Vortragende war Dr. Alicja Bartos vom Institut für Menschenrechte. Sie thematisierte die Wirkung eines Besuches in Auschwitz und stellte heraus, dass es die Erinnerung ist, die ein unverzichtbares Element der Bildung ist und als Hüterin unserer Identität bezeichnet werden kann. Ein Besuch in Auschwitz bedeutet neben dem Wissenserwerb auch immer, dass man sensibilisiert wird und sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzt. Und hier lässt sich auch ein Bogen spannen bis in die heutige Zeit, im Hinblick auf aktuelle Fälle von Genoziden.

Den Mittwoch nutzten wir für einen Besuch der Stadt Krakau, die mit 780.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes ist. Wir begaben uns zunächst auf einen Spaziergang durch die geschichtsträchtige Stadt, besichtigten den jüdischen Stadtteil Kazimierz, wo vor dem Krieg eine der größten jüdischen Gemeinden Heimat hatte, wandelten kurz auf den Spuren von Oskar Schindler, allgemein bekannt aus dem Spielberg-Film „Schindlers Liste“. Wir besichtigten den großzügigen mittelalterlichen Marktplatz, die Marienkirche und das Schloss auf dem Wawelhügel. Danach konnten wir die Stadt eigenständig erkunden. Am Abend trafen wir uns alle noch einmal im Klezmer-Hois, um den Tag, aber auch das Seminar im Allgemeinen, in einem urigen Ambiente mit einem typisch jüdischen Essen und der typisch jüdischen Klezmermusik ausklingen zu lassen.

Die Auschwitz Reise war ein bereicherndes Seminar, beeindruckend und voller bewegender Erfahrungen. Vieles von dem, was wir gesehen und erfahren haben, konnte in den abendlichen Reflexions- und Diskussionsrunden aufgegriffen und besprochen werden, aber jede nimmt Gedanken und Gefühle mit nach Hause, die noch nachwirken. Und auch, wenn das Seminar vollgepackt mit Terminen war, würde es wohl schwerfallen, einen der bestehenden Programmpunkte herauszunehmen. Denn jeder einzelne war interessant und wertvoll, und einer hat auf den anderen aufgebaut. Es hat alles überzeugt, bis hin zur Gruppe von Gleichgesinnten, die schnell einen Draht zueinander gefunden haben. Das alles hat das Seminar zu etwas ganz Besonderem werden lassen.

Vielen Dank an alle Organisator*innen für diese Erfahrung, an die Landtagspräsidentin Birgit Hesse für die Übernahme der Schirmherrschaft und die Europäische Akademie MV e.V. für die Durchführung! Die Reise ist unbedingt wiederholungsbedürftig und sehr empfehlenswert.

Infokasten:

Die Zeit arbeitet leider gegen uns. Die zeitliche Distanz sorgt für ein schwindendes Interesse bei den jüngeren Generationen. Die Verbrechen verblassen. Bald gibt es keine Zeitzeugen mehr. Das Seminar hat uns gezeigt, wie wichtig das Erinnern ist und warum wir weiterhin immer wieder über dieses dunkle Kapitel der Geschichte sprechen müssen. Im Januar 2020 wurde der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gefeiert. Hier richtete sich der KZ Überlebende Marian Turski, mit den Worten: „Du sollst nicht gleichgültig sein“ an die etwa 2000 Anwesenden. Er nannte es „das 11. Gebot“.

This link is for the Robots and should not be seen.