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PRW 2020 Themen und Ziele

Wir wollen, dass ihr Beruf, Familie und Karriere vereinbaren könnt!

Artikel im Landesjournal 11-2019

Wir wollen, dass Ihr mehr Zeit mit eurer Familie verbringen könnt. Foto: Swantje Komolka
Wir wollen, dass Ihr mehr Zeit mit eurer Familie verbringen könnt. Foto: Swantje Komolka

Wir wollen, dass Privatleben und Beruf im Einklang stehen - Wir wollen, dass Du auch als Teilzeitkraft Karriere machen kannst - Elternzeit oder Beurlaubung aus familiären Gründen - eine einsame Insel ohne Kontakt? Unsere drei Autoren/-innen Bernd Dreier, Anja Surkau und Elke Gündner-Ede beschreiben Probleme und Lösungen.

Wir wollen, dass Privatleben und Beruf im Einklang stehen

Wir wollen, das Schichtdienstleistende Berichte auch in mobiler Telearbeit von zu Hause aus schreiben können. Foto: Philipp Mantke
Wir wollen, das Schichtdienstleistende Berichte auch in mobiler Telearbeit von zu Hause aus schreiben können. Foto: Philipp Mantke
Vor kurzem erzählte eine Kollegin, dass sie ihr Kind früher um kurz vor 8 Uhr alleine am Kindergarten stehen lassen musste und dann täglich mit einem unguten Gefühl zum Dienst gefahren sei. Der Kindergarten öffnete erst um 8 Uhr, zur gleichen Zeit begann ihr Dienst im Ermittlungsdienst eines Kommissariats. Erst nach 8 Uhr zum Dienst erscheinen – unmöglich! Ihr Vorgesetzter habe eine eindeutige Meinung gehabt: „Dienst ist Dienst“, und private Nöte nicht sein Problem. Es sei ihre Entscheidung, wenn sie trotz Kindern arbeiten wolle.

Dieser Sachverhalt liegt nun schon über zwanzig Jahre zurück. Ohne Frage ist inzwischen, auch aufgrund gewerkschaftlichen Einsatzes, viel passiert. In der Polizei achten Personalräte in den Dienstvereinbarungen vor Ort auf familienfreundliche Dienstzeiten und fordern diese ein. Aber in diesem komplexen Beruf reicht eine Gleitzeitregelung nicht aus.

Beispiel 1: Polizistenpaar im ESD-Schichtdienst

Betroffene Kolleginnen und Kollegen sind gerade in jüngeren Jahren überproportional häufig im Schichtdienst eingesetzt. Ein junges Polizistenpaar mit zwei Kleinkindern, die beide im ESD einer Dienststelle tätig sind, erzählte, wie schwer es sei Dienst, Familie und Freizeit überhaupt zu ermöglichen. Gerne würde die Frau mit 50 Prozent ihrer Arbeitszeit in den Dienst zurückkehren - im Schichtdienst eine schier unlösbare Aufgabe. „Wir können die Kinder ja nicht zum Schichtwechsel dem anderen Elternteil auf der Dienststelle übergeben“, so die Kollegin. Letztlich kann sie deshalb nur mit zehn Stunden in der Woche arbeiten, um überhaupt ein kleines Einkommen zu haben und den Anschluss nicht zu verlieren.
Würde man die Kollegin im Tagesdienst einsetzen, könnte sie dort mit einem höheren Stundenanteil tätig sein, was auch einen Nutzen für die Dienststelle hätte und für beide eine Win-win-Situation wäre. Aber das erfordert Flexibilität der Dienststelle. Als Personalräte setzen wir uns daher dafür ein, dass bei Personalnachersatz für Dienstposten im Tagesdienst nicht nur die klassischen fachlichen Kriterien und Leistungsmerkmale berücksichtigt werden, sondern auch soziale Gründe, unter anderem die Vereinbarkeit Beruf und Familie, gleichrangig nebeneinanderstehen und in Auswahlentscheidung einfließen.

