Landesjournal Niedersachsen September 2022 - Leitartikel - Verfassungsgemäß gestaltete Alimentation - Ein tauglicher Versuch?

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Der Entwurf des Niedersächsischen Gesetzes zur amtsangemessenen Alimentation sieht folgende Änderungen vor:
1. Einführung eines Familienergänzungszuschlags
2. Erhöhung der jährlichen Sonderzahlung (bis A8 auf 1.200 EUR ab A9 auf 500 EUR, während Anwartschaft 250 EUR)
3. Streichung der ersten Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppen A 5, A 6 und A 7 zum 1. Januar 2023
4. Erhöhung der Grundbesoldung der Besoldungsordnung A mit Gültigkeit ab dem 1. Januar 2023 (durch Anpassung um 2,8%)
5. Erhöhung der Familienzuschläge mit Gültigkeit ab dem 1. Januar 2023
6. Erhöhung der jährlichen Sonderzahlung für Versorgungsempfänger/-innen mit Kindern und Erhöhung der Höchstgrenzen beim Zusammentreffen von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen
Sollte der Familienergänzungszuschlag wie beabsichtigt in Kraft treten, ist davon auszugehen, dass dieses Gesetz einer höchstrichterlichen Überprüfung nicht standhalten wird. Denn nach den Entscheidungen des BVerfG aus 2020 ist ein Familienergänzungszuschlag, dessen Gewährung vom Familieneinkommen bzw. Einkommen des Ehegatten, Lebenspartners oder Unterhaltspflichtigen abhängt, grundsätzlich nicht mit der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG vereinbar. Die angemessene Nettoalimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden.
Hinzu kommt, dass dem Familienergänzungszuschlag im Hinblick auf das aus Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz folgende Mindestabstandsgebot sowie das allgemeine Abstandsgebot erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Beim Mindestabstandsgebot handelt es sich – wie beim Abstandsgebot – um einen eigenständigen, aus dem Alimentationsprinzip Niedersachsen abgeleiteten Grundsatz. Es besagt, dass bei der Bemessung der Besoldung der qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamtinnen und Beamten geschuldet ist, hinreichend deutlich werden muss. Dieser Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Alimentation (netto) unter Berücksichtigung der familienbezogenen Bezügebestandteile und des Kindergelds nicht mindestens 15 % über dem Arbeitslosengeld II bzw. der Grundsicherung liegt.
Zugleich geht mit der geplanten Regelung eine indirekte, verfassungswidrige Diskriminierung von Ehe- und Lebenspartnern/- innen, die selbst keine Beamtinnen oder Beamten sind, einher. Sie erhalten den Familienergänzungszuschlag nur, wenn sie Arbeitsentgelt erzielen, das unter dem Arbeitsentgelt einer geringfügigen Beschäftigung („Mini-Job“) bleibt.
Bei den übrigen Regelungen des Gesetzesentwurfs, die die Höhen der Bezüge und der Bezügebestandteile sowie die Streichung der Erfahrungsstufe in A5, A6 und A7 regeln, fehlen jeweils die konkreten Begründungen, welche Faktoren der Ermittlung der Beträge zugrunde liegen und eine Erläuterung einer vorzunehmenden Abwägung. Die Festlegung aller konkreten Besoldungshöhen des Gesetzesentwurfs stellen deshalb zufällige Ergebnisse dar, die mit der genannten Rechtsprechung nicht vereinbar sind.
Fazit
Es spricht nichts gegen schnelle Entscheidungen. Die Übernahme des Modells Schleswig-Holstein, das dort auch schon der gerichtlichen Überprüfung zugeführt wurde, erscheint jedoch überstürzt. An dieser Stelle wären mehr Kreativität und ein Austausch mit den Gewerkschaften wünschenswert gewesen.
