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DP im Gespräch

Rassismus in der Polizei? - Das komplette Interview

DP im Gespräch: Soziologin Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niedersachsen, PHK Mauritius Fahrbach aus Braunschweig sowie GdP-Landesvorsitzender Dietmar Schilff sprechen über die langanhaltende Debatte über 'Rassismus in der Polizei' - zukunftsgerichtet und konstruktiv. Foto: PM
DP im Gespräch: Soziologin Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niedersachsen, PHK Mauritius Fahrbach aus Braunschweig sowie GdP-Landesvorsitzender Dietmar Schilff sprechen über die langanhaltende Debatte über 'Rassismus in der Polizei' - zukunftsgerichtet und konstruktiv. Foto: PM
Hannover.

Der Vorwurf von ,latentem Rassismus in der Polizei', eine menschenverachtende Kolumne in der taz, Anfeindungen in sozialen Netzwerken und bei Demonstrationen: die Diskussion über Rassismus und Polizeigewalt ebbt nur langsam ab. Die GdP hält es dafür umso wichtiger, die Debatte zukunftsgerichtet und konstruktiv zu führen. Die Redaktion der Deutschen Polizei Niedersachsen hat deshalb die Soziologin Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niendersachsen und den PHK Mauritius Fahrbach aus Braunschweig an einen Tisch mit dem GdP-Landesvorsitzenden Dietmar Schilff geholt, um über das Thema sowohl aus wissenschaftlicher wie auch aus alltäglicher Sicht zu sprechen.

Kurz gefasst

+++ "Einen gezielten, vorsätzlichen Rassismus würde ich bei allem, was ich von der Polizei Niedersachsen weiß, nicht unterstellen wollen", sagt Professor Astrid Jacobsen. In übersichtlichen Situationen kann es aber vorkommen, dass auf unreflektiertes Wissen zurückgegriffen wird und dann Klischees und Vorurteile greifen, so ihre Erfahrung. Deshalb sei es wichtig, die 'Kontaktkompetenz' im Berufsalltag stets und immer wieder zu fördern.

Die Wissenschaftlerin plädiert dafür, etwaiges diskriminierendes Verhalten in der Polizei näher zu untersuchen und kritische Stimmen zu ermutigen, sich zu äußern, ohne dass sie Angst vor Mobbing haben müssen. Sie sieht hier eine große Verantwortung in der Führungsebene. +++

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+++ "Die Debatte hat mehr Reibung als Bewegung erzeugt", sagt Polizeihauptkommissar Mauritius Fahrbach über den Vorwurf des 'latenten Rassismus' in der Polizei. Dass die Polizei professionell und mit Achtung und Würde mit allen Menschen umgeht, gehe in solchen Debatten verloren. Das polizeiliche Handeln sei stets von einem Lagebild getragen. Alles andere wäre rechtlich nicht zulässig. "Wenn man das System richtig anwendet, ist es objektiv. Leider ist es aber dafür anfällig, dass es nicht objektiv angewendet wird."

Der Polizist findet es persönlich schwierig, eine 'einfache' Beleidigung, die jemand ausspricht, weil er beleidigen will und dafür Äußerlichkeiten zum Anlass nimmt, von Rassismus zu unterscheiden, der von einer inneren Haltung geprägt ist. Niemand sei vor Vorurteilen und Stereotypen im Alltag gefeit, auch die Polizei nicht. Seine Erfahrung: Manchmal passiert es, dass Menschen aufgrund ihres Namens stigmatisiert werden, weil sie genauso heißen, wie z.B. ein bekannter krimineller Clan. +++

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+++ Von der Debatte über 'latenten Rassismus' in der Polizei "haben sich viele unserer Kolleginnen und Kollegen verunglimpft und beleidigt gesehen", berichtet Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der GdP Niedersachsen. Denn: "Bei uns ist die Auffassung fest verankert, dass wir eine gute Polizei haben". Eine klare Position der Politik zur Polizei sei erforderlich, "ohne zu verkennen, dass wir das eine oder andere Problem haben."

Eine Untersuchung über Rassismus oder Diskriminierung in der Polizei hält der GdP-Landesvorsitzende für unnötig, da "wir der tiefen Überzeugung sind, dass wir diese Probleme nicht in der Struktur und auch nicht als generelles Problem bei den Beschäftigten haben". Aber natürlich müsse man an dem Thema dranbleiben. Im Alltag bleibe viel zu wenig Zeit für die Vor- und Nachbereitung der Einsätze, beklagt Schilff. +++

Der Vorwurf des 'latenten Rassismus'

DP: Warum ist die Debatte über 'Rassismus in der Polizei aus den USA nach Deutschland ‚übergeschwappt‘?