Beispiel 2: Alleinerziehend mit schulpflichtigem Kind

Eine weitere Möglichkeit ist die alternierende Telearbeit, die hier am Beispiel einer alleinerziehenden Mutter mit einem schulpflichtigen Kind aufzeigt werden soll. Die Kollegin hat keine Unterstützung von Großeltern, eine ganztätige Betreuung des Kindes kam aufgrund besonderer Umstände nicht in Betracht. Somit blieb eigentlich nur eine unterhälftige Teilzeit in der Besoldungsgruppe A9, verbunden mit deutlichen finanziellen Einschränkungen.
Auf Wunsch der Kollegin, die in einem Fachkommissariat arbeitet, haben Personalräte und Dienststelle gemeinsam verschiedene Möglichkeiten besprochen. Die anfängliche Skepsis gegenüber Telearbeit, die zumindest im Vollzugsbereich noch sehr zögerlich umgesetzt wird, konnte durch gute Argumente überwunden werden. Es wurde eine Probephase vereinbart, die im Nachhinein als Erfolg bewertet werden muss: Die Kollegin ist vormittags auf der Dienststelle, nimmt an Besprechungen teil, macht Vernehmungen und ist sozial in die Kollegenschaft eingebunden. Schreibarbeiten und Recherchen erledigt sie am Nachmittag, die Erreichbarkeit ist sichergestellt. Ergebnis: Der Vorgesetzte ist zufrieden, die Kollegin konnte ihre Stundenzahl sogar auf Vollzeit erhöhen. Dieses Beispiel zeigt, dass es manchmal mutige Entscheidungen braucht, um etwas Ungewohntes auszuprobieren.

Auch hier gilt es, die Kapazitäten noch besser auszuschöpfen. Teilzeitkräfte, die zum Beispiel im Schichtdienst arbeiten, haben oft das Problem, dass sie wichtige Berichte noch während der Schicht zu Ende schreiben müssen, da sie aufgrund der reduzierten Stundenzahl erst einige Tage später wieder auf der Dienststelle sind. Durch mobile Telearbeit kann hier eine Entlastung geschaffen werden.
Für uns Personalräte ist klar: Eine Menge wurde schon erreicht. Das aber darf kein Grund sein, stehen zu bleiben. Als Personalräte stehen wir für kreative und flexible Lösungen. Sowohl in der Arbeitszeitgestaltung, wie auch in der Dienstpostengestaltung. Wir unterstützen in unseren Dienstvereinbarungen klar die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir wollen unsere Arbeitsbedingungen für die Zukunft aufstellen.

Beispiel 3: Vereinbarkeit in höheren Dienstposten

Die genannten Beispiele zeigen, dass es in den meisten Fällen nicht um Karriere geht, sondern schlicht darum, es überhaupt irgendwie hinzubekommen. Doch gilt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie insbesondere auch auf höherwertigen Dienstposten, wie das Beispiel einer Dienstabteilungsleiterin im ESD zeigt.

In diesem Bereich gibt es viele Frauen, die ihre erste Führungsfunktion wahrnehmen und in Teilzeit arbeiten. Sie haben dann oftmals das Gefühl, dass alle anderen DSL/DAL in Vollzeit ihren Stundenanteil mit auffangen müssen - und sie daher ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Dienstellenleiter-/Dienstabteilungsleiter-Stellen in der Regel auf 6 Vollzeiteinheiten beschränkt sind. Für einen Rund-um-die-Uhr-Dienst ohnehin zu knapp bemessen. Ist eine Teilzeitkraft dabei, muss der Dienst von den anderen DAL/DSL oder Vertretern aufgefangen werden.

Als Personalräte setzen wir uns dafür ein, dass freie Anteile eines höherwertigen Dienstpostens ausgeschrieben werden können. In dem konkreten Beispiel wären dies 50 Prozent. Sich darauf bewerben (und befördert werden) könnten sich sowohl Teilzeit- und auch Vollzeitkräfte. Das wäre nicht nur ein Gewinn für die Teilzeitkraft, sondern auch für alle Kolleginnen und Kollegen und die Dienststelle.

Wir wollen, dass Du auch als Teilzeitkraft Karriere machen kannst

Teilzeit, dieser Begriff begleitet Frauen bei der Polizei eigentlich schon ein Berufsleben lang. In den letzten Jahren haben vermehrt auch Kollegen dieses Arbeitsmodell für sich gewählt. Hier sollte sich aber nicht nur man(n) frühzeitig über die Folgen im Klaren sein. Doch warum bedeutet Teilzeit, in die viele Mütter oder Väter nach der Elternzeit gehen, einen Karriereknick?