Andrea Timmerman,
Mitglied im Geschäftsführenden Landesvorstand
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HINWEIS:Für diese Ausgabe haben wir die Parteien SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gebeten, sich unseren Mitgliedern in maximal 900 Zeichen langen Texten im Vorfeld der Landtagswahl vorzustellen. Die Antworten finde sich auf Seite 6 des Landesjournals. Leider erreichte uns die Antwort der CDU erst nach Redaktionsschluss, sodass diese hier nachgereicht wird. Im Folgenden also die Antworten aller Parteien im Überblick:
SPD: Für die nächsten Jahre haben wir uns viel vorgenommen. Und mit unserem Wahlprogramm geben wir die richtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit: Internationale Konflikte, Klimawandel, Digitalisierung und deren Effekte fordern uns heraus. Unter dem Titel „Fortschritt, der alle mitnimmt“ haben wir uns deshalb vier Schwerpunkte gesetzt. WIRTSCHAFT, DIE ALLEN NUTZT: Die nachhaltige Transformation Niedersachsens gehen wir mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien bis hin zur Verkehrswende von morgen an. BILDUNG, DIE ALLEN CHANCEN BRINGT: d. h. Chancengleichheit von Beginn an. Eines unserer Ziele: kostenlose Tablets ab der 1. Klasse! EIN STAAT, DER ZUKUNFT FÜR ALLE SCHAFFT: Wir investieren aktiv in unser Land, indem wir u. a. den Bau von Wohnungen und bezahlbare Mieten fördern! SICHERHEIT, DIE ALLE STÄRKT: Mit einer modernen gesundheitlichen Versorgung bis hin zur Stärkung der Polizei vor Ort schaffen wir Sicherheit für alle in Niedersachsen.
CDU: Wir engagieren uns für ein sicheres Leben in Niedersachsen. Die Polizistinnen und Polizisten leisten täglich Herausragendes. Dies verdient unsere Wertschätzung und Anerkennung. Wir werden ein Programm auflegen, das die Arbeitsbedingungen verbessert, die Polizeipräsenz in der Fläche stärkt und den Beförderungsstau abbaut. Wir wollen die Polizeizulage erhöhen (200 €) und wieder ruhegehaltsfähig machen. Wir starten eine Investitionsoffensive, um die Polizeigebäude diensttauglich zu machen. Wir werden eine digitale Technik fest im Arbeitsalltag implementieren. Dabei setzen wir auf Lösungen, die Künstliche Intelligenz nutzt und vorhandene großen Datenmengen zielgerichtet auswertet. Wir stehen für einen besseren Schutz vor Angriffen im Einsatz. Misstrauen gegenüber der Polizei ist fehl am Platz. Wir brauchen keinen Polizei-/Antidiskriminierungsbeauftragten oder ein Antidiskriminierungsgesetz. Das ausgeuferte Beschwerdewesen fahren wir zurück. Eine Kennzeichnungspflicht lehnen wir ab.
Grüne: Bündnis 90/Die Grünen in Niedersachsen wollen einen demokratischen Rechtsstaat mit einer motivierten Polizei. Zweifelsfrei gehört dazu eine hervorragende Ausbildung und die Ausstattung mit guten Einsatzmitteln und eine effiziente digitale Infrastruktur. Wir wollen die Stelle eines unabhängigen parlamentarisch bestimmten Polizeibeauftragten schaffen, der die Belange der Polizeibeamt*innen vertritt und im Konfliktfall auch Ansprechpartner*in für Bürger*innen sein kann. Wir halten es für sinnvoll, im Zuge der Modernisierung auch die rechtlichen Grundlagen der Polizeiarbeit zu verbessern. So halten wir den Unterbindungsgewahrsam von bis zu 35 Tagen für zu lang. Wir möchten uns, neben einer modernen Fehlerkultur innerhalb der Polizei, auch für Unterstützungsangebote wie regelmäßige Supervisionen und Schulungen sowie eine Anerkennung bei besonders belastenden Tätigkeiten einsetzen.
FDP: Niedersachsen steht vor großen Herausforderungen. Die Politik muss die Zukunft unseres Landes aktiv gestalten, statt nur den Status quo zu verwalten. Wir Freie Demokraten setzen wir uns für eine echte Modernisierungsagenda ein und bereiten den Weg für eine Investitionsdekade ohne neue Staatsschulden. Insbesondere bei den Landesliegenschaften – auch bei denen der Polizei – besteht immenser Handlungsbedarf. Wir stehen für einen handlungsfähigen Rechtsstaat und wollen die individuellen Freiheitsrechte und die Selbstbestimmung der Menschen schützen. Um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, müssen Polizei und Justiz besser ausgestattet werden. Das hilft mehr als neue Gesetze. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten bei der niedersächsischen Polizei. Für ihre Arbeit haben sie Respekt und Wertschätzung verdient.
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