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Deutsche Polizei Niedersachsen 01/2021

Das Reden vom Kulturwandel

Sascha Göritz

Achtung, es wird einen neuen Arbeitszeiterlass in der Polizei geben! Eine knallharte Ankündigung, die dort, wo sie gehört wird, zu regen Diskussionen führt: Was darf? Was muss? Was soll?

Es wird von einer neuen Kultur gesprochen. Man will ein moderner Arbeitgeber sein. Doch was genau ist damit eigentlich gemeint? Ein Blick in die Geschichtsbücher hilft:

Wir schreiben das Jahr 1999. Die Landesverwaltung und damit auch die Polizei erhält eine Neufassung der Vereinbarung über die Grundsätze für die gleitende Arbeitszeit, die Gleitzeitvereinbarung. Eine neue Kultur zieht ein:

Die Menschen können den Anfang und das Ende ihrer Arbeitsleistung in einem bestimmten zeitlichen Korridor und unter Berücksichtigung von Kern- oder Funktionszeit selbst bestimmen. Es kommt zu einer Flexibilisierung und einer Mitgestaltung der eigenen Arbeitszeit. Es unkten die ewig Gestrigen: „Da fallen Stunden ohne Ende an! Das wird viel Geld und Personal kosten! Da sinkt die Qualität! Was bin ich für ein Vorgesetzter, wenn meine Mitarbeiter arbeiten können, wann sie wollen?“

Und was passierte? Es erfolgte ein verantwortungsvoller Umgang mit der Arbeitszeit durch die Beschäftigten. Es gab keine Beeinflussung der Dienstleistungsqualität.

Also noch einmal die Frage, was bedeutet heute „neue Kultur“ und „moderner Arbeitgeber“? Sicherlich nicht, dass man hinter die beschriebenen Regeln zurückfällt. Meint man mit „modern“, dass Führungskräfte regeln, wer aus einer Dienstabteilung wenige Minuten für umfangreiche Übergabe-/Übernahmegeschäfte bei einem Schichtwechsel bekommt? Oder können Mitarbeitende vor Ort im Rahmen von Eigenverantwortung das nicht viel besser selbst entscheiden? Verantwortung für Ausrüstung und Ausstattung für mehrere Tausend Euro übernehmen ja, für ein paar Augenblicke Arbeitszeit nein? Es wird nicht ausreichen, Regelungen an arbeitszeitrechtliche Vorgaben anzupassen. Dass Pausen zu machen sind, dass es tägliche wie wöchentliche Ruhezeiten gibt, ist hinlänglich bekannt und längst normiert. Was ist also der Mehrwert eines neuen Arbeitszeiterlasses?
Das wird in nächster Zeit vom Erlassgeber zu beantworten zu sein. Für mich gilt dabei:

1. Die arbeits- und gesundheitsschutzrechtlichen Bestimmungen dienen unmittelbar der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit von uns Beschäftigten bei der Polizei und sind nicht verhandelbar.
2. Die Attraktivität eines modernen Arbeitsgebers hängt direkt von der persönlichen Einflussnahme auf die eigene Arbeitszeit ab.
3. Daher bedarf es eines persönlichen Dispositionsrechts für alle Polizeibeschäftigten, also insbesondere auch der ESD-Kolleginnen und -Kollegen.
4. Durch festgelegte „Funktionszeiten“ wie z. B. einem Spätdienst sowie einem geregelten Zeitguthabenkonto mit einer Stundenobergrenze und einer jährlichen Kappung wird man „modern“.
5. Wie seit 1999 im Gleitzeitmodell muss es nun für alle Polizeibeschäftigten mindestens gelten: Dienstbeginn beim Betreten der Dienststelle, Dienstende beim Verlassen.

Bei der „neuen“ Kultur muss allen klar sein: Unsere Arbeitszeit ist endlich und kann nicht mit dem Argument „aber wir sind doch Polizei!“ widerrechtlich verlängert werden. Meine Arbeitszeit beträgt wöchentlich 40 Stunden. Die kann ich im Rahmen eines persönlichen Dispositionsrechtes erweitern. Für alles andere hat der Gesetzgeber in § 60 III NBG die Normen der Mehrarbeit festgelegt. Liegen deren Voraussetzungen vor, arbeite ich natürlich mehr, genieße dann aber auch die Schutzvorkehrungen dieser Bestimmung: keine Kappung, Beteiligung des Personalrates zur Wahrung von Belastungsverteilung und der Einhaltung von anderen Schutzvorschriften, die finale Möglichkeit einer finanziellen Vergütung und vieles mehr.

Gute Führungskräfte werden sich messen lassen, ob sie die Bewältigung des polizeilichen Auftrags mit den personellen Ressourcen, die sie zur Verfügung haben, gemanagt bekommen. Dabei müssen Belastungen reduziert und besser verteilt werden. Den Belastungen müssen verbindlich vereinbarte Phasen der Entlastung folgen. Knappe Personalressourcen dürfen nicht mit der Gesundheit der Beschäftigten bezahlt werden. 24/7 gilt für unsere Polizei als Organisation, nicht für die einzelne Person!

„Corona“ hat es uns beigebracht: Vieles ist wichtig, aber nicht alles. Einiges muss sofort gemacht werden, aber nicht alles. Manches muss bis ins letzte „Detail“ bearbeitet werden, aber nicht alles. Vertrauen in die Beschäftigten, ein Höchstmaß an persönlicher Flexibilität und eine gute Arbeitsumgebung (rechtlich wie tatsächlich) sind die Grundpfeiler einer modernen Arbeitskultur bei der Polizei!
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