Dieses Arbeitszeitmodell wurde stets evaluiert, sodass es mittlerweile in Dienstvereinbarungen festgeschrieben ist. Es ist bereits im Grundzertifikat „audit berufundfamilie“ aus dem Jahr 2008 enthalten und erläutert. Es ist überall bekannt, wird gelebt, aber unserer Erfahrung nach leider nicht überall wertgeschätzt. Wir haben feststellen müssen, dass die individuelle Arbeitsleistung von Teilzeitarbeitenden nicht in dem Maße gewürdigt wird, wie es bei Vollzeitkräften der Fall ist. Nicht nur unbewusst schwingen dabei Aussagen mit, dass er oder sie „nur von dann bis dann da ist“ oder: „Ihn oder sie sieht man ja nie“, „Er oder sie sucht sich nur die schönsten Schichten aus“. Auch sind heute oftmals noch Sprüche wie „Wer später kommt, kann früher gehen“ zu hören. Die fehlende Präsenz der Teilzeitkräfte wird vielen von ihnen zum Verhängnis.

Nennen wir als Beispiel einen jungen Familienvater, dessen Frau, höher besoldet, als Lehrerin tätig ist. Bei der Polizei übernimmt er in Teilzeit Nacht- oder Wochenenddienste im Einsatz- und Streifendienst, muss aber pünktlich nach Hause, um die Kleinkinder zu betreuen. Es ist also ein ständiges Rennen auf der Überholspur, nicht der Karriere wegen, sondern von zu Hause zum Kindergarten bzw. zur Schule, zur Arbeitsstätte und zurück. Für alleinerziehende Elternteile wäre das schon gar nicht zu machen. Es gibt noch viele Beispiele, wo Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit arbeiten – nicht, weil sie es gerne möchten, sondern weil äußere Faktoren, die sie nicht beeinflussen können, sie dazu zwingen.

Aber einiges haben diese Kolleginnen und Kollegen gemeinsam: Die Wertnoten ihrer Beurteilungen liegen sehr selten bis gar nicht in den Spitzenbereichen. Bei der Polizei zählt jedoch neben der Befähigung das Leistungsprinzip. Wird die Leistung nicht ausreichend gewürdigt, sind schnell mal sechs und mehr Jahre quasi auf Eis gelegt.

Die Evaluation von Beurteilungsergebnissen hat uns gezeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern schlechter beurteilt worden sind. Im Bereich der Teilzeitbeschäftigten wirkt sich dies noch stärker aus. Da momentan überwiegend Frauen in Teilzeit arbeiten, gibt es überproportional viele Teilzeitarbeitende mit schlechteren Beurteilungsergebnissen. Somit lässt sich durchaus sagen, dass es ein Karriereknick ist, wenn man in Teilzeit arbeitet.

Belegbare (!) Fälle, in denen jemand nicht befördert wurde bzw. einen höherwertigen Dienstposten nicht bekommen hat, weil er oder sie in Teilzeit arbeitet, gibt es allerdings nicht. Man wird es nicht belegen, denn wenn man es belegt, wäre das der direkte Weg zur Klage.
Doch wie können wirklich gleiche Karriere-Chancen von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten hergestellt werden? Das werden wir nach den Erfahrungen der letzten 30 Jahre wohl nie erreichen ..

In fast allen Personalvertretungsgesetzen wird den Personalräten explizit die Gleichstellung der Geschlechter als generelle Aufgabe auferlegt, d.h. aktiv an der Umsetzung der Gleichstellung arbeiten.

Aus diesem Grund bieten wir vom Hauptpersonalrat jedes Jahr ein Seminar zur Chancengleichheit an. Hier greifen wir Themen wie Teilzeit, „Lost Generation“ und Beurteilung gemeinsam mit den Dezernatsleiterinnen/n Personal der Behörden und Einrichtungen, deren Bezirkspersonalräten und der Gleichstellungsbeauftragten sowie der Leiterin Personal des Landespolizeipräsidiums auf. Dabei kam man u.a. auch zum Entschluss, dass ein Warten auf ein geändertes Niedersächsisches Gleichberechtigungsgesetz (NGG) zu lange dauern wird. Es ist in Planung, die Entwürfe der Gleichstellungspläne bereits vor den Erstbeurteiler-Konferenzen im Landespolizeipräsidium vorliegen zu haben. Wir werten das als weiteren kleinen Stein auf dem Weg der Gleichstellung.