Jacobsen: Weil es auch hier ein Thema ist! Wenn tausende Menschen in Deutschland auf die Straße gehen und sagen ‚wir erleben hier Alltagsrassismus‘, dann muss man hinhören! Die Situation in den USA dazu den Impuls gegeben. Ich würde jedoch gerne Abstand nehmen von der Debatte in den USA. Es geht nicht darum, die Polizei in den USA mit der Polizei in Deutschland oder Niedersachsen zu vergleichen, sondern darum, die Proteste und die Botschaft der Protestierenden in Deutschland ernst zu nehmen. Das gilt nicht nur für die Polizei, sondern für alle angesprochenen gesellschaftlichen Bereiche. Es ist Zeit, inne zu halten und sich zu fragen, was wir wissen und was wir vielleicht noch herausfinden müssen. Wir haben jetzt die Chance, genauer hinzugucken: in welchen Bereichen, auf welchen Ebenen gibt es Rassismus und wie äußert sich dieser? Das hielte ich für einen konstruktiven nächsten Schritt. Und das ist, so finde ich, auch in der Verantwortung in der Polizei. Dabei ist es wenig ergiebig, zu sagen ‚alle Polizisten sind Rassisten‘ oder ‚es gibt keinen Rassismus in der Polizei‘. Es bringt auch nichts, jedes Mal von Einzelfällen zu sprechen. Ich glaube, man muss unterhalb der Einzelfälle gucken, also quasi unterhalb der Ebene, die von der Organisation bearbeitet wird. Wissenschaftlich ist das bislang nur unzulänglich erforscht, einzelne Studien geben durchaus Hinweise, dass Rassismus auch in der Polizei zu finden ist. Wir wissen aber nicht, in welchem Umfang, auf welcher Ebene, welche Einstellung dahintersteht, welches Verhalten zu sehen ist und wie die strukturellen Rahmenbedingungen sind.


DP: Herr Fahrbach, was hat die Debatte um 'latenten Rassismus in der Polizei', die von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken ausgelöst wurde, bei Ihnen bewirkt?

Fahrbach: Mich hat der Begriff der Latenz gestört. Ich habe ihn als eine ‚tief verwurzelte innere Haltung, die unterschwellig bei jedem Handeln und Einschreiten mitschwingt‘ interpretiert. Das habe ich zum einen nie so erlebt und zum anderen bin ich der Überzeugung, dass ich so auch nie gehandelt habe. Eben die Unterstellung der Latenz, also dieses flächendeckende Unterschwellige, ist es, was ich befremdlich und nicht treffend fand. In jeder Debatte sind wir zurecht um Differenzierung bemüht. Wir sagen ganz bewusst nicht ‚es gibt DIE Ausländer‘, denn DIE gibt es nicht. Darüber hinaus verkennt die Debatte, dass wir bundesweit eine Vielzahl an Polizeien haben, die unterschiedlich ausbilden, unterschiedlich strukturiert und die bei individueller Betrachtung mit anderen Situationen konfrontiert sind und anders handeln. Auch sind 'die Polizeien' insgesamt unterschiedlich aufgestellt.

Jacobsen: Das ist interessant, denn ich habe den Begriff der Latenz ganz anders verstanden. In der Debatte wurde nicht gesagt, was mit ‚latentem Rassismus‘ gemeint ist. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hat zum Beispiel geantwortet ‚Nein, es gibt keinen strukturellen Rassismus‘. Ich habe mich gefragt: ‚latent‘, ‚strukturell‘, was denn nun? Die Bedeutung der Begriffe ist nicht geklärt, hier ist die Wissenschaft gefragt, genauer hinzugucken. Ich glaube, so wie Sie Latenz verstanden haben, haben es viele in der Polizei verstanden. Deswegen waren die Reaktionen auch so empört. Ob es so gemeint war, weiß ich nicht.

Schilff: Ich habe erst mal nachgeschaut. Begrifflichkeiten nimmt man gerne automatisch hin und meint, ungefähr zu wissen, was gemeint ist. ‚Latent‘ bedeutet demnach ‚verborgen‘ oder ‚versteckt‘. In der Öffentlichkeit ist das anders thematisiert worden. Wenn ich mit Leuten gesprochen habe, war für diese klar: es wird der Polizei struktureller Rassismus unterstellt. Andere sind darauf aufgesprungen. Diese Vorhaltung verneine ich vehement, denn das würde ja bedeuten, die Polizei würde vorsätzlich Strukturen so gestalten, dass eine eventuell vorhandene rassistische Grundhaltung gefördert oder dem nicht entgegengehalten wird.