Auch seitens der GdP begleiten wir Gleichstellung eng. Dabei fordern wir unter anderem, dass für Teilzeitarbeit die volle Wechselschichtzulage gezahlt wird, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt werden. Die Versorgungslücke könnte nach jahrelangem zähen Verhandeln geschlossen werden. Denn wir wollen, dass Aussprüche „Mit 30 glücklich verliebt, mit 40 dramatisch geschieden, mit 60 Absturz in die Altersarmut“ bald der Vergangenheit angehören.

Elternzeit oder Beurlaubung aus familiären Gründen - eine einsame Insel ohne Kontakt?

Als im Jahr 2008 die Polizei Niedersachsen erstmalig mit dem Zertifikat „Audit BerufundFamilie“ der Hertie-Stiftung ausgezeichnet wurde, fiel der Startschuss für ein Umdenken in der Polizei. Die ganze Organisation war aufgerufen, den Weg zur Umsetzung familienfreundlicher Strukturen weiter zu beschreiten.

Die Personalvertretung war von Anfang an mit im Boot, um das gesteckte Ziel, den Polizeiberuf insbesondere für Frauen und Familien attraktiver zu machen und die Vereinbarkeit zu gewährleisten, zu erreichen. Ein wesentlicher Teil dieser Strategie, bestand in der Realisierung von Maßnahmen, die sich rund um das Thema Elternzeit rankten. Elternzeit und Beurlaubungen aus familiären Gründen führten bisher oftmals dazu, dass mehrheitlich die Frauen lange dienstliche Ausfallzeiten in Kauf nehmen mussten. Konsequenz war das Abkoppeln dieser Kolleginnen von Beförderung und Karriere und bildete in extremen Fällen den Einstieg in die Altersarmut.

Nach inzwischen drei weiteren Zertifizierungen, hat die Hertie-Stiftung im Jahr 2017 der Polizei Niedersachsen das Dauerzertifikat übertragen, welches sie eindeutig als familienfreundliche Organisation ausweist. Das bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass damit ein Schlusspunkt gesetzt ist und alle Probleme in Vereinbarkeitsfragen gelöst sind.

Als Polizeihauptpersonalrat sind wir gemeinsam mit dem Landespolizeipräsidium und der Gleichstellungsbeauftragten Ansprechpartner für die Probleme der Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dem Themenbereich Familie und Pflege auseinandersetzen. Wir halten es weiterhin für dringend erforderlich, die Rahmenbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen mit Familienaufgaben so unterstützend wie möglich zu gestalten. Deshalb haben wir uns für die Realisierung von Telearbeit, die Einrichtung von Eltern-Kind-Büros sowie die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort eingesetzt. Insbesondere im Wechselschichtdienst waren anfangs die Hürden hoch. Mittlerweile ist die Dienstgestaltung für teilzeitbeschäftigte Wechselschichtleistende jedoch kein „großer Aufreger“ mehr.

Insbesondere bei der Betreuung und Information von Kolleginnen und Kollegen, die sich in Elternzeit befinden oder Pflegeaufgaben nachgehen, gilt es Kontakt zu halten. Regelmäßige und zeitnahe Informationen über Entwicklungen in den Behörden, Stellenausschreibungen und Fortbildungsangebote an diesen Personenkreis sind von zentraler Bedeutung. Weiterhin sollte es für Kolleginnen und Kollegen, die längerfristig zu Hause bleiben, um Pflege- oder Erziehungsaufgaben wahrzunehmen, Angebote geben, die ihnen ermöglichen, beruflich am Ball zu bleiben. Durch zeitlich begrenzte Arbeitsmöglichkeiten wie Urlaubs-, Krankheitsvertretungen oder Projektarbeiten etc. wären sie von den Entwicklungen in ihrem Beruf, sei es die Einführung neuer Software oder Abfragesysteme, die Handhabung einer neuen Waffe, die Konfrontation mit neuen Einsatzmitteln, rechtliche oder organisatorische Veränderungen oder ähnlichem, nicht abgeschnitten. Nach der Elternzeit wären sie schneller in der Lage, wieder voll in den Beruf einzusteigen. Dieses muss für alle Gruppen, sei es Vollzug, Verwaltung oder Tarif möglich sein. Hier ist noch einiges zu tun, um Angebote zu entwickeln und flexible Möglichkeiten zu eröffnen. Diese Entwicklung werden wir als Personalräte aktiv weiter begleiten.

Bernd Dreier

Anja Surkau

Elke Gündner-Ede

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