Jacobsen: Herr Fahrbach hat noch etwas sehr Wichtiges gesagt: es gibt unterschiedliche Polizeien und vor allem unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Diese erfordern ganz unterschiedliche Maßnahmen und ganz unterschiedliche Entscheidungen. Politisch ist dies schwer zu transportieren, da wird über DIE Polizei und DEN Rassismus gesprochen. Aber wenn man tiefer einsteigen will und sich auch als Polizei damit beschäftigen möchte, dann muss man differenziert schauen und Problemfelder benennen, die entweder von außen durch politische Rahmenbedingungen und politische Aufträge bzw. durch Organisationsvorgaben erzeugt sind oder auf der Handlungsebene entstanden sind, sich also verselbständigt haben.
Einen gezielten, vorsätzlichen Rassismus, würde ich bei allem, was ich von der Polizei Niedersachsen weiß, nicht unterstellen wollen. Es gibt neben dem vorsätzlichen Rassismus weitere Formen des Phänomens: Handeln, das jenseits einer Überzeugung rassistische Züge und Wirkungen hat. Es ist wichtig, hier genauer hinzugucken. Das zu tun ist Aufgabe einer demokratischen Polizei und das würde ich mir von der Polizei auch wünschen. Ich kenne viele Polizeibeamtinnen und -beamte, die durchaus selbstkritisch sind. Dabei sagen sie nicht ‚alle meine Kollegen sind Rassisten‘. Aber sie gucken genauer hin und kommen zu dem Schluss ‚doch, es gibt den einen oder anderen in einer Dienstabteilung oder im Kontext einer Tätigkeit, dessen Verhalten ist nicht okay‘. Diese, ich nenne sie mal ‚kritischen Polizeibeamtinnen und -beamten‘, sind mir zu leise.
Soziologin Astrid Jacobsen sind die 'kritischen Polizeibeamtinnen und -beamten', die genau und differenziert hinschauen, viel zu leise. Sie müssten ermutigt werden, unangemessenes Verhalten anzusprechen. Foto: PM
Soziologin Astrid Jacobsen sind die 'kritischen Polizeibeamtinnen und -beamten', die genau und differenziert hinschauen, viel zu leise. Sie müssten ermutigt werden, unangemessenes Verhalten anzusprechen. Foto: PM
DP: Und wie war die Reaktion der Gewerkschaft?

Schilff: Die Debatte war natürlich problematisch, viele unserer Kolleginnen und Kollegen haben sich sofort verunglimpft und beleidigt gesehen. Wir haben meiner Einschätzung nach eine gute Aus- und Fortbildung, vermitteln eine gute Kompetenz und haben auch Möglichkeiten im Dienst, gegen etwaige rassistische Handlungen oder Äußerungen anzugehen. Aufgrund unserer Erfahrungen und aufgrund von Verhaltensmustern, die wir innerhalb der Polizei verstärken wollen, waren wir von diesem pauschal in der Öffentlichkeit thematisierten Vorwurf verwundert. Bei uns ist die Auffassung fest verankert, dass wir eine gute Polizei haben, die wir als Gewerkschaft seit 70 Jahren mit entwickelt haben. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen eine klare Position der Politik, ohne zu verkennen, dass wir das eine oder andere Problem haben. Der Vorwurf für uns nicht tragbar, zumal sich in Seminaren und Initiativen zur „demokratischen Resilienz“ damit intensiv auseinandergesetzt wird. Deshalb haben wir eingefordert, dass sich die Politik positioniert, was auch stattgefunden hat.


DP: Herr Fahrbach es gab in der Polizeiakademie Nienburg ein Gespräch mit Frau Esken. Was war Ihre Botschaft an die SPD-Vorsitzende?

Fahrbach: Ich habe zum einen das angesprochene Problem mit der ‚Latenz‘ und die dadurch missverständliche und stark emotionalisierte Debatte thematisiert. Die Debatte hat mehr Reibung als Bewegung erzeugt. Meine Botschaft ist, dass die Polizei mehr ist. Die Polizei hat Schnittmengen mit Teilen der Bevölkerung, die weiten Teilen der Mehrheit der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben. Damit meine ich, dass die Kolleginnen und Kollegen im Streifendienst häufig mit Menschen am Rande der Gesellschaft zu tun haben und die Kompetenz haben, mit diesen Menschen ebenso sachgemäß umzugehen, wie mit Bürgerinnen und Bürgern, die eine Anzeige erstatten oder eine Verkehrsordnungswidrigkeit begehen. Ich denke diese Bandbreite, die ‚die Polizei‘ abdeckt und vor allem professionell und mit Achtung und Würde abdecken kann, die geht bei solchen Debatten verloren, das ist schade. Damit will ich nicht sagen, dass es innerhalb der Polizei keine Probleme gibt, aber es wird ganz stark eine Seite fokussiert.

Jacobsen: Man kann aber auch sagen: die Polizei hat die Kritik nur auf einem Ohr gehört. Sie hat den Generalverdacht gehört, aber nicht die differenzierten, die kritischen Stimmen, die gesagt haben ‚natürlich haben wir eine demokratische Polizei und hinter der stehen wir auch und dennoch lohnt sich ein Blick auf das Thema Rassismus und Polizei‘. Also provokant formuliert: Wenn die Polizei die Kritik nur auf dem Generalverdachts-Ohr hört, bleibt vor lauter empörter Zurückweisung auch kein Raum mehr, sich differenziert kritisch mit etwas auseinander zu setzen.

Fahrbach: Aber wenn ich einen Diskurs lostreten möchte, dann muss ich meinem Gegenüber auch die Gelegenheit geben, das Gesicht zu wahren. Das hat in diesem Fall nicht geklappt. Die Polizei ist in eine Ecke gedrückt worden. Das erschwert eine ergebnisoffene Diskussion.

Jacobsen: Ja, aber Frau Esken hat eben nicht gesagt 'alle Polizisten sind Rassisten'. Was ich damit sagen will: wenn man nur das Extremste hört und darauf reagiert, dann ist für eine Debatte tatsächlich kein Raum mehr.


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